Editierte Abschrift der Frage- und Antwortrunde anlässlich der Jahrespressekonferenz am 01.03.2023

Frage:

Mich würde interessieren, wie es mit den Anleihebeständen weitergehen wird. Rechnen Sie damit, dass Sie auch Anleihen wieder verkaufen werden und dann möglicherweise Kursverluste im Rahmen des Zinsanstiegs realisieren müssen, oder wird das weiter so laufen, dass man nur die Ersatzkäufe von Anleihen sozusagen kürzt? 

Dr. Joachim Nagel, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Aktive Verkäufe der Anleihen sehe ich nicht. Ich habe in meinen Ausführungen deutlich gemacht, dass ich mir wünschen würde, dass wir die Abbaugeschwindigkeit der auslaufenden Papiere ab Juli erhöhen. Ich denke, wir können mehr machen als die jetzt vorgesehenen 15 Milliarden Euro pro Monat. Aber um es nochmal deutlich zu machen: Aktive Verkäufe sehe ich nicht. 

Frage:

Eine Frage zur Inflation. Das Statistische Bundesamt hat mitten in der höchsten Inflationssequenz seit 70 Jahren die Methode für den Verbraucherpreisindex VPI geändert, und das führt zu niedrigeren Inflationsraten. Denken Sie nicht, dass dadurch die Kluft größer wird zwischen den gemessenen Werten und der Inflation, die die Bevölkerung wahrnimmt? 

Dr. Joachim Nagel:

Ich kann nicht für das Statistische Bundesamt sprechen, aber was das Statistische Bundesamt gemacht hat, war ein ganz übliches Prozedere. Nach fünf Jahren wird beim Statistischen Bundesamt das Bezugsjahr verändert, und das ist jetzt geschehen. Vorher galt das Bezugsjahr 2015, jetzt ist es das Jahr 2020, und man hat sich den Warenkorb neu angeschaut. Das war ein ganz übliches Vorgehen. Schade war, dass an dem Tag, an dem die EZB-Ratssitzung stattfand, das technische Problem beim Statistischen Bundesamt vorlag und die Zahlen für Deutschland zu dem Zeitpunkt nicht verfügbar waren. Aber das ist unabhängig von dem statistischen Verfahren.

Die Inflationszahlen an sich sind auch nach der Anpassung von Bezugsjahr und Warenkorb noch viel zu hoch. Insofern hat sich an der Grundaussage für mich überhaupt nichts verändert: Die Inflation ist zu hoch, und daher muss geldpolitisch etwas getan werden. 

Frage:

Ich wollte Sie bitten nochmal zu erklären, wie diese Verluste zustande kamen. Ihre Ausführungen zum Zinsergebnis habe ich verstanden. Aber die anderen Posten, wenn Sie die nochmal erklären können in einfachen Worten. 

Prof. Dr. Joachim Wuermeling, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank: 

Auf Seite 15 der Präsentation sehen Sie die wesentlichen Treiber der Gewinn- und Verlustrechnung. Der Netto-Zinsertrag ist nochmal positiv gewesen. Dann haben wir den Posten „Realisierte Verluste aus den Finanzoperationen, Abschreibungen von Devisen und Wertpapieren“. Da geht es vor allem um Positionen aus Währungsreserven. Die Veränderungen ergeben sich hier vor allem durch die Währungsschwankungen und durch die Veränderungen des Zinsniveaus in den Währungsräumen, aus denen wir Wertpapiere in Fremdwährungen gekauft haben. Dann haben wir die Beteiligungserträge. Die Veränderung bei diesem Posten liegt daran, dass die EZB keinen Gewinn ausgewiesen hat und wir daher keine Vorabgewinnausschüttung erhalten.

Dann haben wir die „Nettoergebnisse aus den monetären Einkünften“. Diesen Posten zu erklären ist wirklich schwierig. Die monetären Einkünfte sind die Einkünfte aus der gemeinsamen Geldpolitik, also praktisch die Erträge, die wir aus dem geschaffenen Zentralbankgeld erzielen. Wenn wir zum Beispiel Banknoten herausgeben, müssen die uns von den Banken bezahlt werden. Das Geld können wir anlegen und damit können wir Erträge erwirtschaften. Wir erzielen also zum einen Erträge aus Anlagen, die dem unverzinslichen Banknotenumlauf gegenüberstehen. Das machen alle Zentralbanken des Eurosystems. Aber diese Erträge stehen letztlich dem Eurosystem insgesamt zu und werden gemäß Kapitalschlüssel im Eurosystem verteilt, und zwar unabhängig davon, bei welcher NZB diese Einkünfte ursprünglich anfallen. Auch die weiteren geldpolitischen Operationen auf den Aktiv- und Passivseiten der NZB-Bilanzen sind nicht nach Kapitalschlüssel verteilt. Durch die unterschiedliche Inanspruchnahme dieser geldpolitischen Operationen in den verschiedenen Ländern ergibt sich hier ein Ungleichgewicht. Dadurch, dass wir zum Beispiel 50 Prozent der Banknoten ausgeben, erhalten wir 50 Prozent der Banknoten bezahlt und können das Geld dafür anlegen, obwohl uns aber nach unserem Kapitalschlüssel nur 26,4 Prozent von den Erträgen zustehen. Das heißt, wir nehmen mehr Geld ein als uns eigentlich zusteht. Deswegen müssen wir diesen Zusatzgewinn abführen oder bei anderen geldpolitischen Geschäften beispielsweise die überproportional hohen Zinsaufwendungen der anderen nationalen Zentralbanken diesen erstatten. De Anhebung der Leitzinsen jetzt im Laufe des zweiten Halbjahrs, erhöht unsere Aufwendungen aus der Umverteilung der monetären Einkünfte.

Dr. Joachim Nagel:

Wenn man sich die Abschreibungen auf unser US-Dollar-Portfolio anschaut und die Bilanz von 2021 vergleicht mit 2022, haben wir zusätzliche Abschreibungen von 761 Millionen Euro hinnehmen müssen. Dahinter stecken die Zinserhöhungen der US-Notenbank. Ich denke, die Zahlen machen noch einmal deutlich, was diese Zinseffekte, die jetzt durch die Veränderung in der Geldpolitik entstehen, dann in der Bilanz für Wirkungen erzielen.

Frage:

Das ist eine Wertberichtigung? 

Prof. Dr. Joachim Wuermeling:

Das ist eine Wertberichtung, weil die Anleihen, die wir im Bestand haben, niedrig verzinst sind. Wenn die Zinsen steigen, dann sinkt der Wert und dann müssen wir das in unserer Bilanz abschreiben. Bei den Fremdwährungsanleihen bilanzieren wir zum Marktwert und bei den Euro-Anleihen zum Anschaffungswert, weil wir die bis zur Endfälligkeit halten.

Frage:

Sie haben gesagt, dass in Ihren Umfragen die Verbraucher und auch die Marktteilnehmer sähen, dass Sie aktiv sind in der Inflationsbekämpfung. Bei den Märkten hatte man zuletzt ein bisschen Zweifel, ob die Ihnen glauben oder es nur an der Kommunikation lag. Wie schätzen Sie das ein? Wie konnte das passieren, dass die so außer Rand und Band geraten waren, und glauben Sie, dass sie mittlerweile eingefangen sind?

Dann eine Verständnisfrage: In Ihrer ausgedruckten Rede war von weiteren deutlichen Zinsschritten nach dem März die Rede. Sie hatten das, glaube ich, auch in Indien so gesagt. Diesen Satz habe ich nicht gehört. Wenn Sie das bitte nochmal erläutern, ob Ihnen auch einfache Zinsschritte reichen oder ob diese schon deutlich sein sollen.

Dr. Joachim Nagel:

Ich darf die Märkte schon seit mehr als 20 Jahren beobachten. Manchmal neigen sie zu einem gewissen Überoptimismus, und dann kommt es auch zu einer gewissen Form von Übertreibung. Das würde ich mal als eine solche einordnen. Ich denke, danach gab es eine klare Kommunikation. In einem Umfeld, wo die Inflationsrate hoch ist, haben die Notenbanken ihren Job zu machen. Wir haben deutlich gemacht, dass wir im März einen deutlichen Zinsschritt gehen werden. Die [Februar-] Inflationszahlen für Nordrhein-Westfalen deuten eher darauf hin, dass das Inflationsbild weiter auf hohem Niveau sehr hartnäckig bleiben wird. Deswegen könnte ich mir vorstellen, wenn die Datenlage so bleibt, dass auch über den März hinaus deutliche Zinsschritte notwendig sind. 

Frage:

Sie haben im Statement gesagt, dass Krieg einer der Gründe der Inflation ist. Deswegen möchte ich Sie fragen, wie Sie die künftigen geopolitischen Risiken einschätzen. Nicht nur den Krieg in der Ukraine, sondern zum Beispiel die Spannungen zwischen China und USA. Könnte sich das auf die deutsche oder europäische Wirtschaft auswirken? 

Dr. Joachim Nagel:

Ich hatte schon bei meiner Antrittsrede im Januar letzten Jahres von deutlich höheren Inflationsraten gesprochen. Das war vor dem schrecklichen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Wir hatten am Ende der Pandemie weiterhin Lieferengpässe. Es war erkennbar, dass das Inflationsthema im Jahr 2022 stark ausfallen würde. Aber natürlich nicht so wie durch den 24. Februar, was im Grunde genommen dazu geführt hat, dass die Inflationsrate sich mehr als verdoppelte und die Wachstumsraten sich mehr als halbierten. Man sieht an diesem schrecklichen Ereignis deutlich, welche Konsequenzen Geopolitik auf die Inflationsrate und auf unsere Aufgabe, die Inflation wieder in den Griff zu kommen, haben kann. Es ist wichtig, dass man Dialoge führt, im Rahmen der G20 und der G7. Ich erwarte viel davon, dass man die Fragen, die Sie angesprochen haben, diskutiert. Jetzt bin ich Notenbanker. Ich muss mich auf unser Mandat konzentrieren. Es würde meinen Job auch einfacher machen, wenn es zu geopolitischen Entspannung käme. Leider ist es für den schrecklichen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine derzeit nicht absehbar. 

Frage:

Die Immobilienwirtschaft ist sehr nervös, die Baufinanzierung trocknet aus. Jetzt gibt es Forderungen, dass der antizyklische Kapitalpuffer oder andere Regulierungen gelockert werden sollen. Wie stehen Sie dazu?

Prof. Dr. Joachim Wuermeling:

In der Tat wird hier versucht, von interessierter Seite zu suggerieren, dass durch die makroprudenziellen Puffer die Bauwirtschaft und der Wohnungsbau begrenzt wird. Das ist Unsinn. Wir haben eine Zinserhöhung erlebt bei der Baufinanzierung von etwa ein Prozent bis auf rund 3,7 Prozent. Nach Berechnungen der Bundesbank macht der antizyklische Kapitalpuffer im Durchschnitt etwa 0,03 Prozent Zinserhöhung aus. Das spielt für die Erschwinglichkeit von Immobilien keine Rolle. Ansonsten sehen wir, dass die Wirkung der Geldpolitik im Immobilienmarkt schon voll angekommen ist durch die Reduzierung des Kreditwachstums und auch durch eine gewisse Verringerung der Preise. Letzte Bemerkung: Ich glaube, man wäre schlecht beraten, wenn man angesichts der Probleme beim Wohnungsbau anfangen würde, die aufsichtsrechtlichen Standards für die Immobilienfinanzierung zu lockern. Dann würde man den Teufel mit dem Beelzebub austreiben und am Ende hätte man eine Immobilienkrise. Das wäre für die Bauwirtschaft der allerschlechteste Zustand.

Dr. Joachim Nagel:

Was man auch nicht ausblenden darf: Die Immobilienwirtschaft ist durch die überaus expansive Geldpolitik durch eine Art Superkonjunktur gegangen. Es ist schwierig, sich dann auf ein neues Normal einzustellen. Wenn Sie sich die Renditen der zehnjährigen Bundesanleihen anschauen, die liegen derzeit irgendwo in der Größenordnung bei 2,70. Die Fünfjährigen liegen ein bisschen höher. Das sind Marktbedingungen. Die sind eher das Übliche. Kenneth Rogoff hat einmal gesagt, dass das, was wir derzeit erleben, im Grunde genommen eine Rückbewegung zu den Mittelwerten dessen ist, was wir gewohnt waren, bevor wir in diesen Superzyklus einer sehr expansiven Geldpolitik eingestiegen sind. Und ich kann ihm an der Stelle nur beipflichten.

Frage:

Das, was Sie eben gesagt haben, könnte doch für jemanden, der in der Baubranche tätig ist, oder der sich mit dem Gedanken einer Eigenheimfinanzierung trägt, als Tipp verstanden werden: am besten jetzt zuzuschlagen, weil die Konditionen in ein, zwei, drei Jahren sicherlich ungünstiger sein werden.

Dr. Joachim Nagel:

Was ein Notenbanker tut ist, dass er die Zahlen am aktuellen Rand anschaut und daraus geldpolitische Schlussfolgerungen zieht. Die Ausführungen können nie als Tipp für Anlageempfehlungen oder Investments jeglicher Art gewertet werden. Diese Entscheidung hat jeder selbst zu treffen.

Frage:

Ich habe eine Frage zu Ihrem Ausblick. Sie haben gesagt, dass in den kommenden Jahren die Belastung in der Gewinn- und Verlustrechnung deutlich zunehmen wird und die Vorsorge, die bislang getroffen worden ist, wohl nicht ausreichen wird. Das sind ja stolze 19,2 Milliarden Euro. Nun hätte ich gedacht, dass bei einem aktiven Verkauf von Anleihen Bewertungsverluste realisiert werden müssen. Sie sagten, dass Sie nicht von einem aktiven Verkauf von Euroanleihen ausgehen. Wie kommt es, dass mehr als 19,2 Milliarden Euro gebraucht werden? Erklärt sich das nur aus dem Mismatch der niedrigen Anleiherenditen in den Beständen und dem höheren Einlagensatz? Gehen Sie davon aus, dass der Einlagensatz soweit steigt oder gibt es da weitere Faktoren? In dieser Berechnung müsste man dann auch annehmen, dass die US-Zinsen noch weiter deutlich steigen werden. Dann müsste man davon ausgehen, dass die Fed etwas früher mit der Zinssenkungsphase beginnt. Also welche Faktoren spielen hinein?

Dr. Joachim Nagel:

Das ist eine gute Frage, um die Einordnung unseres diesjährigen Bilanzergebnisses deutlich zu machen. Wenn Sie sich das Jahr 2022 anschauen, dann hatten wir die ersten Zinserhöhungen im Juli letzten Jahres. Wir haben den Einlagensatz von minus 0,5 auf null angehoben. Im September hatten wir dann die ersten positiven Zinssätze auf den Einlagensatz. Wenn Sie sich unsere Bilanz auf der Passivseite anschauen, sehen Sie, dass die Einlagefazilität bei über 1.100 Milliarden Euro liegt. Das heißt, wir haben erst im Jahr 2023 ein vollständiges, positives Zinsjahr, wo der Zins für die Einlagefazilität voll auf unserer Passivseite durchschlägt. Deswegen können Sie eine einfache Rechnung machen, indem Sie sich die Einlagefazilität anschauen und dann mit der Zinsdifferenz diese Rechnung aufmachen. Nur, die Kristallkugel habe ich auch nicht. Deswegen wäre es geradezu unredlich, Ihnen jetzt zu sagen, mit welchem Ergebnis wir in 2023 rechnen. Das hängt von vielen Faktoren ab.

Sie haben einen Faktor genannt, die zukünftige Zinsentwicklung in den USA. Besonders wichtig ist aber, wie die Zinsentwicklung hier im Euro-Raum ist. Für uns als Notenbank ist die Kernbotschaft wichtig, dass wir unseren Job zu machen haben und unser Mandat der Preisstabilität erfüllen müssen. Da kann es durchaus Phasen geben, in denen die Rückstellungen, die wir für Wagnisse aufgenommen haben, möglicherweise aufgezehrt werden und wir Verluste ausweisen, die über Verlustvorträge über Jahre mit zukünftigen Gewinnen verrechnet werden. Das ist das Geschäftsmodell von Notenbanken.

Im Übrigen ist das auch nicht ganz untypisch. Das gab es in den 1970er Jahren, in denen die Bundesbank sieben Jahre entsprechende Verlustvorträge ausgewiesen hat. Der höchste war im Jahr 1974, in der Phase nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems, als man auf die US-Dollarbestände aufgrund des Wechselkurseffekts entsprechende Abschreibungen vornehmen musste. Wenn Sie sich die Größenordnung der damaligen Verlustvorträge im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt anschauen, waren das erheblich hohe Abschreibungen, die die Bundesbank vornehmen musste.

Ich will damit sagen, dass es fast ein eingeübtes Verfahren ist. Ich würde Ihnen gerne Gewinne präsentieren, aber das macht genau den Unterschied zu einer typischen Geschäftsbank aus. Wir haben ein anderes Mandat, einen anderen Auftrag und sind mit einer typischen Geschäftsbank nicht zu vergleichen.

Frage:

Gehen Sie für dieses Jahr von nennenswerten Veränderungen bei der Höhe der Einlagen-Fazilität aus?

Dr. Joachim Nagel:

Das kann ich Ihnen noch nicht sagen, da würden wir spekulieren. Wir müssen sehen, wie die Entwicklung im Jahresverlauf ist.

Frage:

Wir haben in den vergangenen Wochen eine Neubewertung der „terminal rate“ an den Märkten gesehen, die jetzt beim Einlagesatz in Richtung vier Prozent geht. Das ist sehr deutlich im Vergleich zum Monatsbeginn. Wie ist Ihre Einschätzung, liegen die Märkte richtig mit ihren Erwartungen, wenn sie diese nach oben revidieren? Und was halten Sie von der Einschätzung, dass die Kerninflationsrate sich möglicherweise als hartnäckiger erweist als noch zuletzt angenommen?

Dr. Joachim Nagel:

Zunächst zu dem Konzept Terminalrate oder auch neutraler Zinssatz. Das sind theoretische Annahmemodelle, die zum Teil auf bestimmten Modellannahmen basieren. Ich habe mich nie an dieser Diskussion um Terminal- und Neutralrate beteiligt, auch ein Stück weit aus der Demut der Erfahrung des letzten Jahres heraus, in einer Phase eines starken strukturellen Umbruchs, bedingt durch den 24. Februar. Ich weiß nur eins, dass derzeit die Inflationszahlen zu hoch sind. Deswegen bleibe ich beim Ansatz, dass wir weiterhin robust und hartnäckig gegen die Inflation vorgehen müssen.

Ich bemühe ja gerne das Bild dafür, dass Inflation eine hartnäckige Veranstaltung ist, das werden wahrscheinlich heute die Zahlen für den Februar für Deutschland wieder belegen, und dann muss man in der Geldpolitik noch ein Stück weit hartnäckiger sein.

Das sind die Erfahrungen aus der Vergangenheit, ich habe mich nicht daran beteiligt, ob wir im restriktiven Bereich sind oder nicht. Ich habe zuletzt zwar gesagt, ich sehe den ehrlich gesagt nicht, wenn ich Inflationsraten habe, die um die 9 Prozent sind und der Einlagensatz noch bei zweieinhalb Prozent ist. Dann finde ich, das spricht schon allein für sich. Als Notenbanker weiß ich, das ist noch nicht das Ende der Wegstrecke.

Frage:

Eine Frage zur Erhöhung der Reduzierungen des APP. Würde das bedeuten, dass das Pandemieprogramm außerhalb dieser Erhöhung gehalten wird und würden Sie erwarten, dass die Märkte gut mit diesen Anleihebestandsreduzierungen zurechtkommen? Würden Sie sich Sorgen machen über die Auswirkungen auf die Finanzstabilität durch eine neue Bewertung und Spread-Erweiterung oder würden Sie sagen, dass Sie hier das TPI brauchen?

Dr. Joachim Nagel:

Es ist doch eine gute Botschaft, wenn wir sehen, dass die Märkte sich als überaus robust erweisen. Ich denke, das hat auch damit zu tun, dass wir im Nachgang der Krisen der letzten zehn Jahre dafür gesorgt haben, dass die Banken und die Bankbilanzen deutlich robuster aufgestellt sind. Die Banken sind besser mit Kapital ausgestattet, die Liquiditätssituation sieht besser aus. Dafür haben wir seitens der Geldpolitik einiges getan, und es spiegelt sich jetzt in den hohen Anleihebeständen wieder.

Sie haben das APP-Programm genannt und das sogenannte PEPP-Programm. Wenn man sich die Größe der Programme anschaut und die Laufzeitstrukturen, dann ist das APP-Programm sicherlich das naheliegende Programm mit dem man geldpolitisch anfängt. Wir haben angefangen mit den 15 Milliarden Euro, die als Abbau pro Monat vorgesehen sind. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Märkte das gut verdauen können. Die Märkte sind in einer guten Situation. Ich könnte mir auch vorstellen, dass man mehr als die 15 Milliarden pro Monat abbauen könnte und sicherlich, wenn man zu einer Normalisierung der Geldpolitik zurückkehren möchte, muss man sich auch das PEPP-Programm anschauen. Aber das APP-Programm ist ein guter Anfang und man könnte dort die Geschwindigkeit erhöhen.

Zum TPI-Programm habe ich Ihnen in meiner Rede eine Einordnung gegeben. Das ist ein Programm, das unter ganz bestimmten Bedingungen, die der EZB-Rat sich gegeben hat, zu einer Aktivierung kommen würde. Wenn wir davon ausgehen, dass die Marktbedingungen so sind, dass der geldpolitische Transmissionsprozess beeinträchtigt würde. Es ist eine wichtige Ergänzung für eine Grenzsituation. Bislang gab es diese Grenzsituation nicht und ich würde mir auch wünschen, dass das TPI-Programm in Zukunft nicht zu aktivieren wäre.

Frage:

Haben Sie mal verglichen, ob die Risikovorsorge der Bundesbank relativ zu den risikobehafteten Assets mehr ist, als das, was andere Notenbanken gemacht haben? Sind Sie also in dieser Hinsicht in einer recht komfortablen Position, auch im Vergleich zu anderen Euro-Notenbanken oder auch im Vergleich zur EZB?

Und die zweite Frage: Sie hatten angedeutet, dass Sie Verluste in Zukunft über Verlustvorträge und spätere Gewinne lösen wollen. Wäre es auch denkbar, dass man eine umgekehrte Ausschüttung zum Bundesfinanzministerium macht und Sie sozusagen vom Bund Geld bekommen, wenn Sie einen Verlust auszugleichen haben?

Dr. Joachim Nagel:

Zum ersten Teil Ihrer Frage, ich würde das nie als eine komfortable Situation klassifizieren wollen. Man muss zunächst nochmal die Situation von 2022 betrachten. Wir haben es mit einem Jahr mit ganz außergewöhnlichen Ereignissen zu tun gehabt. Das lässt sich typischerweise auch über eine sehr verantwortungsvolle Risikovorsorge nicht abbilden. Wir haben aber im Jahr 2016 intensiv angefangen, die Wagnisrückstellung aufzubauen. Und mein Vorgänger im Amt hat immer wieder darauf verwiesen, dass Geldpolitik, wenn sie sehr expansiv ist, bei einer Zinswende mit Risiken für eine Bilanz einhergehen kann. Wir können uns ganz gut sehen lassen mit der Größenordnung der Rückstellungen, die wir gebildet haben und vor allem damit, dass wir sehr früh angefangen haben. Wir haben insgesamt bis zu 20,2 Milliarden Euro aufgebaut, davon werden wir jetzt eine Milliarde Euro für 2022 aufzehren.

Zum zweiten Teil der Frage, kann ich Ihnen nur sagen, das Prozedere ist klar: Sollte es zu einer Situation kommen, dass Verluste auszuweisen sind, dann wird es über Verlustvorträge für die kommenden Jahre abgearbeitet. So gehen wir damit bilanztechnisch um und nicht anders.

Prof. Dr. Joachim Wuermeling:

Ich kann noch eine kurze Bemerkung zur Risikovorsorge machen. Diese Bemessung unseres Risikos ergibt sich aus hochprofessionellen Methoden, die auch in den Geschäftsbanken angewendet werden. Es wird ein bestimmtes Risiko identifiziert. Und wir haben Rückstellungen gebildet, so gut es ging. Folie 11 (Entwicklung der Rückstellungen) zeigt, dass diese finanzmathematischen Berechnungen dazu geführt haben, dass wir bis 2018 die Rückstellungen aufgebaut haben. Dann haben wir sie etwas abgeschmolzen, weil dort die Anleihebestände zurückgegangen sind. Dann sind die Risiken insbesondere wegen der hohen Ankäufe im Rahmen des PEPP-Programms noch erheblich gestiegen. Dort kamen wir mit dem Aufbau von weiteren Rückstellungen nicht hinterher. Wir haben getan, was wir tun konnten und konnten in den letzten zwei Jahren unseren Gewinn immer in die Rückstellungen geben. So ergibt sich jetzt dieser Betrag. Der Aufbau der Rückstellungen war immer von einem sehr konservativen Vorsorgedenken geprägt. Allerdings haben wir nicht mit so einem massiven Zinsanstieg in so kurzer Zeit kalkuliert.

Frage:

Eine Frage zum geldpolitischen Zeitplan. Bis wann würden Sie gern den Höhepunkt der Zinsschritte erreichen? Also, wann können wir erwarten, dass wir diesen höchsten Level erreichen?

Dr. Joachim Nagel:

Meine Erwartung der notwendigen geldpolitischen Schritte wird immer dadurch geleitet, dass ich mir die Daten zu der aktuellen anstehenden geldpolitischen Sitzung des Rates, die ja in zwei Wochen sein wird, anschauen werde. Alles andere ist Spekulation. Ich hatte aus meiner Sicht versucht, den Punkt zu machen, dass ich fest davon überzeugt bin, dass wir noch eine ganze Wegstrecke zu gehen haben, dass das Inflationsbild hoch bleiben wird. Einen Punkt festzulegen, wann dann das Plateau erreicht sein könnte, wäre spekulativ und kann ich auch gar nicht.

Frage:

Mit dem Abschmelzen der Bilanzsumme kommt ja unweigerlich irgendwann die Diskussion auf, wie weit man abschmilzt. Und dann stellt sich die Frage, geht man so weit, dass die Liquidität so weit verknappt ist, dass man die Geldpolitik wieder wie früher quasi von der Kreditseite steuert? Oder lässt man die Bilanzsumme so groß, also erheblich größer als sie früher war, so dass eine Steuerung wie bisher über die Einlagenseite erfolgt. Gibt es in der Bundesbank eine Meinung dazu, ob man eher für die eine oder für die andere Richtung eintreten möchte?

Dr. Joachim Nagel:

Wenn man sich nur die Ankaufsportfolien anschaut, reden wir noch über 5.000 Milliarden Euro, 5 Billionen Euro. Die konsolidierte Bilanz der Notenbanken des Eurosystems ist nach wie vor sehr, sehr hoch. Das heißt, wir haben noch Zeit uns Gedanken darüber zu machen, wie wir möglicherweise den neuen geldpolitischen Handlungsrahmen gestalten können. Ich kann Ihnen dazu sagen, dass wir in der Bundesbank, aber natürlich auch im Eurosystem, eine intensive Diskussion darüber führen.

Frage:

Ich habe eine Frage zu den Lohnsteigerungen. In ihrem Statement steht, dass die überdurchschnittlichen Lohnsteigerungen sich zunehmend in den Preisen niederschlagen dürften. Heißt das, dass Sie schon davon ausgehen, dass es überdurchschnittliche Steigerungen geben wird und dass deshalb die Inflation dauerhaft hoch bleiben wird? EZB-Vizepräsident Luis de Guindos sagte im Interview, die Gewerkschaften könnten einen zu hohen Lohnausgleich fordern und das könnte eine Lohn-Preis-Spirale in Gang setzen, die die EZB unbedingt vermeiden möchte. Können Sie klarstellen, was Sie mit überdurchschnittlichen Lohnsteigerungen meinen und wollen Sie auch appellieren, dass die Gewerkschaften sich vor dem Hintergrund vieler Konflikte derzeit in Deutschland zurückhalten?

Dr. Joachim Nagel:

Wenn Sie sich die Reallöhne anschauen, ist das jetzt das dritte Jahr, in dem die Arbeitnehmer Reallohnverluste hinnehmen mussten. Die letzte Zahl, die ich gesehen hatte, waren für das vergangene Jahr minus 3,1 Prozent. Aus einer neutralen Sicht betrachtet, ist es nachvollziehbar, dass die Tarifpartner in intensiven Diskussionen sind, wie die Lohnsteigerungen ausfallen sollten. Wir haben zuletzt in den Monatsberichten der Bundesbank dazu Stellung genommen, wie wir die derzeitige Situation einschätzen. Da haben wir deutlich gemacht, dass wir keine Preis-Lohn-Spirale sehen. Aber wir sehen durchaus die Möglichkeit, dass es Zweitrundeneffekte gibt und dass diese absehbar sein könnten. Auch bei Lohnabschlüssen, die möglicherweise unterhalb des aktuellen Inflationsrandes liegen, sind sie möglicherweise dennoch hoch in Relation zum Wachstum des Produktionspotentials und unserem mittelfristigen Inflationsziel von zwei Prozent. Das ist insofern eine Konstellation, die Zweitrundeneffekte nicht ausschließt. Aber eine Preis-Lohn-Spirale, das kann ich nicht bestätigen.

Frage: 

Ich habe zwei Fragen, zum einen zum Thema Lohnentwicklung. Ich sehe hier, über den Daumen gepeilt hat die Bundesbank 16 bis 17 Prozent mehr Personalaufwand. Sind das auch schon inflationsbedingte Lohnsteigerungen, oder ist der Personalbestand so stark gewachsen? Und dann noch eine kurze Frage zum Zahlungsverkehr: Der T2-Start wurde ja schon mehrfach verschoben und soll jetzt im März stattfinden. Bleibt es diesmal dabei?

Dr. Joachim Nagel:

Zur letzten Frage kann ich Ihnen Folgendes sagen: Es bleibt bei März, das Projekt wird jetzt zum erfolgreichen Abschluss gebracht. Ich denke, es war auch nicht so ganz ungewöhnlich, dass es bei einem so großen IT-Projekt mit einer solchen Komplexität zu einer Verschiebung kommt. Aber jetzt im März wird es dann losgehen.

Zum Personalaufwand, den Sie sich angeschaut hatten: Bei dem erhöhten Kostentrend spielen insbesondere die Rückstellungen für die Beihilfen eine große Rolle. Die sind an der Stelle deutlich gestiegen bei der Bundesbank. Im Übrigen kennen Sie ja die Bundesbank als öffentlicher Arbeitgeber. Wir hängen mit unserem Gehaltsgefüge an den Verhandlungen des öffentlichen Dienstes. Insofern ist das, was man bei uns in den Löhnen und Gehältern sieht, das, was jetzt gerade verhandelt wird und was sich perspektivisch auch in unseren Kosten niederschlagen wird.