Bundesbank begrüßt Schaffung einer Kapitalmarktunion
Die Bundesbank hat sich für die Schaffung einer europäischen Kapitalmarktunion ausgesprochen. Mit diesem Projekt verbinde sich die Chance, die Kapitalmärkte in Europa weiterzuentwickeln und enger zu verflechten, heißt es in einer Stellungnahme der Bundesbank zu einem Grünbuch der EU-Kommission. In Grünbüchern gibt die EU-Kommission Denkanstöße zu bestimmten Themen, die oft Debattengrundlage für ein späteres Gesetzgebungsverfahren auf europäischer Ebene sind.
Handlungsbedarf besteht aus Sicht der Bundesbank, weil die Entwicklung und Integration der Kapitalmärkte in Europa bislang unvollständig geblieben ist. Die Unternehmensfinanzierung sei in Europa stark auf Bankkredite konzentriert, während US-amerikanische Unternehmen Fremdkapital in stärkerem Maße über Anleihen aufnähmen, heißt es in der Stellungnahme. Durch die Konzentration auf Bankkredite könnten sich nach Einschätzung der Bundesbank die negativen Auswirkungen der Finanzkrise 2007 bis 2009 auf das Wirtschaftswachstum in Europa noch vergrößert haben. Stärker entwickelte und integrierte Märkte für Eigen- und Fremdkapital hätten der Realwirtschaft wertvolle Finanzierungsalternativen zur zurückgehenden Vergabe von Bankkrediten geboten.
Wie die Bundesbank in ihrer Stellungnahme ausführt, nahmen grenzüberschreitende Kapitalströme mit Beginn der 1990er Jahre zu und signalisierten eine stärker werdende Kapitalmarktintegration. Allerdings waren diese Kapitalströme ebenso durch Bankkredite dominiert, die während der Finanzkrise eine plötzliche Umkehr auf heimische Märkte zeigten. Die Finanzkrise trug laut Bundesbank zu einer Fragmentierung der Finanzmärkte bei. Obwohl sich ein hoher Anteil der Aktien im Euroraum in ausländischem Besitz befinde, seien andere Marktsegmente, wie beispielsweise der Markt für Wagniskapital, äußerst zersplittert. Darüber hinaus würden grenzüberschreitende Investitionen häufig durch institutionelle Hürden eingeschränkt.
"Doppelte Dividende"
Die Kapitalmarktunion könnte sich nach Einschätzung der Bundesbank mit einer "doppelten Dividende" auszahlen: Ein größerer Anteil von Eigenkapital bei der Unternehmensfinanzierung und eine Steigerung der grenzüberschreitenden Eigenkapitalströme würden das europäische Finanzsystem wachstumsfreundlicher und zugleich widerstandsfähiger gegen Schocks werden lassen.
Je mehr Investitionsmöglichkeiten sich aus Forschungs- und Entwicklungsarbeit durch Unternehmen ergeben, desto mehr steige auch deren Bedarf an externer Eigenkapitalfinanzierung, heißt es in der Stellungnahme. Erfahrungen in den USA und Europa zeigten, dass ein höheres Angebot an externem Eigenkapital im Umkehrschluss Innovationen und Investitionen positiv beeinflussten. Die Bundesbank regt zudem an, beim Projekt Kapitalmarktunion diese positiven Effekte von Wagniskapitalinvestitionen auf die Innovationsaktivitäten junger Unternehmen besonders zu berücksichtigen.
Die Bundesbank geht in ihrer Stellungnahme auch auf die stabilisierende Funktion von Eigenkapital ein. Da es als Polster für mögliche Verluste zur Verfügung steht, könnten Unternehmen mit tragfähigen Geschäftsmodellen und hohen Eigenkapitalpuffern größere Schocks verkraften als Unternehmen, die vorwiegend kreditfinanziert seien. Auch auf Ebene von Länderrisiken könne Eigenkapital eine stabilisierende Wirkung entfalten, wie die Bundesbank erläutert: Komme es in einer Region oder einem Land zu einem lokalen gesamtwirtschaftlichen Schock, trügen die Eigenkapitalinvestoren betroffener Unternehmen die Verluste. Komme dieses Kapital nicht nur aus der betroffenen Region, sondern stamme aus grenzüberschreitenden Beteiligungen, erfolge eine grenzübschreitende Risikoteilung. Verluste würden dann auch von Investoren aus anderen EU-Mitgliedstaaten getragen werden. Das mindere die Gefahr, dass sich durch Einkommens- oder Konsumeffekte weitere Ungleichgewichte aufbauen und verringere die Notwendigkeit weiterer fiskalischer Risikoteilungskanäle in der EU, die in jüngster Zeit häufig diskutiert werden, betont die Bundesbank.
Drei Prioritäten für Reformen
Aus Sicht der Bundesbank gibt es bei der Einführung der Kapitalmarktunion drei Prioritäten. Erstens regt sie eine Reform der nationalen Gesetzgebungen im Insolvenzrecht an, die der Restrukturierung der Schulden des privaten Sektors in einigen Mitgliedstaaten im Weg stünden. Eine Reform könnte Umschuldungen erleichtern, Banken hätten bessere Möglichkeiten, sich von Altlasten in der Bilanz zu befreien und letztlich würden Finanzmittel wieder produktiv eingesetzt werden, was die wirtschaftliche Erholung unterstützen würde.
Zweitens sollten Barrieren der Entwicklung und Integration europäischer Kapitalmärkte abgebaut werden, um Unternehmen den Zugang zu Kapital zu erleichtern. Aus Sicht der Bundesbank kann hierfür eine stärkere Harmonisierung des Rechtsrahmens für Verbriefungen und Kreditfonds ins Auge gefasst werden. Jedoch solle sich die Kapitalmarktunion ebenso mit ambitionierteren Reformen von Regelungen befassen, die Struktur und Integration der Finanzmärkte beeinflussen. Dazu zählten etwa Übernahmeregeln, Regeln für die nternehmensführung sowie Aspekte des Steuerrechts und des Insolvenzrechts.
Drittens sollten mit der Kapitalmarktunion keine weiteren Marktverzerrungen geschaffen werden, heißt es in der Stellungnahme weiter. So könnten Anreize für Investitionen in bestimmte Vermögensarten (z. B. durch gezielte Absenkung regulatorischer Standards) dazu führen, dass Mittel nicht effizient eingesetzt werden oder dass Investoren überhöhte Risiken eingehen. Derartige Entwicklungen können laut Bundesbank zur Entstehung von Finanzstabilitätsrisiken führen.
Eingehende Analyse des Handlungsbedarfs
In ihrer Stellungnahme weist die Bundesbank darauf hin, dass für die Kapitalmarktunion eine vollständige Angleichung nationaler Regeln nicht zwingend erforderlich beziehungsweise nicht möglich sei. Eine wichtige Rolle könne die EU jedoch dabei spielen, für mehr Transparenz hinsichtlich der unterschiedlichen nationalen Regeln zu sorgen.
Bevor Maßnahmen für vereinfachte Bedingungen der Kapitalaufnahme ergriffen würden, müsse zudem der tatsächliche Handlungsbedarf eingehend analysiert werden. Fehlende Finanzierungsmöglichkeiten seien nicht notwendigerweise der einzige Grund für geringe Investitionen in einigen EU-Staaten, wie die Bundesbank weiter ausführt. Auch geringe Produktivität, ein zu geringes Maß an Innovation oder fehlende profitable Investitionsmöglichkeiten seien mögliche Ursachen. Derartige Probleme erfordern jedoch über die Kapitalmarktunion hinausgehende, strukturelle Reformen.