Rede zum Amtswechsel in der Hauptverwaltung Bremen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Einleitung

Sehr geehrte Damen und Herren,

auch ich heiße Sie herzlich willkommen zum Neujahrsempfang bei der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbank in Bremen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Der besonders festliche Rahmen für den diesjährigen Empfang ist bewusst gewählt, denn vor allem feiern wir heute den Wechsel an der Spitze unserer Hauptverwaltung: Herr Retzlaff hat im Januar die Nachfolge von Frau Paetsch angetreten.

Liebe Frau Paetsch, lieber Herr Retzlaff,

ich möchte Ihnen jetzt schon einmal zur ausgezeichneten Wahl der musikalischen Begleitung für diese Veranstaltung gratulieren. Wie ich gehört habe, waren Sie auch bei der Auswahl der heute gespielten Stücke nicht ganz unbeteiligt.

2 Wind der Veränderung

Musik kann uns verzaubern und träumen lassen, oder wie es Friedrich von Schiller einst treffend formulierte: Es schwinden jedes Kummers Falten, so lang des Liedes Zauber walten. Es gibt aber wahrscheinlich nur wenige Songs, denen es gelingt, den Zeitgeist einer ganzen Generation einzufangen.

Mit ihrem Song „Wind of Change“ ist genau das der aus Hannover stammenden Rockband Scorpions gelungen. Als Hymne der Wende hat sich der Song, der im September 1989 entstand, aber erst ein Jahr nach dem Fall der Berliner Mauer veröffentlicht wurde, in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt.

Der Wind der Veränderung brachte den Menschen in Mittel- und Osteuropa nicht nur individuelle Freiheit, sondern auch neue wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten. Die Europäische Union würde es – ohne die grundlegenden Veränderungen der Neunzigerjahre – in ihrer heutigen Form so nicht geben. 

Aber nicht nur in Europa, sondern auch weltweit hat der internationale Handel durch die Globalisierung seitdem stark zugenommen. Von der Globalisierung haben Deutschland, Europa und die gesamte Welt in den vergangenen Jahrzehnten enorm profitiert. Milliarden Menschen sind wohlhabender geworden und weltweit wurden signifikante Fortschritte beim Rückgang extremer Armut gemacht.[1]

Die Krisen der jüngeren Vergangenheit haben allerdings dazu geführt, dass die Globalisierung zunehmend in Frage gestellt wird. Weltweit werden neue Handelshemmnisse geschaffen. Und schaut man auf die zunehmende geoökonomische Fragmentierung und den steigenden Nationalismus, kann man sich fragen, ob der „Wind of Change“ seine Richtung geändert hat.

3 Wirtschaftliche Lage in Deutschland

Meine Damen und Herren,

die Krisen der vergangenen Jahre haben auch in der deutschen Wirtschaft Spuren hinterlassen. Sie befindet sich bereits seit Mitte 2022 in einer anhaltenden Schwächephase. Im vergangenen Jahr ging die Wirtschaftsleistung in Deutschland nach Schätzungen des Statistischen Bundesamtes um 0,2 Prozent zurück.

Im ersten Quartal 2025 dürfte es der deutschen Wirtschaft noch nicht gelingen, sich aus der lang anhaltenden Stagnationsphase zu befreien. Auch für das Gesamtjahr 2025 gingen unsere Fachleute gemäß ihrer Dezember-Prognose nur von einem geringen Wirtschaftswachstum von 0,2 Prozent aus. Und die Aussichten haben sich seitdem nicht unbedingt gebessert. Die deutsche Wirtschaft kämpft nicht nur mit hartnäckigem konjunkturellen Gegenwind, sondern auch mit einem strukturellen Gegenwind. Dieser spiegelt sich wider in einem sinkenden Potenzialwachstum Deutschlands, das am Anfang des Jahrtausends noch bei 1,5 Prozent lag und nach Schätzungen der Bundesbank mittlerweile auf 0,4 Prozent zurückgegangen ist.

Getrieben wird dieser strukturelle Gegenwind unter anderem von vergleichsweise hohen Energiepreisen in Deutschland, dem zunehmenden Fachkräftemangel, einer hohen Regulierungsdichte und gestiegenem internationalen Wettbewerb. Die Entwicklung hin zu mehr und höheren Zöllen ist ein weiterer belastender Faktor für das Wachstum Deutschlands. Denn für Deutschland mit seiner stark exportorientierten Wirtschaft ist es natürlich besonders bedeutsam, wie die internationale Handelspolitik zukünftig ausgestaltet wird.

4 Herausforderungen für die kommende Regierung

Meine Damen und Herren,

klar ist: der Wind hat sich in den vergangenen Jahren deutlich gedreht. Die Segel müssen daher auch in Deutschland neu gesetzt werden, damit unsere Wirtschaft wieder Fahrt aufnehmen kann. Schwarzmalerei halte ich dennoch nicht für angebracht: Deutschland und seine Wirtschaft haben schon in der Vergangenheit wiederholt bewiesen, dass sie durchaus anpassungsfähig sind.

Was können wir in Deutschland also tun, damit wir auch bei veränderten Windbedingungen wieder in die gewünschte Richtung segeln? Seglerinnen und Segler wissen: Ein Boot kann zwar nicht direkt gegen die Windrichtung segeln, aber dafür schräg im Wind kreuzen. Das ist zwar weniger bequem als mit Rückenwind zu segeln, aber der Aufwand lohnt sich. Die effizientesten Segelboote erreichen damit sogar ein Tempo, das rund das 2,5-fache der Windgeschwindigkeit beträgt.

Nach der gestrigen Bundestagswahl wird ein neues Team die Herausforderung übernehmen, das deutsche Segelboot durch wechselnde Winde zu manövrieren. Damit dies gut gelingt und sich auch wieder eine Aufbruchsstimmung ausbreitet, sollte die künftige Regierung einerseits einen klaren Kurs vorgeben, andererseits aber auch das Boot auf Vordermann bringen.

Ein klarer Kurs führt zu Planungssicherheit und Verlässlichkeit. Von herausragender Bedeutung ist das beispielsweise für die Energie- und Klimapolitik. Zwar ist das grundlegende Ziel, CO₂-neutral zu werden, weitgehend unstrittig. Im Detail gibt es aber sehr wohl Unsicherheiten bei der Ausgestaltung der Energiewende. Gleichzeitig sind Investitionen in grüne Technologien meist mit hohen Kosten verbunden. Deshalb zögern Unternehmen, aber auch Privatpersonen bei Investitionsentscheidungen, wenn sie sich unsicher über die zukünftige Wirtschaftspolitik sind.

Ein transparenter und konsistenter Kurs in der Energie- und Klimapolitik ist daher notwendig, um Planungssicherheit zu schaffen und dringend benötigte Investitionen anzukurbeln. Es reicht jedoch nicht, wenn lediglich Einigkeit über den generellen Kurs herrscht. Um ans Ziel zu kommen, muss auch das Boot in guter Verfassung sein.

Um das Boot Deutschland zu modernisieren, braucht es ohne Zweifel auch staatliche Investitionen, unter anderem für die Erneuerung unserer Infrastruktur, aber sicherlich auch für die Ertüchtigung unserer Verteidigungsfähigkeit. Um Zukunftsinvestitionen zu ermöglichen, könnte auch eine stabilitätsorientierte Reform der Schuldenbremse sinnvoll sein. Dazu hat die Bundesbank bereits 2022 einen Vorschlag gemacht.

Lassen Sie mich aber klarstellen: Es geht nicht darum, die Schuldenbremse abzuschaffen, sondern bei Einhaltung der europäischen Fiskalregeln zusätzliche Handlungsspielräume zu eröffnen. Denn bindende Fiskalregeln sind aus unserer Sicht essenziell, um solide Staatsfinanzen zu gewährleisten. So hat die Einführung der Schuldenbremse 2009 wesentlich dazu beigetragen, dass der vorherige Trend einer immer weiter steigenden Staatsverschuldung in Deutschland gebrochen wurde. Eine Reform der Schuldenbremse sollte zudem keinesfalls als Allheilmittel gesehen werden, um die aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen zu überwinden. 

Staatlich bereitgestellte Mittel für Investitionen bleiben beispielsweise aufgrund bürokratischer Hürden oftmals ungenutzt. Langsame Genehmigungsprozesse verzögern darüber hinaus oftmals wichtige Investitionen in Deutschland nicht selten um mehrere Jahre, gerade auch in wirtschaftlich ganz entscheidenden Bereichen wie der Energieinfrastruktur. Der Abbau von Bürokratie und die Erhöhung der Bürokratie-Geschwindigkeit sind daher essenziell, um unser Boot von Ballast zu befreien und es wieder wendiger zu machen.

Meine Damen und Herren, 

es ist mir an dieser Stelle wichtig zu betonen, dass das „Boot Deutschland“ nicht alleine gegen die strukturellen Gegenwinde kämpft, sondern an der Seite unserer Partnerländer in Europa segelt. Einige Herausforderungen, beispielsweise mit Blick auf die digitale und ökologische Transformation, können wir gar nicht auf nationaler Ebene alleine lösen. Gerade bei der Aufgabe, nachhaltiges Wachstum zu finanzieren, können und müssen wir das Potenzial der gemeinsamen europäischen Märkte besser nutzen.

Realität ist, dass sich viele europäische Unternehmen auf der Suche nach Finanzierung nach wie vor oft innereuropäischen Grenzen gegenübersehen. Ein tieferer und liquiderer europäischer Kapitalmarkt würde es Unternehmen erleichtern, privates Kapital zu mobilisieren. Um dies zu erreichen, sind vor allem harmonisierte, verlässliche und unkomplizierte rechtliche Rahmenbedingungen in der EU entscheidend. Das Ergebnis wäre eine europäische Kapitalmarktunion. Sie könnte durch verbesserte Finanzierungsbedingungen auch die Wettbewerbsfähigkeit und Souveränität Europas stärken.

Dieses Potenzial sehe ich auch beim digitalen Euro, dessen Einführung wir aktuell bei der Bundesbank gemeinsam mit den anderen Zentralbanken des Eurosystems intensiv vorbereiten. Wie für die Kapitalmarktunion gilt aber auch für den digitalen Euro: Für die Umsetzung bedarf es auch des konsequenten politischen Willens auf nationaler sowie europäischer Ebene. Als Bundesbank sind wir deshalb in regelmäßigem engen Austausch mit allen Stakeholdern.

5 Corina Paetsch

Liebe Frau Paetsch,

die Segel neu zu setzen und auch mal unbekannte Gewässer zu erforschen, das ist für Sie fast schon Tagesgeschäft. Nach Ihren beruflichen Einsätzen 

  • im Zentralbereich Recht, 

  • als persönliche Referentin des damaligen Vorstandsmitglieds Carl-Ludwig-Thiele sowie

  • als langjährige Leiterin des Innenbereichs und Stellvertreterin des Präsidenten der Hauptverwaltung in Hessen,

haben Sie diese Hauptverwaltung in den vergangenen drei Jahren äußerst erfolgreich geleitet und sich intern und extern große Anerkennung erworben.

Das liegt auch daran, dass für Sie der persönliche Austausch stets ein besonderes Anliegen ist. Ob beim Mentoring-Programm mit Berufseinsteigerinnen, als Schirmherrin unseres Bundesbank-Fußball-Frauenteams, im Gespräch mit den Beschäftigten der Hauptverwaltung und der Filialen oder bei öffentlichen Vorträgen vor Vertreterinnen und Vertretern aus Wirtschafts- und Finanzwelt – als Präsidentin der Hauptverwaltung war Ihnen der offene und respektvolle Austausch auf Augenhöhe stets wichtig.

Nun haben Sie mit der Leitung des Zentralbereichs Baumanagement abermals eine neue Herausforderung in unserer Zentrale in Frankfurt übernommen. Nicht zuletzt durch den geplanten Neubau der Bundesbank-Filiale hier in Hannover werden Sie aber auch weiterhin in engem Kontakt mit der Region bleiben. Für Ihre Arbeit als HV-Präsidentin danke ich Ihnen vielmals und wünsche Ihnen für Ihre neuen Aufgaben viel Erfolg und alles Gute! Sie übergeben Herrn Retzlaff eine gut geführte Hauptverwaltung.

6 Andreas Retzlaff

Lieber Herr Retzlaff,

ich freue mich, dass die Bundesbank mit Ihnen einen so geeigneten Nachfolger finden konnte. Nach Ihrem Studium der Betriebswirtschaftslehre haben Sie Ihren beruflichen Werdegang in der Bundesbank 1991 als Referendar genau hier begonnen, in der damaligen Landeszentralbank in Niedersachsen.

Nach Abschluss Ihres Referendariats waren Sie ab 1993 stellvertretender Direktor der Filiale Lüneburg und übernahmen 1995 die Leitung der Zweigstelle Nienburg. 1998 wechselten Sie dann in den Regionalbereich der Bankenaufsicht in Hannover. Hier hatten Sie seit 2001 an verschiedenen Stellen Führungspositionen inne, bevor Sie 2022 die Leitung des Regionalbereichs Banken und Finanzaufsicht der Hauptverwaltung übernommen haben.

7 Schluss

Lieber Herr Retzlaff,

der Blick in Ihren Lebenslauf zeigt nicht nur, dass Sie äußerst vertraut mit den Aufgaben einer Hauptverwaltung sind, sondern auch, dass Sie Bremen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt wie ihre Westentasche kennen.

Als Sie im Juni 1991 hier Ihre Stelle als Referendar angetreten haben, lag „Wind of Change“ gerade auf Platz 1 der deutschen Singlecharts, und vielleicht hatten Sie ja auch bei Ihrer Arbeit einmal einen Ohrwurm von diesem Song.[2] Ich kann mir jedenfalls gut vorstellen, dass Sie schon damals mit derselben Energie, derselben Freude und demselben Tatendrang an die Arbeit gegangen sind, mit der Sie nun auch die Hauptverwaltung leiten.

Für alle anstehenden Aufgaben wünsche ich Ihnen alles Gute und viel Erfolg! Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Fußnoten

Ending Poverty | United Nations

 Wind of Change | Offizielle Deutsche Charts