Die erste Frau im Zentralbankrat wird 100
Der Zentralbankrat der Bank deutscher Länder beziehungsweise Bundesbank war fast ausschließlich ein Männergremium. Denn von 1948 bis zu seiner Ablösung durch den Vorstand im Zuge der Strukturreform 2002 schaffte nur eine einzige Frau den Sprung in dieses Gremium, Julia Dingwort-Nusseck. Sie feiert am Mittwoch, den 6. Oktober, in Hamburg ihren 100. Geburtstag. Niemand außer ihr wurde im Zentralbankrat bislang so alt.
Beginn der Karriere beim NDR
Vor ihrer Zeit als Notenbankerin hat Dingwort-Nusseck als Wirtschaftsjournalistin Karriere gemacht. Sie wurde Leiterin der Hörfunk-Wirtschaftsredaktion des Norddeutschen Rundfunks (NDR), später stellvertretende Chefredakteurin der Abteilung Zeitgeschehen/Fernsehen und Leiterin der Wirtschaftsredaktion im NDR-Fernsehen Hamburg. 1973 übernahm die dreifache Mutter beim WDR den Programmbereich Politik und die Fernseh-Chefredaktion.
Ihr journalistisches Markenzeichen war, wirtschaftliche Zusammenhänge für ein breites Publikum verständlich zu präsentieren. Die Hörerinnen und Hörer hätten ihre Beiträge dankbar angenommen, obwohl die Wirtschaftswissenschaft eigentlich immer ein Stiefkind des bürgerlichen Bildungsideals gewesen sei, sagt sie. „Wenn von Mindestreserven die Rede war, dachte man höchstens an die eigene Speisekammer"
, beschreibt Dingwort-Nusseck die damaligen Wissenslücken.
Weil sich die Journalistin intensiv mit Notenbankthemen befasste, schlug sie 1976 der damalige Ministerpräsident von Niedersachsen, Ernst Albrecht, Vater der heutigen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, für den Posten der Präsidentin der Landeszentralbank in Niedersachsen vor.
Zuerst abgelehnt, dann einstimmig begrüßt
Im Zentralbankrat sah man diesen Vorschlag kritisch und sprach sich dagegen aus, doch verhindern ließ sich Dingwort-Nussecks Berufung dadurch nicht. Die ließ sich von dieser Ablehnung nicht entmutigen und stellte sich der Aufgabe als Präsidentin der Landeszentralbank in Niedersachsen. Acht Jahre später wurde sie für eine zweite Amtszeit bestellt – diesmal mit einem einstimmig positiven Votum des Zentralbankrats.
Während ihrer Amtszeit startete im Jahr 1979 das Europäische Währungssystem (EWS), das ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer gemeinsamen europäischen Währung war. Dingwort-Nusseck sprach sich mit Blick auf die Währungsunion für die sogenannte Krönungstheorie aus. Nach dieser Theorie sollte eine gemeinsame Währung erst am Ende eines politischen Einigungsprozesses in Europa stehen, sozusagen als dessen Krönung. Demgegenüber stand die Vorstellung, eine Gemeinschaftswährung möglichst frühzeitig einzuführen, die dann als Katalysator für eine weitergehende Integration wirken sollte.
Im in einem Interview, das die TV-Journalistin Annette Weisbach im Rahmen der Oral History Reihe der Bundesbank 2016 mit ihr führte, betonte Julia Dingwort-Nusseck, dass „die echten Europaanhänger für die Krönungstheorie“
waren.
In ihrem Hauptverwaltungsbereich in Niedersachsen kümmerte sich Dingwort-Nusseck auch um die Verbesserung der Infrastruktur der Landeszentralbank. Alle Gebäude stammten noch aus Reichsbankzeiten und seien zum Teil sehr alt und nicht einbruchsicher gewesen, erzählt sie im Interview. So wie früher als Journalistin war es ihr zudem ein Anliegen, Wirtschaftsthemen verständlich zu erklären. „Ich bin wie eine Wanderpredigerin durch das Land gereist“
, beschreibt sie ihre Aktivitäten. Aus ihrer Zeit im Journalismus habe sie sehr viele Persönlichkeiten gekannt und Vorträge vor Menschen aus ganz unterschiedlichen Kreisen gehalten.
Und an die Währung hatte sie auch schon früh in ihrem Leben gute Erinnerungen. 1948, bei der Ausgabe des sogenannten „Kopfgeldes“ von 40 D-Mark (pro Person) im Zuge der Währungsreform, lernte sie ihren Mann kennen, mit dem sie bis zu dessen Ableben 60 Jahre „glücklich verheiratet
“ war.