Editierte Abschrift der Frage- und Antwortrunde anlässlich der Jahrespressekonferenz am 24.02.2016

Frage:
Sie hatten darauf hingewiesen, dass das Zinsänderungsrisiko in diesem Jahr mehr im Fokus steht und damit im Grunde angekündigt, dass die Risikovorsorge wieder steigen würde, die Sie gerade etwas gesenkt haben. Das Zinsänderungsrisiko haben Sie als Zentralbank zumindest zum Teil auch mit in der Hand. Können Sie uns einen Ausblick geben, was uns erwartet? Zumal die Zinsen für einen längeren Zeitraum niedrig angekündigt sind.

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:
Sie haben meine Ausführungen richtig interpretiert. Ich wollte damit andeuten, dass es unter Umständen bei unserer nächsten Jahrespressekonferenz eine neue Risikoposition bei den Rückstellungen gibt, die von ihrem Volumen durchaus erheblich werden könnte und die wir dann diskutieren müssen. Dieser Diskussion will ich nicht vorgreifen. Der wichtige Punkt in diesem Kontext ist zunächst einmal, dass die geldpolitischen Entscheidungen nicht der Gewinnerzielung in der Notenbankbilanz dienen, sondern einzig und allein dem Ziel der Preisstabilität. Insofern würden wir dann entsprechende Verluste hinnehmen müssen, wenn entsprechende geldpolitische Entscheidungen notwendig erscheinen. Das ist wichtig, um die ganze Diskussion einzuordnen. Im Moment befinden wir uns mitten in der Umsetzung eines sehr umfassenden Programms zum Aufkauf von Staatspapieren, die wir noch eine ganze Weile in unserer Bilanz haben werden. Daraus könnten sich in der Zukunft Risiken realisieren, je nachdem, wie man den Ausstieg gestaltet oder wie die unterschiedlichen Positionen in unserer Bilanz verzinst werden. Auch daraus kann ein Zinsänderungsrisiko erwachsen. 

Frage:
Ich möchte noch einmal auf den TARGET2-Saldo zurückkommen, der trotz der gemeinhin angenommenen Entspannung wieder enorm gestiegen ist. Behindert das nicht die Anpassung in den Peripherieländern, die Sie dringend angemahnt haben?

Weidmann:
Bislang haben wir immer argumentiert, dass der TARGET2-Saldo ein Maßstab für Spannungen an den Märkten und vielleicht auch für ein Misstrauen innerhalb des Bankensektors ist, indem Liquidität nach Deutschland fließt. Man kann den jetzigen Anstieg nur verstehen, wenn man die Mechanik der Ankaufprogramme mit in den Blick nimmt, da sie ebenfalls zu einem Anstieg des TARGET2-Saldos führen können. Nämlich wenn diejenigen, die dem Eurosystem Staatspapiere verkaufen, in Deutschland ansässig sind und die Liquidität dann hier verbleibt. Ich würde durchaus einen Zusammenhang zum PSPP ziehen, womit die Bewertung des TARGET2-Saldos eine andere wäre. Es gibt also diesmal andere Faktoren für die Interpretation des Anstiegs des TARGET2-Saldos.

Frage:
Es geht um das Gold in der Bilanz. Ausbleibende Verkäufe wurden immer damit begründet, dass man kein laufendes Staatsdefizit finanzieren wolle. Nun gibt es kein Staatsdefizit mehr. Könnte das die Entscheidung des Vorstands dahin beeinflussen, dass man jetzt über Verkäufe nachdenkt?

Weidmann:
Wir haben immer klargestellt, dass wir Gold nur zur Prägung von Goldmünzen verkaufen, weil die Goldbestände einen wichtigen Vertrauensanker für die Werthaltigkeit unserer Bilanz darstellen. Gold ist im Gegensatz zu anderen Bilanzpositionen und Forderungen, die wir haben, keine Forderung gegenüber Dritten und kann deshalb auch nicht ausfallen. Gold unterliegt zwar einem Wertänderungsrisiko, aber keinem Ausfallrisiko. Gold ist Teil der Fremdwährungsreserven und kann bei Bedarf auch in andere Währungen getauscht werden, was auch hinter unserem Lagerstättenkonzept steht. Es bleibt dabei, dass wir Gold nur in kleinen Mengen zur Prägung von Goldmünzen an das Bundesfinanzministerium verkaufen.

Frage:
Ich habe zwei Fragen. Zunächst würde mich interessieren, ob wir im nächsten Jahr mit einem wiederum sinkenden Jahresgewinn rechnen müssen, wenn eine neue Form von Risikovorsorge getroffen wird. Die zweite Frage: Das große Anleihekaufprogramm der EZB, PSPP, läuft seit März 2015 und Sie sind mit einem großen Anteil dabei, bei den Käufen von Bundesanleihen beispielsweise. Spüren Sie da schon Knappheit am Markt?

Weidmann:
Ich würde Sie einfach auf die Bilanzpressekonferenz im nächsten Jahr vertrösten, wenn wir über den Gewinn für dieses Jahr sprechen. Letztlich habe ich Ihnen die Elemente, die Sie benötigen, um die Antwort abzuschätzen, bereits genannt: Ein sich eher stabilisierender Jahresüberschuss auf der einen Seite und andererseits Änderungen bei den Rückstellungen, die sich abzeichnen. Den Zinsänderungsrisiken stehen wiederum Rückgänge im SMP-Portfolio gegenüber. Insofern ist der Netto-Effekt entscheidend. Das diskutieren wir dann, wenn sich die einzelnen Positionen der Rückstellungen besser absehen lassen.

Zur zweiten Frage wird Ihnen Herr Nagel genauere Auskunft geben können. Die Frage der Reichweite des PSPP-Programms hängt nicht nur vom verfügbaren Universum an Anleihen und den Einschränkungen ab, die sich der EZB-Rat zu Recht selbst auferlegt hat. Vielmehr spielt auch das Marktumfeld eine Rolle. Eine der Bedingungen ist ja, nicht unter dem Einlagensatz zu kaufen. Wir haben aber im Moment keine Schwierigkeiten, die von uns am Markt gewünschten Mengen zu erhalten und ich gehe davon aus, dass wir das Programm auch umsetzen können und dabei ausreichend Volumina finden.

Dr. Joachim Nagel, Mitglied im Vorstand der Deutschen Bundesbank:
Ergänzend zu der Frage. Ich hatte schon ausgeführt, der Zinsertrag ist vergangenes Jahr bereits zurückgegangen. Wir hatten 2014 im Schnitt noch einen Zinssatz von 0,16 %, 2015 von 0,05 %. Die Zinsertragskomponente hat dabei ganz klar unter dem Zinsumfeld gelitten. Zur zweiten Frage: Wie der Präsident bereits sagte, sehen wir derzeit beim PSPP von der Kaufseite noch keine Beschränkung. Natürlich läuft das Programm noch eine geraume Zeit, die Volumina sind groß, die im Markt bewegt werden müssen. Man muss aufmerksam das Thema Liquidität beobachten, weil Liquidität, wenn sie knapp werden würde, in der Regel zu einer höheren Volatilität führt. Und für höhere Volatilität müssen die Banken dann meistens in ihren Risikomodellen mehr Eigenkapital vorhalten und das hat einen weiteren Rückkopplungseffekt, nämlich wieder sinkende Liquidität. Das Thema muss man beobachten, aber derzeit können wir aus Sicht der Bundesbank feststellen: Es gibt noch keine Engpässe.

Frage:
Apropos Rückkopplungseffekte und Risiken. Wie groß ist aus Ihrer Sicht die Gefahr, dass wir uns bereits in einem sogenannten Doom Loop befinden, also in einer Welt, in der die Negativzinsen die Profitabilität der Banken so sehr beeinträchtigen, dass die Wirtschaft darunter leidet, was wiederum noch negativere Zinsen nach sich zöge? Und die zweite Frage bezieht sich auf das Stichwort Lastenausgleich unter den Notenbanken. Beim Anleihekaufprogramm wird ja ein gewisser Teil der Risiken unter den Notenbanken verteilt. Wäre es nicht auch fair, wenn man einen Teil der Negativrenditen unter den Zentralbanken gerechter aufteilte als bisher? Ich weiß, die Debatte lief bereits oder läuft noch. Wie ist denn im Moment der Stand?

Weidmann:
Ich beginne mit der zweiten Frage. Die Zinsen enthalten letztlich einen risikofreien Zins und eine Risikoprämie. Die Risikoprämie fällt dort an, wo die Risiken auch im PSPP getragen werden, nämlich bei den kaufenden Notenbanken. Weil wir aus meiner Sicht richtigerweise die Verlustverteilung für das PSPP im Wesentlichen ausgeschaltet haben. Das ist ein großer Fortschritt im Vergleich zu den bisherigen Staatsanleihe-Ankaufprogrammen, weil nämlich so über die Notenbankbilanz keine Haftungsvergemeinschaftung für staatliche Insolvenzrisiken mehr stattfindet, zumindest nicht in dem Ausmaß. Dann muss man aber auch entsprechend eingestehen, dass dort, wo höhere Risiken anfallen, auch höhere Zinszahlungen entstehen. Ob man das jetzt an der Null-Grenze trennen kann ist eine andere Frage. Wenn der risikofreie Zins etwa unter null liegt, dann ist es sicherlich nicht sinnvoll, diese Trennung herbeizuführen. Die Annahme, die dem zugrunde liegt ist, dass die anderen Notenbanken mit diesen Risiken umgehen und beispielsweise entsprechende Rückstellungen bilden, die dann auch wieder gewinnreduzierend wirken, wie man bei uns in der Vergangenheit gesehen hat.

Meine konjunkturelle Einschätzung ist nicht ganz so negativ, wie es sich in Ihrer Frage anhört. Ich bin der Überzeugung, dass wir uns in Deutschland, aber auch im Euro-Raum insgesamt, in einer graduellen Aufwärtsbewegung befinden. Diese Basislinie ist zwar inzwischen mit höheren Risiken behaftet, aber weiterhin gültig. Da sehe ich keinen Doom Loop. Bei unseren geldpolitischen Diskussionen müssen wir zunächst diskutieren, inwieweit die mittelfristigen Preisperspektiven entfernt sind von unserer Definition von Preisstabilität und dadurch einen Handlungsbedarf begründen. Wenn man diese Frage positiv beantwortet, dann muss man sich der Diskussion über die Instrumente stellen, die der Notenbank zur Verfügung stehen - mit ihren intendierten Wirkungen, aber auch mit den Risiken und Nebenwirkungen. Da zählt sicherlich unter dem Strich der Netto-Effekt. Ich verstehe Ihre Frage so, dass man auf diesen Netto-Effekt achten soll, insofern würde ich Ihnen zustimmen. Dass es durchaus Effekte gibt, beispielsweise auf die Ertragskraft der Banken, das haben wir gerade in den vergangenen Wochen mit dieser hohen Volatilität erlebt. Diese Effekte sollte man dann bei der Beurteilung der verschiedenen Instrumente gegenrechnen.

Frage:
Es gibt eine Absichtserklärung des EZB-Rates den 500-Euro-Schein abzuschaffen, und der Banknotenausschuss prüft jetzt die technischen Optionen dafür. Eine Möglichkeit wäre, eine Frist zu setzen, wie lange der 500-Euro-Schein noch akzeptiert würde. Können Sie erläutern, wie Sie dazu stehen, dass dieser Schein irgendwann nicht mehr akzeptiert wird? Und eine zweite Frage. Im März stellt die EZB ihre neue Inflationsprognose vor. Gibt es für Sie eine Schmerzgrenze, wo auch Sie aus Risikomanagementgesichtspunkten sagen würden, dass es geldpolitischen Handlungsbedarf gibt? Und wenn möglich hätte ich noch eine technische Frage an Herrn Nagel: Können Sie nochmal sagen, wie hoch die Gewinne der Bundesbank aus dem SMP-Programm sind und aus dem negativen Einlagenzins für die Banken?

Weidmann:
Mir ist keine Absichtserklärung des EZB-Rats bekannt, die 500-Euro-Banknote abzuschaffen. Es gibt auch keine Entscheidung hierzu. Sie haben Recht, es gibt eine Diskussion im EZB-Rat und es gibt sicherlich auch unterschiedliche Meinungen der einzelnen Ratsmitglieder. Und es gibt einen Auftrag an den Bargeldausschuss BANCO, der diese Frage technisch umsetzen müsste. Operativ darf man die Herausforderungen nicht unterschätzen, die mit der Abschaffung der 500-Euro-Banknote verbunden sind. Wir diskutieren darüber, ein Drittel des wertmäßigen Umlaufs des Bargelds abzuschaffen. Und wir haben auch in der Vergangenheit immer wieder gesehen, dass zwar die Bürger und vermutlich auch jeder von uns nicht gerade viele von diesen Scheinen im Portemonnaie haben. Aber diese hohen Stückelungen haben gleichwohl in besonderen Situationen auch logistische Vorteile, beispielsweise wenn man in einer Situation hoher Unsicherheit die Bargeldversorgung des Systems sicherstellen muss. Das haben wir in der Finanzkrise gesehen, als letztlich aus den Bargeldautomaten Zentralbankgeld gezogen wurde. Insofern ist es vollkommen richtig, dass sich der zuständige technische Ausschuss jetzt mit diesen Fragen beschäftigt. Ein wichtiges Argument ist meines Erachtens, dass wir das Vertrauen in die gemeinsame Währung nicht beschädigen dürfen. Sie haben die Abschaffung der 500-Euro-Banknote diskutiert, die nach meinem Dafürhalten durchaus das Potenzial hätte, das Vertrauen in die gemeinsame Währung zu beschädigen. Und zwar dann, wenn wir den Bürgern sagen, dass die Banknoten, die sie besitzen, irgendwann ihre Gültigkeit verlieren. Das ist genau der Grund, warum Sie beispielsweise bei uns bei der Bundesbank DM-Noten unbegrenzt in Euro umtauschen können. Im Übrigen sollte man den qualitativen Effekt von Maßnahmen wie den diskutierten Bargeld-Obergrenzen nicht unterschätzen. Banknoten sind derzeit das einzig unbeschränkte gesetzliche Zahlungsmittel. Einschränkungen führen natürlich dazu, dass Banknoten diese Qualität nicht mehr haben, sondern Sie in Giralgeld ausweichen müssen, das eben kein Zentralbankgeld ist und beispielsweise mit Ausfallrisiken versehen ist, wie wir es auch in der Krise teilweise gesehen haben. 

Zu Ihrer Andeutung, dass Geldpolitik eine Risikomanagement-Strategie ist: Das wäre meines Erachtens eine tiefergehende geldpolitische Strategieänderung, die ich so nicht sehe. Wir haben ein klares Ziel, Preisstabilität, und wir richten unsere geldpolitischen Maßnahmen auf die mittelfristige Erreichung dieses Ziels aus. Wenn ich aus der Geldpolitik eine Risikomanagement-Strategie mache und, um zwar extrem unwahrscheinliche, aber schädliche Szenarien zu verhindern, schon jetzt handle, wäre das eine Strategieänderung, die man erst grundlegend diskutieren sollte. Von dieser theoretischen Ausführung abgesehen, sehe ich derzeit nicht das Risiko einer Deflation, darum geht es ja letztlich. Mit Deflation meine ich nicht Rückgänge der Preise über einen oder mehrere Monate, sondern eine sich selbst verstärkende Abwärtsspirale mit den entsprechend negativen realwirtschaftlichen Effekten. Davon sind wir weit entfernt, und wir werden uns über den Projektionszeitraum immer weiter entfernen, so dass ich die Diskussion über eine Deflation für hypothetisch halte.

Nagel:
Auf der Seite 93 des Geschäftsberichts sind alle Zahlen zu den Nettozinserträgen aufgeführt. Beim SMP-Portfolio betrug der Nettozinsertrag im Jahr 2015 1,684 Milliarden Euro, das ist ein Rückgang um 405 Millionen Euro gegenüber dem Vorjahr. Das ist nicht verwunderlich, weil wir im SMP-Programm einige Fälligkeiten hatten, damit geht der Zinsertrag zurück. Und beim Negativzins lag der Ertrag im vergangenen Jahr bei 248 Millionen Euro.

Frage:
Sie erwarten keinen scharfen Einbruch der chinesischen Wirtschaft. Diese Woche findet in Shanghai das G20-Treffen statt. Welche Themen muss man dort dann diskutieren? Die zweite Frage ist zum Staatsanleihenmarkt. Sie haben das Marktprinzip erwähnt. Schon vor der Krise funktionierte es nicht. Deswegen konnten hochverschuldete Krisenländer ihre Staatsschulden weiter verkaufen. Wie können wir das Marktprinzip wieder gewinnen?

Weidmann:
Ich fange mit der zweiten Frage an. Sie haben vollkommen recht, die beiden Sicherungsmechanismen, um solide Staatsfinanzen in der Währungsunion zu garantieren und um die Geldpolitik vor dem Druck zu schützen, monetär steigende Schulden zu finanzieren, haben nicht so funktioniert, wie sich das die Gründungsväter der Währungsunion vorgestellt haben. Auf der einen Seite haben wir gesehen, dass die Haushaltsregeln immer wieder gedehnt worden sind, auch mit tatkräftiger deutsch-französischer Hilfe. Auf der anderen Seite haben wir gesehen, dass die Risiken, die sich in der Finanzkrise offenbart haben, im Vorfeld der Krise nicht richtig eingepreist waren. Das lag meines Erachtens an verschiedenen Faktoren, an denen man jetzt ansetzen müsste, um das System stabiler auszugestalten.

Die No-Bail-Out-Klausel war nicht wirklich glaubwürdig. Deswegen braucht es eine Diskussion darüber, wie staatliche Schuldenrestrukturierungen möglich sein können, ohne das Finanzsystem mit in den Abgrund zu reißen. Diese Entkopplung von Banken und Staaten spielt eine entscheidende Rolle. Es lag sicherlich auch daran, dass in der Bankenregulierung die Fiktion aufrechterhalten wurde, dass trotz dieser No-Bail-Out-Klausel staatliche Risiken in den Banken risikolos seien. Die Krise hat gezeigt, dass dies offensichtlich nicht der Fall ist. Deswegen setzen die Maßnahmen, die die Bundesbank schon seit längerem vorschlägt, genau an diesem Punkt an: das Haftungsprinzip wieder besser zu verankern und dazu beizutragen, dass die Zinsen über eine Risikoprämie mehr die Qualität der Staatsfinanzen ausdrücken, in der Hoffnung, dass das zusammen mit gestärkten Regeln am Ende zu soliden Staatsfinanzen beiträgt.

Was erwarte ich beim G20-Treffen? Es wird das erste Finanzminister- und Notenbanktreffen unter chinesischer Präsidentschaft sein. Das ist für uns aus der deutschen Delegation ein besonderes Treffen, weil wir als nächste Präsidentschaft Teil der drei Präsidentschaften sind, die gemeinsam den Prozess managen. Vermutlich kann ich Ihnen erst dann berichten, wie die chinesische Präsidentschaft ihre Schwerpunktsetzung lebt. Bislang weiß ich, dass die Zielsetzungen der chinesischen Präsidentschaft im Einklang sind mit unserem Fokus auf Strukturreformen in den einzelnen Ländern und wie man Fortschritt auf diesem Weg messen kann. Das sind sicherlich Ansatzpunkte für eine langfristige Wachstumsstrategie, die wir in der Bundesbank für sinnvoll erachten. Die chinesische Präsidentschaft hat "Financial Inclusion" als weiteres Thema genannt. Das finde ich im Zusammenspiel mit dem Themenkomplex Digitalisierung interessant. Unsere Überlegungen gehen dahin, wie wir diese Themen während unserer Präsidentschaft fortführen könnten. Dies schwingt immer mit bei dem, was wir beim chinesischen G20-Prozess sehen werden.

Davon unabhängig sind die Forderungen nach einer gemeinsamen Aktion, um den geldpolitischen und fiskalpolitischen Handlungsspielraum weiter auszuschöpfen und zusätzliche Impulse zu setzen. Diese Diskussion wird sicherlich eine gewisse Rolle spielen, ist aber nicht neu. Wir haben wiederholt gesehen, dass die globalen Wachstumserwartungen enttäuscht wurden. Das liegt meines Erachtens vor allem daran, dass die Wachstumsmöglichkeiten der Weltwirtschaft überschätzt worden sind. Das ist ein Beleg dafür, dass wir uns Gedanken machen müssen, wie wir Strukturreformen umsetzen und das Wachstumspotenzial stärken, und nicht über neue Nachfrageprogramme. Ich bin nicht überzeugt, dass die Wachstumsraten aus der Vorkrisenzeit, die durch Übertreibungen geprägt waren, der beste Maßstab sind, den wir an die heutigen Wachstumsraten anlegen können, die geprägt sind durch Anpassungsprozesse im Gefolge der Krise, die stattfinden müssen, damit wir wieder eine nachhaltigere Entwicklung sehen können.

Neu ist das Ausmaß des Ölpreisverfalls, die Volatilität an den Rohstoffmärkten und wie dies auf das weltwirtschaftliche Wachstum wirkt. Das werden wir in der Sitzung zur Entwicklung der Weltwirtschaft diskutieren. Die konsensuale Einschätzung ist, dass von diesen Faktoren inzwischen dämpfende Einflüsse ausgehen. Gleichwohl sehen wir für die Weltwirtschaft eine weiterhin graduelle Aufwärtsbewegung.

Um was geht es bei den Forderungen? Wenn man das auf die einzelnen Länder herunterbricht, wird klar, dass die Diskussion vermutlich nicht sehr weit trägt. Schauen Sie Deutschland an. Wir haben normale Kapazitätsauslastungen, wir haben eine relativ gute Konjunkturlage, wir haben eine auf Deutschland bezogen eher zu expansive Geldpolitik, und wir haben eine Fiskalpolitik, die ohnehin bereits prozyklisch wirkt, aber nach Meinung vieler fiskalische Spielräume. Bedeutet die Forderung jetzt, dass wir in Deutschland Konjunkturprogramme auflegen sollten? Deutschland braucht kein Konjunkturprogramm, und es wirkt vermutlich auch nicht auf das Ausland, so wie sich das manche erhoffen. In anderen Ländern haben wir wieder ganz andere Herausforderungen, etwa eine hohe Verschuldung, die eher für Haushaltsdisziplin als für neue Ausgabenprogramme und einen weiteren Anstieg der Verschuldung sprechen. Auch Geldpolitik ist kein Allheilmittel, das man immer zum Einsatz bringen sollte, wenn die Wachstumsraten etwas sinken. Ich halte diese Diskussion für nicht sehr tragfähig. 

Frage:
Ich habe eine Frage zum Brexit und eine andere Frage zum negativen Zins. Welche wirtschaftlichen Folgen wird der Brexit für Deutschland und die Eurozone haben? Und meine zweite Frage ist: Was denken Sie über ein mehrstufiges System von negativen Einlagezinsen? 

Weidmann:
Was den Brexit angeht, hängen die wirtschaftlichen Auswirkungen von der konkreten Ausgestaltung der Vertragsverhältnisse zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich ab. Diese werden letztlich darüber entscheiden, wie die langfristigen Auswirkungen aussehen würden. Allerdings sind diese im Moment noch überhaupt nicht abzusehen, da der Brexit nur eine Möglichkeit ist. Aus meiner Sicht ist aber klar, dass bislang sowohl die EU-Staaten als auch das Vereinigte Königreich von der wirtschaftlichen und finanziellen Integration der EU profitiert haben und es insofern auch im Interesse aller ist, eine Lösung zu finden, die Großbritannien in der EU hält.

Im Hinblick auf den gestaffelten Einlagenzins möchte ich die geldpolitische Diskussion im EZB-Rat nicht vorwegnehmen und vor allem nicht über einzelne geldpolitische Instrumente spekulieren, bevor wir überhaupt die Handlungsnotwendigkeit festgestellt haben. Dass aber die Ausgestaltung einzelner Instrumente durchaus Auswirkungen auf ihre Wirkung haben, ist selbstverständlich. Insofern müssten Sie von Ihrer Notenbank auch erwarten, dass wir nicht nur die Instrumente in ihrer bestehenden Ausgestaltung diskutieren, sondern auch über mögliche Alternativen, die falls erforderlich, die Wirkung erhöhen.

Frage:
Sie hatten vorhin die Ausweichmöglichkeiten oder Fluchtbewegung ins Bargeld durch den Negativzins angedeutet. Da würde ich gerne wissen, ab welchem Zinsniveau Sie mit solchen signifikanten Fluchtbewegungen rechnen, also sprich wie weit könnte die Reise gehen? Und die zweite Frage ist zum Anleihekaufprogramm. Es gibt bisher die Grenze oder die Regel, dass die Anleihen nur gekauft werden, so lange sie über dem Einlagezins rentieren. Halten Sie es für denkbar, dass diese Regel irgendwann in naher Zukunft abgeschafft wird?

Weidmann:
Was die Ausweichreaktionen ins Bargeld angeht, lernen wir derzeit in den unterschiedlichen Währungsräumen, wo sich die Zinsuntergrenze wirklich befindet. Wir hatten diese Diskussion bereits in der Vergangenheit und da schwebten immer Werten im Raum von minus 0,3 %, ab denen dann Ausweichreaktionen einsetzen. Diese messen sich letztlich an den Opportunitätskosten, also beispielsweise an den Kosten, die Sie haben, wenn Sie Tresorraum mieten, wenn Sie Ihre Bargeldbestände versichern und das Bargeld transportieren wollen. Nun gibt es diverse Notenbanken, die bereits über diese Grenze hinausgegangen sind und selbst dort stellen wir derzeit keine so signifikanten Ausweichreaktionen ins Bargeld fest. Ganz genau lässt sich diese Untergrenze nicht spezifizieren. Was man aber durchaus beobachten kann, ist ein gewisses Interesse von Teilnehmern, Finanzakteuren und Instituten, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, wie man größere Bargeldbestände verwalten könnte. Insofern ist die Ausweichreaktion ins Bargeld keine theoretische Möglichkeit, sondern tatsächlich etwas, mit dem wir als Notenbank auch umgehen müssen. Das betrifft vor allem die Institutionellen und weniger die Privatleute, die im Wesentlichen Bargeld für ihre Transaktionskasse halten. Im Hinblick auf den negativen Einlagezins und die Mindestschwelle im PSPP hätte ich nicht die Absicht diese Einschränkung des Programms zu diskutieren, weil Käufe unterhalb des Einlagensatzes dazu führen, dass der Käufer einen sicheren Verlust auf diese Käufe macht und sich insofern auch wieder eine ganze Reihe zusätzlicher Fragen stellen, die die Programmumsetzung verkomplizieren und zum Teil eher grundlegender Natur sind.

Nagel:
An dem Punkt eine Ergänzung aus Marktsicht. Das führt zu nichts anderem, als würde die Notenbank ausarbitriert werden. Ich kaufe unterhalb vom Einlagezinssatz, die Banken nehmen die zugeflossene Liquidität und legen sie bei uns dann wieder in die Einlagenfazilität an. Geradeaus gesprochen: dann könnte ich den Banken den Differenzbetrag auch gleich direkt überweisen. Das ergibt nicht so richtig Sinn.

Frage:
Zwei Fragen zur Ausgestaltung der Instrumente: Gibt es irgendwelche Änderungen, die Ihnen rechtliche Sorgen bereiten würden? Und: Sie haben gesagt, dass die Geldpolitik die Risiken auf die Finanzstabilität nicht ignorieren darf und dass Sie eine neue Studie haben, die das auch belegt. Was bedeutet das im aktuellen Umfeld für die Geldpolitik? 

Weidmann
Was die Ausgestaltung des Programms angeht, gibt es diverse Einschränkungen im PSPP, die ich für sehr wichtig halte, aber aus ökonomischen Gründen. Dass diese ökonomischen Gründe sich zum Teil in einer rechtlichen Bewertung widerspiegeln, ist nochmal eine ganz andere Thematik. Das war die Diskussion, die Yves Mersch und ich vergangene Woche vor dem Verfassungsgericht bestritten haben. Ich möchte Ihnen das an dem Beispiel der Obergrenzen pro Emission erläutern: Die Obergrenzen pro Emission, die sich der EZB-Rat bei den Ankäufen gegeben hat - also 33 % -, sind so gewählt worden, um die Absicht nicht zu unterlaufen, die mit den CACs, also den Umschuldungsklauseln, verbunden war. Eine Lehre der Krise war, dass Schuldenrestrukturierungen von Staaten besser möglich sein sollten und deswegen auch verabredet wurde, neue Emissionen von Staatsschulden mit Umschuldungsklauseln zu versehen. Diese sollen effizientere Entscheidungsstrukturen auf den Gläubigerversammlungen ermöglichen und somit auch geordnete Umstrukturierungen wahrscheinlicher machen. Die Obergrenze von 33 % ist im Zusammenhang mit den Minderheitenrechten auf diesen Gläubigerversammlungen zu sehen. Da wir aufgrund des Verbots der monetären Staatsfinanzierung nicht auf Forderungen gegenüber Staaten verzichten dürfen, könnten wir auf einer Gläubigerversammlung nicht sagen, dass wir gekaufte Anleihen nicht mehr zurückbekommen möchten. Und wir sie somit in den Schuldenschnitt miteinbringen würden. Das bedeutet, dass wir auf der Gläubigerversammlung gegen eine Schuldenrestrukturierung stimmen müssten und wir damit mit einem Anteil von über 33 % eine Schuldenrestrukturierung verhindern würden. So würden wir dazu beitragen, dass am Ende eine ungeordnete Restrukturierung steht. Deswegen wurde die Obergrenze von 33 % beschlossen. Diese steht somit in einem Zusammenhang mit dem Verbot der monetären Staatsfinanzierungen. Es ist klar: Je größer der Anteil ist, den eine Notenbank an den Emissionen eines jeweiligen Staates hält, desto eher kommt der Verdacht auf, dass hier das Verbot der monetären Staatsfinanzierung umgangen wird und dass diese Käufe ähnlich wirken, wie die uns verbotenen Käufe am Primärmarkt. Deswegen halte ich diese Einschränkungen für wichtig und ich denke, es ist auch im Interesse des EZB-Rates, sie einzuhalten.

Zur zweiten Frage: Inwieweit muss die Geldpolitik bei ihren Entscheidungen Auswirkungen auf die Finanzstabilität berücksichtigen? Für sich genommen muss sie das natürlich nicht. Das ist die Aufgabe anderer Instrumente und der makroprudenziellen Politik. Aber natürlich können auch Finanzstabilitätsrisiken Rückwirkungen haben, etwa auf die Übertragungswege der Geldpolitik, auf die Fähigkeit der Geldpolitik Preisstabilität zu sichern und insofern auf die Preisstabilität im relevanten Politikhorizont. Und nichts anderes steht auch hinter der zweiten Säule der EZB-Strategie, nichts anderes steht hinter dem Blick auf die monetären Aggregate, die wir im Gegensatz zu manch anderen Notenbanken sehr stark in den Vordergrund gestellt haben. Letztlich bedeutet das, dass wir diese langfristigen Auswirkungen nicht komplett beiseite schieben dürfen, wenn sie wieder rückwirken auf die Preisstabilität.

Frage:
Sie haben erwähnt, dass die Banken stark von den Niedrigzinsen betroffen sind. Wie lange halten die Banken das aus? Könnte es zu Bankschließungen kommen, wenn das Niedrigzinsumfeld zu lange anhält? Und, Sie sagen auch, dass die Geldpolitik am Ende ihrer Möglichkeiten ist bzw. dass es vielleicht nur noch begrenzte Möglichkeiten für sie gibt. Wie stellen Sie sich die Zukunft vor, ist es vielleicht Zeit an eine Wende zu denken und vielleicht sogar an Zinserhöhungen irgendwann in den kommenden Jahren? 

Weidmann:
Das hoffe ich doch, dass irgendwann auch wieder Zinserhöhungen stattfinden werden. Alleine schon deshalb, weil die Geldpolitik sich irgendwann wieder normalisieren sollte. Ich habe aber keinen Zeitpunkt genannt, nur das wir uns da nicht missverstehen. Genauso wenig wie ich gesagt habe, dass die Geldpolitik am Ende ihrer Möglichkeiten ist. Ich habe vielmehr gesagt, dass wir erstmal die Handlungsnotwendigkeit diskutieren müssen und dann über die geldpolitischen Instrumente diskutieren können, wenn man die Handlungsnotwendigkeit feststellen sollte. Und da unterscheidet sich mein Urteil von dem anderer. Aber wenn man diese Feststellung trifft, dann sind die unterschiedlichen Instrumente auch unterschiedlich problematisch. Staatsanleihekäufe sind aus meiner Sicht aufgrund der damit verbundenen Risiken, etwa dem Risiko einer Verquickung von Geld- und Fiskalpolitik, kritischer zu sehen als andere Instrumente. Sie sollten nach meinem Dafürhalten deswegen einer möglichen Extremsituation, als eine Art Notfallinstrument, vorbehalten sein. Diese Extremsituation sehe ich derzeit nicht. Das heißt aber nicht, dass wir keine anderen Instrumente mehr haben.

Bei der Ertragslage der Banken wirken drei Faktoren auf den Zinsertrag ein: die Veränderung der Zinsen, das Niveau der Zinsen und die Steigung der Zinsstrukturkurve. Und es gibt auch im Übergang zunächst positive Effekte auf den Zinsertrag. Je länger diese Periode niedriger Zinsen dauert, desto mehr Probleme entstehen auch in Bezug auf die Ertragslage der Banken. Insbesondere dann, wenn das Ende dieser Periode noch mit einem starken Zinsschock gekoppelt ist und vielleicht sogar noch mit Makrorisiken, also beispielswiese höheren Ausfallraten. Das ist dann ein Gemisch, das uns Sorge macht. Wir reagieren darauf, indem wir etwa die Frequenz unserer Gespräche mit den Banken erhöhen, indem wir mehr Berichte anfordern, Sonderuntersuchungen machen, zu denen z.B. auch die Umfrage unter den 1.500 kleineren und mittleren Banken gehört. Wir sind nicht nur als Geldpolitiker gefordert, sondern auch als Aufsicht. Und in dieser aufsichtlichen Verantwortung verstärken wir die Beobachtung der Banken, die in dem Zusammenhang Probleme bekommen könnten.

Frage:
Herr Weidmann, als es am Anfang die Debatte um die Staatsanleihekäufe gab, da ist auch darüber diskutiert worden, was das für den Jahresüberschuss der einzelnen Notenbanken bedeuten würde. Kann man heute sagen, dass das zumindest für die Bundesbank bislang ein prima Geschäft gewesen ist? Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ...

Weidmann:
Wir haben keine betriebswirtschaftlichen Aufgaben. Insofern wäre das ein vollkommen falscher Maßstab, den man nicht an eine Notenbankbilanz anlegen sollte. Im Übrigen ist das Argument auch relativ abwegig: Natürlich können wir mit der unbegrenzten Kraft der Geldschöpfung tolle Gewinne machen. Das können wir auf ganz verschiedene Arten, z.B. indem man spekulative Aktiva kauft und dafür sorgt, dass sie nicht ausfallen. Aber natürlich auch durch Geldschöpfung in einem Ausmaß, die nicht mehr kompatibel wäre mit unserer eigentlichen Aufgabe: der Sicherung von Preisstabilität. Deswegen ist das eine Diskussion, die für einen Geldpolitiker irrelevant ist. Denn daraus kann nicht folgen, dass wir jetzt besonders riskante Aktiva kaufen oder schlechte Assets aus den Bankbilanzen herauskaufen. Auch damit könnten wir vielleicht gute Geschäfte machen, aber das ist nicht unsere Aufgabe. Zumal wir viel mehr sind als nur Käufer am Markt. Wir beeinflussen auch die Rahmenbedingungen, sowohl geldpolitisch als auch aufsichtsrechtlich, und insofern ist dies das falsche Kriterium.

Frage:
Herr Weidmann, Sie hatten über das Potenzial der EU gesprochen, das es zu heben gilt und dazu ein paar Unterpunkte genannt. Einer war, die Architektur der Währungsunion zu reparieren. Dafür hatten Sie zwei Wege aufgezeigt: zum einen die Fiskalunion und zum anderen die Schwachstellen des jetzigen Rahmens zu beheben. Dabei haben Sie es aber relativ geschickt vermieden, sich zwischen diesen beiden Wegen zu positionieren. Deshalb die Frage: Wo sehen Sie Ihre Aufgabe? 

Weidmann:
Letztlich kommt es mir darauf an, klar zu machen, dass diese Entscheidung keine Entscheidung der Notenbank ist. Für den Schutz der Geldpolitik ist entscheidend, dass solide gehaushaltet wird und, dass der Rahmen der Währungsunion stabil gestaltet ist. Das ist dann der Fall, wenn Haften und Handeln in einer Hand sind. Das kann sowohl auf der dezentralen, wie auch auf der europäischen Ebene der Fall sein, wenn die Entscheidungen auf der europäischen Ebene auch stabilitätsorientiert ausfallen. Diese Entscheidung muss die Politik treffen und nicht die Notenbank. Was wir allerdings brauchen, und was wir Notenbanken anmahnen, ist eine Diskussion darüber, wie ein solcher Rahmen ausgestaltet sein sollte. Für mich kommt es auf die Stabilitätsorientierung an und darauf, dass wir auf dem Weg zu einer Vorstellung die Schrittfolge nicht falsch setzen, sondern immer darauf achten, dass nicht beispielsweise Haftung für Entscheidungen vergemeinschaftet wird, die weiterhin national getroffen werden. Das ist auch einer der Gründe dafür, warum ich die gemeinsame Einlagensicherung so kritisch sehe, weil natürlich über die Bankbilanzen die Folgen für Entscheidungen vergemeinschaftet würden, die derzeit noch national getroffen werden. Beispielsweise weil sich in den Bankbilanzen das nationale Insolvenzrecht widerspiegelt und weil insgesamt die Qualität der Bankbilanzen natürlich auch von nationalen Einflussfaktoren abhängt. Also die Schrittfolge ist das Entscheidende.

Frage:
Zum einen hatten Sie gesagt, dass Sie an der Regel, den Einlagenzins als Untergrenze für die Anleihekäufe zu betrachten, nicht rütteln wollen. Wie sieht das denn mit der Regel aus, nach dem Kapitalschlüssel der EZB zu kaufen? Ist das etwas, was für Sie zur Diskussion stehen könnte oder würden Sie sagen, dass das den geldpolitischen Charakter des Programms komplett verändern würde und es deswegen nicht in Frage kommt? Die Probleme, die wir bei europäischen Banken zuletzt gesehen haben, haben nochmal die Diskussion darüber befeuert, inwieweit die geldpolitischen Impulse tatsächlich über die Banken transportiert werden können und die Diskussion nochmal angeheizt, ob die EZB konkret vielleicht die Banken umgehen könnte. Stichwort: Helikoptergeld. Ist das etwas, was Sie das als völlig abwegig betrachten, oder etwas, was auch die EZB ernsthaft prüfen müsste.

Weidmann:
Vor dem Hintergrund der Ausführungen, die ich in Bezug auf die Anreize solide zu haushalten gemacht habe, wäre es nicht unbedingt zielführend, wenn die Notenbanken gerade Anleihen der Länder überproportional kaufen, die sich in der Vergangenheit durch einen Mangel an Haushaltsdisziplin hervorgetan haben. Das könnte fehlinterpretiert werden.

Zu Ihrer zweiten Frage: Es gibt innovative Vorschläge - Stichwort Helikoptergeld -, die derzeit vor allem von wissenschaftlicher Seite gemacht werden. Um was geht es dabei? Die Notenbank gäbe einen Transfer direkt an die Bürger. Ich schicke Ihnen einen Scheck und Ignazio Visco schickt den italienischen Bürgern einen Scheck. Das ist nichts anderes, als ein Transfer bzw. eine Sozialleistung, über die eigentlich in einer Demokratie Parlamente und Regierungen entscheiden sollten, nicht die Notenbank. Schon da beginnt eine sehr schwierige Diskussion über das Mandat der Notenbank. Aber was bedeutet das? Wir verschenken ja etwas. Es ist nicht so, dass wir etwas damit erwerben und unsere Bilanz ausgeglichen ist, sondern diese Transfers führen zu einem Loch in unserer Bilanz. Dieses Loch in unserer Bilanz müssen wir über die Zukunft abtragen. Das führt im gleichen Maße über die Zukunft zu einem reduzierten Notenbankgewinn. Was Ihnen auch wieder klar macht, dass es eine fiskalische Maßnahme ist. Im Grunde ist es also eine andere Art der Finanzierung einer Sozialleistung oder eines anderen Transfers. Diesmal über den Notenbankgewinn statt über eine Schuldenaufnahme. Wenn man das einmal verstanden hat, dann kann man auch in Bezug auf die Wirkung eine etwas differenziertere Haltung entwickeln. Zumal sich bei einem Verlust in der Notenbankbilanz ganz andere Fragen stellen: Inwieweit lässt sich dieser Notenbankverlust über die Zeit begrenzen? Inwieweit hat er das Potenzial, über die Zeit zu wachsen und zu einer destabilisierenden Situation beizutragen? Das ist alles interessant in der Theorie, aber in der Praxis doch mit größeren Schwierigkeiten behaftet. Letztlich illustriert das auch, dass die Geldpolitik immer noch als Allheilmittel gesehen wird. Das ist sie aber nicht.

Frage:
Wie ist Ihre Bewertung der Situation der Deutschen Bank und wie sehen Sie die starken Kursrückgänge an der Börse?

Weidmann:
Was sie Deutsche Bank betrifft, so nehme ich zu Einzelinstituten grundsätzlich nie Stellung. Zur Finanzmarkt-Volatilität hatte ich bereits ausgeführt, dass sich darin auch eine Bewertung der Ertragsperspektiven der Banken widerspiegelt. Eine gestiegene Risikoaversion, die zu dieser Volatilität führt, kann, wenn dies anhalten sollte, auch Auswirkungen auf das Wachstum haben, indem die Finanzierungskosten für Unternehmen steigen.

Frage:
Im Dezember hatte die EZB die Erwartungen sehr stark enttäuscht, die teilweise auch von Äußerungen der Zentralbanker gefüttert worden sind. Im Januar hat Mario Draghi gesagt, dass die EZB ihre Politik im März überprüfen wird und auch jüngste Äußerungen haben schon wieder hohe Erwartungen hervorgerufen. Halten Sie die aktuelle Kommunikation der EZB für problematisch und haben sie das Gefühl, dass diese Äußerungen die EZB zum Handeln zwingen können?

Weidmann:
Natürlich beeinflusst eine Notenbank mit ihrer Kommunikation Markterwartungen, vor allem in einem Umfeld wie dem, in dem wir uns jetzt befinden, in dem die geldpolitischen Ausrichtungen dies- und jenseits des Atlantiks trotz der jüngsten Korrekturen unterschiedlich bleiben. Insofern wird natürlich jeder, der sich äußert - und ich äußere mich ja auch - in einer gewissen Weise Einfluss auf die Erwartungen nehmen. Doch das ist für uns nicht der Maßstab unseres geldpolitischen Handelns. Nur weil Sie etwas erwarten, sollten wir das noch lange nicht tun und dann muss man eben unter Umständen auch in Kauf nehmen, dass es auf den Finanzmärkten ruckelt, wenn Enttäuschungen produziert werden. Wir sollten nicht zu sehr auf die kurzfristigen Wirkungen unseres Handelns auf die Finanzmärkte schielen.

Frage:
Sie haben gesagt, dass Sie die aktuelle Politik der EZB als riskant ansehen. Wie fühlen sie sich im EZB-Rat, wie sehen Sie Ihre Rolle und haben Sie das Gefühl, dass Ihre Stimme gehört wird?

Weidmann:
Ich fühle mich wohl im EZB-Rat. Wir haben genügend Diskussionsstoff und ich habe nicht die Sorge, dass meine Argumente nicht gehört werden. Das heißt nicht, dass wir alle immer einer Meinung sind, aber das wäre auch schade. Dann könnten wir auch zu Hause bleiben und die Entscheidungen delegieren. Sehen Sie sich das PSBP-Programm an. Es hat etwa in Bezug auf die Haftung einen ganz entscheidenden Unterschied zu den bisherigen Staatsanleihen-Kaufprogrammen, der im Wesentlichen auf die Diskussion im EZB-Rat zurückzuführen ist und auf die Sorgen einiger EZB-Ratsmitglieder, zu denen ich mich dazuzähle. Wenn Sie die öffentlichen Äußerungen mancher Kollegen sehen, dann sehen Sie, dass es eher ein Kontinuum der Meinungen gibt und dass es nicht nur den Weidmann gibt und dann die anderen Mitglieder. Es gibt also unterschiedliche Meinungen und am besten diskutiert es sich mit denen, die eine andere Meinung haben als man selbst. Insofern sind die Diskussionen im Rat immer spannend.

Frage:
Wie groß sehen Sie die Gefahr einer Rückkehr der Eurokrise? Es gibt jetzt auch in Portugal eine Regierung, die die Reformen zurückdrehen will, in Spanien große politische Unsicherheiten und in Italien werden die Defizitziele in Frage gestellt.

Weidmann:
Das ist genau die Problematik, die ich immer versuche zu betonen. Wenn der Eindruck entsteht, dass immer wieder die Geldpolitik in die Bresche springt und die Haushaltsregeln nicht die Bindungswirkung haben, die sie eigentlich haben sollten und wenn die Marktdisziplinierung ausgeschaltet wird, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn das zumindest Entwicklungen befördert, die nicht im Einklang stehen mit den Stabilitätserfordernissen der Währungsunion. Und man kann es sich dann auch leisten, eine andere Politik zu verfolgen. Das halte ich durchaus für problematisch und für ein Risiko in der Währungsunion. Deswegen müssen wir darauf schauen, was einzelne Länder machen und dazu gehört die Frage, inwieweit Spanien und Portugal den bisherigen Konsolidierungskurs fortsetzen und weitere Strukturreformen implementieren. Dazu gehört auch die Frage, wie die Kommission im Falle Italiens mit den Haushaltsregeln umgeht und inwieweit sich Italien an diese Regeln gebunden fühlt angesichts einer Staatsschuldenquote, die nicht unerheblich ist. Die Antwort darauf kann nicht sein, dass die risikoadäquate Bepreisung von Staatschulden nicht akzeptiert und die Regulierungsänderung ablehnt wird, die auch die Bundesbank vorschlägt. Durch diese soll eine Verzerrung beseitigt werden, die mit Finanzstabilitätsrisiken verbunden ist und auch die Kreditvergabe an private Haushalte belastet. Die Antwort muss sein, einen soliden Haushalt zu haben, damit auch die Zinszahlungen für das entsprechende Land zu schultern sind.