Verwendung von Taschenrechner für Bilanzierung ©Tom Grill / Getty Images

Bundesbank zur kalten Progression: Verfahren zur Tarifanpassung ließe sich verbessern

Die Einkommensteuer in Deutschland soll die Steuerlasten nach der Leistungsfähigkeit verteilen. Der Einkommensteuer-Tarif ist daher progressiv; das bedeutet, je höher die nominalen Einkommen, umso höher ist der durchschnittliche Steuersatz. Steigen die Preise bei unverändertem Steuertarif, führt dies zu „schleichenden Steuererhöhungen“ – zur sogenannten kalten Progression: Die Steuerlast bezogen auf das reale Einkommen erhöht sich. Dabei zeigt das reale Einkommen eher die Leistungsfähigkeit an. Es ist um die Preisentwicklung korrigiert und sagt daher aus, wie viel Waren und Dienstleistungen sich damit kaufen lassen.

Um die kalte Progression zu vermeiden, hat der Gesetzgeber den Steuertarif seit 2013 im Großen und Ganzen regelmäßig mit einem Jahr verzögert an die erwartete Inflationsrate angepasst. „Die Inflation wurde damit zwar nicht immer in jedem Jahr genau kompensiert, aber insgesamt etwa ausgeglichen“, schreibt die Bundesbank. Aufgrund der im vergangenen Jahr stark gestiegenen Preise habe die kalte Progression die Tarifentlastung 2021 deutlich übertroffen. In den zwei Vorjahren sei es aber zu entgegengesetzten Effekten gekommen – in insgesamt ähnlicher Größenordnung. Für das laufende Jahr erwarten die Fachleute aufgrund der nochmals sehr viel höheren Inflationsrate eine kalte Progression von insgesamt etwa 13 ½ Milliarden Euro. Diese gehe deutlich über die beschlossenen Tarifentlastungen im Jahr 2022 hinaus. Grund dafür sei, dass der Steuertarif erst verzögert angepasst werde und zudem der zugrunde gelegte Preisanstieg im Jahr 2021 unterschätzt wurde.

Aktuelles Verfahren ließe sich verbessern

Die aktuelle Entwicklung zeige, dass das derzeitige Verfahren die kalte Progression nicht zielgenau und zeitnah kompensiere. Bei vergleichsweise stabilen Inflationsraten würden diese Aspekte nicht stärker ins Gewicht fallen. Schwankungen und größere Schätzfehler könnten aber auch für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden. „Deshalb ist zu erwarten, dass das Verfahren auch künftig immer mal wieder zu wenig passgenauen Kompensationsbeschlüssen führt“, schreibt die Bundesbank.

Die Fachleute empfehlen daher, Steuertarife künftig jährlich statt wie bisher alle zwei Jahre zu überprüfen und gegebenenfalls zu verschieben. Sie schlagen vor, im Herbst jeden Jahres auf Basis der Regierungsprognose für die Inflationsrate des kommenden Jahres den Tarif für das kommende Jahr anzupassen. So ließen sich unerwartet stark schwankende Preissteigerungen oder eine außergewöhnlich hohe Inflationsrate zeitnäher berücksichtigen. Schätzfehler könnten mit den nächsten Anpassungen des Steuertarifs verrechnet werden.

Mehr Transparenz bei der Finanzplanung wünschenswert

Ferner weisen die Expertinnen und Experten darauf hin, dass sich durch kalte Progression kein zusätzlicher Finanzspielraum ergibt, wenn diese regelmäßig kompensiert wird. Solange die Finanzpolitik an der bisherigen Praxis festhalte, wäre es deshalb folgerichtig, dass Bund und Länder nicht mit solchen Einnahmen planen – auch nicht in ihren mittelfristigen Finanzplanungen. Derzeit ist nicht immer klar ersichtlich, was diesbezüglich konkret in die Planungen eingestellt wurde. Ganz generell raten die Fachleute, das Steuersystem von Zeit zu Zeit grundsätzlicher zu überprüfen – ob etwa die Wirkungen auf die Arbeitsanreize und die Verteilungswirkungen noch die gewünschte Ausrichtung haben.