Der deutsche Leistungsbilanzsaldo und seine Bestimmungsfaktoren
Deutschland hat 2013 einen Leistungsbilanzüberschuss von 206 Mrd. Euro verbucht. Das entspricht 7½% des Bruttoinlandsprodukts. Seit einiger Zeit wird diskutiert, inwieweit anhaltend hohe Überschüsse ein Problem darstellen und wirtschaftspolitischen Handlungsbedarf anzeigen. Vor diesem Hintergrund ist auch die "vertiefte Analyse" der Europäischen Kommission zur Beurteilung der Existenz makroökonomischer Ungleichgewichte in Deutschland zu sehen.
Im historischen Rückblick sind Leistungsbilanzdefizite für Deutschland eher selten. Fehlbeträge gab es kurzfristig in den wirtschaftlichen Schwächephasen Ende der 1960er und Anfang der 1980er Jahre. Nach der Wiedervereinigung drückten eine kräftige Binnennachfrage und ein immenser Kapitalbedarf die Leistungsbilanz über einen längeren Zeitraum ins Minus. Zur Jahrtausendwende waren sowohl der deutsche Leistungsbilanzsaldo als auch die Netto-Auslandsposition etwa ausgeglichen.
Deutsche Unternehmen gut positioniert
Die Entwicklung der Leistungsbilanz in den vergangenen zwei Jahrzehnten steht im Kontext wichtiger Ereignisse innerhalb und außerhalb Deutschlands, darunter insbesondere der deutschen Wiedervereinigung, dem Übergang zur Europäischen Währungsunion sowie der Finanz- und Staatsschuldenkrise. Im Ausmaß und der Dauerhaftigkeit der Leistungsbilanzüberschüsse spiegelt sich auch die Anpassungsleistung der deutschen Volkwirtschaft in der letzten Dekade wider. Die Unternehmen sind auf den globalen Absatzmärkten sehr gut positioniert und mittlerweile finanziell deutlich widerstandsfähiger. Die privaten Haushalte haben in einer Phase sehr verhaltener Einkommenszuwächse sowie angesichts der Herausforderungen durch die Alterung der Gesellschaft ihr Konsum- und Sparverhalten angepasst, staatliche Defizite wurden abgebaut.
Deutschland wird auf absehbare Zeit aller Voraussicht nach weiter einen positiven Leistungsbilanzsaldo aufweisen. Die Höhe der Überschüsse dürfte aber sinken. Die Anpassungsprozesse in den Partnerländern der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion werden den Exportüberhang im Warenhandel weiter zurückgehen lassen. Ähnliche Impulse für einen marktgetriebenen Rückgang könnten -auch von Handelspartnern außerhalb des Euro-Raums ausgehen, wenn es dort zu einem Abbau binnenwirtschaftlicher Ungleichgewichte kommt.
Die Vermögensbildung in Deutschland wird grundsätzlich durch das Motiv der Altersvorsorge gestützt. Gedämpft werden die Ersparnisse jedoch dadurch, dass immer größere Bevölkerungsteile in eine Lebensphase eintreten, die von einer vergleichsweise geringen Sparneigung geprägt ist. Generell ist die Rolle eines Netto-Kapitalgebers für Deutschland angesichts der vergleichsweise ungünstigen Demografie und des hohen Entwicklungsstandes allerdings durchaus angemessen.
Strukturpolitische Weichenstellungen
Der Leistungsbilanzsaldo ist das Ergebnis zahlreicher, überwiegend privatwirtschaftlicher Entscheidungen im In- und Ausland und lässt sich mit Mitteln der Makropolitik nicht sinnvoll steuern. Außerdem liegen offensichtliche Marktverzerrungen, die einen Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands begünstigen, nicht vor. Gleichwohl können zentrale strukturpolitische Weichenstellungen Wachstumschancen eröffnen, die Investitionsbereitschaft im Inland erhöhen und so mittelbar den Leistungsbilanzsaldo verringern. Dazu gehören verstärkte Anstrengungen bei Forschung und Entwicklung, die Modernisierung und der Ausbau der Verkehrs- und Nachrichtennetze, die Gestaltung der Energiewende und eine weitere Liberalisierung in Dienstleistungsbranchen.