Der geldpolitische Handlungsrahmen während der Phase ausgeprägt niedriger Inflation ab 2014
Die geldpolitischen Maßnahmen des Eurosystems in den Jahren nach der europäischen Staatsschuldenkrise waren besonders geprägt durch eine länger anhaltende Phase, in der die Inflationsrate deutlich unter dem Zielwert des Eurosystems lag. In diesem Umfeld beschloss der EZB-Rat ab 2014 – in Ergänzung des bestehenden geldpolitischen Handlungsrahmens – verschiedene gezielte längerfristige Refinanzierungsgeschäfte (Targeted Longer-Term Refinancing Operations, TLTRO) sowie befristete geldpolitische Ankaufprogramme durchzuführen.
Zur Unterstützung der Kreditvergabe von Banken an den nichtfinanziellen Sektor im Euroraum führte das Eurosystem insgesamt drei TLTRO-Serien durch. Dabei wurden in den unterschiedlichen Serien bestimmte Vorgaben zur Kreditvergabe festgelegt, die von den teilnehmenden Banken im Rahmen ihres Kreditgeschäfts zu erfüllen waren, um an den Geschäften teilnehmen zu können oder von besonders günstigen Konditionen zu profitieren. Die erste Serie wurde im Juni 2014 beschlossen und umfasste acht Transaktionen mit einer Laufzeit bis September 2018. Um die Kreditvergabe weiter zu stimulieren, wurde im März 2016 eine zweite Serie von insgesamt vier Geschäften mit einer Laufzeit von jeweils vier Jahren initiiert. Ein Jahr später beschloss der EZB-Rat eine dritte TLTRO-Serie mit sieben Geschäften, deren Konditionen im Zuge der Ausbreitung von COVID-19 angepasst und am 10. Dezember 2020 um drei zusätzliche Geschäfte ergänzt wurden. Das ausstehende Finanzierungsvolumen stieg bis zur dritten Serie in der Spitze auf über 2.000 Mrd EUR, was etwa 15 Prozent des BIP des Euroraums entsprach.
Um ausgehend von einer sehr niedrigen Inflation wieder zu Inflationsraten nahe dem Zielwert zurückzukehren, führte das Eurosystem im Juni 2014 außerdem erstmalig einen negativen Zinssatz für die Einlagefazilität ein. Dadurch sollte das allgemeine Zinsniveau weiter nachhaltig gesenkt und so insbesondere die Nachfrage nach Bankkrediten durch den nichtfinanziellen Sektor wiederbelebt werden.
Ergänzend dazu beschloss der EZB-Rat im Oktober 2014 den Ankauf von gedeckten Schuldverschreibungen (Third Covered Bond Purchase Programme, CBPP3) und Asset-Backed Securities (Asset-Backed Securities Purchase Programme, ABSPP) ab Oktober bzw. November 2014. Mit Beschluss im Januar 2015 (Kaufbeginn im März 2015) wurden diese durch den Ankauf von Anleihen von Zentralstaaten, Emittenten mit Förderauftrag und europäischen Institutionen mit Sitz im Euroraum (Public Sector Purchase Programme, PSPP) ergänzt und im erweiterten Programm zum Ankauf von Vermögenswerten (Asset Purchase Programme, APP) zusammengefasst. Darüber hinaus beschloss der EZB-Rat im März 2016, das APP um ein Ankaufprogramm für Unternehmensanleihen (Corporate Sector Purchase Programme, CSPP) mit Beginn im Juni 2016 zu erweitern. Die Nettoankaufvolumina wurden regelmäßig angepasst und von Januar bis Oktober 2019 vorübergehend vollständig ausgesetzt. Im Sommer des Jahres 2022 betrug der Bestand an Wertpapieren zu geldpolitischen Zwecken beinahe 5.000 Mrd EUR bzw. fast 40 Prozent des BIP des Euroraums. Seit Juli 2022 fanden keine Nettoankäufe im Rahmen des APP mehr statt und ab Juli 2023 wurde die Reinvestition von Vermögenswerten im APP-Portfolio bei Fälligkeit vollständig eingestellt, um damit die Bestände maßvoll und in einem vorhersehbaren Tempo zu reduzieren.
Die genannten Ankaufprogramme zielten darauf ab, die langfristigen Zinsen zu senken und somit die Kreditvergabe und in der Folge die Inflation zu stimulieren. Im Zuge dieser Quantitativen Lockerung (Quantitative Easing, QE), insbesondere durch das PSPP, wurde so viel Liquidität durch das Eurosystem bereitgestellt, dass die traditionellen Offenmarktgeschäfte wie die wöchentlichen Hauptrefinanzierungsgeschäfte an Bedeutung verloren. Zusammen mit den gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäften führte diese erhebliche Zunahme der Überschussliquidität zu einem Rückgang der kurzfristigen Zinsen unter das Niveau des Einlagesatzes, sodass das bekannte Korridorsystem de facto wie ein Floorsystem wirkt.
In einem Floorsystem ist der Einlagesatz der maßgebliche Referenzzins für die Geldpolitik. Durch die üppige Überschussliquidität im Bankensystem haben Banken weder einen Bedarf, sich Zentralbankliquidität von anderen Banken zu beschaffen, noch zusätzliche Liquidität aufzunehmen (die Aufnahme ist mit zusätzlichen Bilanzkosten, wie bspw. Eigenkapitalkosten, verbunden). In der Folge sinken die Zinsen am Geldmarkt und nähern sich dem Einlagesatz an. Aufgrund der geringen Zinsdifferenz zwischen Geldmarkt- und Einlagesatz präferieren die Banken eine Anlage der überschüssigen Liquidität bei der Zentralbank. Der Interbankenmarkt wird inaktiv. Die verbleibenden Transaktionen am Geldmarkt finden dann größtenteils zwischen Nicht-Banken, die keinen Zugang zur Einlagefazilität haben, und Banken statt. Erstgenannte akzeptieren einen niedrigeren Zins als den Einlagesatz, weil sie keine Möglichkeit haben, den Einlagesatz des Eurosystems zu erhalten. Die Geldmarktsätze bewegen sich in der Folge unterhalb des Einlagesatzes.
Die Modifikation hin zu einem De-facto-Floorsystem erlaubte es dem Eurosystem, trotz der hohen Überschussliquidität im Bankensystem, die Kontrolle über die kurzfristigen Zinssätze zu behalten und seine geldpolitischen Ziele zu verfolgen. Die Kombination aus Ankaufprogrammen, gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäften sowie Negativzinsen diente dazu, die Geldpolitik zu lockern, um damit zu einer nachhaltigen Annäherung an das Inflationsziel des Eurosystems beizutragen.
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