Bundesbank kritisiert Entwicklung der europäischen Fiskalregeln
Die Ökonominnen und Ökonomen der Bundesbank kritisieren, dass die europäischen Fiskalregeln in den vergangenen Jahren nicht gestärkt, sondern geschwächt worden seien. "Die Regeln wurden immer komplexer, und es wurden beträchtliche Ermessungsspielräume eröffnet"
, stellen sie im aktuellen Monatsbericht fest. Die Europäische Kommission, die für die Überwachung der Regeleinhaltung zuständig ist, habe im Einvernehmen mit dem Rat der Europäischen Union zunehmend auf Flexibilisierung gesetzt. "Mittlerweile ist die Implementierung kaum noch nachvollziehbar. Es besteht der Eindruck, dass die Regelauslegung teils aus einem politischen Verhandlungsprozess resultiert."
Fiskalregeln sollen gemeinsame Geldpolitik absichern
Fiskalregeln sind ein Eckpfeiler der Währungsunion und sollen zu soliden Staatsfinanzen der Euroländer beitragen. Sie sollten verhindern, dass bei der Finanzpolitik immer wieder zu Defiziten und einer expansiven Ausrichtung gegriffen wird. So sollten sie davor schützen, dass die Geldpolitik "unter Druck gerät, überschuldete Staaten zu finanzieren und dabei das Ziel der Preisstabilität zu vernachlässigen oder eine Umverteilung über die Notenbankbilanz vorzunehmen"
, heißt es im Monatsbericht.
Die europäischen Fiskalregeln gehen auf den Maastricht-Vertrag zurück, der für den Beitritt zur europäischen Währungsunion die Einhaltung bestimmter Referenzwerte für die staatliche Defizit- und Schuldenquote vorsieht. Die Fiskalregeln wurden im Zeitverlauf wiederholt verändert und ergänzt. Maßgeblich ist insbesondere der Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP). Dessen sogenannter präventiver Arm schreibt vor, dass grundsätzlich ein strukturell annähernd ausgeglichener Staatshaushalt erreicht werden soll und regelt, wie bei Verfehlungen dieses Ziels vorzugehen ist. Im sogenannten korrektiven Arm ist vorgesehen, im Prinzip ein Verfahren einzuleiten, wenn das staatliche Defizit über 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt oder auch, wenn die Schuldenquote 60 Prozent überschreitet und nicht hinreichend schnell sinkt.
Fiskalregeln zunehmend geschwächt
Seit der Euro-Einführung im Jahr 1999 seien die genannten regulären quantitativen Ziele und Vorgaben des SWP häufig verfehlt worden, so die Ökonominnen und Ökonomen. "Obwohl als Lehre aus der Staatsschuldenkrise und insbesondere bei Ausweitung der fiskalischen und geldpolitischen Risikoteilung die Notwendigkeit einer stärkeren Bindungswirkung betont wurde, hat dies im weiteren Verlauf eine geringe Rolle gespielt."
Sowohl im präventiven als auch im korrektiven Arm stünden zunehmend Flexibilität und Konjunkturstimulierung im Fokus. Die Regeln beinhalteten viele Ausnahmen, Besonderheiten und Entscheidungsspielräume insbesondere für Schuldbefreiungen, sodass anhaltend hohe Defizite regelkonform möglich seien und auch eine Stärkung des Schuldenkriteriums nicht zu erkennen sei. "Letztlich ist die Feststellung eines übermäßigen Defizits hinsichtlich des Schuldenkriteriums wenig wahrscheinlich und auch bis heute in keinem Fall erfolgt"
, so die Fachleute. Insgesamt entstehe der Eindruck, dass "die Regeln an die Finanzpolitik der einzelnen Länder angepasst werden und nicht umgekehrt."
Fiskalregeln wieder stärken
Für die Zukunft sei es wichtig, die Währungsunion krisenfester zu machen, heißt es in dem Monatsbericht. Die Belastung aus den teilweise noch sehr hohen Staatsschulden werde zwar durch das Niedrigzinsniveau derzeit stark gemildert. Es sei aber auch im Hinblick auf eine geldpolitische Normalisierung elementar, dass alle Länder zügig eine solide Grundposition erreichten. "Auch um künftig bei einer weniger expansiven geldpolitischen Ausrichtung das Vertrauen in die Staatsfinanzen bewahren zu können, wäre es wichtig, die Fiskalregeln wieder zu stärken"
, fordern die Ökonominnen und Ökonomen. Hierzu gehörten eine einfache transparente Umsetzung und Ausgestaltung. Dazu sei "eine deutliche Einschränkung der Ausnahmen, zu berücksichtigenden Faktoren und Bereinigungen geboten".
Die Bundesbank hält es im Hinblick auf eine zielgenaue und weniger politische Herangehensweise für sinnvoll, die Überwachung der Regeleinhaltung von der Kommission auf eine neue oder andere Institution – etwa dem Europäischen Stabilitätsmechanismus – zu übertragen. Zusätzlich entstünden den Mitgliedstaaten bei Haftungsausschluss Anreize für eine solide Fiskalpolitik mit der Kreditaufnahme am Kapitalmarkt. Glaubwürdige Fiskalregeln könnten dabei eine marktmäßige Kreditaufnahme ohne wesentliche Risikoaufschläge unterstützen. Dagegen würde eine Ausweitung der Gemeinschaftshaftung, etwa zur Kompensation eines mit schwachen Fiskalregeln verbundenen Vertrauensverlustes in solide Staatsfinanzen einzelner Länder, die Balance von Haftung und Kontrolle weiter schwächen, so die Bundesbank-Fachleute.