Arbeitsproduktivität im Euroraum wächst deutlich langsamer
Die Arbeitsproduktivität im Euroraum ist in den vergangenen 20 Jahren deutlich langsamer gewachsen. Ursache für diese Entwicklung seien nicht zuletzt strukturelle Faktoren, schreibt die Bundesbank in ihrem aktuellen Monatsbericht. Neben einer nachlassenden unternehmerischen Innovations- und Adaptionsfähigkeit in manchen Wirtschaftszweigen könnte auch der demografische Wandel die Arbeitsproduktivität negativ beeinflussen, so die Fachleute.
Die Arbeitsproduktivität ist ein wichtiges Maß für das langfristige Wachstumspotenzial einer Volkswirtschaft und gilt häufig als Wohlstandsmaß. Definiert wird sie als das Verhältnis von gesamtwirtschaftlicher Produktion zum Arbeitseinsatz.
Deutliche Unterschiede zwischen den Euro-Ländern
Zwischen 1999 und 2019 habe sich der Produktivitätsfortschritt im Euroraum spürbar verlangsamt, heißt es im Monatsbericht. Insbesondere im Verarbeitenden Gewerbe sowie im Bereich Kommunikation und Information habe sich das Wachstum der Arbeitsproduktivität stark abgeschwächt. Dabei zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten. Während die Arbeitsproduktivität in Estland, Irland, Lettland, Litauen, der Slowakei und Slowenien stärker als im Mittel des Euro-Raums gestiegen sei, sei das Wachstum in den fünf größten Euro-Ländern demgegenüber deutlich verhaltender ausgefallen.
Infolge der 2008 einsetzenden globalen Finanz- und Wirtschaftskrise und der anschließenden Staatsschuldenkrise im Euroraum sei das Wachstum der Arbeitsproduktivität in den meisten Euro-Ländern eingebrochen. „In den Folgejahren nahm das Produktivitätswachstum zwar wieder Fahrt auf, schloss aber in den meisten Ländern des Euroraums nicht mehr zu den Vorkrisenraten auf“
, schreiben die Bundesbank-Fachleute.
Verschiedene strukturelle Einflüsse
Wie die Analyse zeigt, begann sich das Wachstum der Arbeitsproduktivität bereits vor der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise zu verlangsamen. Dies deute neben zyklischen auch auf strukturelle Ursachen für die Entwicklung hin. So gebe es Hinweise darauf, dass die Innovations- und die Adaptionsfähigkeit der Unternehmen in manchen Bereichen der Wirtschaft nachgelassen hat. Gemeint ist damit einerseits die Fähigkeit, neue Produkte und Prozesse zu entwickeln und andererseits neue Technologien in eigene Produktionsabläufe zu integrieren. Auch habe sich die Qualität der Faktorallokation über die Unternehmen innerhalb von Wirtschaftszweigen verschlechtert. Und schließlich habe die Unternehmensdynamik, gemessen anhand der Gründungs- und Schließungsraten von Unternehmen, tendenziell nachgelassen. Insbesondere zwischen 2013 und 2017 habe sich die Unternehmensdynamik trotz eines konjunkturellen Aufschwungs vergleichsweise schwach gezeigt.
Als weiteren hemmenden Faktor nennen die Autorinnen und Autoren die Alterung der Bevölkerung. Wie verschiedene Studien belegten, könne der demografische Wandel sowohl die Innovations- und die Adaptionsfähigkeit der Unternehmen als auch die Unternehmensdynamik beeinträchtigen. „Eine empirische Analyse für den Euroraum legt nahe, dass der demografische Wandel in der Tat das Produktivitätswachstum dämpfte.“
In den vergangenen Jahren habe zudem der relative Bedeutungsverlust der Industrie das Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Produktivität beeinträchtigt. So seien Arbeitsplätze verstärkt in Wirtschaftszweige mit vergleichsweise niedrigem Produktivitätswachstum verlagert worden. Verstärkte Produktivitätsgewinne bei einigen Dienstleistungen hätten dies nicht ausgleichen können, so die Ökonominnen und Ökonomen.
Einfluss der Pandemie schwer abzuschätzen
Wie sich die Arbeitsproduktivität zukünftig entwickeln könnte, sei derzeit noch schwer abzuschätzen. Die Fachleute gehen aber davon aus, dass die Alterung der Bevölkerung auch zukünftig die Arbeitsproduktivität dämpfen dürfte. Der Gesamteffekt der Coronavirus-Pandemie sei derzeit noch unklar. Der massive Wirtschaftseinbruch dürfte die Produktivitätsentwicklung zwar belasten, so die Expertinnen und Experten. Allerdings könnte ein durch die Herausforderungen der Krise ausgelöster Innovationsschub, etwa durch verstärkte Digitalisierung, dieser Entwicklung entgegenwirken.