Editierte Abschrift der Frage- und Antwortrunde anlässlich der Jahrespressekonferenz am 03.03.2021

Frage:

Herr Weidmann, mich würde Ihre Reaktion auf den jüngsten Anstieg der Anleiherenditen interessieren. In den vergangenen Tagen hatten sich einige Vertreter der Europäischen Zentralbank angesichts der Entwicklung eher besorgt geäußert. Wie sehen Sie das? Ist das ein Grund zur Sorge? Oder kann man erst einmal durch die Entwicklung schauen? Ist sie nur temporär?

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Das ist eine Entwicklung, die wir ganz genau analysieren müssen. Wir hatten im Dezember vergangenen Jahres das Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) angepasst und diese Anpassung verbunden mit dem Wunsch, günstige Finanzierungsbedingungen zu wahren. Wir wollten dadurch den Abwärtsdruck der Pandemie auf die projizierten Inflationserwartungen im Sinne einer Forward Guidance kontern.

Geht es also darum, Markterwartungen zu steuern und Aufschluss über die Reaktionsfunktion der Geldpolitik zu geben? Diese Ankündigung ersetzt natürlich nicht unser geldpolitisches Ziel. Unser Mandat ist eindeutig. Es geht darum, Preisstabilität zu sichern. Und es geht auch nicht um „Yield Curve“-Control, wie sie die Bank of Japan betreibt, sondern letztlich darum, dass die Finanzierungskosten eine sehr wichtige Indikatorfunktion haben. Und dabei ist mir ein ganzheitlicher Ansatz wichtig. Es geht um die Finanzierungskosten des nichtfinanziellen Sektors, also von Unternehmen, privaten Haushalten und Staaten, die insgesamt in den Blick genommen werden müssen. Es geht nicht nur um eine einzige Größe, sondern um eine ganze Palette von Variablen. Und wenn man es ganz genau nimmt, dann interessiert vor allem der Anstieg der realen Finanzierungskosten. Es ist auch nicht so, dass jeder Anstieg der Finanzierungskosten geldpolitisch ein Problem wäre.

Ich möchte ein Beispiel geben: Wenn die Inflationserwartungen sich nach oben anpassen, was derzeit durchaus geldpolitisch intendiert ist, dann wäre das keine Entwicklung, der wir entgegentreten würden, wenn sich das in den Nominalzinsen widerspiegelt. Aber ganz ähnliche Beispiele können Sie bilden mit Blick auf die realwirtschaftliche Entwicklung, die Fundamentalfaktoren, und die könnten sich verbessern, etwa der Wirtschaftsausblick. Dadurch würden die Realzinsen steigen. Auch das wäre eine Entwicklung, die weniger problematisch wäre.

Wir sehen gerade, dass vor allem der Anstieg der nominalen Zinsen aus den USA in den Euroraum überschwappt und die Staatsanleiherenditen gestiegen sind. In der Breite gilt das für die Finanzierungskosten des nichtfinanziellen Sektors weniger. Insofern würde ich sagen, das betrifft derzeit eher die ersten Stufen des geldpolitischen Transmissionsprozesses. Kurzum: Wir sollten die Entwicklung im Auge behalten und genau die Hintergründe analysieren. Wir sind grundsätzlich jederzeit in der Lage, die Volumina des PEPP flexibel anzupassen. Aber aus meiner Sicht sehen wir noch keine durchgreifende Verschlechterung der Finanzierungsbedingungen. Die Finanzierungsbedingungen sind im historischen Vergleich weiterhin sehr günstig.

Frage:

Herr Weidmann, ich habe zwei Fragen: Wie real schätzen Sie die Gefahr ein, dass sich Notenbanken dem Druck der Politik beugen und irgendwann Schulden erlassen, zumindest ein bisschen? Und zweitens, zum Stichwort sieben Jahre negativer Einlagenzins in der Eurozone: Der IWF hat dieses Instrument sehr positiv bewertet. Was ist Ihre Meinung dazu?

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Ich fange mit der ersten Frage an. Wie ausgeprägt ist die Gefahr der fiskalischen Dominanz? Aus meiner Sicht geht es darum, dass wir in der Währungsunion mit ihren Besonderheiten nicht in die Situation kommen sollten, in der wir letztlich nur zwischen zwei Alternativen wählen können, nämlich auf der einen Seite die Finanzierungskosten für Staaten dauerhaft niedrig zu halten, oder auf der anderen Seite Folgen für die Finanzstabilität zu akzeptieren, die aus der hohen Staatsverschuldung und steigenden Finanzierungskosten resultieren. Das wäre mit einer Stabilitätsunion nur schwer vereinbar. Insofern glaube ich, dass fiskalische Dominanz ein Thema ist, das die Notenbanken weltweit umtreibt, weil die Entwicklung stark gestiegener Staatsschulden nicht nur eine des Euroraums ist. Im Euroraum zeigt sich aber eine sehr heterogene Entwicklung, die mir Sorgen macht, und die wir im Blick behalten müssen. Deswegen ist es wichtig, dass wir nach der Pandemie wieder zu soliden Haushalten zurückfinden und auch die Fiskalregeln stärken.

Zur zweiten Frage: Der Einlagensatz bzw. die geldpolitischen Leitzinsen sind eines von vielen geldpolitischen Instrumenten, die wir in der Krise angewandt haben. Nach unserer Einschätzung haben wir noch nicht die sogenannte „Reversible Rate“ erreicht, also den Zinssatz, ab dem weitere Senkungen kontraproduktiv wären. Insofern ist das ein Instrument unseres Instrumentenkastens. Allerdings darf man nicht aus dem Blick verlieren, dass das Niedrigzinsumfeld auch mit Risiken für die Finanzstabilität verbunden sein kann, die wiederum auf die Preise zurückwirken.

Frage:

President, you said that “after the pandemic, the emergency monetary policy measures must be terminated”. What do you mean by “after the pandemic” as the pandemic will have strong lasting effects on inflation and growth?

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Das ist eine Kernfrage, nicht nur für die Geldpolitik, sondern auch für die Fiskalpolitik: Wann können wir davon ausgehen, dass die Krise überwunden ist und aus dem Notfallmodus aussteigen? Ökonomen schauen normalerweise auf die Kapazitätsauslastung. Das ist aber schwierig, weil das Produktionspotenzial nicht direkt beobachtet werden kann und weil die Auswirkungen der Pandemie auf das Produktionspotenzial sehr unsicher sind. Insofern wäre mein Ansatz ein anderer: Eine der Grundvoraussetzungen für die wirtschaftliche Erholung ist, dass die Pandemie medizinisch überwunden wird.

Der zweite Punkt wäre aus meiner Sicht, dass die Eindämmungsmaßnahmen Schritt für Schritt zurückgenommen werden und kein Hemmschuh mehr für die wirtschaftliche Entwicklung besteht. Unter diesen beiden Voraussetzungen kann man argumentieren, dass wir zurück auf dem Pfad der Normalauslastung sind.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass die Ausstiegspfade für die Geld- und Fiskalpolitik durchaus unterschiedlich aussehen können. Aufgrund der Besonderheiten dieser Pandemie und der viel zielgerichteteren Instrumente der Fiskalpolitik ist es mir besonders wichtig, dass die fiskalpolitische Stützung der Wirtschaft nicht zu früh zurückgenommen wird. Vermutlich kommt der Punkt der Normalisierung oder des Ausstiegs aus den Krisenmaßnahmen für die Fiskalpolitik etwas später als für die Geldpolitik.

Letztlich müssen wir schauen, ob die Wirtschaft ohne die Eindämmungsmaßnahmen und ohne die Unterstützungsmaßnahmen im Bereich der konjunkturellen Normalauslastung liegt. Als wichtigen Indikator würde ich das Infektionsgeschehen bzw. die Überwindung der Pandemie aus medizinischer Sicht und das Ende der Eindämmungsmaßnahmen nehmen.

Frage:

Ich habe zwei Fragen: Sie hatten schon darauf hingewiesen, dass die Inflation dieses Jahr vorübergehend steigen wird. Was hat das Ihres Erachtens für Folgen für die EZB-Politik? Es gibt da ja Ideen: Die Notenbank könnte am kurzen Ende der Zinsstrukturkurve eher Anleihen verkaufen und das Geld am langen Ende investieren. Dann kämen wir in Richtung einer „Yield Curve“-Control. Und zweitens: Wenn ich das richtig gelesen habe, kauft die EZB wie schon 2020 voraussichtlich dieses Jahr im Prinzip alle Netto-Neuemissionen von Staatsanleihen von Ländern der Eurozone auf. Stimmt das und kann man wirklich guten Gewissens sagen, das ist keine monetäre Staatsfinanzierung?

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank

Was die Inflationsaussichten angeht, wäre es mir wichtig, zwischen den eher kurzfristigen Entwicklungen, durch die wir eigentlich geldpolitisch hindurchschauen würden, und dem geldpolitisch relevanteren mittelfristigen Inflationstrend zu unterscheiden. Das klafft derzeit sehr stark auseinander, weil die Sonderfaktoren eine große Bedeutung haben. Kurzfristig und vorübergehend sind in Deutschland im Verlauf des Jahres HVPI-Raten von drei Prozent und eventuell mehr zu erwarten. Der recht sprunghafte Anstieg, den wir zur Jahreswende erlebt haben, geht auf die erwähnten Sonderfaktoren zurück, die in ihrer Wirkung vorübergehend sein werden. Da geht es vor allem um die Effekte einmaliger Preisanhebungen, etwa der Einführung von CO2-Bepreisung, es geht um die Mehrwertsteuererhöhung und um jährliche Gewichtsanpassungen im HVPI. Entscheidend wird sein, inwieweit sich der Anstieg der Inflationsraten, den wir gegen Ende des Jahres beobachten werden, in den Inflationserwartungen niederschlägt. Wenn verstanden wird, dass es sich um temporäre Entwicklungen handelt, dann wird sich das eher begrenzt in den Erwartungen niederschlagen.

Mittelfristig erwarten wir nur einen eher allmählichen Anstieg der Inflationsrate. Das sehen Sie auch an den Prognosen zur Kerninflationsrate. Da gehen wir davon aus, dass die Raten sich von knapp unter 1 Prozent langsam über 1 Prozent bewegen und allmählich steigen. Das hängt auch damit zusammen, dass die Nachfrageschwäche durch die Pandemie nachwirkt, dass sich die Kapazitätsunterauslastung eher langsam zurückbildet.

Dass dieses Prognosebild nicht so abwegig ist, sehen Sie auch daran, dass sich die mittelfristigen, aus Umfragen und Marktdaten abgeleiteten Inflationserwartungen nicht wirklich verändert haben. Sie sind leicht gestiegen, liegen aber weiter bei Werten, die wir vor diesem Sprung beobachtet haben. Letztlich ist mit Blick auf die Pandemie entscheidend, wie sich die aufgestaute Nachfrage entlädt und ob Anbieter mit Preiserhöhungen reagieren, wenn eine höhere Nachfrage auf ein kurzfristig wenig flexibles Angebot trifft.

In manchen Bereichen ist es durchaus möglich, dass es zu Preissteigerungen kommt. In anderen Bereichen haben wir es mit administrierten Preisen zu tun, insbesondere im Kulturbereich. Wir gehen daher davon aus, dass dieser Effekt begrenzt sein wird. Im Übrigen ist der Verlauf der Philips-Kurve in unseren Schätzungen eher flach. Insofern spielt die steigende Auslastung eine quantitativ nicht so bedeutende Rolle. Dazu kommt, dass die Geldpolitik jederzeit gegensteuern kann, was sich auch in den Markterwartungen widerspiegelt. Wichtig ist, zwischen der kurzen und mittleren Frist zu unterscheiden.

Die Volumina der Staatsanleihenkäufe sind durch das PEPP nochmal deutlich erhöht worden. Aber auch die Emissionen sind in der Krise gestiegen. Aus meiner Sicht ist wichtig, dass wir die eingezogenen Sicherungsmechanismen einhalten, um ausreichend Abstand zum Verbot der monetären Staatsfinanzierung zu halten. Dazu gehören etwa die Sperrfrist und dass wir nur bestimmte Anteile einer Emission eines Staates kaufen dürfen. Auch die Orientierung am Kapitalschlüssel gehört dazu. Die Sicherungsmechanismen sorgen in ihrer Gesamtheit dafür, dass ausreichend Abstand gewahrt wird. Aus meiner Sicht ist es nicht hilfreich, wenn man sich nur einzelne Faktoren ansieht – die Gesamtschau ist entscheidend.

Frage:

Insgesamt meine ich, bei Ihnen schon eine recht deutliche Kritik am geldpolitischen Kurs der EZB rauszuhören. Das ist meiner Meinung nach auch richtig und wichtig. Was genau unternimmt die Bundesbank, um gegenzusteuern? Und noch eine Frage zur Bilanz: Wie viele Jahre ohne Gewinnausschüttung gab es bislang in der Geschichte der Bundesbank?

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Die Diskussionen über die Geldpolitik finden richtigerweise im EZB-Rat statt. Und genau dort trage ich meine Argumente und meine Sichtweisen vor und nehme so Einfluss auf die Diskussionen. Es ist wichtig, zwischen den Maßnahmen zu unterscheiden, die in Folge der Pandemie notwendig geworden sind, und der Frage der Ausgestaltung des Handelns im Detail. Ich bin der Meinung, dass es richtig war, umfassend zu handeln.

Seit 1957 gab es zehn Jahre ohne Gewinn – zuletzt war dies 1979 der Fall. Das ist ein Ereignis, das nicht allzu häufig vorkommt, sich aber direkt aus den Risiken in der Bilanz ableiten lässt. Allein das Bilanzvolumen deutet auf diese Risiken hin.

Frage:

Ich habe eine Frage zum Stabilitäts- und Wachstumspakt. Was halten Sie von Vorschlägen, diesen bis 2023 auf Eis zu legen?

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Es ist zu früh, diese Entscheidung zu treffen, weil die weitere wirtschaftliche Entwicklung extrem unsicher ist. Wir können Überraschungen in beide Richtungen erleben, sowohl positive wie negative. Insofern ist es vollkommen konsistent mit der Position, die ich in der Vergangenheit immer wieder vertreten habe: Dass es einerseits richtig und wichtig war, dass die Fiskalpolitik umfassend gehandelt hat, andererseits aber der Verlauf der Krise so unsicher ist, dass ständig die Bereitschaft zum Nachjustieren vorliegen muss – in beide Richtungen. Ob etwa ein Nachtragshaushalt notwendig wird und ob die Pandemie noch schwere wirtschaftliche Folgen haben wird, sind Fragen, die ich derzeit nicht beantworten kann. Dies hängt stark vom Infektionsgeschehen ab.

Noch eine Ergänzung zur Ausnahmeklausel beim Stabilitäts- und Wachstumspakt. Diese soll verhindern, dass ohne diese Ausnahme eine wirtschaftliche Normalisierung letztlich erheblich beeinträchtigt würde. Die Ausnahmeklausel ist sicherlich nicht dafür vorgesehen, reguläre politische Prioritäten und strukturelle Mehrausgaben zu finanzieren. Diese Unterscheidung ist mir sehr wichtig. Es ist mir auch sehr wichtig, dass wir nach der Pandemie zu einem soliden Haushaltsplan zurückkehren und die Zeit nutzen, um die Bindungswirkung der Fiskalregeln zu stärken und nicht zu schwächen.

Frage:

Was die geldpolitische Reaktion auf den Renditeanstieg betrifft: Würden Sie nicht sagen, dass aktuell akuter Handlungsbedarf besteht? Etwa in Form erhöhter PEPP-Käufe im täglichen oder wöchentlichen Envelope oder gar einer Aufstockung des PEPP, wie sie gestern Fabio Panetta ins Schaufenster gestellt hat.

Die zweite Frage bezieht sich auf den Jahresabschluss, auf die Erhöhung der Wagnisrückstellung. Ist das eine Einschätzung, die alle Zentralbanken teilen, dass sich durch die Pandemie und durch die Maßnahmen des vergangenen Jahres die Risiken in den Bilanzen der Zentralbanken erhöht haben? Wenn ich mich recht entsinne, gab es beim EZB-Abschluss keine besonders auffälligen Rückstellungen.

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Vielleicht fange ich mit der letzten Frage an, die nicht so leicht zu beantworten ist, weil das Regelwerk für diese Wagnisrückstellungen in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich ist. Wenn Sie sich aber etwa die Wagnisrückstellungen in Relation zur Bilanzsumme oder anderen Größen anschauen, dann sehen Sie, dass die Bundesbank in ihrer Rückstellung keinen Ausreißer nach oben verzeichnet und dies eine Besonderheit der Bundesbank wäre. Mir ist wichtig zu betonen, dass die Wagnisrückstellungen keine politischen Setzungen sind, sondern aus den entsprechenden Modellberechnungen und insofern nachvollziehbaren Methoden resultieren, die durch die Wirtschaftsprüfer validiert werden. Ich glaube nicht, dass das eine Besonderheit der Bundesbank ist, aber die einzelnen Regelungen für die nationalen Notenbanken variieren sehr stark.

Zur Frage, was den Handlungsbedarf aufgrund des Anstiegs der Finanzierungskosten angeht, würde ich vielleicht nur noch darauf hinweisen, dass am Ende des Tages entscheidend ist, wie sich diese Änderungen der Finanzierungskosten des nichtfinanziellen Sektors auf die Inflationsentwicklung übertragen. Unser Primärziel ist, Preisstabilität zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund ist der Anstieg aus meiner Sicht nicht so bedeutend, dass daraus ein wesentlicher Effekt auf die Inflationsentwicklung entstehen könnte. Das heißt aber nicht, dass Fragen der Glaubwürdigkeit und der Konsistenz der Ankündigungen vollkommen ausgeblendet werden können. Es gibt durchaus Möglichkeiten, auf Verschiebungen der Finanzierungskosten zu reagieren, indem etwa das Kaufvolumen innerhalb des Envelopes flexibel angepasst wird. Genau deswegen besteht diese Flexibilität. Mir ist wichtig, dass man nicht mechanisch auf Anstiege der Finanzierungskosten und nominalen Finanzierungskosten reagiert, sondern zum einen die realen Größen im Blick behält und zum anderen die Ursachen genau analysiert, damit man auf die Änderungen reagiert, die geldpolitisch problematisch sind.

Frage:

Erste Frage zu den Inflationserwartungen. Wir stellen in Südeuropa fest, dass es sich eher um deflationäre Tendenzen handelt. Wie wird das im gemeinsamen Euroraum sozusagen ausgeglichen werden? Und die zweite Frage: Herr Draghi ist jetzt auf die Seite der Politik gewechselt. Gehen Sie davon aus, dass in Italien die Disziplinierungsmaßnahmen zu einer fruchtbaren Umsetzung gelangen?

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Ich beantworte zunächst die zweite Frage. Es ist insbesondere entscheidend, dass Italien in dieser schweren Krise der Pandemie eine handlungsfähige und auch reformorientierte Regierung hat. Insofern ist es im Interesse des Euroraums und Europas insgesamt, dass die Regierung Draghi Erfolg hat. Und aus unserer gemeinsamen Zeit in der EZB weiß ich, dass Mario Draghi die Schwerpunkte, die Sie angesprochen haben, durchaus gesetzt hat. Ich erinnere mich noch an viele wirtschaftspolitische Diskussionen mit ihm und wünsche ihm politischen Erfolg. Die Prioritätensetzung ist sicherlich die richtige. Auf der einen Seite auf einen soliden Haushalt zu setzen, wenn die Krise überwunden ist. Und auf der anderen Seite die vielen Reformbaustellen anzugehen. Die Tragfähigkeit der Schulden eines Landes hängt von vielen Faktoren ab. Der Schuldenstand ist wichtig. Auch das Wachstumspotenzial der Volkswirtschaft spielt eine Rolle, außerdem die Fähigkeit zu besteuern und die Effizienz der Verwaltung. Es gibt also viele Stellschrauben.

Zur ersten Frage. Die Pandemie hat die Länder im Euroraum sehr unterschiedlich betroffen. Etwa bei einer hohen Abhängigkeit vom Dienstleistungsbereich umso stärker, weil dort die Einschränkungen auch stärker gewirkt haben. Zudem war der Pandemieverlauf in den einzelnen Ländern unterschiedlich. Das schlägt sich in den Entwicklungen der Inflationsrate nieder. Letztlich ist für uns als Notenbank entscheidend, dass wir die Inflationsrate im gesamten Euroraum steuern und am Ziel der Preisstabilität ausrichten. Und dass jetzt in dieser krisenhaften Situation über das Finanzsystem keine Abwärtsspirale entsteht, die das realwirtschaftliche Krisengeschehen noch verstärkt. Das war sozusagen der zweite Schwerpunkt unserer Maßnahmen.

Frage:

Herr Weidmann, können Sie abschätzen, wie die Zinsbelastung der Kreditinstitute, die Einlagen aus geldpolitischen Operationen bei der Bundesbank halten, gesunken ist?

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Natürlich gab es durch das Tiering Entlastungen im Bankensektor, die die Ertragslage stützen, über deren Bedeutung man aber diskutieren kann. Das ist allerdings nicht unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass wir mit unseren geldpolitischen Instrumenten unser Ziel erreichen und nicht einen Sektor zu stützen oder zu bestrafen.

Frage:

Ich habe eine Frage zum Strategieprozess der EZB. Der ist ja noch nicht abgeschlossen. Im Zentrum steht das Inflationsziel. Nach allem, was nach außen gedrungen ist, scheint es eine gewisse Öffnung beim Inflationsziel nach oben zu geben. Ein sogenanntes symmetrisches Inflationsziel. Wie stünden Sie dazu, wenn es dazu käme? Wäre das etwas, womit sie sich anfreunden könnten?

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Natürlich ist nichts entschieden, bis alles entschieden ist in der Strategiediskussion. Insofern kann man die einzelnen Elemente nur in ihrer Gesamtschau bewerten. Aber ich habe in der Vergangenheit immer wieder gesagt, dass es mir sehr wichtig ist, dass unser geldpolitisches Handeln transparent, vorwärtsgerichtet und nachvollziehbar ist. Insofern kann man darüber diskutieren, ob die Kombination aus Definition von Preisstabilität und der Inflationsrate, die wir innerhalb dieser Definition anstreben, derzeit verstanden wird. Sie führt natürlich zu einer gewissen Asymmetrie, die gerade in einer Situation, in der die Notenbank in Bezug auf den Einsatz ihres Instrumentariums begrenzt ist, auch zum Nachteil gereichen kann. Deshalb habe ich in der Vergangenheit auch gesagt: Wenn letztlich die angestrebte Inflationsrate nur marginal steigt, aber dadurch das Ziel transparenter und klarer wird, dann wäre das ein Vorteil. Genauso wie die Symmetrie, die mit dem Ende dieser Zweiteilung einherginge, weil auch diese Zweiteilung zu Schwierigkeiten bei der Verständlichkeit führt. Meine kurze Antwort: Das ist jetzt nicht jenseits dessen, was ich mir vorstellen kann.

Auf der anderen Seite ist entscheidend, wie das Gesamtpaket aussieht. Wir würden ja hier auch nicht über einen großen Anstieg bei der angestrebten Inflationsrate reden, sondern eher über eine kosmetische Korrektur. Diese muss auch vor dem Hintergrund der Faktoren beurteilt werden, die uns seinerzeit und jetzt wiederum zu diesem Wert geführt haben, also Messfehler, Abstand zur unteren Zinsgrenze und so weiter.

Frage:

Gestern hat EZB-Direktor Fabio Panetta für eine Geldpolitik plädiert, die „harder, better, faster, stronger“ sein muss. Frau Lagarde und Frau Schnabel haben in den letzten Tagen vielleicht nicht so eindeutig, aber ein bisschen in die gleiche Richtung, also für eine lockere Geldpolitik, appelliert. Inwieweit fühlen Sie sich distanziert von solchen Aussagen? Die – das ist auch kein Zufall – eine Woche vor der nächsten Sitzung des EZB-Rats stattgefunden haben.

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Man muss das, was Fabio Panetta gesagt hat, einordnen und unterscheiden: Natürlich war es richtig, in der Krise beherzt zu handeln. Das gilt für die Geldpolitik und vor allem für die Fiskalpolitik. Und eine solche Krise ist sicherlich nicht die Zeit, in der die einzelnen Instrumente „fine getuned“ werden. Da muss man einfach rangehen und handeln. Trotzdem bin ich der Auffassung, dass wir die Risiken unseres geldpolitischen Handelns nicht aus dem Blick verlieren dürfen und dass wir auch nicht Gefangene unserer eigenen Entscheidungen sein dürfen. Wir dürfen uns nicht in eine Situation manövrieren, aus der wir uns dann nur noch schwer befreien können. Die jüngste Diskussion um die Finanzierungsbedingungen würde ich jetzt nicht so hoch hängen. Da geht es gar nicht um die Frage der grundsätzlichen geldpolitischen Ausrichtung. Da geht es darum, wie wir eine Aussage des EZB-Rats im Sinne der Forward Guidance und der Marktsteuerung interpretieren. Ich denke, mir werden alle im EZB-Rat zustimmen, dass wir natürlich erst einmal die Situation analysieren und untersuchen müssen, ob dieser Anstieg der Finanzierungskosten vom Ausmaß und von den Ursachen her aus geldpolitischer Sicht problematisch ist. Und dann muss natürlich gehandelt werden, wenn dies der Fall ist. Aber das ist aus meiner Sicht mit dem jetzigen Kenntnisstand noch nicht feststellbar. Es ist aber sicherlich eine Frage, die wir in einer geldpolitischen Sitzung diskutieren werden. Und nochmal: Genau aufgrund dieser hohen Unsicherheit in der Krise haben wir das PEPP mit einer größeren Flexibilität ausgestaltet als andere Programme. Um immer wieder auf Entwicklungen reagieren zu können, die schwer vorhersehbar sind, aber die durchaus vorkommen können in der jetzigen Situation.