"Erholung öffnet Perspektive für geldpolitische Normalisierung"
Die zunehmend robuste konjunkturelle Erholung im Euroraum schafft nach Einschätzung von Bundesbankpräsident Jens Weidmann Spielraum für eine Abkehr von der ultralockeren Geldpolitik. "Die andauernde Wirtschaftserholung öffnet nun die Perspektive für eine geldpolitische Normalisierung"
, sagte er zum Auftakt einer Diskussionsveranstaltung mit seinem österreichischen Amtskollegen Ewald Nowotny, zu dem der Europa Club Wien eingeladen hatte. Weidmann betonte, dass es nicht um eine Vollbremsung gehe, sondern darum, den Fuß etwas vom Gas zu nehmen. "Zeitpunkt und Tempo der geldpolitischen Normalisierung hängen davon ab, inwieweit der Preisanstieg nachhaltig und selbsttragend ist"
, sagte er.
Mit der Zeit zunehmender Preisdruck
Angesichts zuletzt eher rückläufiger Ölpreise rechnet Weidmann damit, dass die Inflationsraten im Euroraum zum Jahresende wieder etwas niedriger ausfallen werden. Der binnenwirtschaftliche Preisdruck sei noch immer vergleichsweise niedrig, sagte er. "Es besteht im
EZB-Rat aber auch Einigkeit darüber, dass auch der heimische Preisdruck im Euroraum mit der Zeit zunehmen wird – nicht zuletzt wegen der sich weiter bessernden Arbeitsmarktlage"
, so der Bundesbankpräsident.
Noch sei eine expansive Geldpolitik angemessen, um die wirtschaftliche Erholung und damit den Preisauftrieb im Euroraum zu stützen, sagte Weidmann. Es gebe im EZB-Rat aber unterschiedliche Sichtweisen darüber, wie stark geldpolitisch Gas gegeben werden müsse und welche Instrumente dabei eingesetzt werden sollten. Weidmann bekräftigte seine Kritik an den Staatsanleihekäufen: Diese seien für ihn ein reines Notfallinstrument, insbesondere zur Abwendung einer Deflation. "Die Deflationsbefürchtungen habe ich aber schon in der Vergangenheit für übertrieben gehalten"
, sagte er. Mittlerweile seien sie noch weiter in den Hintergrund gerückt.
Strukturreformen für Wachstumskräfte
In seiner Rede unterstrich Weidmann die Bedeutung kluger Finanz- und Wirtschaftspolitik für die Stärkung der Wachstumskräfte, beispielsweise durch Strukturreformen. Seit dem Höhepunkt der Staatsschuldenkrise habe die Reformbereitschaft jedoch arg nachgelassen. "Deutschland steht vor großen Aufgaben"
, betonte Weidmann. Es müsse seine sozialen Sicherungssysteme demografiefest machen, die Erwerbsbeteiligung weiter erhöhen, mehr in Bildung investieren und die digitale Infrastruktur ausbauen.
Auch auf europäischer Ebene sieht der Bundesbankpräsident noch viel brach liegendes Wachstumspotenzial. So müsse der Binnenmarkt vollständig auf digitale Güter übertragen und zudem für Dienstleistungen vollendet werden. Unternehmen würden darüber hinaus in einer Kapitalmarktunion von erweiterten Finanzierungsmöglichkeiten profitieren, so Weidmann.
Weidmann äußerte die Befürchtung, dass angesichts der nun begonnenen Austrittsverhandlungen zwischen der EU und Großbritannien wenig Raum für andere wichtige Projekte bleibe. "Umso wichtiger ist es, dass der Reformelan auf nationaler Ebene wieder zunimmt"
, betonte er. Die Ankündigungen des neuen französischen Präsidenten seien insofern ein gutes Zeichen.
Risiken verschwinden nicht durch Verpacken
In seiner Rede ging Weidmann auch auf Vorschläge zur Einführung sogenannter European Safe Bonds ein. Dabei äußerte er sich skeptisch zu den Erfolgsaussichten, damit das Angebot von besonders sicheren Anleihen im Euroraum zu erhöhen. Das Modell, das auf den Ökonomen Markus Brunnermeier zurückgeht, sieht die Ausgabe eines neuen Wertpapiers in zwei Tranchen vor, das mit Staatsanleihen aller Euro-Länder besichert ist. Verluste aus den unterlegten Staatsanleihen würden dabei zunächst in der nachrangigen Tranche anfallen. Die vorrangige Tranche soll dadurch besonders sicher werden, weshalb sie auch als European Safe Bonds bezeichnet wird.
"Staatliche Ausfallrisiken lassen sich weder durch das Verpacken von Staatsanleihen unterschiedlicher Länder noch durch das Aufteilen der Anleihen in sichere und weniger sichere Tranchen aus der Welt schaffen"
, betonte Weidmann. "Sichere Anlagemöglichkeiten können die Mitgliedstaaten nur selber schaffen, indem sie für solide öffentliche Haushalte sorgen"
, sagte er. Am besten werde dies mit einer konsequenten Umsetzung des Haftungsprinzips erreicht.