Editierte Abschrift der Frage- und Antwortrunde anlässlich der Pressekonferenz am 21.11.2019 Vorstellung des Finanzstabilitätsberichts der Deutschen Bundesbank 2019 mit Frau Prof. Dr. Claudia Buch, Vizepräsidentin der Deutschen Bundesbank und Prof. Dr. Joachim Wuermeling, Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank

Frage:

Frau Buch, Sie haben die Komponenten der Risikovorsorge am Anfang aufgezeigt und gesagt, das verschlechtere sich alles ein wenig. Meines Wissens sind da die § 340 f HGB Vorsorgereserven nicht mit in dieser Berechnung. Das heißt aber doch eigentlich, dass die Situation der Banken, die in den letzten Jahren sehr viel in diese Reserven gesteckt haben, doch eigentlich besser ist, als es der Bericht ausweist. Müsste man das nicht irgendwo berücksichtigen?

Zweite Frage: Wenn sich die Erwartungen so manifestieren, dass die Zinsen langfristig niedrig bleiben, was ist mit den Fristentransformationsrisiken, die müssten dann doch deutlich steigen?

Und meine dritte Frage an Herrn Wuermeling und an Sie, Frau Buch: Wie bewerten Sie den Vorstoß von Finanzminister Scholz, jetzt auf europäischer Ebene mehr Bewegung in die Diskussionen um das Bankenpaket und die Bankenunion zu bringen, indem Dinge bewusst vermischt werden? Auf der einen Seite eine Art Kuhhandel zu machen, nach dem Motto ‚wenn ihr uns ein bisschen entgegenkommt bei der Einlagensicherung, dann verzichten wir auf eine Eigenkapitalunterlegung von Staatsanleihen. Ist diese Wahrnehmung richtig, ist es sinnvoll, jetzt Dinge zusammenzubringen?

Prof. Dr. Claudia Buch

Fristentransformationsrisiken ist genau das Thema, über das ich eben gesprochen habe im Zusammenhang mit dem größeren Anteil der relativ langfristigen Wohnimmobilienkredite, die vergeben wurden. Fristentransformation ist natürlich eine originäre Aufgabe des Bankensektors, aber genau dieses Risiko eines abrupten Zinsanstieges schafft Verwundbarkeiten. Zu den Komponenten der Risikovorsorge würde ich an Herrn Wuermeling geben.

Prof. Dr. Joachim Wuermeling

In der Tat ist der Finanzstabilitätsbericht ausgewogen, indem er auf der eine Seite darlegt, an welcher Stelle zusätzliche Risiken und Verwundbarkeiten entstanden sind. Das hat Frau Buch ja ausgeführt. Es finden sich aber auch Passagen, in denen die Frage behandelt wird, wie es mit der Widerstandskraft der Banken aussieht. Ausdrücklich behandelt ist etwa der Kapitalaufbau, der durch Basel III erfolgt, es sind die TRIM-Prüfungen (Targeted Review of Internal Models) erwähnt. Insgesamt kann man sagen, dass die Risiken gestiegen sind, aber die Widerstandskraft im deutschen Bankensystem steigt auch. Die LSI-Umfrage (Less Significant Institutions) hat ergeben, dass die Banken weiterhin Kapital aufbauen und im Hinblick auf die § 340 f HBG-Reserven zeigt die bankaufsichtliche Praxis, dass die Banken einmal den antizyklischen Kapitalpuffer bilden, aber auch darüber hinaus Puffer aufbauen, die sich in der Risikovorsorge nicht wiederfinden. Und ein drittes Element in dem Zusammenhang ist, dass die Banken besser kapitalisiert sind. Das ist ja auch eine Schlussfolgerung oder Voraussetzung für die Verschiebung des Allokationsrisikos. Zur Bankenunion, zu EDIS und zum Vorschlag des Bundesfinanzministers: Wir befinden uns seit vielen Jahren in einem europäischen Gesetzgebungsprozess, den wir als Bundesbank mit hohem Interesse begleiten und in dem wir unseren Sachverstand einbringen. Wir haben uns mehrfach zu Fragen der Bankenunion geäußert. Wir haben klar gesagt, dass ein Einlagensicherungssystem sicher ein wichtiger Baustein einer Bankenunion ist, haben aber auch immer wieder klar gesagt, welche ökonomischen und rechtlichen Voraussetzungen wir dafür für erforderlich halten. Was wir bei der Lektüre dieses Non-Papers feststellen ist, dass alle Risiken, die wir immer adressiert haben, auch adressiert werden. Allerdings werden teilweise technische, teilweise auch politische Vorschläge gemacht, wie man hier den „gordischen Knoten“ durchschlagen kann. Und wir schauen uns mit sehr großem Interesse Vorschläge an, die nicht EDIS betreffen, etwa zum Ringfencing oder zu einer anderen aufsichtlichen Behandlung von Staatsanleihen jenseits der Maximalforderung der Eigenkapitalunterlegung. Insofern begleiten wir diesen Prozess weiterhin konstruktiv.

Frage:

Aber eine Bewertung kann es noch nicht geben, weil man noch im Prozess ist.

Prof. Dr. Joachim Wuermeling

Wenn ich sage, dass alle Risiken, die wir dort gesehen haben, konstruktiv adressiert werden, ist das ja schon eine Wertung

Prof. Dr. Claudia Buch

Ich sehe das ebenfalls nicht so, dass hier Dinge gegeneinander aufgespielt werden. Das ist auch eine Frage, die politisch entschieden werden muss. Diese Abwägung können wir jetzt nicht treffen. Da sind ganz viele Elemente drin, die wir immer gemeinsam in internationale Gremienarbeit eingebracht haben. Der Punkt, den ich an dem Vorschlag interessant und wichtig finde ist, dass sehr bewusst gesagt wird, es gibt viele Punkte, die für das Thema Abwicklung und Restrukturierung wichtig sind. Es gibt neue Systeme, die noch nicht getestet sind, oder nicht in der Intensität, wie man sich das vorstellen könnte. Wichtig ist: Wie die Systeme ausgestaltet sind hat auch ganz viel damit zu tun, wie in guten Zeiten, nicht in Krisenzeiten, Anreize gesetzt werden. Und deswegen ist es so wichtig, sich damit zu beschäftigen. Funktionieren unsere Systeme? Welche Anreize gehen davon aus? Es gibt im Moment eine sehr intensive Diskussion auf internationaler Ebene. Ringfencing ist so ein Begriff, der eine gewisse Wertung mitliefert, oder zumindest hat das für einige den Anschein. Auf internationaler Ebene wird oft über Marktfragmentierung gesprochen. Dabei geht es um die Frage, ob die Reformen, die stattgefunden haben, dazu geführt haben, dass Märkte nun fragmentierter sind als zuvor, weil auch Verlustabsorptionsmasse vorgehalten werden muss. Man muss sich aber auch ansehen, wie die Situation gewesen wäre ohne die internationalen Reformen. Hätten wir dann mehr oder weniger Vertrauen? Ich glaube schon, dass der Beschluss gemeinsamer Reformen und die internationale Umsetzung dazu beiträgt, dass wir Mechanismen haben, die letztlich Vertrauen schaffen.

Frage:

Zwei Fragen. Erstens zum antizyklischen Kapitalpuffer: Wir sind jetzt gerade an einer Rezession vorbeigeschrammt und der Puffer liegt bei 0,25 % im nächsten Juni/Juli. Wäre es nicht an der Zeit, den Prozess zu überarbeiten? Könnte man vielleicht als nächsten Schritt auch eine andere Maßnahme nehmen, also auch die „loan to value Ratio“?

Zweitens: Wenn die Kreditvergabe so beschleunigt weitergeht, was kann die Aufsicht tun, um hier mehr Sicherheit zu schaffen, so dass die Kreditvergabe der Banken zurückhaltender ist?

Prof. Dr. Claudia Buch

Zunächst zur Frage, ob die Aktivierung des antizyklischen Kapitalpuffers zu früh, zu spät, zu hoch, zu niedrig war. Sie müssen natürlich immer sehen, dass diese Entscheidungen unter einer ganz großen Unsicherheit gefällt werden. Wir haben einen sehr regelmäßigen Prozess. Jedes Vierteljahr beschäftigen wir uns damit, in der Bundesbank, im Ausschuss für Finanzstabilität. Und wir müssen dann bei der Aktivierung die Unsicherheit über die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung berücksichtigen. Das ist hier der Fall gewesen. Deswegen war es eine gute Entscheidung, das jetzt zu tun und auch die Unsicherheiten sind gut abgewogen worden. Wenn Sie jetzt sagen, das wird erst in einem Jahr wirklich umgesetzt, ist das sicherlich richtig. Aber Sie haben natürlich auch bei all diesen Maßnahmen ein „front loading“ oder einen Erwartungseffekt. Also wir sprechen ja schon länger über die Risiken, die unserer Entscheidung zu Grunde liegen. Wir haben vor der Entscheidung der Aktivierung darüber informiert, haben Pressearbeit gemacht. Von daher glaube ich, dass die Institute dies wahrgenommen und verstanden haben, und dass es sinnvoll ist, diese zusätzlichen Puffer aufzubauen. Das sehen Sie auch daran, dass bei den Instituten ausreichend Überschusskapital vorhanden ist, so dass das nicht eine zusätzliche Kapitalanforderung darstellt, dass sie jetzt an den Markt gehen müssen, um diese zu erfüllen. Ich glaube, diese weichen Instrumente haben gewirkt. Der Grund, warum man diesen Puffer aktiviert, ist immer der Finanzzyklus und nicht der Konjunkturzyklus. Das wäre unsere Maßgabe, wenn wir darüber nachdenken, ob etwas zu ändern wäre. Wie sieht es mit anderen Instrumenten aus? Wenn unsere Einschätzung gewesen wäre, diese zyklischen Systemrisiken kommen in erster Linie vom Immobilienmarkt – weil wir da eine kreditgetriebene Spekulationsdynamik haben – dann hätte man in der Tat sagen müssen, es sind andere Instrumente, die opportun sind. Das war aber nicht unsere Risikoeinschätzung. Wir haben immer gesagt, es geht um dieses Gesamtpaket von zyklischen Systemrisiken und da sind die Immobilien ein Teilaspekt. Deswegen die Abwägung, nicht dieses Instrument zu nehmen oder die neuen, die wir hätten – wie LTVs –, sondern den antizyklischen Kapitalpuffer. Der hat den zusätzlichen Vorteil, dass er reduziert werden kann, wenn die zyklischen Systemrisiken eintreten. Dann hat er genau die Pufferfunktion, die bei anderen Instrumenten weniger gegeben ist.

Prof. Dr. Joachim Wuermeling

Zur aufsichtlichen Behandlung von Kreditrisiken will ich eine Vorbemerkung machen. Die Risikomediation ist eine volkswirtschaftliche Aufgabe der Finanzmärkte. Die Ausweitung der Unternehmensfinanzierung ist wirtschafts-, aber auch geldpolitisch gewünscht und gefördert. Wenn ich mir die Diskussionen um Venture Capital, um Investitionen in klimabedingte oder digitale Transformation anschaue, dann sind das keine Unternehmungen, die ohne Risiko sind. Deswegen sehen wir als Bankaufseher zunächst einmal die Risikonahme neutral, aber die Tragfähigkeit jeder einzelnen Bank für diese Risiken muss gegeben sein. Insofern kommt es auf das Verhältnis von Kapital und Risiko an. Da stellen wir fest, dass der deutsche Bankenmarkt ausreichend kapitalisiert ist, um die zum gegenwärtigen Zeitpunkt eingegangenen Risiken zu beherrschen, und wir sehen noch einen gewissen Spielraum angesichts der guten Kapitalisierung. Allerdings ist das eine Frage des Marktes, eine Frage der Geschäftspolitik. Den Risikoappetit muss jede einzelne Bank für sich entscheiden und damit verbunden die Allokation von Kapital, Eigenkapital usw. Etwas Sorge macht uns allerdings die Bepreisung, insbesondere im Firmenkundengeschäft, aber auch darüber hinaus. Wir stellen zunehmend einen Margenverfall fest. Hier fordern wir als Aufseher eine gewisse Marktdisziplin. Etwa bei der Überprüfung der Geschäftsmodelle oder ob unrentables Geschäft weiter geführt wird usw.; dort schauen wir sehr genau hin und legen großen Wert darauf, dass die Risiken auch bepreist werden. Das gehört zu einem funktionierenden Marktmechanismus. Deswegen sind wir sehr aufmerksam und werden unseren Beitrag dazu leisten, Dumpingkredite, wenn Sie so wollen, zu verhindern.

Frage:

Frau Buch, Sie haben über die sich aufbauenden Risiken in der Kreditvergabe gesprochen. In der Pressemitteilung heißt es, der Finanzsektor bleibt verwundbar. Hat jetzt die Verwundbarkeit zugenommen? Ist sie genauso wie letztes Jahr? Oder ist sie gesunken?

Prof. Dr. Claudia Buch

Die Verwundbarkeit hat zugenommen, aber nicht so, dass es einen Sprung nach oben gegeben hat, sondern das ist ein langsamer, gradueller Prozess. Ein Beispiel: Ich habe Daten gezeigt, wie sich der Anteil der langfristigen Wohnimmobilienkredite über die Zeit verändert hat. Das geht im Jahr immer 1, 2, 3 Prozentpunkte nach oben. Das ist also ein langsamer Aufbau von Risiken, weil wir in Deutschland überwiegend festverzinsliche Kredite an dieser Stelle haben. Das setzt die Banken diesem Fristentransformationszinsänderungsrisiko aus. Das sehen Sie bei vielen anderen Indikatoren auch. Das Thema Risikovorsorge kann diesen Gesamtportfolioeffekt nicht berücksichtigen. Deswegen unser Blick auf das System als Ganzes. Also ein langsamer Aufbau von Verwundbarkeiten. Deswegen hatte ich es am Anfang erwähnt, weil wir gerade noch einmal stärker in dieses Szenario noch länger niedriger Zinsen hereingegangen sind. Das fördert die Anreize, stärker ins Risiko zu gehen.

Frage:

Frau Buch, Sie hatten gesagt, ein stabiles Finanzsystem sollte Schocks abfedern können und sie nicht verstärken. Das klingt mäßig optimistisch. Haben wir nun ein stabiles Finanzsystem oder nicht? Und an Herrn Wuermeling: Es wurde angesprochen, dass die internen Modelle Konjunktureinbrüche möglicherweise nicht hinreichend berücksichtigen. Adressieren Sie das an die Banken?

Prof. Dr. Claudia Buch

Den Satz hatte ich mir aufgeschrieben, sozusagen als Illustration dessen, worauf wir achten und was das Ziel der Finanzstabilitätsanalyse ist. Weil gerade das Thema Risiken angeklungen war – es ist sicherlich nicht das Ziel, dass wir ein Finanzsystem ohne Risiken haben. Ganz im Gegenteil, wie Herr Wuermeling gesagt hat, es ist die Aufgabe des Finanzsystems, Risiken zu bepreisen und sinnvoll zu verteilen. Hier geht es um die Frage, gibt es eine Dynamik aus dem Finanzsystem heraus, die dazu führt, dass ein Konjunkturabschwung oder ein Konjunktureinbruch verstärkt wird. Wir hatten im letzten Jahr darüber gesprochen, dass dieses Phänomen eintreten kann, dass ein Schock, der das System trifft, zunächst die Kapitalisierung der Banken betrifft. Da sind Verluste, die aufgefangen werden müssen. Und dann ist da die Frage, was können die Banken tun, um ihre entweder von der Aufsicht oder auch vom Markt geforderten Eigenkapitalanforderungen zu erfüllen? Sie könnten an den Markt gehen und sich zusätzliches Kapital holen. Sie könnten es über ihre Profitabilität erreichen. Das geht nicht in einem Konjunkturabschwung oder wenn es einen starken negativen Schock gegeben hat. Und deswegen kann es in solch einer Situation passieren, dass die Banken ihre Kreditvergabe einschränken, und zwar stärker als im Fall, wenn sie Puffer gehabt hätten. Es gibt keine Zahl „0“ oder „1“, - „ein Finanzsystem ist stabil oder nicht stabil“ –, sondern das ist immer eine graduelle Einschätzung. Wir haben in dem Bericht erstmals ein Kapitel, das sich mit den Ansteckungseffekten, den Verwundbarkeiten im ganzen System beschäftigt. Wir haben versucht, genauer zu analysieren, wie die einzelnen Elemente des Systems zusammenspielen. Da rechnen wir wieder Schockszenarien, schauen uns an, was passiert, wenn es einen plötzlichen Rückgang der Wertpapierpreise gibt. Man sieht, dass die direkten Übertragungseffekte nicht die größten sind, sondern eher die vielen indirekten Effekte im System. Das sind Dinge, die wir uns anschauen können, mehr aus der Vogelperspektive, wo die Aufsicht jetzt einen anderen Blick auf diese Themen hätte. Beides ergänzt sich.

Prof. Dr. Joachim Wuermeling

In der Tat ist es angesichts der vielfältigen Sachverhalte, Überlegungen und teilweise hypothetischen Annahmen schwierig, ein Gesamturteil zu fällen. Ich verstehe es so: Heute stabil, aber morgen verwundbar. Aber das müsste Frau Buch entscheiden, ob das die richtige Zusammenfassung ist. Zu den internen Modellen möchte ich nochmal unterstreichen, dass die Bundesbank nach wie vor ein großer Befürworter der Verwendung von internen Modellen auch für die Eigenkapitalunterlegung ist, weil diese zu einer risikoadäquaten Festlegung von Eigenkapitalanforderungen führen. Das unterstützt eher die Stabilität von Banken, als dass sie sie schwächt. Allerdings sind interne Modelle hochkomplex mit vielen Daten, Annahmen usw. und wir arbeiten kontinuierlich daran, die Aussagekraft der Modelle zu verbessern. Dafür haben wir im „Single Supervisory Mechanism“ eine sehr aufwändige Aktion unternommen, den schon erwähnten „TRIM“-Prozess, wo wir die internen Modelle aller systemisch relevanten Banken auf Herz und Nieren untersucht haben. Dabei ist uns natürlich die Problematik bewusst, dass wenn man aus den Jahren herauswächst, wo die Konjunktur dunklere Wolken hatte, dass dann das Bild recht positiv ist. In einem solchen Fall kann man die Banken dazu veranlassen, Korrekturfaktoren einzurechnen und Ähnliches mehr. Dieses Problem ist uns bei der Einzelbeaufsichtigung der internen Modelle bewusst und wird auch angegangen.

Frage:

Mich würden noch mal die Wohnimmobilien interessieren. Da warnt die Bundesbank schon seit längerer Zeit, dass es Übertreibungen gerade in den Großstädten gibt. Halten Sie es denn für wahrscheinlich, dass diese Risiken in absehbarer Zeit schlagend werden? Oder sind das nun Übertreibungen, die uns für lange Zeit erhalten bleiben?

Prof. Dr. Claudia Buch

Ich würde gerne nochmal einen Schritt zurückgehen, dann bin ich sofort bei den Immobilien. Und zwar möchte ich das unterstützen, was Herr Wuermeling über die internen Modelle gesagt hat. Ich halte diese für ganz wichtig, auch um eine vernünftige Risikobepreisung bei den Banken zu erreichen. Wenn ich gezeigt habe, wie die Risikogewichte zurückgehen, dann hat das damit zu tun, inwieweit sich zyklische Effekte reflektieren könnten, die das gesamte System betreffen. Also das Thema sind nicht die Modelle, sondern wie sich zyklische Risiken entwickeln und wie diese abgebildet werden. Der Grund, warum wir gesagt haben, der antizyklische Kapitalpuffer sollte aktiviert werden ist, genau das zu erreichen, was Herr Wuermeling gesagt hat. Heute ist es stabil, die Verwundbarkeiten bauen sich auf. Wir wollen aber auch, dass das System stabil bleibt. Das ist die Motivation gewesen.

Zu den Immobilien: Eine Glaskugel haben wir leider auch nicht, dass wir jetzt genau sagen könnten, wie sieht es prognostisch aus auf diesem Markt und wie entwickeln sich die Preise. Auch das, was wir immer benennen an Überbewertung, ist natürlich das Ergebnis von Modellen. Das sind andere Modelle, aber die schätzen bestimmte Bandbreiten. Unsere Frage ist dann auch wieder die nach den Verwundbarkeiten. Und hier sind es in erster Linie – weil das die Kreditnehmer sind – die privaten Haushalte: Wir sehen uns regelmäßig an, wie entwickelt sich die Verschuldung der privaten Haushalte. Da sehen wir insgesamt keinen starken Anstieg. Das sind auch sehr häufig Finanzierungen, die einen großen Eigenkapitalanteil mitbringen. Dann kann es immer noch sehr schmerzlich sein für den Einzelnen, wenn Bewertungen sich ändern und von daher Verluste im Vermögen entstehen. Aber das ist nicht das, was sich unmittelbar auf das Finanzsystem und etwa die Kreditdynamik auswirkt. Daneben bleibt immer das Problem, dass wir wenig über Kreditvergabestandards in einer etwas disaggregierteren Sicht wissen. Das müsste man aber eigentlich tun, um zu sehen, wo sich Verwundbarkeiten aufbauen. Es sind jetzt gerade Daten zu Überschuldungen im privaten Haushaltssektor veröffentlicht worden, die relativ konstant aussehen über die Zeit, aber auch das wird in einer wirtschaftlich guten Lage gemessen. Da wissen wir nicht, wie sich konjunkturelle Verschlechterungen oder ein Anstieg der Arbeitslosigkeit auswirken würden.

Interessant im aktuellen Bericht ist, dass wir erstmals Untersuchungen über die Preiserwartungen durchgeführt haben. Wir haben Befragungen der privaten Haushalte vorgenommen. Auch in der Niedrigzins-Umfrage bei den Banken wird erfragt, wie die Erwartungen über die Preisentwicklungen sind. Das sind neue Informationen, die wir verwertet haben.

Frage

Im Bericht gibt es eine Simulation, bei der das Zinsergebnis der Banken um 5 Prozent jährlich sinkt. Dann kommt man zu dem Ergebnis, dass bereits nach einem Jahr 40 Prozent der Banken Verluste schreiben würden. Wie aussagekräftig ist diese Simulation? Da werden ja relativ starke Annahmen getroffen. Wie große Sorgen bereitet Ihnen dies?

Prof. Dr. Claudia Buch

Das kann vielleicht Herr Wuermeling noch ergänzen, weil sich das auch auf die Ergebnisse der Niedrigzins-Umfrage bezieht. Weil es hier um das Thema Finanzstabilität und die Frage geht, was passiert in sehr negativen Szenarien, könnten Sie natürlich sagen, wenn ich mir die Zahlen anschaue, die da angenommen werden, ist das schon eine sehr negative Sicht, ist es denn überhaupt wahrscheinlich, dass das passiert? Nein, hier geht es nicht darum, sich das wahrscheinlichste Szenario anzusehen, sondern sich zu überlegen, wie ein Negativ-Szenario aussieht, das nicht völlig unplausibel ist. Deswegen sehen wir uns sehr genau an, wie sich etwa die Wertberichtigungen der Institute in einer konjunkturell schlechteren Zeit entwickelt haben. Das wird als Annahme für solch eine Simulation genommen, um eine Annahme darüber zu haben, was eine plausible Entwicklung der Werthaltigkeiten ist. Oder was die Arbeitslosigkeit angeht, sehen wir uns einen Anstieg der Arbeitslosigkeit an, den wir im Moment nicht für wahrscheinlich halten, der aber dennoch nicht vollkommen unrealistisch ist. Das ist das eine, das man berücksichtigen muss. Die zweite Frage ist, wie stark angenommen wird, ob sich die Institute anpassen können oder nicht, und sehr häufig wird auch hier mit der statischen Annahme gearbeitet, dass es nicht unmittelbar eine Reaktion darauf gibt. Von daher ist natürlich die Frage, tritt dieses Szenario ein oder nicht? Das hat auch damit zu tun, wie die Institute sich in der Realität anpassen würden. Diese Anpassung ist natürlich immer möglich und würde diese Effekte entsprechend abfedern. Das ist dann letztlich Aufgabe der Institute, sich das anzusehen und zu überlegen, wie können sie selber ihre eigene Verwundbarkeit gegenüber solchen Negativ-Szenarien reduzieren.

Prof. Dr. Joachim Wuermeling

In der Tat ist das eher ein Extrem-Szenario. Vor allen liegt den Berechnungen die Annahme zu Grunde, dass die Banken keinerlei Gegenmaßnahmen ergreifen. Das heißt also, bei statischer Bilanz, bei statischen Kosten. Und die Erfahrungen insbesondere der letzten zwei Jahre sind, dass die Bankleiter im deutschen Bankenmarkt nicht sehenden Auges in den Untergang hineinlaufen, sondern betriebswirtschaftliche Maßnahmen teilweise sehr schmerzhafter Natur unternehmen, um solche Situationen zu vermeiden. Und meine Erwartung ist, dass das auch in Zukunft der Fall wäre. Dennoch ist es eine erkenntnisreiche Berechnung, weil man daraus sehen kann, was passiert, wenn nicht reagiert wird. Wir gehen aber nach den bankaufsichtlichen Erfahrungen davon aus, dass Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Und wir fordern die Banken natürlich dazu auch massiv auf.

Frage

Ich habe eine Frage zu einem Thema, das Sie nicht direkt angesprochen haben. Es geht um die Sparer und das Thema Negativzinsen. Der bayerische Ministerpräsident Söder hat heute den Vorschlag gemacht, dass bei Einführung von Negativzinsen der Staat die Sparer entlasten soll in irgendeiner Form. Was hielten Sie von einem solchen Vorschlag?

Prof. Dr. Claudia Buch

Diesen Vorschlag will ich im Einzelnen gar nicht bewerten. Wenn Sie sich im Euroraum anschauen, in welchen Ländern das Thema Negativzinsen oder niedrige Zinsen für den Sparer besonders stark diskutiert wird, dann gehört Deutschland sicherlich dazu. Aber auch in anderen europäischen Ländern, die vielleicht eine ähnliche Struktur ihrer Bankensysteme haben, wird darüber diskutiert. Warum ist das so? Zunächst, weil die klassischen Spareinlagen und festverzinslichen Einlagen einen relativ hohen Anteil am Vermögen der privaten Haushalte haben, vielleicht anders als anderswo. Wie stark die Banken Negativzinsen an ihre Kunden weitergeben können, hat sehr viel mit Wettbewerbsintensität zu tun. Es gibt Länder, die schon länger Negativzinsen haben, bei denen diese Weitergabe weniger stark erfolgt. Wir haben eben sehr viel Wettbewerb. Das ist gut für den Bankkunden und hat auch Vorteile bei der Kreditfinanzierung. Aber ein Ergebnis unseres sehr wettbewerbsintensiven deutschen Marktes kann eben auch sein, dass die Zinsen sehr niedrig sind und vielleicht die Weitergabe etwas schneller erfolgt als in anderen Ländern. Wobei wir das bisher gar nicht so stark gesehen haben, weil die Banken auch Sorge haben, dass Kunden möglicherweise abwandern und in andere Anlageformen gehen.

Prof. Dr. Joachim Wuermeling

Gegenreaktionen zum Erhalt der Profitabilität und der Nachhaltigkeit einer Bank erfolgen sowohl auf der Aktiv-Seite als auch auf der Passiv-Seite. Und die Weitergabe von Verlusten im Aktivgeschäft an diejenigen im Passivgeschäft, die die Einlagen zur Verfügung stellen, gehört zu den Instrumenten der Banksteuerung. Ich halte den Vorschlag, eine steuerliche Erleichterung zu gewähren, zumindest für charmanter als den, einen Negativzins zu verbieten – jedenfalls aus dem Blickwinkel der Bankenaufsicht. Denn wir müssen den Banken schon den Gestaltungsraum geben, in diesem herausfordernden Umfeld ihre Bank nachhaltig zu steuern.