Zahlungsverkehr und Wertpapierabwicklung – Herausforderungen aus Sicht der Bundesbank Rede beim Zahlungsverkehrssymposium am 7. Oktober 2024

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Einleitung

Dear Mr. Cipollone,

We are deeply grateful for your contribution to this year's Payments Symposium. We greatly appreciate your fascinating travel through time, from the medieval age to the near future, in particular your views on the potential of tokenisation and distributed ledgers, as well as central bank’s role in shaping the future of digital capital markets in Europe.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

auch von meiner Seite ein herzliches Willkommen zum Zahlungsverkehrssymposium der Bundesbank. Ein Tag voller Diskussionen und Ideen zur Zukunft des Zahlungsverkehrs erwartet uns.

Besonders freue ich mich auf den Austausch mit Ihnen, liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Im Zahlungsverkehr spielen der Austausch und die Vernetzung untereinander eine ganz zentrale Rolle.

Dazu passt auch der heutige Tagungsort. Denn wir befinden uns an einer historischen Handelsstraße, die bereits seit dem Mittelalter aus Norddeutschland kommend über den Main und weiter zur Bergstraße nach Heidelberg führte. Und so treffen Sie, wenn Sie aus unserem Tagungshotel treten und Richtung Süden gehen, nach etwa 500 Metern auf die „Alte Brücke“. Wie der Name andeutet, ist sie die älteste der Frankfurter Brücken.[1] Sie bildet seit über 900 Jahren eine wichtige – und lange Zeit auch einzige – Verbindung hinüber auf die Südseite des Mains.

In diesem Geiste soll es heute um den Austausch und das Bauen von Brücken gehen. Denn die Herausforderungen, die sich im Zahlungsverkehr und der Finanzmarktinfrastruktur stellen, sind groß und können aufgrund ihrer ausgeprägten Netzwerk-Eigenschaften nur von allen Beteiligten gemeinsam bewältigt werden.

2 Herausforderungen für den Zahlungsverkehr in Europa

Der Zahlungsverkehr in Europa hat sich in der Vergangenheit bereits mehrfach stark verändert. Ich würde fast sagen, dass die einzige Konstante im Zahlungsverkehr die Veränderung und Weiterentwicklung ist. Die – dank SEPA – europaweit einheitlichen Verfahren für Überweisung und Lastschrift sind nur ein Beispiel. Sie basieren auf den von der europäischen Kreditwirtschaft im European Payment Council (EPC) definierten europaweit einheitlichen Regelwerken. Vor zehn Jahren, 2014, haben sie die nationalen Zahlverfahren für Überweisungen und Lastschriften abgelöst.

In den letzten Jahren hat das Entwicklungstempo sogar noch zugelegt. Denn im Zahlungsverkehr finden zeitgleich verschiedene Entwicklungen statt, auf die wir aktiv reagieren müssen.

Dazu gehören das Entstehen neuer Geldformen, das Aufkommen neuer Technologien, der Markteintritt neuer Wettbewerber sowie erhöhte Cyber-Risiken. Zudem spielen auch geopolitische Entwicklungen im Zahlungsverkehr eine immer größere Rolle. Nicht ohne Grund hatten wir einen Aufsatz in unserem Monatsbericht für April 2023 mit „Zeitenwende im Zahlungsverkehr“[2] betitelt.

Hinzu kommt eine beachtliche Weiterentwicklung der regulatorischen Rahmenbedingungen, und zwar als Antwort von Gesetzgebern und Aufsehern auf neue Gegebenheiten und Herausforderungen. Hier ist die neue Instant Payments Verordnung nur ein Beispiel. Sie fördert und vereinheitlicht die Nutzung und Akzeptanz von Echtzeitüberweisungen. Aber sie ist auch mit nicht unerheblichem Umsetzungsaufwand, zum Beispiel für die verpflichtende Verifizierung des Zahlungsempfängers, verbunden. Wenn künftig erkennbar ist, welche Empfänger hinter einer IBAN steht, sollten Betrügereien im Zahlungsverkehr leichter zu erkennen sein.

Außerdem wandeln sich die Präferenzen der Nutzerinnen und Nutzer hinsichtlich der Zahlungsmittelnutzung. Das zeigt auch unsere kürzlich veröffentlichte Studie zum Zahlungsverhalten in Deutschland, mit der wir uns regelmäßig einen Überblick über die Zahlungsgewohnheiten und Bedürfnisse von Verbraucherinnen und Verbrauchern verschaffen.[3] Zwar wird in Deutschland weiterhin gerne bar bezahlt. Allerdings hat unsere Studie auch gezeigt, dass Verbraucherinnen und Verbraucher immer häufiger zu elektronischen Zahlungsverfahren greifen. Und mobile Bezahlverfahren – also das Bezahlen mit dem Smartphone und der Smartwatch – wachsen rasant, wenn auch von einem niedrigen Niveau.

An Herausforderungen mangelt es also nicht. Herausforderungen sind aber nicht nur die Mühen des Alltags, sondern – ein Zitat von Nietzsche abgewandelt – Stufen, auf denen wir in die Höhe steigen. Wie können die Bundesbank und das Eurosystem bei diesem Aufstieg helfen? Konkret: Wie tragen wir dazu bei, dass der Zahlungsverkehr und die Abwicklungssysteme noch schneller, sicherer, zuverlässiger und effizienter werden?

3 Zentralbankgeld im Finanzmarkt – vom Heute zum Morgen

Eine unserer wichtigsten Aufgaben als Bundesbank und Eurosystem ist die Bereitstellung von Marktinfrastrukturen für den Interbanken-Zahlungsverkehr und die Verrechnung in Zentralbankgeld.

Mit dem erfolgreich abgeschlossenen TARGET2/T2S-Konsolidierungsprojekt wurde vergangenes Jahr ein neues Kapitel aufgeschlagen. Im Großbetragszahlungsverkehr bieten wir nun mit T2 einen modernisierten, funktional erweiterten und den gestiegenen Sicherheitsanforderungen entsprechenden Service auf Basis des globalen ISO 20022-Standards an. Davon profitiert auch der Finanzplatz Deutschland, denn mehr als die Hälfte aller Stückzahlen und ca. 40% des Umsatzes in T2 werden über die Bundesbank abgewickelt.[4]

Und im Eurosystem bleiben wir dabei nicht stehen. Denn bald ist das magische Dreieck des Liquiditätsmanagements in Zentralbankgeld vollendet: Zahlungsverkehr in T2 und TIPS, Wertpapierabwicklung in T2S und die Sicherheitenverwaltung in der neuen Gemeinschaftsplattform ECMS, dem Eurosystem Collateral Management System.

Mit der ECMS-Plattform wird die Verwaltung notenbankfähiger Sicherheiten für Kreditinstitute künftig effizienter und zuverlässiger gestaltet – insbesondere auch grenzüberschreitend. Denn wir wollen die bisher 20 nationalen Systeme der Zentralbanken mehr oder weniger vollständig durch ein harmonisiertes System für das Sicherheitenmanagement ersetzen, welches das gesamte Eurosystem abdeckt.

Doch wie wusste schon Goethe: Die Schwierigkeiten wachsen, je näher man dem Ziele kommt. Eine Verschiebung des – ursprünglich für den 18. November 2024 angesetzten – Go-Live Datums ließ sich leider nicht vermeiden.

Im Projekt wurden zwar in den letzten Monaten gute Testfortschritte erzielt. Allerdings müssen wir die Stabilität des Systems noch weiter verbessern. Und auch die Testfortschritte der Nutzer liegen bislang hinter den Erwartungen. Deshalb musste der Start noch einmal vom 18. November dieses Jahres in das erste Halbjahr 2025 verschoben werden.

Den genauen Termin wird das Eurosystem in den nächsten Wochen festlegen und bekanntgeben. Das ist aber keine Verschnaufpause. Vielmehr müssen wir die intensiven Anstrengungen der letzten Monate weiter fortsetzen. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir ECMS dann erfolgreich in Betrieb nehmen werden.

Das Heute, meine Damen und Herren, ist bekanntlich morgen aber schon das Gestern. Will heißen: Wir müssen nicht nur sicherstellen, dass unsere Angebote heute sicher und innovativ sind. Wir müssen uns vielmehr heute darum kümmern, dass auch morgen Großbeträge – etwa zur geldseitigen Abwicklung von Wertpapiergeschäften – in sicherem Zentralbankgeld abgewickelt werden können.

Aus diesem Grund beschäftigt sich das Eurosystem mit digitalem Zentralbankgeld für die Finanzindustrie. Herr Cipollone hatte die Wichtigkeit dieser Arbeiten ja bereits hervorgehoben.

Ich möchte einige Punkte, die mein geschätzter Kollege angesprochen hatte, unterstreichen: Es gibt bereits heute einen Bedarf, DLT-Transaktionen in Zentralbankgeld abzuwickeln. Darüber hinaus erwarten wir, dass sich neue Technologien – wie DLT – künftig stärker verbreiten, um zum Beispiel die Potenziale der Token-Ökonomie zu erschließen. Wenn wir keine adäquaten Verrechnungsmöglichkeiten in Zentralbankgeld bieten, sehe auch ich die Gefahr, dass Marktteilnehmer auf andere Lösungen ausweichen.

Die Bundesbank beteiligt sich insbesondere mit ihrer Trigger Solution an den Arbeiten des Eurosystems. Und wir denken, dass wir dort auf einem guten Weg sind. Denn die Trigger Solution erfreut sich großer Beliebtheit bei Marktteilnehmern. Wir haben viele verschiedene Geschäftsfälle erfolgreich getestet.

Die Trigger Solution ermöglicht die Abwicklung von Transaktionen auf innovativen DLT-Plattformen, aber mit traditionellem Zahlungsverkehr. Wir und alle Teilnehmer können diesbezüglich das nutzen, was sie heute schon haben. Wir verbinden also die neue Welt mit der bewährten Infrastruktur.

Das ist auch, was die Trigger Solution einzigartig macht – es ist eine Brücke. Aber anders als die anfangs erwähnte Frankfurter Mainbrücke verbindet diese Brücke nicht nur zwei Punkte, sondern sie verbindet das „Heute“ mit dem „Morgen“. Wie es weitergeht, darüber entscheiden wir gemeinsam im Eurosystem. Es bleibt spannend.

4 Retail Payments: Europäische Lösungen

Schauen wir nun auf den Massenzahlungsverkehr: Die gemeinsame Retail Payments Strategy des Euroystems gibt hier die Richtung vor – auch für den deutschen Zahlungsverkehr. Ein wesentliches Element der Strategie ist die Verbreitung von Instant Payments. Wir in Deutschland sind eigentlich gut aufgestellt, denn 90% der Banken in Deutschland sind schon auf „Instant“.

Aber in der praktischen Nutzung dürften wir hinter dem europäischen Durchschnitt von 19% zurückbleiben. Ich gehe aber fest davon aus, dass sich dieser Anteil auch bei uns durch die Instant Payments Regulierung deutlich erhöhen wird. Diese ist seit April in Kraft, wir befinden uns also in der Umsetzungsphase. Ab 9. Januar – einem ersten Meilenstein – gelten der verpflichtende Empfang von Instant Payments, die Preisgleichheit im Vergleich zu herkömmlichen Überweisungen und ein erleichtertes Sanktionsscreening. Ab dem 9. Oktober 2025 – dem zweiten Meilenstein – sind dann das Angebot von Echtzeitüberweisungen und die eingangs erwähnte Verifizierung des Zahlungsempfängers mittels IBAN-Namensabgleich obligatorisch umzusetzen. Ich bin zuversichtlich, dass die deutsche Kreditwirtschaft diese zweifelsohne große Herausforderung schultern wird. Hierzu erwartet uns ein spannendes Diskussionspanel am Nachmittag.

Die Verbreitung von Instant Payments hat nicht nur eine Produkt-Dimension, sondern auch wichtige strategische und politische Implikationen: Dank der zugrundeliegenden europäischen Infrastruktur wird die strategische Autonomie und Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Wirtschafts- und Finanzsektors gestärkt. Und die Initiative ist eine weitere Vertiefung der SEPA, also dem Binnenmarkt im Zahlungsverkehr.

Das zweite zentrale Element der Retail Payments Strategy ist die Förderung einer europäischen Zahlungslösung am Point-of-Sale. Wir haben zwar in einigen Ländern erfolgreiche Bezahlverfahren, wie z. B. in Deutschland die girocard. Aber wir haben eben keine, mit denen man in ganz Europa zahlen kann – mit einheitlichem Nutzererlebnis und mit europäischer Governance. Und im E-Commerce sind wir – so jedenfalls das Ergebnis unserer Zahlungsverhaltensstudie – stark von wenigen, großen, wenngleich leistungsstarken internationalen Anbietern abhängig.

Wir begrüßen daher ausdrücklich die Fortschritte der European Payments Initiative EPI, von der Frau Weimert heute berichten wird. Der Marktstart mit P2P-Zahlungen im Juli war ein wichtiger Meilenstein. Ich hoffe sehr, dass die deutsche Kreditwirtschaft die EPI-Einführung geschlossen und konsequent angeht. In der Vergangenheit sind bereits zu viele Versuche gescheitert, um diese wohl einmalige Chance im Verbund mit weiteren Ländern nun verstreichen zu lassen.

5 Digitaler Euro

Die mögliche Einführung eines digitalen Euro würde ebenfalls zur Verwirklichung der Ziele der Retail Payments Strategy des Eurosystems beitragen. Der Podiumsdiskussion heute Vormittag möchte ich nicht zu sehr vorweggreifen, daher nur so viel:

Die Digitalisierung wird weitergehen, da bin ich mir ganz sicher. Und gerade auch für den deutschen Markt und den hiesigen Nutzerpräferenzen wäre der digitale Euro wichtig. Denn er könnte als Ergänzung zum Bargeld die von mir heute schon mehrfach erwähnte Brücke von der analogen Welt in das digitale Zeitalter bilden. Der digitale Euro kann damit eine bequeme, die Privatsphäre garantierende und praktisch überall einsetzbare digitale Variante des heutigen Bargeldes bieten.

Zugleich würde ein digitaler Euro auch die Souveränität im europäischen Zahlungsverkehr weiter stärken: durch eine eigene Infrastruktur ohne Rückgriff auf außereuropäische Anbieter.

Wichtig ist mir außerdem: Wie bei allen Projekten, an denen wir in unserer Netzwerkindustrie arbeiten, setzen wir auch beim digitalen Euro ganz auf den Dialog und die Kooperation mit dem Markt. Wir waren uns im Eurosystem von Anfang an einig, dass Banken und andere Zahlungsdienstleister bei diesem Projekt eine wichtige Rolle spielen sollen. Weder wir noch die EZB möchten die Schnittstelle zu den Bürgerinnen und Bürgern im Zahlungsverkehr in Europa werden. Und dazu gehört natürlich auch, möglichst große Synergien mit privaten Bezahllösungen wie EPI zu generieren.

6 Fazit

Sehr geehrte Damen und Herren,

beim digitalen Euro und den anderen Projekten in Zahlungsverkehr und Abwicklung geht es darum, Brücken zwischen den verschiedenen Marktakteuren und Infrastrukturen, zwischen privatem und öffentlichem Sektor und zwischen Giral- und Zentralbankgeld zu bauen. Natürlich blicken wir dabei auch über Europa hinaus. Denn der globale Zahlungsverkehr muss auf eine neue Ebene gehoben werden.

Gleichzeitig müssen wir angesichts der Herausforderungen des digitalen Zeitalters unsere Zahlungs- und Abwicklungssysteme ständig weiterentwickeln. Diese Herausforderungen, meine Damen und Herren, lassen sich am besten gemeinsam und im engen Austausch zwischen den Marktakteuren lösen. Genau dafür sind wir heute hier und deshalb freue ich mich sehr auf den weiteren Tag.

Lassen Sie uns also neue Brücken bauen – und dann auch über diese Brücken gehen! Damit übergebe ich wieder an Sie, Frau Körner. Wir freuen uns darauf, dass Sie uns heute durch das Programm führen.

Ich wünsche Ihnen ein interessantes Symposium mit wertvollen Einsichten und anregenden Gesprächen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Fußnoten:

  1. Auch wenn sie in ihrer Geschichte mehrmals zerstört und erneuert wurde. Vgl. z. B. Alte Brücke (Frankfurt am Main) – Wikipedia
  2. Deutsche Bundesbank (2023): Aufsatz im Monatsbericht April 2023: Zeitenwende im Zahlungsverkehr (bundesbank.de)
  3. Deutsche Bundesbank (2024): Zahlungsverhalten in Deutschland.
  4. EZB (2023): TARGET Annual Report 2023