"Von einer Deflation kann keine Rede sein"

Die niedrigen Teuerungsraten im Euro-Raum sind aus Sicht von Bundesbankpräsident Jens Weidmann kein Anlass für eine weitergehende geldpolitische Lockerung. "Ich rate dazu, nicht in hektischen Aktionismus zu verfallen und jetzt Kurs zu halten", sagte er in einem Interview mit dem "Spiegel". Die Konjunkturindikatoren im Euroraum hätten zuletzt durchaus positive Signale gesendet, sagte Weidmann. So sei ein moderater Aufschwung und steigende Beschäftigung zu beobachten.

Weidmann rechnet damit, dass die Preise auch in den kommenden Monaten kaum steigen und die Inflationsrate vorübergehend sogar negativ werden könne. Auf mittlere Frist werde sich die Inflation aber wieder dem Zielwert von knapp unter zwei Prozent annähern. "Von einer Deflation im Sinne einer destabilisierenden, sich selbst verstärkenden Abwärtsbewegung der Preise kann keine Rede sein", unterstrich er im Interview. "Der Hauptgrund für die derzeit sehr niedrigen Inflationsraten ist der gesunkene Ölpreis", erläuterte Weidmann. Dessen Einfluss auf die Teuerungsrate werde aber nur vorübergehend sein.

Durch den drastischen Verfall der Energiepreise hätten allein in Deutschland Verbraucher und Unternehmen fast 25 Milliarden Euro mehr in der Tasche, sagte der Bundesbankpräsident. Das sei schon ein ordentliches Konjunkturprogramm. "Ich sehe derzeit nicht, warum die Notenbank jetzt noch etwas draufpacken sollte", sagte er.

Normalisierung der Wachstumsraten in China

Trotz der zu beobachtenden wirtschaftlichen Abkühlung in China äußerte sich Weidmann im Interview zuversichtlich, dass sich die konjunkturelle Erholung in Europa festigen werde. "Ich sehe in China vor allem die Normalisierung hoher, vielleicht auch zu hoher Wachstumsraten", sagte er. Dies sei nicht unbedingt ein Einbruch, sondern eine Verlangsamung, die auch in anderen Schwellenländern zu beobachten sei.

Die Entwicklung in China ist Weidmann zufolge einer der Gründe für das Zögern der US-Notenbank Federal Reserve bei der Zinswende in den USA. Entwicklungen im Ausland spielten bei geldpolitischen Entscheidungen eine Rolle, so Weidmann. Nach seiner Auffassung sollten sich Notenbanken aber eng an ihr Mandat halten. So müsse die Fed sowohl auf die Inflation als auch auf den Arbeitsmarkt in den USA schauen.

Die US-Konjunktur erhole sich, daher habe die US-Notenbank Federal Reserve klargemacht, dass die Zinserhöhung näher rücke, sagte Weidmann. "Entscheidend ist, dass ausreichend Zeit war, sich darauf einzustellen." Gerade Schwellenländer seien gut beraten gewesen, sich auf eine Zinswende und Kapitalabflüsse vorzubereiten. Zuvor hätten sie zudem von den Niedrigzinsen durch Kapitalzuflüsse profitiert, gab Weidmann zu bedenken.

Mit Blick auf die Entwicklung in Deutschland warnte Weidmann davor, durch schlechte Wirtschaftspolitik das Wachstum zu schwächen. Als Beispiel nannte er "eine Rentenpolitik, die dem Arbeitsmarkt Arbeitskräfte entzieht".

Sorglosigkeit bei Staatsdefiziten

In Europa ist die Krisenbewältigung nach Ansicht des Bundesbankpräsidenten noch nicht abgeschlossen. "Die Eurostaaten dürfen auch den Weg zu soliden Staatsfinanzen nicht verlassen", mahnte Weidmann im Interview. So scheine Italien seine Haushaltskonsolidierung auf die lange Bank schieben zu wollen. Dies sei aber kein Einzelfall, sagte Weidmann. "Mich treibt die Sorglosigkeit um, mit der viele europäische Regierungen ihre Staatsdefizite behandeln und sich auf die Geldpolitik zu verlassen scheinen."

Die hohe Zahl an Flüchtlingen in Europa ist nach Weidmanns Auffassung kein Grund für eine Aufweichung des Stabilitätspakts. In den meisten Ländern dürften sich die tatsächlichen Kosten in Grenzen halten, sagte er. "Ich sehe hier eher das Problem, dass immer wieder nach Begründungen für einen Konsolidierungsaufschub gesucht wird", so Weidmann.

Angesichts der Verletzungen vereinbarter Schuldenregeln übte Weidmann Kritik an der EU-Kommission als Hüterin über die europäischen Verträge. "Wenn sich die Kommission vor allem in einer politischen Rolle sieht und sich berufen fühlt, Kompromisse zwischen den Mitgliedsländern auszuhandeln, ist die Haushaltsüberwachung bei ihr nicht gut aufgehoben", mahnte der Bundesbankpräsident. Nach seiner Auffassung sollten die Aufgaben der Kommission im Rahmen der Fiskalregeln auf eine unabhängige Fiskalbehörde übertragen werden. Am Ende müssten zwar immer noch die Finanzminister entscheiden, doch so könne dafür gesorgt werden, dass die Haushaltsdisziplin nicht schon im Vorfeld aufgeweicht werde.