Editierte Abschrift der Frage- und Antwortrunde anlässlich der Jahrespressekonferenz am 28.02.2020

Frage:

Ich habe eine Frage zum Inflationsziel. Sie haben gesagt, wir müssen besser vermitteln, dass wir die Nachkommastelle nicht immer genau kontrollieren können. Wäre dann ein Zielband nicht in Ihrem Sinn? Denn das würde vielleicht den Druck mindern, bei erwarteten 1,7 Prozent Inflation im Jahr 2022 jetzt trotzdem noch über Zinssenkungen zu sprechen.

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Sie haben vollkommen Recht. Das ist natürlich ein wesentliches Element der Diskussion: Wie drücke ich in der Strategie die Unsicherheit in unseren Prognosen aus, aber auch den Mangel an Möglichkeiten, die Inflationsrate feinzusteuern? Und da ist ein Zielband sicherlich eine der Möglichkeiten, die derzeit diskutiert wird. Wobei die Ausgestaltung sehr unterschiedlich gehandhabt werden kann. Die meisten reden ja nicht von einem Inaktivitätsband, sondern von einem Band, in dem die geldpolitische Reaktion etwas anders ausfällt, weniger umfassend, als außerhalb des Bandes. Aber wir haben auch in unserer gegenwärtigen Strategie die Möglichkeit, flexibel auf bestimmte Ereignisse zu reagieren – je nach ihrer Natur –, weil die Strategie mittelfristig angelegt ist. Und diese Flexibilität im zeitlichen Horizont versucht genau das Gleiche zu erreichen. Die Tatsache, dass wir uns nicht auf eine auf die Nachkommastelle definierte angestrebte Inflationsrate festgelegt haben, erfüllt den gleichen Zweck. Der zentrale Punkt aus meiner Sicht ist, dass wir diese Unsicherheit und diesen Mangel an Feinsteuerungsmöglichkeit in der Strategie ausdrücken. Und wie wir das genau machen, müssen wir jetzt im EZB-Rat diskutieren.

Frage:

Ich wollte zur rückläufigen Bilanzsumme nachfragen. Ist das eine Besonderheit der Bundesbank oder ist das im gesamten Eurosystem und auch bei der EZB auch so? Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, nicht. Wenn die TARGET-Salden ein wichtiger Punkt sind, warum ist die Bilanz rückläufig? Was steckt dahinter? Ist dies das Tiering bei den Negativzinsen?

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Sie haben schon einige der wichtigen Elemente angesprochen, die anderen hatte ich im Vortrag erwähnt. Natürlich hat das Tiering dazu geführt, dass Liquidität im Euroraum umverteilt worden ist; nämlich in Richtung der Länder, die höhere Freibeträge aufgewiesen haben, damit diese Freibeträge umfassender genutzt werden können. Und das bedeutet in unserem Fall Liquiditätsabflüsse aus Deutschland in andere Länder, die vorher weniger Liquidität hatten. Und das reduziert für sich genommen die TARGET-Salden. Das ist einer der Effekte. Aber wir hatten auch die vorzeitige Rückzahlung der GLRG-II-Geschäfte angesprochen, dies hat sicherlich auch eine Rolle gespielt. Da gibt es einige Einflussfaktoren. Und natürlich ist das Tempo der Anleihekäufe 2019 im Vergleich zu den Vorjahren zurückgefahren worden. Das spielt eine Rolle, das war einer der Bilanz treibenden Faktoren in der Vergangenheit.

Frage:

Zu den Folgen des Coronavirus haben Sie gesagt, diese lassen sich noch nicht abschätzen. Was kann man tun, wenn jetzt die Auswirkungen auf die Wirtschaft stärker werden? Was kann man dann geld- und fiskalpolitisch tun? Ist eher die Fiskalpolitik gefragt oder die Geldpolitik? Oder kann man vielleicht gar nichts tun, weil es eher ein Angebotsschock ist?

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Ihnen darauf eine abschließende Antwort zu geben, ist im Moment unmöglich. Wie Sie schon in Ihrer Frage angedeutet haben, kommt es sehr stark darauf an, welche einzelnen Effekte wirken. Es gibt sicherlich angebotsseitige Effekte, die wir jetzt beobachten. Und darauf hatten schon einige Kollegen [aus dem EZB-Rat] hingewiesen, unter anderem François Villeroy de Galhau. Das heißt Produktionsausfälle bei Vorleistungsgütern, die Unterbrechung internationaler Lieferketten. Und ein solcher negativer Angebotsschock hätte natürlich ganz andere Effekte als die Nachfrageschocks, die wir sicherlich auch beobachten werden. Also Nachfrageveränderungen, die dadurch ausgelöst werden, dass sich die Konsumenten vorsichtiger verhalten. Das beobachten wir schon in China, wo etwa Restaurantbesuche seltener werden. Aber auch die Nachfrage nach Dienstleistungen und grenzüberschreitenden Dienstleistungen nimmt ab, der Tourismus ist betroffen. Das sind Nachfrageeffekte, die durchaus preisdämpfende Wirkung haben. Und bei Angebotsschocks sind die Preiseffekte unklar. Was die Geldpolitik angeht, ist es sicherlich nicht ganz einfach zu sagen, das erfordert jetzt eine expansive Reaktion. Und selbst bei den Nachfrageeffekten könnte man diskutieren, inwieweit die Geldpolitik diesen Folgen entgegenwirken kann. Ob Sie jetzt öfters ins Restaurant gehen, wenn die Zinsen etwas niedriger sind? Das würde ich bezweifeln. Die Frage ist, wie lange wirkt das und welchen Einfluss hat die Geldpolitik? Insofern ist das für die Geldpolitik eine sehr komplexe Frage, die aus meiner Perspektive kein akutes geldpolitisches Handeln erfordert, aber erhöhte Aufmerksamkeit. Die Fiskalpolitik ist aus meiner Sicht schon eher gefordert. Auf der einen Seite haben wir die automatischen Stabilisatoren, die ja ohnehin wirken werden. Auf der anderen Seite gibt es Instrumente, die auch in der Vergangenheit bei vorübergehenden Nachfrageausfällen angewandt wurden und durchaus hilfreich sein können. Kurzarbeitergeld etwa, das als Konjunktur stabilisierendes Mittel in Frage kommt.

Frage:

Ich habe eine Frage zum Inflationsziel: Da habe ich nicht ganz genau verstanden, wie Ihre Haltung ist. Zur Symmetrie des Inflationsziels haben Sie ein paar Argumente geliefert, die dafür sprechen und ein paar, die dagegen sprechen. Vielleicht können Sie es noch ein bisschen klarer machen.

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Ich hatte eine gewisse Unschärfe in meinen Ausführungen belassen, weil wir diese Frage in den nächsten Monaten vor allem im EZB-Rat diskutieren sollten. Ich bin nicht der Meinung, dass es hilfreich ist, wenn sich jetzt jeder in bestimmte Positionen einmauert und damit in den EZB-Rat geht. Für sich genommen, liegt natürlich die symmetrische Ausrichtung um ein Ziel herum erst einmal nahe. Auf der anderen Seite kann es im Zusammenspiel mit unserer Definition für Preisstabilität zu Inkonsistenzen kommen. Und auch Symmetrie bedeutet zunächst einmal, dass sich die Wahrscheinlichkeitsmasse und insofern die erwartete Inflationsrate nach oben verschieben. Ich habe versucht auszudrücken, dass auch die symmetrische Ausrichtung um ein Ziel herum zu höheren Inflationserwartungen führt, als wir sie jetzt schon haben. Man muss dann schauen, wie sich das aufaddiert. Deswegen hatte ich Elemente genannt, die zu höheren Inflationserwartungen führen – zu mehr Wahrscheinlichkeitsmasse nach oben – und Argumente genannt, warum man eigentlich auch über ein niedrigeres Ziel diskutieren könnte. Und das müssen wir im EZB-Rat gegeneinander abwägen. Im Prinzip ist es am Ende eine Kosten-Nutzen-Analyse, auch was die Symmetrie angeht: Die Kosten einer höheren Inflation gegenüber dem Risiko einer Deflation mit ihren Kosten. Es wird auch eine Rolle spielen, dass wir inzwischen die Erfahrung gemacht haben, dass die Nullzinsgrenze nicht bei null liegt, sondern die Zinsen unter null sinken können und dass wir andere Instrumente zum Einsatz bringen können, wenn wir an die Nullzinsgrenze kommen. Ein wesentliches Argument für das Anstreben einer positiven Inflationsrate ist das Ausgehen der Mittel ab einem bestimmten Punkt an der Nullzinsgrenze. Und da haben wir auch mehr Erfahrungen. All das müssen wir jetzt in der Strategieüberprüfung reflektieren.

Frage:

Bezüglich der Zuhör-Veranstaltungen, die jetzt im Eurosystem geplant sind: Gibt es da auch etwas, das die Bundesbank plant?

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Wir werden eigene Veranstaltungen durchführen, die dann in die Strategieüberprüfung einfließen. Am 4. Mai werden wir die Zivilgesellschaft in die Bundesbank einladen, um mit ihr über für die Strategieüberprüfung relevante Fragen zu diskutieren. Das ist aber nicht die einzige Veranstaltung. Wir werden im Spätsommer einen Bürgerdialog führen, der ebenfalls in die Strategieüberprüfung einfließen wird. Und wir geben Ihnen allen, den Bürgerinnen und Bürgern, die Möglichkeit, uns über unsere Webseite zu kontaktieren und Anregungen in Bezug auf die Strategieüberprüfung zu geben. Natürlich finden weiterhin unsere regelmäßigen Veranstaltungen statt. Es wird also eine ganze Reihe von Veranstaltungen geben, verschiedene Formate mit sehr unterschiedlichen Zielgruppen. Darüber hinaus finden regelmäßig Kontakte mit den unterschiedlichen Parlamenten statt. Ich bin regelmäßig zu Gast in den Bundestagsausschüssen und werde auch meine Besuche dieses Jahr dazu nutzen, mich mit den Abgeordneten zu Fragen der Strategie auszutauschen. Das nur, um Ihnen einen kleinen Einblick zu vermitteln. Wir werden genauere Daten zu allen Veranstaltungen auf unserer Webseite veröffentlichen. Das machen alle nationalen Notenbanken. Es gibt auch Veranstaltungen der EZB. Und wir versuchen, uns über die Grenzen hinweg auszutauschen. Im vergangenen Jahr haben wir dies mit unserer Euro20+-Veranstaltung begonnen, indem wir Madis Müller eingeladen hatten. Dass es keine europäische Öffentlichkeit gibt, sondern dass die Diskussion in den einzelnen Ländern durchaus unterschiedlich verläuft, was die Geldpolitik angeht, ist ein Phänomen, das wir alle gemeinsam beobachten. Den Kolleginnen und Kollegen [im EZB-Rat] ein Gefühl dafür zu vermitteln, wie der Blickwinkel einer anderen nationalen Öffentlichkeit ist, ist aus meiner Sicht hilfreich. Ich darf Ihnen also ankündigen, dass dieses Jahr bei unserer Euro20+-Veranstaltung der spanische Gouverneur [Pablo Hernández de Cos] teilnehmen wird. Und ich überlege mir, wen ich besuchen kann, um mich auszutauschen.

Frage:

Sie haben darauf hingewiesen, dass es in anderen Ländern im Hinblick auf das Inflationsziel vielleicht andere Meinungen gibt als die, die hier vertreten werden. Hierzulande sagen die Volkswirte, macht doch ein Zielband von 1,5 bis 2 Prozent. Aber in anderen Ländern werden ganz andere Zielbänder diskutiert. Die fangen bei 2 Prozent an und gehen dann von 3 bis 4 Prozent. Man hat den Eindruck, dass das vielleicht eine Mehrheit sein könnte. Wie ist Ihre Einschätzung dieser Art der Diskussion? Die zweite Frage ist zur Konjunktur. Sie hatten die Wachstumsprognose Ihres Hauses mit etwa 0,5 Prozent angegeben, hatten dann aber gesagt, das meiste davon würde durch steigende Staatsausgaben getragen, die in diesem Jahr zu erwarten sind. Das heißt, wenn der fiskalische Impuls ausbleiben würde, hätten wir Nullwachstum. Müssen wir nicht einen stärkeren Staatsimpuls fordern? Ich weiß, die Bundesbank tut sich traditionell schwer, den Staat zu Ausgaben zu treiben. Man könnte ja den Bundesbank-Gewinn investieren?

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Vor dem Hintergrund des Konjunkturbildes und bei der Diskussion um mögliche Risiken, die sich auch in meinem Vortrag gefunden haben, müssen wir berücksichtigen, dass das Basisszenario unserer Bundesbank-Prognosen und auch aller anderen Prognosen eines ist, in dem wir über den Prognosehorizont mit einer mehr oder weniger normal ausgelasteten Wirtschaft operieren. Das wird jetzt ein bisschen verdeckt durch das Verlaufsbild der Wachstumsraten. Aber im Grunde sprechen wir über eine Wirtschaft in Normalauslastung und das sehen wir beispielsweise sehr ausgeprägt am deutschen Arbeitsmarkt. Dieser verzeichnet sehr niedrige Arbeitslosenquoten, durchläuft einen Tiefstand nach dem nächsten, es gibt regionale Knappheiten. Die Entwicklung am Arbeitsmarkt ist eher ein nachlaufender Indikator mit Blick nach vorne. Wenn man an die Prognosen denkt, ist das also kein Szenario, in dem man einen Konjunktureinbruch prognostiziert oder eben eine gravierende Unterauslastung. Aber ein Szenario, in dem wir bei einer normalen Auslastung relativ moderate bis unbefriedigende Wachstumsraten haben, was aber eher eine Frage des Wachstumspotenzials ist. Und da sind wir dann bei der Frage nach Investitionen und einem staatlichen Umfeld für Investitionen. Das ist der Hintergrund, vor dem wir die Notwendigkeit von staatlichen Konjunkturprogrammen diskutieren. Das heißt nicht, dass sich immer alles schlecht entwickeln kann oder dass man punktuell reagieren muss auf Entwicklungen, die wir vorhin diskutiert haben. Aber es ist sicherlich keine Prognose, an der man die Notwendigkeit für ein Konjunkturprogramm festmachen kann. Bei allen Nachteilen, bei allen Risiken, die Konjunkturprogramme haben, beispielsweise in Bezug auf die Wirkungsverzögerung.

Dass die Bundesbank darauf hinweist, dass der Staatshaushalt Spielräume hat, ist ja bereits ein gewisser Schritt. Diese Spielräume begrenzt in Richtung Investitionen zu nutzen, ist sicherlich sinnvoll. Im Übrigen weisen wir immer wieder darauf hin, dass die Ausgaben in der Vergangenheit gestiegen sind. Der Schwerpunkt wurde allerdings weniger auf Investitionen gesetzt, sondern eher im Bereich der Sozialausgaben gelegt. Aber auch wenn man die Investitionen anschaut, sieht man steigende Zahlen. Auch die investiven Ausgaben haben zugenommen. Da tut sich etwas, das sollte man nicht unterschlagen. Wichtig ist uns, dass diese Ausgaben zielgerichtet sind, dass sie einen gesamtwirtschaftlichen Ertrag haben. Darauf kommt es auch in einem Niedrigzinsumfeld an.

Dann Ihre Frage zur Diskussion im EZB-Rat. Natürlich gibt es da sehr unterschiedliche Auffassungen. Wenn Sie in Deutschland solch eine Diskussion führen, bekommen Sie oft die Rückmeldung: Was habt ihr denn eigentlich? Wenn die Preise nicht steigen, ist das für mich in Ordnung. Warum senken wir dann nicht das Inflationsziel? Das ist so ohne Weiteres auch nicht möglich, weil eine glaubwürdige Absenkung des Ziels zu einem unmittelbaren Anstieg der Realzinsen führt, weil die Inflationserwartungen dann sinken. Das wäre ein negativer Impuls, den man jetzt auch nicht haben möchte. Auf der anderen Seite gibt es die Diskussion um die Anhebung des Inflationsziels, die ich ebenfalls in meiner Rede aufgegriffen hatte. Das würde uns in eine Region führen, die viele vielleicht gar nicht mehr als vereinbar mit der Definition von Preisstabilität ansehen. Die Frage ist, sind wir vollkommen frei, irgendwelche Werte festzulegen? Ich würde sagen, nein, denn Preisstabilität ist nicht beliebig dehnbar. Insofern sind dieser Diskussion gewisse Grenzen gesetzt.

Frage:

Wir haben jetzt viel über Corona geredet. Was macht die Bundesbank, um sich gegen Corona zu wappnen? Zweite Frage, Sie sagen in Bezug auf die Inflationsrate, da sollten wir Wohneigentum einbeziehen. Haben Sie eine Schätzung, wie sich die Inflationsrate dann entwickeln würde? Würde sie nach oben schnellen? Und ist es wahrscheinlich, dass wir Wohneigentum mit einbeziehen? An Herrn Beermann: Wenn jetzt der Goldpreis steigt, profitiert die Bundesbank dann auch von einem gewissen Corona-Effekt, also von der Unsicherheit, die momentan herrscht?

Johannes Beermann, Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank:

Dann fange ich mal mit der letzten Frage an. Wir geben das Gold nicht aus, sondern wir halten es. Der Einzige, der von uns Gold kauft, ist das Bundesministerium der Finanzen für die Goldmünzenprägung. Ansonsten verkaufen und kaufen wir kein Gold. Insofern verhalten wir uns, was den Goldmarkt betrifft, neutral. Was Ihre Frage nach dem Coronavirus betrifft: Wir sind in der Bundesbank darauf vorbereitet, was die Funktionsfähigkeit der Bank in den verschiedenen Aufgabenbereichen betrifft, angefangen von den Marktbeziehungen, die wir haben, über den Banknotenumlauf. Also alle Aufgaben, die wir nach außen geben, stehen natürlich im Vordergrund und da werden von uns Maßnahmen getroffen, die in anderen Banken und in anderen Behörden auch getroffen werden. Auch intern unterrichten wir die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir haben eine Arbeitsgruppe eingerichtet und werden voraussichtlich nächste Woche dem Beispiel des Bundes folgen und das sehr stark intensivieren. Ich habe mir angeschaut, was bei der Schweinegrippe 2009 passiert ist. Wir haben dabei festgestellt, wir sind heute gerade in Bezug auf Telearbeit und Heimarbeit sehr viel besser aufgestellt. Ich denke, wir sind ganz gut gerüstet.

Frage:

Können Sie ein, zwei Maßnahmen nennen? 

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Zu den konkreten Maßnahmen: Das sind zum einen die, die Ihnen auch immer wieder empfohlen werden, nämlich vermehrtes Händewaschen und eine gewisse Vorsicht bei möglichen Kontakten zu infizierten Personen. Aber es geht uns primär darum, dass wir die Funktionsfähigkeit der Bank, die ja eine kritische Infrastruktur betreibt, aufrechterhalten. Und das ist, wie für alle anderen auch, eine ständige Abwägung auf der einen Seite von Vorsichts- und Vorbeugungsmaßnahmen und auf der anderen Seite der Bemühung, nicht dazu beizutragen, dass Panik und Ängste entstehen, die nicht gerechtfertigt sind. Vor dieser Abwägung stehen wir im Grunde ständig. Wir hatten gestern auch etwas zum Banknotenumlauf kommuniziert: Das Eurosystem setzt sich regelmäßig mit den gesundheitlichen Auswirkungen des Banknotenumlaufs auseinander. Und wie auf anderen Oberflächen, können natürlich auf diesen Oberflächen auch Viren haften. Aber uns ist kein einziger Fall bekannt, bei dem das Coronavirus über Banknoten übertragen worden wäre. Ansonsten sind wir vorbereitet, wie Johannes Beermann schon gesagt hat, für den Fall, dass der Betrieb auch von zuhause aus, zumindest von Teilen der Mitarbeiterschaft, weitergeführt werden kann.

Johannes Beermann, Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank:

Also ganz konkret kann ich vielleicht zwei Dinge sagen: Wir haben natürlich unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern empfohlen, im Moment keine Dienstreisen nach China oder nach Asien zu unternehmen. Wir sagen, wenn es nicht erforderlich ist, schaut, ob man nicht entsprechende Konferenzen über Videokonferenzen, da sind wir technisch sehr gut ausgestattet, machen kann. Wir werden verstärkt Desinfektionsmittel ausreichen. Wir machen im Grunde genommen das, was andere auch machen.

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Wir handeln eng angelehnt an die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts. Zur Frage des selbstgenutzten Wohneigentums: Dazu gibt es inzwischen mehrere Untersuchungen, die versuchen, die Effekte einer möglichen Berücksichtigung von selbstgenutztem Wohneigentum abzuschätzen. Das Problem ist nur, dass diese Frage methodisch sehr komplex ist. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Kosten des selbstgenutzten Wohnens abzubilden. Mietäquivalente sind natürlich das, was direkt einfällt. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten, die zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Eine Studie der EZB kam zu dem Schluss, dass wir im jetzigen Umfeld mit einem ungefähren Effekt von 0,2 bis 0,3 Prozentpunkten rechnen könnten. Die Frage ist aber vor allem, wie sich dieser Effekt langfristig verhält? Ist das etwas, was man in bestimmten Phasen beobachtet und dann in einer anderen Phase wieder korrigiert wird? Oder hat das wirklich eine systematische Verzerrung zur Folge? Die Ergebnisse der EZB legen nahe, dass sich dieser Effekt auf lange Sicht gesehen vermutlich rauswaschen wird, es aber Phasen geben kann, in denen es zu einer anderen ausgewiesenen Inflationsrate käme. Was man auch machen kann, um einen kursorischen Eindruck zu erhalten, wie groß dieser Effekt wäre und was es bedeuten würde, wäre den Harmonisierten Verbraucherpreisindex für Deutschland mit dem Verbraucherpreisindex für Deutschland zu vergleichen, der selbstgenutztes Wohneigentum beinhaltet. Da bekommen Sie ein Gefühl für das Gewicht, das sich durch diesen Einschluss [selbstgenutzten Wohneigentums] im Grunde fast verdoppeln würde, von 10 auf 20 Prozent. Also das ist schon ein „Brocken“ im Warenkorb, den man nicht vernachlässigen sollte. Deswegen diskutieren wir es auch. Die Umsetzung ist methodisch sicherlich nicht trivial, wurde auch schon mehrfach kontrovers diskutiert und verworfen. Mein Punkt ist: Das ist etwas, das wir auch mit dem Blick auf die Lebenswirklichkeit der Menschen noch einmal aufgreifen sollten und vielleicht dann, selbst wenn es Abstriche bei der Methodik erforderlich macht, verwirklichen sollten. Zumindest wäre es sinnvoll, dies einmal parallel auszuweisen: Wie wäre es mit? Wie wäre es ohne? Dann kann man zumindest sehen, was der Effekt ist. Am Ende bleibt die Frage, die einige von Ihnen schon gestellt haben: Muss man jetzt wirklich für 10 Basispunkte geldpolitisch ein großes Rad drehen, um in drei Jahren diese 10 Basispunkte zu adressieren? Oder gibt es eine gewisse Unschärfe, mit der wir notwendigerweise operieren müssen und die sich vielleicht auch in der geldpolitischen Strategieformulierung ausdrücken muss?

Frage:

Ich habe zwei Fragen. Zum einen würde mich mit Bezug auf das Coronavirus interessieren, was denn die Notenbank machen könnte, wenn es tatsächlich zu Liquiditätsengpässen kommt? Haben Sie noch etwas im Instrumentenkoffer, um eingreifen zu können? Und die zweite Frage: Es gibt die Diskussion, ob man nicht möglicherweise die Abstimmungen im EZB-Rat kenntlich machen sollte, dann auch in den Protokollen. Was halten Sie davon?

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Zur ersten Frage: Das ist ein Thema, mit dem wir uns immer wieder auseinandergesetzt haben, aber nicht vor dem Hintergrund des Coronavirus. Die Geldpolitik ist ja derzeit bereits sehr expansiv, und die Liquiditätsversorgung üppig. Die ganze Überschussliquidität, die wir in unserer Bilanz reflektieren, ist Ausdruck dieser Politik, und wenn Sie so wollen, hat die Geldpolitik bereits Maßnahmen ergriffen, die auch vor dem Hintergrund dieser Unsicherheit eine gewisse Sicherheit geben. Ansonsten müssen wir laufend die Situation evaluieren und dann gegebenenfalls handeln. Aber nochmal, ich sehe derzeit keinen akuten Handlungsbedarf und so habe ich auch die Äußerungen von EZB-Präsidentin Christine Lagarde gestern verstanden.

Was die Protokolle angeht, ist das eine Frage, die uns schon beim letzten Mal umgetrieben hat und dazu hat sich meine Position nicht verändert. Sie kennen meine Meinung zu bestimmten geldpolitischen Fragen, glaube ich, relativ gut. Und insofern wäre der Informationsgehalt oder -gewinn vermutlich nicht überwältigend, den sie aus namentlichen Kennzeichnungen der Protokolle in Bezug auf mein Stimmverhalten ableiten könnten. Ich hätte damit kein Problem, aber ich könnte mir vorstellen, dass es für den einen oder anderen Kollegen schwierig würde und deswegen sollte man diese Frage sorgfältig diskutieren. Wir wollen ja, dass wir im EZB-Rat offen diskutieren können, dass eben nicht nur die Diskussion, sondern auch das Abstimmungsverhalten, nicht davon geprägt ist, wie es im entsprechenden Heimatland wirkt. Das sind alles Risiken, die man betrachten muss, wenn man über eine namentliche Kennzeichnung von Abstimmungsergebnissen spricht. Gleichzeitig sind wir schon relativ transparent, was die Mehrheitsverhältnisse angeht. Wir sagen ja schon, dass es eine Mehrheit gab, eine überwältigende Mehrheit, dass es Einstimmigkeit gab. Es gibt Abstufungen, aus denen Sie das Abstimmungsergebnis jetzt nicht namentlich, aber quantitativ abschätzen können, was Ihnen dann auch ermöglicht, die Dynamik in den Ratssitzungen nachzuvollziehen. Das halte ich auch für sinnvoll. Ich würde zudem nicht ausschließen, dass es bei solchen Protokollen eine Entwicklung hin zu immer mehr Transparenz geben wird. Es gibt Notenbanken wie die Schwedische Reichsbank, an der man relativ gut nachvollziehen kann, wie schrittweise immer mehr Transparenz zugelassen worden ist. Wie gesagt, die kurze Antwort ist, ich bin nicht gegen Transparenz. Ich bin Ihnen gegenüber relativ transparent, was meine Positionen angeht. Aber ich finde, man muss auch untersuchen und abwägen, wie sich das auf die Diskussionskultur im Rat und das Abstimmungsverhalten auswirken könnte.

Frage:

Eine Frage zur Leitzins- bzw. Einlagezinspolitik. Die ARD-Börse zitiert hier den Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Der rechnet aufgrund des Coronavirus mit einer weiteren Senkung des Einlagesatzes. Wie schätzen Sie das ein?

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Die Markterwartungen haben ja bereits reagiert auf das Coronavirus und die Diskussion da-rüber. Die Unsicherheit ist sehr viel stärker ausgeprägt, und es gibt zwei Indikatoren, die man dazu anschauen kann. Das eine sind Umfragen und das andere sind die aus Marktdaten abgeleiteten Erwartungen. Diese müssen aber mit Vorsicht interpretiert werden, weil sich nicht nur die Erwartung über den Zins dort widerspiegelt, sondern auch Risikoaversion und andere Faktoren. Insofern ist die Interpretation nicht ganz trivial. Ich kann Ihnen nur sagen, was ich als Geldpolitiker für richtig halte bzw. wie ich die Antwort auf die derzeitigen Ereignisse sehe. Ich hatte darauf hingewiesen, dass es darauf ankommt, was genau das denn wirtschaftlich ist, was wir derzeit sehen. Ist das ein Angebots- oder ein Nachfrageschock? Ein negativer Angebotsschock kann dazu führen, dass die Preise steigen. Dann wäre sicherlich eine Zinssenkung nicht die richtige Antwort. Ein Nachfrageschock ist von seiner Wirkung auf die Preise anders. Aber dann ist es auch immer wieder für uns die Frage, wie ist die Wirksamkeit unserer Maßnahmen in diesem Kontext? Das ist ein Punkt, den wir abwägen müssen. Ich hatte auch gesagt, dass ich angesichts unseres Wissenstandes keine Notwendigkeit sehe, akut geldpolitisch zu handeln. Das wäre meine Antwort als Geldpolitiker.

Frage:

Ich hätte noch eine Frage, auch in Richtung Corona und die sich eintrübende Konjunktur. Ist denn ein Szenario denkbar, dass die Ausfallrisiken von Wertpapieren oder von Refinanzierungskrediten in Ihrer Bilanz vielleicht steigen? Und ob diese Rückstellungen für allgemeine Wagnisse, die jetzt leicht gefallen waren, für 2020 vermutlich wieder nach oben zeigen?

Johannes Beermann, Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank:

Das würden wir dann 2020 entscheiden.

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Wir prognostizieren grundsätzlich nicht die Wagnisrückstellungen für die Zukunft, sondern passen diese an, wenn es mit Blick auf die Aufstellung der Bilanz erforderlich ist. Natürlich ist jeder von uns in der Lage, sich ein Horrorszenario auszudenken, das mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit eintreten könnte. Aber das ist nicht unsere Aufgabe und das wäre auch nicht verantwortlich. Es kommt vielmehr darauf an, den wahrscheinlichsten Fall abzudecken, sozusagen das Basisszenario immer im Blick zu haben. Unsere Prognostiker gehen derzeit davon aus, dass wir über einen kurzfristigen Rückgang sprechen, gefolgt von einer anschließenden Normalisierung der Wirtschaftslage. Woran machen wir das fest? Es ist ja nicht das erste Mal, dass wir mit schweren Verläufen konfrontiert sind. Schauen wir uns etwa die damalige SARS-Epidemie an. Daraus kann man, bei aller Unterschiedlichkeit des Virus, gewisse Rückschlüsse ziehen. Wir würden beispielsweise sagen, dass die Bremseffekte sicherlich stärker sind, als bei der SARS-Epidemie. Das ist eine Feststellung, die man jetzt schon machen kann, aber die Annahme, dass die Ausfälle wieder aufgeholt werden, die halte ich für weiterhin plausibel, bei aller Unsicherheit derzeit.

Frage:

Ich habe eine Frage zum Jahresabschluss, und zwar zum ersten Punkt bei den Passiva: plus 58,9 bei den Banknoten. Wo rührt das her? Fangen die Menschen an, Bargeld zu horten?

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Das ist kein neues Phänomen. In Deutschland gibt es eine eher bargeldaffine Gesellschaft. Damit sind wir im Übrigen im Euroraum nicht alleine, es gibt andere Länder, die ebenfalls eine ausgeprägte Liebe fürs Bargeld haben. Die Bundesbank bringt mehr Bargeld in Umlauf, als es ihrem Kapitalanteil [im Eurosystem] entspricht. Das führt letztlich zu Verbindlichkeiten, die man den TARGET-Forderungen auch gegenüberstellen kann.

Johannes Beermann, Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank:

Im Jahr 2008 haben wir zum Beispiel etwa 9 Prozent mehr Banknoten in Umlauf gebracht. Wenn wir das gesamte Eurosystem betrachten, waren es 5 Prozent. Das hängt auch mit dem Tourismus zusammen. Das heißt aber nicht, dass Bargeld gehortet wird, es ist vielmehr ein technischer Effekt, der schon seit Jahren besteht.

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Um es nochmal konkreter zu machen. Wir sprechen ja immer über die TARGET-Forderungen der Bundesbank gegenüber der EZB, wir haben aber auf der Passivseite unserer Bilanz eine Verbindlichkeit aus der Verteilung des Euro-Banknotenumlaufs innerhalb des Eurosystems. Das ist sozusagen die Aufaddierung des über unseren Kapitalanteil hinausgehenden in Verkehr gebrachten Bargelds. Inzwischen beläuft sich die Summe auf rund 435 Milliarden Euro. Das ist ein signifikanter Teil der Bilanz. Dies illustriert, dass es kein neues Phänomen ist.

Frage:

Ich habe noch eine Frage zum Gold. Und zwar finden sich neben den Goldbeständen in der Bilanz auch Goldforderungen. Was steckt dahinter, verleihen Sie da?

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Das sind letztlich technische Verrechnungsposten, die vor allem aus einem Spitzenausgleich im Rahmen von Goldtransaktionen resultieren. Wir haben in sehr begrenztem Maße Goldtransaktionen, und da kommt es immer wieder zu diesen Verrechnungsposten.