Editierte Abschrift der Frage- und Antwortrunde anlässlich der Jahrespressekonferenz am 23.02.2017
Frage:
Von deutschen Ökonomen kamen zuletzt vermehrt Forderungen, zunächst die Negativzinsen abzuschaffen, selbst wenn das Anleihekaufprogramm noch läuft. Für die Bilanz der Bundesbank wäre das ja nicht so gut. Wären Sie trotzdem dafür? Und die zweite Frage: Wäre es nicht nötig, auch für die wachsenden TARGET2-Salden eine Risikorücklage zu bilden?
Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:
Wir sollten die Geldpolitik nicht mit Blick auf die bilanziellen Wirkungen ausgestalten und uns bei der Frage, wie der Exit aus der aktuellen Geldpolitik ausgestaltet sein wird, von den bilanziellen Auswirkungen frei machen müssen. Hinter der derzeit umfassend expansiven Ausrichtung der Geldpolitik stehen ganz unterschiedliche Instrumente, von der Vollzuteilung über die Leitzinsen bis zu den Staatsanleihekäufen und anderen Instrumenten. Wie Sie wissen, sehe ich Staatsanleihekäufe, gerade in der Währungsunion, besonders kritisch. Insofern können Sie sich ausmalen, wie meine Präferenzen aussähen.
Zu Ihrer zweiten Frage: Unser Basisszenario ist der Fortbestand der Währungsunion. In diesem Basisszenario sind die TARGET2-Salden nicht verlustträchtig. Denn die TARGET2-Salden sind nur dann mit einem Risiko verbunden, wenn man davon ausgeht, dass ein Land die Währungsunion verlässt, welches TARGET2-Verbindlichkeiten gegenüber der EZB aufweist. Ein solcher Prozess hängt letztlich vom Willen und der Fähigkeit des entsprechenden Landes ab, diese Verbindlichkeiten zu begleichen. Deshalb gehen wir in der Bilanz davon aus, dass die Währungsunion bestehen bleibt und planen keine Rückstellungen für die TARGET2-Salden. Die TARGET2-Forderungen der Bundesbank wären auch nicht die relevante Größe. Es kommt auf die TARGET2-Verbindlichkeiten eines austretenden Landes an. Die Verluste, die daraus entstünden, würden nach den Kapitalanteilen auf die verbleibenden Mitglieder des Euro-Raums aufgeteilt. Es würde also Länder mit Verbindlichkeiten genauso betreffen wie Länder mit Forderungen gegenüber der EZB.
Frage:
Die Geldpolitik scheint ihr Geschäftsmodell abzuschaffen. Wenn man sich in Ihrer Aufstellung genau anschaut, woher der Zinsüberschuss kommt, sind die Negativzinsen die einzige Größe, die länger Bestand haben können. Das alte Anleihekaufprogramm [SMP-Programm] läuft langsam aus, für TARGET2 erhalten Sie jetzt schon nichts mehr. Droht Ihnen da nicht ein Verlust? Könnte es passieren, dass sie durch die Geldpolitik gezwungen werden, etwas Negatives auszuweisen? Könnten Sie die Höhe des Altersvorsorgeeffekts beziffern? Meine dritte Frage betrifft den Basel III-Abschluss: Wird da noch etwas kommen oder werden die Gespräche weiter auf Eis liegen? Selbst wenn es zu einem Abschluss kommt, wirksam wird dieser erst, wenn die Parlamente zugestimmt haben, darunter auch der amerikanische Kongress, der das in der Vergangenheit nicht immer gemacht hat. Kann es nicht sein, dass es dann doch zu unterschiedlichen Regulierungen kommt?
Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:
Es ist nicht unser Geschäftsmodell, einen Gewinn für den Finanzminister zu produzieren. Unser Geschäftsmodell ist, ein öffentliches Gut bereitzustellen – und dieses öffentliche Gut heißt Preisstabilität. Daran müssen Sie uns messen. Aber Sie haben Recht, bei Zinsentwicklungen, die nicht unwahrscheinlich sind, drohen Verluste, und deshalb bilden wir jetzt Rückstellungen. Aufgrund der Veränderungen in der Bilanz müssen wir davon ausgehen, dass wir, abhängig vom Zinsverhalten in der Zukunft, weniger Gewinne oder sogar Verluste haben werden. Und genau für diese Zeit sorgen wir jetzt maßvoll und vorausschauend vor. Das ist im Übrigen keine Besonderheit der Bundesbank, auch andere Notenbanken im Eurosystem haben Wagnisrückstellungen aufgebaut. Im Vergleich zur Bilanzsumme liegen wir eher im Mittelfeld. Auch Zinsänderungsrisiken sind anderen Notenbanken nicht unbekannt. Betroffen sind die Notenbanken im Eurosystem, die auf ihrer Aktivseite umfassende Positionen aufgebaut haben, die sehr niedrig rentieren. Was Basel III angeht, ist meine Grundannahme immer, dass alle, die am Tisch sitzen, auch die Entscheidungen umsetzen. Das muss die Grundvoraussetzung sein. Die Implementierungsbereitschaft bei den einzelnen Verhandlungspartnern kann ich nicht absehen. Im Moment finden keine Gespräche statt, weil wir auf die Verhandlungspartner warten, insbesondere die amerikanischen, die ihre Position noch definieren müssen. Die Schlussfolgerung kann aber nicht sein, dass man die Regulierung komplett zurückdreht oder sagt: "Dann machen wir auch nichts."
Die erste Feststellung ist, dass die Regulierung grundsätzlich sinnvoll ist. Die zweite Feststellung ist, wir wollen einen fairen Wettbewerb und ein Level Playing Field auf internationaler Ebene. Zu den Rückstellungen wird Herr Thiele weiter ausführen.
Carl-Ludwig Thiele, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank:
Die Pensionsrückstellungen sind insbesondere aufgrund erhöhter Trendannahmen, nämlich Gehalt- und Rententrend, um 400 Millionen auf 5,1 Milliarden Euro gestiegen.
Frage:
Wo stehen wir am Ende des Jahres 2017, wenn das Programm der EZB ausläuft? Zweitens, sehen Sie keine Risiken für die Bundesbank angesichts der wachsenden TARGET2-Forderungen? Drittens, denken Sie, wenn ein Land austreten sollte, auch wenn das nicht Ihr Basisszenario ist, dass dieses Land oder die Notenbank die TARGET2-Schulden zurückzahlen würde? Und zum Schluss, was würden Sie davon halten, wenn die TARGET2-Salden, wie in Amerika üblich, am Jahresende in irgendeiner Form ausgeglichen würden?
Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:
Zunächst zu Ihrer Frage nach den TARGET2-Forderungen: Wir gehen davon aus, dass TARGET2-Verbindlichkeiten im Falle eines Austritts beglichen werden, diese Grundannahme hat EZB-Präsident Mario Draghi in seinem Brief an zwei Europaabgeordnete vor kurzem nochmal deutlich unterstrichen. Wir haben eine Forderung, die EZB hat eine Forderung, auf die sie natürlich nicht verzichten darf. Das muss die Grundannahme sein. Wie das dann in der Praxis aussieht, inwieweit eine Regierung dann willens und fähig ist, diese Forderung zu begleichen, steht auf einem anderen Blatt. Aber wenn überhaupt liegt das Risiko nicht in den Forderungen, die wir gegenüber der EZB haben, sondern in den Verbindlichkeiten eines Landes, dass die Währungsunion verlässt. Im Übrigen werden Sie in unserer Bilanz sehen, dass die TARGET2-Forderungen und -Verbindlichkeiten nicht der einzige Ausgleichsposten sind, den wir abbilden. Wir haben einen ähnlichen Posten, der sich aus dem Bargeldumlauf ergibt: Da weist wiederrum die Bundesbank Verbindlichkeiten gegenüber dem Eurosystem auf, weil bei uns mehr Bargeld abgerufen wird, als es der Wirtschaftskraft im Großen und Ganzen entspricht. Diese Verbindlichkeiten sind nicht unerheblich. Diese beiden Posten müssten in dem Fall, dass ein Land die Währungsunion verlässt, saldiert werden. Unser Basisszenario muss aber der Fortbestand der Währungsunion sein. Das haben wir mit den Wirtschaftsprüfern sehr ausführlich diskutiert, die die Bilanz ohne Einschränkungen testiert haben. Eine Besicherung der TARGET2-Salden wie in den USA ist ein Modell, das sich auf den Euro-Raum nicht übertragen lässt. In normalen Zeiten wird die amerikanische Geldpolitik vor allem über Käufe von Schuldanleihen des Zentralstaates implementiert. Unsere Geldpolitik wird in Normalzeiten, wenn man vom APP absieht, durch revolvierende Wertpapierpensionsgeschäfte sichergestellt, also schon mal ein wesentlicher Unterschied. Das ändert sich jetzt in einer gewissen Weise durch das APP, aber der wesentliche Unterschied, der trotzdem noch fortbesteht, ist, dass im Euro-Raum eben kein Aktivum gekauft wird, nämlich Anleihen des Zentralstaats, sondern unterschiedliche Aktiva sehr verschiedener Kreditqualität, die wir bei der Ausgestaltung des PSPP bewusst auf der Bilanz der jeweiligen nationalen Notenbank gelassen haben. Die TARGET2-Forderungen sind eine Forderung gegenüber der EZB. Die EZB ist ein verlässlicher Schuldner. Ob sich die Situation verbessert, wenn man diese Forderungen beispielsweise gegen Wertpapiere eines Euro-Raum-Staates tauscht, darüber kann man diskutieren. Würde es Sie beruhigen, wenn wir statt dieser Forderung beispielsweise italienische, spanische oder portugiesische Staatsanleihen in unserer Bilanz hielten? Ich habe lieber eine Forderung gegenüber der EZB. Über den Zusatznutzen einer Besicherung kann man sich streiten, zumal damit eine Signalwirkung verbunden ist, und die Werthaltigkeit im Exit-Fall, den Sie unterstellen, hinterfragt werden kann. Die Frage der Werthaltigkeit und der Durchsetzbarkeit dieser Besicherung ist entscheidend.
Frage:
Wie hat Finanzminister Wolfgang Schäuble auf das Zahlenwerk der Bundesbank in diesem Jahr reagiert? Was heißt das Zinsänderungsrisiko für die Bundesbank im Verlauf, denn an dieser neuen Situation ändert sich so schnell nichts. Müssen wir uns auf weiter steigende Risikovorsorge in den nächsten Jahren einstellen? Müssen Sie dann irgendwann an die Goldreserven, um das abbilden zu können?
Der EZB-Rat hat unlängst entschieden, die Regelungen für die Bonds-Käufe zu lockern. Wie schwierig ist es mittlerweile für die Bundesbank, das Anleihekaufprogramm umzusetzen? Notfalls soll ein Ankauf von Papieren mit einer Rendite von unter -0,4 % erlaubt sein. Wie oft tritt denn der Notfall bei Ihnen ein?
Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:
Angesichts der relativ guten Haushaltslage des Bundes ist die Reaktion des Finanzministers nicht besonders emotional ausgefallen. Das ist im Moment nicht das zentrale Thema für ihn. Um den Blick etwas in die Zukunft zu weiten, das Zinsänderungsrisiko wird angesichts der Duration unserer Portfolios auf der Aktivseite ein Thema sein. Im Gegensatz zu einem Kreditrisiko oder einem Ausfallrisiko, das sich realisiert hat, wird das Zinsänderungsrisiko uns über die Zeit immer wieder in die Gewinn- und Verlustrechnung hineinspielen. Diese Minderung der Erträge wird sich über mehrere Jahre hinziehen, sodass Sie Recht haben mit der Erwartung, dass wir auf der nächsten Bilanzpressekonferenz erneut unsere Wagnisrückstellungen aus Zinsänderungsrisiken aufstocken werden müssen. Wie sich dann allerdings das Gesamtbild der Wagnisrückstellungen darstellt, ist eine offene Frage, weil wir nicht nur Zinsänderungsrisiken haben, sondern auch Wechselkursrisiken oder Kreditrisiken. Die Rückstellung für Zinsänderungsrisiken ist maßvoll und vorausschauend. Wir strecken den Aufbau zunächst über zwei Jahre und das spricht dafür, dass wir im nächsten Jahr einen weiteren Aufbau sehen werden.
Die Umsetzung des PSPP ist einfacher geworden, weil wir jetzt auch unterhalb des Einlagensatzes kaufen und auch am kürzeren Ende des Marktes aktiv sind. Diese Käufe führen aber dazu, dass es in Bezug auf die Implementierung des PSPP bis zum Ende der Laufzeit keine Engpässe bei Bundesanleihen geben wird.
Frage:
Sie haben einen Kommentar von EZB-Direktoriumsmitglied Yves Mersch angesprochen, der die Frage aufgeworfen hat, wann wir wieder geldpolitisch vom Gas gehen sollten. Erwarten Sie, dass der EZB-Rat im März über diese Thematik diskutieren und eine Entscheidung diesbezüglich treffen wird?
Herr Thiele hat gesagt, dass sich zum Ende des 4. Quartals offene Zinspositionen in Höhe von etwa 300 Milliarden Euro in der Bilanz befinden. Auf welcher Lücke bewegen sich die Rückstellungen? Mit welcher Lücke in welchem Zeithorizont rechnen Sie und inwieweit kann man ausrechnen, wieviel an Zinserhöhung sozusagen versichert ist?
Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:
Wir gehen davon aus, dass sich die offene Zinsposition durch die Käufe in diesem Jahr auf ungefähr 500 Milliarden Euro ausweiten wird, und dass wir dann am Ende nächsten Jahres über die verschiedenen Zinspfade, die man sich vorstellen kann, ein Zinsänderungsrisiko in der Bilanz haben. Wir modellieren letztlich den Zeitreihenprozess der Zinsen mit einem ARIMA-GARCH-Modell. Aus diesem Modell generieren wir 20.000 verschiedene Szenarien für Zinspfade. Dann schauen wir uns die Zinspfade an, die in Bezug auf unsere Gewinn- und Verlustrechnung die schlechtesten Ergebnisse bringen und wenden die Risikomaße entsprechend an. Um nochmal klar zu stellen – wir verbinden mit diesen Rückstellungen keine Prognose von geldpolitischen Entscheidungen und wir unterstellen keinen einzelnen Zinspfad. Wir lassen den Zufall die Spannbreite möglicher Entwicklungen aufzeigen. Wir schauen uns dann beispielsweise das schlechteste Prozent an und bemessen das Risiko mit den üblichen Risikomaßen, also Value at Risk oder Expected Shortfall. Ein vorausschauendes Element bezüglich dieser Rückstellung für Zinsänderungsrisiken ist, dass wir nicht nur dieses Jahr, das durch die Forward Guidance in einem gewissen Maße abgedeckt ist, sondern bis Ende nächstes Jahr schauen, wie sich die Bestände entwickeln können. Dann strecken wir das auf die zwei Jahre. Das ist in möglichst einfachen Worten die Methodik der Berechnung der Zinsänderungsrisiken beziehungsweise der Rückstellungen dafür. Dafür gibt es nicht nur eine Methodik, die man anwenden könnte. Wir versuchen, unsere Ergebnisse dadurch mit einer gewissen Robustheit zu versehen, dass wir verschiedene Methoden und auch verschiedene Maße anschauen.
Zur Geldpolitik: Auf der einen Seite konzediere ich, dass angesichts des gedämpften binnenwirtschaftlichen Preisdrucks eine expansive Geldpolitik gerechtfertigt ist. Aber Sie wissen, dass ich bestimmte unkonventionelle Maßnahmen, insbesondere die Staatsanleihenkäufe, besonders kritisch sehe. Die Verlängerung des APP-Programms beispielsweise habe ich nicht mitgetragen. Das bedeutet nichts anderes, als dass ich auch bereit gewesen wäre, einen geringeren Expansionsgrad der Geldpolitik zu akzeptieren. Nun haben wir ein Ziel, und zwar eine Preissteigerungsrate von mittelfristig knapp unter 2% zu erreichen. Was die mittlere Frist ist, ist aber nie im Detail spezifiziert worden, auch weil die Wirkungsverzögerung von geldpolitischen Impulsen über die Zeit variieren kann, oder weil Schocks, die auf eine Volkswirtschaft einwirken, zu sehr unterschiedlichen Effekten führen. Es ist auch eine Frage, wie schnell man eigentlich zu diesem Ziel von Preisstabilität zurückkehren möchte. In diversen Pressekonferenzen von Mario Draghi wurde das Ziel als nachhaltiger Preisauftrieb oder selbsttragender Preisauftrieb spezifiziert. Selbsttragend heißt aus meiner Sicht, dass diese Preisentwicklung vor allem einen zunehmenden binnenwirtschaftlichen Preisdruck widerspiegelt. Das führt zu der Frage, wie weit man Preiszweitrundeneffekte sieht, aber auch zu der Frage, für wie effektiv man die einzelnen geldpolitischen Maßnahmen hält, und zu der Frage, inwieweit man davon ausgeht, dass die Wirksamkeit der sehr lockeren Geldpolitik mit der Zeit abnimmt. Und es führt zu einer Diskussion über Risiken und Nebenwirkungen.
Der zweite wichtige Punkt in diesem Kontext ist die Frage, inwieweit die Rücknahme der sehr expansiven Geldpolitik – wir reden ja nicht über eine geldpolitische Vollbremsung, sondern darüber, einen sehr expansiven geldpolitischen Kurs, etwas weniger expansiv auszugestalten – die Preisentwicklung dämpft. Inwieweit eine Änderung im Expansionsgrad die Preisentwicklung dämpft, hängt auch davon ab, inwieweit eine Straffung des geldpolitischen Kurses beispielsweise von den Märkten erwartet wird und sich schon in der Prognose wiederfindet. Insofern beinhaltet die Prognose schon jetzt die Markterwartung, dass das APP-Programm beispielsweise nicht verlängert wird. Das sind zumindest die Erwartungen, die aus den Umfragen folgen, die einige von Ihnen immer machen. Oder wenn Sie sich die Forward Rates bei den Zinsen anschauen, dann sehen Sie, dass dort über einen etwas längeren Horizont ein Anstieg eingepreist ist.
Das ist die Diskussion, die man dann führen muss. Und dann spielt es eine Rolle, dass wir eine Vielzahl von Instrumenten haben, die derzeit den Expansionsgrad der Geldpolitik bestimmen. Abschließend weise ich immer darauf hin, dass die Geldpolitik durch den Anstieg der Inflationsrate automatisch expansiver geworden ist, weil die Realzinsen gesunken sind. Auch bei den Anlagekäufen muss man sich darüber unterhalten, was eigentlich die Wirkung der Anleihekäufe bestimmt: der Bestand oder die Flows? Das ist die geldpolitische Diskussion, die wir dann vielleicht auch mit unterschiedlichen Sichtweisen im EZB-Rat führen. Aber diese Diskussion vorwegzunehmen oder zu prognostizieren, das habe ich noch nie gemacht und da sehe ich heute auch keinen Anlass. Wir prognostizieren die Konjunktur und unsere Risiken, aber nicht das Verhalten der Kollegen [im EZB-Rat].
Frage:
Mich interessiert, wie Sie zu Ihrer Einschätzung der Zinsänderungsrisiken gelangen. Dies ist ja sicher keine einsame Entscheidung nach Auswertung der Modelle, es gibt doch sicherlich einen Dialog, beispielsweise mit den Wirtschaftsprüfern? Wie schätzt die Bundesbank die Zinsänderungsrisiken dieses und nächstes Jahr ein? Die zweite Frage bezieht sich auf den Brexit. Sie hatten in Ihrer Rede gesagt, dass es gar nicht so schlecht gelaufen ist, weil Aufsicht und Notenbanken klug gehandelt haben. Könnten Sie uns die wichtigsten Aspekte noch einmal nennen, die Sie als klug einschätzen?
Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:
Es ist keine politische Entscheidung, die wir im Vorstand treffen, sondern es ist zunächst eine technische Entscheidung, die die Kollegen aus dem Risikocontrolling vorbereiten, indem sie verschiedene Modelle mit verschiedenen Kalibrierungen laufen lassen. Sie spannen eine Bandbreite auf, wie sie im Übrigen auch bei anderen Risiken angewandt wird. Wir orientieren uns dabei am mittleren Bereich. Man kann sich auch noch andere Szenarien vorstellen, die natürlich auch daraus resultieren, dass ein möglicher Verkauf dieser Papiere zu substanziellen Marktwertverlusten führen könnte. Insofern würde ich sagen, dass wir eine vorausschauende und maßvolle und –wie Sie es von der Bundesbank gewohnt sind– auch konservative Bewertung anlegen. Wenn man allerdings nicht nur auf die Zinsänderungsrisiken schaut, weil die Zinsänderungsrisiken nur bei wenigen Notenbanken im Eurosystem anfallen, stellen Sie fest, dass bei anderen Notenbanken eher andere Risiken dominieren, beispielsweise Kredit- oder Ausfallrisiken. Sie werden feststellen, dass die Bundesbank in Bezug auf die Rückstellungen für allgemeine Wagnisse relativ zur Bilanzsumme keine exotische Position einnimmt, sondern sich in einem vernünftigen Mittelfeld bewegt. Wobei man die Zahlen auch nicht wirklich hundertprozentig vergleichen kann, weil die Rechtslage in den einzelnen Ländern unterschiedlich ist und eine Rückstellung oder auch Deckungszusage des Finanzministeriums unterschiedliche Wirkungen haben.
Zur Frage zum Brexit: Was ich vor allem meinte ist, dass die Finanzmärkte diese Überraschung relativ gut verkraftet haben und die Banken gut vorbereitet waren. Die Eigenkapitalpositionen der Banken sind im Nachgang der Finanzkrise deutlich aufgebaut worden, wobei sich das Eigenkapital auch in seiner Qualität verbessert hat. Es gab im Vorfeld auch einen sehr intensiven fachlichen Austausch in Bankensystem und auch mit den Aufsehern über mögliche Risiken, die sich aus einem solchen Szenario ergeben. Allerdings bedeutet aus meiner Sicht die Tatsache, dass wir keine größeren Marktturbulenzen gesehen haben, oder dass die britische Wirtschaft in Reaktion auf die Brexit-Entscheidung nicht eingebrochen ist, auch nicht, dass diese Entscheidung ohne wirtschaftliche Folgen wäre. Es kann durchaus sein, dass wir diese Folgen in der Zukunft noch sehen werden.
Frage:
Sie haben darauf hingewiesen, dass Freihandel und Bankenregulierung zwei wichtige Themen sein werden bei der G20-Konferenz in Baden-Baden. Was für eine Diskussion erwarten Sie mit dem neuen amerikanischen Finanzminister in Baden-Baden?
Die zweite Frage: Sehen Sie jetzt eine Wende der geldpolitischen Richtung in den wichtigen Industrieländern (Euro-Länder, Bank of Japan) und ist die Zeit des extremen Quantitative Easing (QE) nach dem Motto "je größer desto besser"
als Heilmittel langsam vorbei? Oder ist es zu früh, so etwas zu sagen?
Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:
Eine geldpolitische Wende beobachte ich in den USA, aber nicht in den beiden anderen Währungsräumen, die Sie angesprochen haben. Das Auseinanderdriften der geldpolitischen Ausrichtung ist zumindest konsistent mit der unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklung. In den USA ist sie deutlich solider als in den beiden anderen Währungsräumen, in Europa und Japan. Wir hatten vor kurzem die Themen für die deutsche G20-Präsidentschaft vorgestellt, daher wollte ich das nicht wiederholen. Aber nachhaltiges Wachstum ist natürlich ein wichtiges Thema, Digitalisierung wird auch eine Rolle spielen. Einige von Ihnen waren auf der Digitalisierungskonferenz, die die Bundesbank in Wiesbaden ausgerichtet hat. Und was die amerikanischen Kollegen angeht, werden wir alle mit Spannung darauf warten, was wir dort von ihnen erfahren. Aber ich werde jetzt nicht darüber spekulieren, was sie auf unserem G20-Finanzminister- und Notenbank-Gouverneurs-Treffen in Baden-Baden ausführen werden. Dafür ist es noch zu früh, vielleicht müssen die amerikanischen Kollegen ihre Position auch selbst noch finden. Auf der Seite meiner Kontakte in der amerikanischen Notenbank hat sich bislang nicht viel geändert.
Frage:
Im Haushalt hatte das Finanzministerium 2,5 Milliarden eingestellt, die Überweisung von der Bundesbank wird jetzt deutlich geringer ausfallen. Dies wird wahrscheinlich wieder politische Diskussionen um die EZB-Politik anheizen. Wie bewerten Sie das? Meine zweite Frage: Müssen nicht auch Banken und andere Akteure stärker für Zinsänderungen vorsorgen, so wie die Bundesbank? Sehen Sie sich als Vorbild für Andere? Meine letzte Frage: Im letzten EZB-Protokoll ist von einem Trade-off zwischen einer Abweichung vom Kapitalschlüssel und stärkeren Käufen unterhalb des Einlagesatzes die Rede. Wie ist Ihre Meinung?
Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:
Wir vergleichen uns nicht mit Geschäftsbanken, da wir ein anderes Ziel verfolgen. Wir auch kein Vorbild für Geschäftsbanken, aber wir erwarten im Rahmen der Aufsicht, dass die Banken mit den Zinsänderungsrisiken in ihren Bilanzen vorausschauend umgehen.
Wir haben im EZB-Rat Parameter festgelegt, die das ankaufbare Universum des APP insbesondere des PSPP einschränken. Aus meiner Sicht sind bestimmte Parameter wichtiger als andere. Sie dienen dazu, den sehr wichtigen Abstand zur monetären Staatsfinanzierung einzuhalten, und tragen dazu bei, dass wir keine falschen Anreize setzen, indem wir vor allem Anleihen der Länder kaufen, die besonders viele Schulden haben, und dadurch Finanzminister für die Defizite der Vergangenheit belohnen. Ich halte die Emittenten- und Emissionslimits für sehr entscheidend, damit das Eurosystem keine dominierende Stellung am Markt für Staatsanleihen einnimmt. Wir sollten den Abstand zur monetären Staatsfinanzierung wahren. In diesem Zusammenhang ist für mich auch der Kapitalschlüssel sehr wichtig.
Ihre letzte Frage ist hypothetisch. Wir können die Geldpolitik nicht an den bilanziellen Auswirkungen für die Bundesbank festmachen. Die Diskussion, die Sie beschreiben, gibt es ohnehin, unabhängig von dieser Bilanzpressekonferenz. Wir treffen unsere Entscheidungen, zum Beispiel ob wir Rückstellungen ausweisen oder nicht, unabhängig von möglichen öffentlichen Diskussionen.
Frage:
Herr Weidmann, Sie haben in Ihrer Rede die Arbeitsmarktreform Mitte der 2000er Jahre gelobt. Ist es richtig, dass Sie es nicht begrüßen würden, wenn man diese Reform jetzt zurückfahren oder teilweise zurückfahren würde?
Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:
Wir können bestimmte wirtschaftspolitische Entscheidungen nur aus geldpolitischer Sicht bewerten. Für die Wirksamkeit der Geldpolitik ist aber auch wichtig, dass wir einen robusten Aufschwung haben und dass der Wachstumspfad nicht ständig weiter sinkt. Die Tatsache, dass Deutschland so gut durch die Krise gekommen ist, hängt mit verschiedenen Faktoren zusammen. Auf der einen Seite haben sicherlich die Reformen, die Sie gerade angesprochen haben, dazu beigetragen. Auf der anderen Seite hat eine Rolle gespielt, dass die Lohnverhandlungen beschäftigungsorientiert geführt worden sind. Zudem waren seit dieser Zeit in den Tarifverträgen mehr betriebliche Öffnungsklauseln möglich, die eine flexiblere Anpassung als Reaktion auf diesen wirtschaftlichen Einbruch erlaubt haben. Damals galt Deutschland als der kranke Mann Europas. Kurz vor der Krise lag die deutsche Arbeitslosenrate im Vergleich zu den anderen Ländern des Euro-Raums am oberen Ende. Inzwischen verzeichnen wir einen Beschäftigungsrekord nach dem anderen. Das hat viele Ursachen, aber mit Blick auf die wirtschaftspolitischen Herausforderungen, vor denen Deutschland steht, würde es nicht helfen, die Hartz-Reform zurückzunehmen. Ich weise immer wieder darauf hin, dass die einzelnen Länder im Euro-Raum vor unterschiedlichen Herausforderungen stehen. In Deutschland ist es eine perspektivische Herausforderung durch die demografischen Belastungen, die jetzt schon absehbar sind, aber partiell überdeckt werden, beispielsweise durch die hohe Migration. Diese demografischen Belastungen – gerade in den sozialen Sicherungssystemen – muss man angehen. Das passiert sicherlich nicht, indem man die vorangegangenen Reformen zurücknimmt. Das hilft auch der Wirksamkeit der Geldpolitik und trägt dazu bei, dass sich die Wirtschaft im Euro-Raum schneller erholt, wie das in Deutschland nach der Krise der Fall war. Letztlich hilft das auch bei der geldpolitischen Normalisierung.
Frage:
Wenn ich es richtig sehe, verfolgt die EZB bei der Frage des Exits die amerikanische Strategie. Also man würde erst das QE-Programm beenden und dann über Zinserhöhungen nachdenken. Können Sie sich auch vorstellen, dass man während des Kaufprogramms beispielsweise schon den Einlagenzins erhöht oder käme das für Sie nicht in Frage?
Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:
Nach meinem Dafürhalten hätte der geldpolitische Expansionsgrad auch geringer ausfallen können. Daher würden Sie von mir keinen vehementen Widerspruch hören, wenn genau das herbeigeführt wird – unabhängig von einer Detail-Diskussion über die Instrumente. Gleichzeitig muss der EZB-Rat aber darauf achten, dass er in seinen Ankündigungen und Beschlüssen konsistent bleibt. Er hat sich nun mal die Forward Guidance gegeben und wenn er sich daran hält, ist damit eine bestimmte Abfolge verbunden.
Der Punkt ist doch, dass ich auch bei den vorangegangenen Beschlüssen immer bereit gewesen wäre, einen etwas geringen Expansionsgrad zu akzeptieren. Wenn Sie mich jetzt fragen, hätten Sie etwas dagegen, wenn wir dahinkommen, dann ist meine Antwort sicherlich nicht Nein. Trotzdem ist es aus Sicht des EZB-Rats wichtig, dass er konsistent und im Rahmen seiner Ankündigungen bleibt und nicht den Eindruck erweckt, dass, was er gestern beschlossen hat, heute nichts mehr wert ist.
Frage:
Herr Weidmann, Sie haben gesagt, dass die Geldpolitik im Moment angemessen ist.
Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:
Das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, dass eine expansive Ausrichtung der Geldpolitik angemessen ist.
Frage:
Könnte man sagen, dass es mehr Einigkeit im EZB-Rat gibt als vor ein paar Jahren und werden Sie sich dafür einsetzen, dass das QE schnell zu Ende geht? Und die zweite Frage: Im Ausland gibt es Sorgen, dass Deutschland besonders von der Geldpolitik und vom niedrigen Eurokurs profitiert. Sehen Sie das genauso und glauben Sie, dass es hierzulande zu viele Sorgen gibt über niedrige Zinsen?
Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:
Sie haben insofern Recht, als die Diskussion im EZB-Rat im Rahmen des PSPP eine andere ist als die, die wir beim SMP oder beim OMT geführt haben. Die vorangegangenen Staatsanleihen-Kaufprogramme zielten vor allem darauf ab, die Anleihen der Länder zu kaufen, die am Markt mit Zinssteigerungen konfrontiert waren und steigende Risikoprämien gesehen haben. Daher war die Stoßrichtung dieser Programme primär, die Risikoprämie zu reduzieren und nicht den risikofreien Zins. Das PSPP ist anders ausgestaltet, auch aufgrund der Diskussionen im EZB-Rat. Wir kaufen nur Anleihen unseres jeweilig eigenen Staates, das heißt durch diese Programme wird auch keine Haftungsvergemeinschaftung für staatliche Ausfallrisiken herbeigeführt. Auf unserer Bilanz stehen lediglich die Papiere des Bundes. Auf der anderen Seite mit den niedrigen Zinsen, über die wir schon diskutiert haben. Es geht bei der Ausgestaltung des Programms eher um den risikofreien Zins und nicht um eine Vergemeinschaftung von staatlichen Ausfallrisiken. Insofern führen wir eine weniger grundsätzliche Diskussion, als wir sie bei den anderen Programmen geführt haben.
Zur zweiten Frage: Diese Debatte haben Sie ja in jedem Land mit einem ganz anderen Vorzeichen. Wenn Sie nach Italien gehen und fragen, wer besonders profitiert, dann heißt es Deutschland. Wenn Sie jemanden in Deutschland fragen, dann heißt es bestimmt, das ist Italien. Und das zeigt meines Erachtens schon, dass diese Debatte nirgendwo hinführt. Die grundlegende Einsicht ist doch, dass eine stabile europäische Gemeinschaftswährung allen im Euro-Raum nutzt. Und das kann sich über die Zeit auch einmal verändern. Die Positionen ändern sich auch mit der Zeit. Erinnern Sie sich an die Anfangsphase der Währungsunion, Deutschland war sozusagen das Sorgenkind. Wir hatten relativ hohe Preissteigerungsraten. Heute hat sich die Situation gedreht, es liegt in der Natur der Sache, dass sich die zyklische Entwicklung in den einzelnen Ländern auch anders darstellen kann. Die Geldpolitik ist für den Euro-Raum angemessen, aber natürlich kann sie für das eine Land zu expansiv und für das andere zu restriktiv sein. Von einem stabilen Euro profitieren alle im Euro-Raum. Natürlich darf ich die Geldpolitik nicht nur aus Sicht eines Sparers bewerten. Wir bewerten die Geldpolitik ausschließlich aus Sicht unseres Ziels, Preisstabilität zu gewährleisten. Das ist unser Kriterium. Und die Bürger haben sicherlich auch unterschiedliche Perspektiven auf die Geldpolitik. Da ist die des Sparers und die Frustration der Sparer kann ich nachvollziehen. Aber es gibt ja auch Menschen, die einen Kredit aufnehmen. Es gibt auch Unternehmen, die investieren, die wieder einen etwas anderen Blick auf die Geldpolitik haben. Zumal ja nicht nur der deutsche Sparer betroffen ist. Auch in Italien ist der risikofreie Zins derzeit niedrig. Interessanterweise ist es so, dass die Realzinsen durch den Inflationsanstieg nochmal deutlich gesunken sind. Aber die Verzinsung für besonders sichere kurzlaufende Anleihen, real ausgedrückt, war auch in der Vergangenheit bereits negativ — auch zu Bundesbankzeiten. Der wichtige Punkt ist, dass diese Phase nicht länger andauert als unbedingt nötig mit Blick auf die Preisstabilität.
Frage:
Herr Weidmann, dass die EZB die Staatsanleihekäufe jetzt für neun Monate oder sogar länger weiterführen möchte, das hat einen Grund, dass man die Märkte nicht beunruhigt, indem man alle zwei Monate den Kurs wechselt: Können Sie das auch mittragen? Und zweitens eher eine politische Frage: Sind Sie besorgt über einen möglichen Erfolg von Marine Le Pen bei den kommenden Wahlen in Frankreich?
Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:
Zur ersten Frage: In Abwägung der Preisperspektiven und der Risiken und Nebenwirkungen habe ich im Dezember diese Erweiterung des Programms nicht mitgetragen. In Bezug auf die möglichen Wahlergebnisse in Frankreich werde ich mich, wie Sie sicherlich nachvollziehen können, nicht äußern. Ich glaube, wenn es darum geht, Wahlen zu prognostizieren, geht unsere Expertise nicht über Ihre hinaus. Ich gehe davon aus, dass auch die nächste französische Regierung zu Europa und hinter dem Euro steht.
Frage:
Die Bundeskanzlerin hat gesagt, dass es den Menschen in Deutschland so gut geht wie noch nie, weil die Wirtschaft so stark ist. Was denken Sie über Kanzlerin Merkels Meinung? Hat sie Recht? Und wie soll die deutsche Regierung den Budgetüberschuss ausgeben? Meine Frage zur Geldpolitik werde ich auf Englisch stellen: Given the strength of the German economy compared with the rest of the Eurozone, it seems quite likely that Germany is going to have to target a period of inflation as high as two percent if the ECB is to remain on track to hit its targets. So would you accept that is likely and, if so, how do you intend to deal with that?
Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:
Ich fange mit der Frage zur Geldpolitik an. Es ist doch klar, dass in einem Land, das fast an der Kapazitätsgrenze operiert, in dem der Arbeitsmarkt weitgehend geräumt ist, der Preisdruck größer ist als in einem Land, das eine hohe Arbeitslosigkeit und eine hohe Unterauslastung der Kapazitäten hat. Das haben wir mit umgekehrten Vorzeichen in der Vergangenheit auch schon gesehen, wo die Preissteigerungsraten in Deutschland unterhalb des Durchschnitts lagen und dafür in anderen Ländern darüber. Es gehört zum Kern der Währungsunion, dass die Preissteigerungsraten die wirtschaftliche Entwicklung widerspiegeln. Die Geldpolitik hat die Preissteigerungsrate im Euroraum insgesamt im Blick. Und das bedeutet auch eine gewisse Streuung um einen Mittelwert herum. In konjunktureller Hinsicht steht Deutschland gut da. Die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie seit vielen Jahren nicht. Deutschland verzeichnet ja auch eine sehr geringe Jugendarbeitslosigkeit, ist damit Vorbild für andere im Euro-Raum. Deutschland hat die Krise rascher überwunden als andere Länder, wächst stärker als der Durchschnitt des Euro-Raums. Der Staatshaushalt ist solide aufgestellt. Auch die Nettoeinkommensungleichheit ist geringer als im OECD-Schnitt wegen der umfangreichen Umverteilung, die in Deutschland stattfindet. Aber dieser positive kurzfristige Befund darf meines Erachtens nicht davon ablenken, dass Deutschland perspektivisch vor großen wirtschaftspolitischen Herausforderungen steht, die angegangen werden müssen. Dabei geht es in erster Linie um den absehbaren demografischen Wandel, aber auch darum dass wir die Flüchtlinge, die zu uns gekommen sind und bleiben dürfen, in den Arbeitsmarkt integrieren müssen. Wir sehen Entwicklungen wie die Digitalisierung, die ganze Branchen umwälzen wird, und wir müssen die Energiewende so gestalten, dass Energie bezahlbar bleibt. Das sind die Herausforderungen, vor denen wir stehen. Wir sollten uns nicht auf der derzeit guten konjunkturellen Lage ausruhen. Zu Ihrer Frage zu den Budgetüberschüssen: Wir sind der Auffassung, dass angesichts der absehbaren demografischen Lasten auch für den Staatshaushalt Budgetüberschüsse angemessen sind. Ich würde zur Kenntnis nehmen, dass der Schuldenstand auch in Deutschland noch über den 60% liegt, die wir in Europa verabredet haben, einzuhalten, und dass wir in Zukunft Lasten sehen werden. Insofern ist ein Überschuss angemessen.
Frage:
Herr Weidmann, die EZB hat beschlossen, unterhalb des Einlagenzinses zu kaufen. Das heißt, dass man Verluste in Kauf nimmt. Wie schaut das bei Ihnen in der Bilanz aus? Haben Sie für solche Verluste vorgesorgt, ist das Teil des Zinsänderungsrisikos oder ein anderer Posten? Was können Sie insgesamt zu diesen Käufen sagen?
Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:
Sie haben Recht. Entscheidend ist für uns im Wesentlichen die Differenz aus Einlagensatz und der Verzinsung der Papiere, die wir kaufen. Wenn wir also unterhalb des Einlagensatzes kaufen, dann bedeutet das für uns einen laufenden Verlust. Das führt beispielsweise dazu, dass wir in der Summe diese Ertragssituation nicht fortschreiben können. Das ist die Folge daraus. Verbunden damit ist die Tatsache, dass die vielen Aktiva, die wir auf unserer Bilanz haben, beispielsweise die Wertpapiere, aber auch die TLTROs [gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte], in der Summe nur einen sehr geringen Ertrag abwerfen, der im Vergleich zu dem, was auf der Passivseite passiert, vernachlässigbar ist. Das sind die laufenden Verluste und die Zinsänderungsrisiken sind der Einfluss dieser Käufe auf die laufende Gewinn- und Verlustrechnung. Die Zinsänderungsrisiken sind eine Zukunftsvorsorge.
Frage:
Eine Frage zu Frankreich. In der Vergangenheit haben Sie sehr oft betont, wie wichtig die Reformen in Frankreich sind. Wie schätzen Sie die aktuellen Debatten im französischen Wahlkampf, was Reformen betrifft, ein? Sehen Sie eine größere Bewusstwerdung über Reformen in Frankreich? Haben Sie eine Präferenz für eines der Programme der Kandidaten?
Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:
Eine Wahlempfehlung wäre eine offensichtliche Überschreitung meiner Kompetenzen, da ich immer dafür werbe, dass sich die Notenbanker auf ihren Kernbereich, nämlich die Geldpolitik, beschränken sollten. Daher können Sie von mir keine wirklich ausführliche Antwort auf Ihre Frage erwarten. Ich muss Ihnen gestehen, ich kenne die Wahlprogramme der französischen Parteien oder Bewegungen nicht. Aber zumindest scheint in Frankreich jemand, der gemeinhin mit Reformen in Verbindung gebracht wird, hohe Zustimmungswerte zu genießen. Dass man mit Reformen, die auf mehr Wachstum zielen, nicht unbedingt die Zustimmung verlieren muss, das ist doch ein gutes Zeichen.