"Kauf von Staats­anleihen birgt Risiken"

Bundesbankpräsident Jens Weidmann sieht die aktuelle Entscheidung des EZB-Rats, Staatsanleihen anzukaufen, mit Skepsis. Seine Vorbehalte machte er am Wochenende in Interviews mit der "Bild"-Zeitung, der "Welt am Sonntag" und in der ARD-Fernsehsendung "Bericht aus Berlin" deutlich.

"Der Ankauf von Staatsanleihen ist in der Währungsunion kein Instrument wie jedes andere. Er birgt Risiken", sagte Weidmann in einem Interview mit der "Bild"-Zeitung von Samstag. Daher sollten die Hürden, ein solches Instrument einzusetzen, sehr hoch sein, sagte Weidmann im "Bericht aus Berlin".

60 Milliarden Euro pro Monat

Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) hatte vor wenigen Tagen ein erweitertes Programm beschlossen, das ab März 2015 einen Ankauf von Vermögenswerten vorsieht. Der Beschluss sieht vor, dass die EZB und die nationalen Notenbanken im Euro-Raum zusätzlich zu ihren bestehenden Programmen zum Ankauf von Vermögenswerten des privaten Sektors künftig auch Staatsanleihen kaufen. Ziel des Programms ist aus Sicht des EZB-Rates, das Mandat zur Gewährleistung der Preisstabilität zu erfüllen.

Damit will die EZB unter anderem über weiter sinkende Zinsen Anreize für Unternehmen und private Haushalte setzen, mehr zu investieren und zu konsumieren. Durch die Belebung der Konjunktur soll sich schließlich die Teuerungsrate im Euro-Raum wieder dem Niveau von 2 Prozent annähern.

Insgesamt sind monatliche Ankäufe von Vermögenswerten in Höhe von 60 Milliarden Euro geplant. Es ist vorgesehen, dass die Ankäufe bis September 2016 erfolgen, und in jedem Fall so lange, bis der EZB-Rat eine nachhaltige Korrektur der Inflationsentwicklung erkennt. Dazu wird die EZB von im Euro-Raum ansässigen Zentralstaaten, Emittenten mit Förderauftrag und europäischen Institutionen begebene Anleihen im Sekundärmarkt gegen Zentralbankgeld erwerben. Etwaige Verluste aus Ankäufen von Wertpapieren europäischer Institutionen sind gemeinsam von den Notenbanken des Eurosystems zu tragen. Diese Ankäufe werden 12 Prozent betragen. Außerdem wird die EZB 8 Prozent der Vermögenswerte kaufen. Somit unterliegen 20 Prozent der zusätzlichen Ankäufe dem Prinzip der Risikoteilung. Die verbleibenden 80 Prozent der Ankäufe von Vermögenswerten, die von den nationalen Notenbanken des Euro-Systems durchgeführt werden, unterliegen nicht der Verlustteilung. Die Aufteilung der Anleihekäufe auf die einzelnen nationalen Notenbanken richtet sich nach dem Landesanteil am Kapital der EZB. "Zusammen mit anderen Ausgestaltungsmerkmalen mindert das immerhin einige der Probleme, die mit Staatsanleihekäufen einhergehen", sagte Weidmann der "Welt am Sonntag".

Keine Deflation in Sicht

Seine Vorbehalte gegen das erweiterte Ankaufprogramm begründete Weidmann damit, dass er einen solch weitreichenden Schritt derzeit nicht für nötig halte. Zwar bringe die schwache Preisentwicklung die Geldpolitik in keine einfache Lage. Die Gefahr einer Deflation, einer gefährlichen Abwärtsspirale aus sinkenden Preisen und Löhnen, bei der auch die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zurückgeht, halte er aber gegenwärtig für sehr gering. Die derzeitig niedrigen Inflationsraten seien von zwei Faktoren getrieben: Zum einen von den Anpassungsprozessen in den Krisenländern. Zum anderen vor allem durch die niedrigen Ölpreise. "Sie wirken wie ein kleines Konjunkturprogramm. Sie stützen die Kaufkraft der Konsumenten und führen zu höheren Gewinnen bei den Unternehmen", sagte Weidmann im "Bericht aus Berlin". Es stelle sich die Frage, ob die Geldpolitik da noch etwas draufsetzen müsse. Es sei für die Notenbanken ein plausibler Ansatz, nicht auf die ölpreisbedingt niedrigen Inflationsraten zu reagieren, solange davon keine Zweitrundeneffekte ausgingen, sagte Weidmann der "Welt am Sonntag".

Krisenstaaten und Kommission in der Pflicht

Mit dem Kauf von Staatsanleihen würde der Reformdruck auf die Krisenländer reduziert. "Dies birgt das Risiko, dass solides Haushalten vernachlässigt wird", so Weidmann im Interview mit der "Bild"-Zeitung. Es wäre aber gefährlich, den eingeschlagenen Kurs nicht fortzusetzen, erklärte der Bundesbankpräsident. Ebenso wie EZB-Präsident Mario Draghi wies er darauf hin, dass die EZB die tief sitzenden Probleme der Euro-Staaten nicht lösen könne. "Das müssen sie selbst machen", betonte Weidmann. Dazu seien weitere Reformen zum Beispiel am Arbeitsmarkt und eine glaubwürdige Haushaltspolitik mit weniger Schulden nötig. Nun müsse die Politik das Nötige tun, fügte er im Gespräch mit der ARD hinzu. Er sehe die Kommission in der Pflicht, die Haushaltsregeln nicht weiter aufzuweichen.

Außerdem fürchtet der Bundesbankpräsident, dass die Notenbanken nun noch stärker unter Zugzwang kommen könnten. "Bei hoher Staatsverschuldung kann die Notenbank unter Druck geraten, für immer mehr Erleichterungen zu sorgen", sagte Weidmann in dem Interview mit der "Welt am Sonntag". Durch das Programm der EZB werde dieser Druck nun "sicher nicht schwächer", warnte er. Schließlich würden die Notenbanken nun zu den größten Gläubigern der Staaten.

Weidmann wies zudem auf die Gefahr negativer Wirkungen an den Finanzmärkten hin. "Das Risiko für Übertreibungen steigt sicherlich, auch wenn wir derzeit am deutschen Immobilienmarkt noch keine Blase sehen", sagte Weidmann der "Welt am Sonntag". Unmittelbare und durchaus gewollte Folge der Anleihekäufe sei, dass die Zinsen sinken würden. "Dadurch werden Investitionen und Konsum attraktiver, und Anleger werden sich zunehmend nach ertragsstärkeren und risikoreicheren Anlagen umsehen", so der Bundesbankpräsident.