"Maastricht-Regeln müssen gestärkt werden"

Bundesbankpräsident Jens Weidmann hat nach dem Brexit-Referendum eine Debatte darüber gefordert, wie das Europa der Zukunft aussehen soll. Eine funktionierende Demokratie brauche interessierte und engagierte Bürger und eine Politik, die zuhöre. "Viele Menschen haben aber in Bezug auf Europa das Gefühl, dass sie nicht davon profitieren, sondern stattdessen die Lasten anderer tragen müssen", sagte Weidmann in einem Interview mit dem Wochenmagazin "Focus". Viele Menschen würden Europa als bürokratisch, bevormundend und bürgerfern empfinden, so der Bundesbankpräsident.

Konkrete Vorteile der europäischen Integration

Dabei ist die europäische Integration aus der Sicht von Weidmann ein historisches Projekt, das allen Bürgern zugutekommen soll. Den Bürgern müssten die vielfältigen konkreten Vorteile der europäischen Integration anschaulich vermittelt werden, wie zum Beispiel geringere Roaminggebühren oder freier Reiseverkehr. Das Potenzial sei zudem bei weitem noch nicht ausgeschöpft, sagte Weidmann. Auch ein gemeinsamer Markt für digitale Dienste oder gar eine gemeinsame Grenzsicherung hätte Vorteile für die Bürger.

Der Bundesbankpräsident glaubt indes nicht, dass sich nach dem britischen Referendum nun weitere Länder aus der EU verabschieden werden. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass die negativen Folgen, die der Austritt für das Vereinigte Königreich haben wird, anderen Ländern Appetit  auf einen solchen Schritt machen werden", sagte Weidmann. Mit Blick auf das künftige Verhältnis zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union plädierte er dafür, die wirtschaftlichen Verbindungen möglichst weitgehend zu erhalten. "Die Briten bleiben auch in Zukunft ein wichtiger Partner", sagte der Bundesbankpräsident.

Haushaltsregeln nicht aufweichen

Wichtig sei, dass sich die Mitgliedstaaten der Währungsunion an die gemeinsamen Verabredungen und Versprechen  halten. Weidmann warnte davor, das Brexit-Votum als Argument zu nutzen, die Haushaltsregeln weiter aufzuweichen. Die EU-Kommission trage leider dazu bei, dass diese Regeln nicht konsequent genug eingehalten würden. Im Ergebnis bekomme der Spagat zwischen politischer Kompromisssuche und dem Hüten der Verträge der Kommission nicht gut. Der Bundesbankpräsident schlug in diesem Zusammenhang erneut vor, eine unabhängige Institution zu schaffen, die auf die Einhaltung der vereinbarten Regeln achte. "Mit einer unabhängigen Institution, die die Regeln überwacht, wäre klar, wo die Analyse endet und der politische Prozess beginnt", sagte Weidmann. Die im Maastricht-Vertrag festgelegten Regeln seien weiter geltendes Recht. "Sie schließen eine Transferunion aus, müssen aber gestärkt werden", sagte er. Außerdem müsse grundsätzlich entschieden werden, wie stark sich Europa letztlich integrieren soll, betonte der Bundesbankpräsident. All dies scheine naheliegender zu sein, als reflexartige Rufe nach einer weitergehenden Haftungsvergemeinschaftung, so Weidmann.

Die Geldpolitik dürfe indes nicht dafür genutzt werden, Defizitsünder auf die richtige fiskalpolitische  Spur zu bringen oder Reformanstrengungen zu belohnen. "Wenn  wir so versuchten, ein von uns erwünschtes politisches Handeln zu erzwingen, dann würden wir unser Mandat, Preisstabilität zu gewährleisten, verletzen und unsere Unabhängigkeit missbrauchen", sagte Weidmann.