„Wir sind nicht allein“ Interview mit dem Magazin der Baden-Badener Unternehmer Gespräche

Das Gespräch mit Fritzi Köhler-Geib und Stephan Leithner führte Jakob Schrenk. 

Frau Köhler-Geib, sind Sie eine Optimistin?  

Fritzi Köhler-Geib: Unbedingt! Gerade in herausfordernden Zeiten gilt, was der Philosoph Karl Popper gesagt hat: Optimismus ist Pflicht. Wir haben viel in der Hand, um unsere Zukunft zu gestalten. Außerdem ergibt sich in schwierigen Momenten oft erst die Möglichkeit für Veränderung. Oder wie Churchill es gesagt hat: Never waste a good crisis.

Stephan Leithner: Da schließe ich mich an. Den Menschen macht die Fähigkeit aus, die Dinge zum Besseren zu verändern. Und auch wenn wir nun etwas konkreter über Deutschland, über die deutsche Wirtschaft sprechen, besteht Anlass zu Zuversicht. Der Dax hatte im vergangenen Jahr nach dem US-amerikanischen S&P 500 die weltweit beste Performance. Das zeigt ein Vertrauen in den zukünftigen Erfolg deutscher Unternehmen. Trotz aller Probleme. 

Wie würden Sie diese Probleme beschreiben?  

SL: Wenn ich mit Unternehmern spreche, dann fallen Begriffe wie die hohe Steuerlast, die Energiekosten, die Bürokratie, die mangelhafte Infrastruktur, der Rückstand bei der Digitalisierung, der demographische Wandel oder auch der Fachkräftemangel.

FKG: Es ist eine Tatsache, dass Deutschland bisher nur in schwachem Ausmaß an der weltweiten Konjunkturerholung teilgenommen hat. Strukturelle Herausforderungen hemmen zunehmend. Meiner Ansicht nach wird ein wichtiger Grund dafür oft übersehen: Deutschland ging es in der Zeit vor Corona wirtschaftlich sehr gut. In der Periode von 2005 bis 2020 waren wir das einzige G7-Land, das beim kaufkraftbereinigten Pro-Kopf-Einkommen zu den USA aufschließen konnte. Erfolg aber vermindert den Handlungsdruck, das ist überall auf der Welt so. Jetzt ist der Handlungsdruck da – und darüber gibt es gesellschaftlichen Konsens. Das finde ich ermutigend.   

Es herrscht Einigkeit, dass das Land in die Sicherheit, die Infrastruktur und die grüne Transformation investieren muss. Aber woher soll das Geld kommen? Viel Streit gibt es um die Frage, ob die Schuldenbremse gelockert werden müsste. 

FKG: Einen Großteil der Investitionen muss der Privatsektor stemmen. Damit das in Deutschland wieder verstärkt passiert, muss sich hier das Risiko-Rendite Profil solcher Investitionen wieder verbessern. Und dazu braucht es Strukturreformen, beispielsweise beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren. Daneben geht es sicher auch darum, bei den öffentlichen Ausgaben Prioritäten zu überprüfen, um zusätzlichen Raum für Investitionen zu schaffen. Ich halte dabei einen Public Expenditure Review für ein geeignetes Instrument, um Transparenz über Konsum- und Investitionsausgaben von Bund, Ländern und Kommunen zu schaffen. Darüber hinaus hat die Bundesbank einen Vorschlag für eine stabilitätsorientierte Reform der Schuldenbremse gemacht.

SL: Meiner Meinung nach ist die Diskussion über die Schuldenbremse an dieser Stelle nicht richtig. Es ist intellektuell der falsche Ansatz, dass die öffentlichen Finanzen alles tragen müssen. Der private Kapitalmarkt bietet enormes Potenzial für diese Gelder. Dessen Weiterentwicklung ist ein zentraler Hebel für Deutschland und Europa. Wir müssen über Public-Private-Partnerships sprechen, über Kooperationen von öffentlicher Hand und privater Wirtschaft. Hier könnten wir, ohne die Schuldenbremse zu verletzen, über 500 Milliarden Euro mobilisieren – für unsere Infrastruktur, die Digitalisierung, das Gesundheitswesen.  

FKG: Die Chancen der Finanzierung über den Kapitalmarkt werden in Deutschland bislang kaum genutzt. Das hat auch damit zu tun, dass Anleger es aktuell mit einem regulatorischen Flickenteppich zu tun haben, wenn sie auf Europa schauen. Das ist nicht nur für große Investoren eine Hürde. Auch die Kleinsparer könnten ihr Geld in größerem Umfang produktiv in Europa investieren. Hier geht mehr – in Europa und in Deutschland!

SL: Die Investitionsbereitschaft wird auch durch eine Überregulierung von Pensionskassen und Versicherern gehemmt. Diese dürfen, etwa im Vergleich zu den USA, nur geringe Summen in Aktien und Wagniskapital investieren. Genau dieses Kapital fehlt dann für den Umbau der Wirtschaft, für Dekarbonisierung, Digitalisierung, für die Bewältigung des demographischen Wandels. Diese Bedeutung der Finanzindustrie wird in Deutschland noch zu wenig begriffen. Nur mit einem starken Finanzmarkt bleiben wir im globalen Wettbewerb ein starker Akteur.  

Wie sehen Sie denn die Position von Deutschland in einer Welt, die sich gerade neu ordnet? Es droht ein Handelskrieg mit den USA. Gleichzeitig könnte sich die Konfrontation zwischen den USA und China verschärfen.  

SL: Wir tun gut daran, die Ruhe zu bewahren. Die USA ist der zentrale Partner Deutschlands, der zentrale Partner Europas, daran wird sich langfristig nichts ändern. Womöglich wird die Rolle Deutschlands und Europas als vermittelnde Instanz zwischen den Machtblöcken, also etwa USA und China, noch wichtiger. Kein anderes Land hat ein so starkes Interesse an einer internationalen Entspannung wie Deutschland, weil unsere Wirtschaft so exportorientiert ist. 

Wie gut sind Deutschland und die EU auf diese Aufgabe vorbereitet?

SL: Ich denke wir könnten an einigen Stellen mehr Selbstbewusstsein zeigen, mehr an unseren Stärken arbeiten. Etwa in unserer technischen Kompetenz oder der Innovationskraft. Ein positives Beispiel ist etwa der große Vorsprung, den sich die Europäische Zentralbank mit dem digitalen Euro erobert hat.  

FKG: Dieses Beispiel freut mich als Zentralbankerin natürlich besonders. Der digitale Euro wird die Abwicklungen zwischen Finanzinstitutionen erleichtern und den Bürgern bei digitalen Zahlungen Unabhängigkeit von Finanzdienstleistern aus den USA oder China bieten. Er zeigt die Kraft Europas. Wir können uns in Deutschland glücklich schätzen, dass wir in diesen schwierigen Zeiten ein Teil von Europa sind. 450 Millionen Menschen leben in der EU, größtenteils in Hocheinkommensländern. Diese wirtschaftliche und politische Bedeutung können wir mit vereinter Stimme nutzen. Darf ich zum Abschluss noch einmal ein Zitat bringen? Jean Monnet, einer der Wegbereiter der europäischen Einigung, hat geschrieben: Ich habe immer gedacht, dass Europa in Krisen entstehen würde und dass Europa die Summe der Lösungen sein würde, die wir für diese Krisen finden.

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