"Richtigen Zeitpunkt für geldpolitische Normalisierung nicht verpassen"

Jens Weidmann beim Institute for Monetary and Financial Stability ©Nils Thies
Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) sollte nach Auffassung von Bundesbankpräsident Jens Weidmann darauf achten, den richtigen Zeitpunkt für eine geldpolitische Normalisierung nicht zu verpassen. "Gerade weil die monetären Bedingungen noch lange Zeit konjunkturstützend wirken, stellt sich die Frage, wieviel Wasser unter dem Kiel der Geldpolitik bleibt, wenn der nächste Abschwung kommt", sagte er bei einer Rede beim Institute for Monetary and Financial Stability der Universität Frankfurt.

Allerdings ist eine expansive Ausrichtung der Geldpolitik im Euroraum Weidmann zufolge angesichts des gedämpften Preisauftriebs nach wie vor angemessen. "Darüber, wie stark allerdings geldpolitisch Gas gegeben werden muss und welche Instrumente dabei genutzt werden sollten, kann man freilich unterschiedlicher Auffassung sein", sagte er.

Geldpolitik bleibt konjunkturstützend

Weidmann betonte, dass selbst nach einem Auslaufen der Nettokäufe im Rahmen des Anleihekaufprogramms die Geldpolitik des Euroraums weiterhin außerordentlich akkommodierend bleibe. Für den Expansionsgrad der Geldpolitik komme es dabei nicht so sehr auf die Höhe der monatlichen Zukäufe an, sondern vor allem auf das Gesamtvolumen der Staatsanleihen in den Büchern der Notenbanken. Auch nach dem Auslaufen der Nettokäufe werde der Bestand an Staatsanleihen, der von den Notenbanken des Eurosystems gehalten wird, auf einem sehr hohen Niveau bleiben. Denn der EZB-Rat habe eine Re-Investitionspolitik beschlossen, bei der fällig werdende Anleihen durch neuemittierte ersetzt werden.

Nach Einschätzung des Bundesbankpräsidenten sind Staatsanleihekäufe angesichts vieler damit verbundener Probleme ein reines Notfallinstrument, etwa wenn es darum geht, eine gefährliche Deflationsspirale aus sinkenden Preisen und fallenden Löhnen abzuwehren. "Die Deflationsbefürchtungen habe ich schon in der Vergangenheit für übertrieben gehalten", sagte er. "Mittlerweile sind sie weitestgehend verschwunden."

Die jüngste Projektion des EZB-Stabs zeige, dass der Inflationsdruck im Euro-Raum nach wie vor verhalten sei. Danach erwarten die Ökonomen 2018 eine Teuerung von 1,2 Prozent und 2019 von 1,5 Prozent. "Die in der Prognose aufgezeigte Entwicklung des binnenwirtschaftlichen Preisdrucks steht aber durchaus im Einklang mit einem Pfad hin zu unserer Definition von Preisstabilität", sagt Weidmann. Der EZB-Rat spricht von Preisstabilität bei einem Anstieg der Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahr von unter, aber nahe 2 Prozent.

Geldpolitik beeinflusst Risikobereitschaft

Weidmann ging in seiner Rede auch auf die Rolle der Geldpolitik bei der Sicherung der Finanzstabilität ein. "Die Geldpolitik kann auf die Risikobereitschaft der Finanzakteure einwirken", sagte er. Dabei beeinflusse sie die Risikoneigung der Banken aber auch auf eine nicht intendierte Art und Weise. "Je stärker eine Notenbank Banken gegen mögliche Risiken absichert und ihnen im Fall der Fälle Notenbankfinanzierung in Aussicht stellt, desto geringer wird deren Scheu, übermäßige Risiken einzugehen", sagte er.

Für die Geldpolitik wäre es nach Einschätzung des Bundesbankpräsidenten jedoch gefährlich, ausdrücklich auch das Ziel der Finanzstabilität zu verfolgen, womöglich gleichrangig zum Ziel der Preisstabilität. "Je mehr Ziele die Geldpolitik verfolgt, desto eher könnte die Geldpolitik in einem Zielkonflikt gefangen sein und gezwungen werden, zwischen Zielen abzuwägen", erläuterte er. "Dadurch könnte die Geldpolitik nicht nur stärker unter politischen Druck geraten, sondern es könnte auch der Eindruck der geldpolitischen Beliebigkeit entstehen."

Hammer und Skalpell

Die erste Verteidigungslinie  gegen Risiken für die Finanzstabilität ist Weidmann zufolge die makroprudenzielle Politik. Deren Instrumente –  wie antizyklische Kapitalpuffer oder Begrenzungen der Höhe von Immobilienkrediten im Verhältnis zu Beleihungswert oder Einkommen – ließen sich viel zielgerichteter einsetzen als die Geldpolitik. "Während die Geldpolitik mit Blick auf die Finanzstabilität also der Hammer im Instrumentenkasten einer Notenbank ist, sind die makroprudenziellen Instrumente das Skalpell." Dies gelte gerade für den Euroraum, wo nationale Fehlentwicklungen mit der einheitlichen Geldpolitik nicht adressiert werden könnten.

Geldpolitik muss längerfristige Entwicklungen im Blick haben

Doch Weidmann betonte zugleich, dass es auch für eine rein am Ziel der Preisstabilität orientierte Geldpolitik ratsam sein könne, die Entwicklung an den Finanzmärkten zu berücksichtigen. "Finanzkrisen haben, wie wir jüngst erleben mussten, einen erheblichen Einfluss auf den geldpolitischen Transmissionsprozess und die Fähigkeit der Geldpolitik, Preisstabilität gewährleisten zu können." Daher dürfe die Geldpolitik nicht tatenlos zusehen, wenn zum Beispiel eine übermäßige Kreditentwicklung die längerfristige Preisstabilität gefährde. Geldmengen- und Kreditaggregate seien gute Indikatoren für finanzielle Ungleichgewichte. Dies zeigten zahlreiche Untersuchungen und auch der Verlauf der letzten Krise. Deshalb habe die zweite, die monetäre Säule der geldpolitischen Strategie des Eurosystems nichts an Bedeutung verloren.