Wechselwirkungen zwischen Geldpolitik, Regulierung und Finanzmärkten Eröffnungsrede anlässlich der „Conference on Markets and Intermediaries“

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Einleitung

Sehr geehrte Damen und Herren,

guten Morgen und herzlich willkommen zur Herbstkonferenz, die gemeinsam von der Deutschen Bundesbank und der Humboldt-Universität zu Berlin organisiert wurde.

Im Folgenden möchte ich Ihnen einen kurzen Überblick über das Programm geben und Ihnen meine Gedanken zu den Themen darlegen, die in den kommenden beiden Tagen behandelt werden. Das Programm umfasst ein wahrlich breites Spektrum an Themen. Dabei geht es um die Herausforderungen, denen sich Finanzmärkte, Finanzintermediäre und Zentralbanken aktuell gegenübersehen.

Seit der globalen Finanzkrise haben Zentralbanken weltweit ihre Bilanzen ausgeweitet, das Finanzsystem mit zusätzlicher Liquidität versorgt und ihre Sicherheitenrahmen erweitert. Darüber hinaus wurde die Finanzmarktregulierung angepasst, um die Stabilität des Finanzsystems zu erhöhen.

Diese Maßnahmen waren zwar zielführend, hatten jedoch auch Nebenwirkungen – nicht zuletzt an den Geld- und Kapitalmärkten. Die politischen Entscheidungsträger und die Regulierungsbehörden sind daher gut beraten, die Auswirkungen ihrer Maßnahmen zu evaluieren.

2 Finanzinstitute aus dem Nichtbankensektor

Die erste Session befasst sich mit Finanzinstituten aus dem Nichtbankensektor, sogenannten NBFIs.

Dazu zählen unter anderem Versicherungsunternehmen, Investmentfonds, Geldmarktfonds und Hedgefonds. Der Sektor ist stark vernetzt – sowohl mit anderen Sektoren als auch über Ländergrenzen hinweg. Gemessen an den gesamten Finanzaktiva machen Finanzinstitute aus dem Nichtbankensektor nahezu die Hälfte des globalen Finanzsystems aus.

Daraus könnten eindeutig systemische Risiken erwachsen. Allerdings lassen sich die Risiken, die mit NBFIs verbunden sind, häufig nicht auf Anhieb erkennen. Daher sind sie schwieriger zu überwachen und zu bewerten. Umso wichtiger ist es, Datenlücken zu schließen und die Widerstandskraft des Sektors zu stärken.

Eine besondere Schwachstelle sind mögliche Notverkäufe offener Investmentfonds. Genau um dieses Thema dreht sich die Studie, die Rüdiger Weber heute Morgen vorstellen wird.[1]

Offene Fonds sind besonders anfällig für Notverkäufe. In Stressphasen an den Märkten stehen sie nämlich häufig unter erheblichem Druck, wenn Anleger ihre Bestände rasch liquidieren möchten. Dann sehen sich die Fondsmanager möglicherweise gezwungen, Fondsanlagen zeitnah abzustoßen. Sind diese Vermögenswerte weniger liquide, müssen sie unter Umständen zu niedrigeren Preisen verkauft werden. Dies kann weitere Kursverluste und Liquiditätsengpässe nach sich ziehen.

Somit sind ein wirksames Liquiditätsmanagement und eine effektive Regulierung sehr wichtig. Vor Kurzem hat die Bundesbank ein Diskussionspapier veröffentlicht. Aus diesem geht hervor, dass preisbasierte Instrumente zur Liquiditätssteuerung dazu beitragen können, die finanzielle Fragilität offener Investmentfonds unter Kontrolle zu halten.[2]

In Stressphasen versuchen die Anleger, ihr Kapital auch dadurch zu schützen, dass sie es in sicherere Vermögenswerte umschichten. Durch die Flucht in sichere Anlagen kann sich allerdings der Abwärtsdruck auf die Preise risikoreicherer Vermögenswerte noch verstärken, da diese immer weniger gefragt sind.

Der Finanzstabilitätsrat leistet in diesem Bereich wichtige Arbeit. Sein Fokus liegt derzeit jedoch auf der mikroprudenziellen Regulierung. Meiner Ansicht nach müsste die Arbeit des Finanzstabilitätsrats auf diesem Gebiet durch die Entwicklung einer makroprudenziellen Regulierung für den NBFI-Sektor ergänzt werden.

Wir sollten unsere bisherigen Errungenschaften in der Bankenregulierung jedenfalls nicht aufs Spiel setzen, indem wir zulassen, dass sich in anderen Bereichen des Finanzsystems Risiken für die Finanzstabilität aufbauen.

3 Digitales Zentralbankgeld

In der zweiten Session wird es um das Thema digitales Zentralbankgeld (DZBG) gehen.

Mit diesem Thema setzen sich derzeit fast alle Zentralbanken intensiv auseinander. Das Eurosystem arbeitet mit großem Einsatz an den Vorbereitungen für die mögliche Einführung eines digitalen Euro.

Die Welt wird zunehmend digitaler. Vor diesem Hintergrund würde der digitale Euro eine sichere und effiziente digitale Zahlungsoption bieten, die das Bargeld ergänzt. Durch seine Einbettung in eine europäische Infrastruktur soll er dazu beitragen, die strategische Autonomie Europas zu stärken, und Innovationen im Privatsektor anregen.

Die Einführung einer digitalen Zentralbankwährung könnte aber auch mit unerwünschten Nebenwirkungen einhergehen. Wenn die Bankkunden beispielsweise die Möglichkeit hätten, digitales Zentralbankgeld in großem Umfang zu halten, könnte es bei Stressphasen im Bankensektor zu großen, abrupten Umschichtungen von Einlagen in digitales Zentralbankgeld kommen. Dies könnte die Stabilität des Finanzsystems gefährden.

Und wenn die digitale Zentralbankwährung ein zu attraktiver Ersatz für Einlagen wäre, könnte dies den Zugang der Geschäftsbanken zu Privatkundeneinlagen mit der Zeit erschweren. Eine mögliche Folge wäre eine strukturelle Disintermediation, und unser bewährtes zweistufiges Bankensystem könnte infrage gestellt werden. Daher ist von entscheidender Bedeutung, digitales Zentralbankgeld so zu gestalten, dass diese Risiken nicht eintreten können.

Die Herausforderung besteht also darin, die Nutzbarkeit von digitalem Zentralbankgeld als Zahlungsmittel zu optimieren und zugleich dessen Auswirkungen auf den Markt für Bankeinlagen zu begrenzen. Wichtige Stellschrauben sind hier zum einen die Verzinsung und zum anderen Haltelimits. Lassen Sie mich die beiden Faktoren kurz erläutern.

Die Verzinsung bezieht sich auf den Zinssatz, mit dem das digitale Zentralbankgeld der privaten Haushalte vergütet wird. Bei einem Zinssatz im positiven Bereich wäre das Halten von digitalem Zentralbankgeld attraktiver. Gleichzeitig würde dies aber Abflüsse von Bankeinlagen nach sich ziehen.

Pascal Paul wird heute Nachmittag auf der Grundlage eines wohlfahrtsmaximierenden Modells argumentieren, dass Zentralbanken einen positiven Zinssatz zulassen sollten.[3] Dies steht im Widerspruch zu dem Vorhaben des EZB-Rats, den digitalen Euro nicht zu verzinsen.[4]

Warum sind wir gegen eine Verzinsung?

Weil der digitale Euro eine digitale Alternative zum Bargeld sein soll und Bargeld nicht verzinst wird. Wir sind weder daran interessiert, mit den Geschäftsbanken um Einlagen zu konkurrieren, noch den digitalen Euro als geldpolitisches Instrument einzusetzen.

Der zweite, vielleicht noch wichtigere Faktor sind Haltelimits. Wir beabsichtigen, für das Halten von digitalen Euro bestimmte Obergrenzen festzulegen. Damit möchten wir sicherstellen, dass der digitale Euro nicht zu großen, abrupten Umschichtungen oder zur Disintermediation führt.

Die derzeit diskutierten Obergrenzen liegen in einer Spanne von 500 Euro bis 3 000 Euro.[5] Einer aktuellen Studie der Bundesbank zufolge liegt das optimale Haltelimit in einer Bandbreite von 1 500 Euro bis 2 500 Euro.[6] Im EZB-Rat haben wir noch keine Entscheidung über die genaue Höhe der Obergrenze getroffen. Außerdem sind hier möglicherweise auch die EU-Gesetzgeber mit einzubeziehen.

Was die praktische Nutzung des digitalen Euro angeht, so spielt die Höhe des Haltelimits ohnehin keine wesentliche Rolle. Dies hängt mit dem „umgekehrten Wasserfallprinzip“ zusammen, das es den Nutzerinnen und Nutzern ermöglicht, ihr Wallet für den digitalen Euro mit einem Bankkonto zu verknüpfen. Anschließend können sie ihre Bankeinlagen automatisch und sofort in digitale Euro umtauschen, wenn ihr digitales Guthaben nicht ausreicht, um Zahlungen zu tätigen.

4 Bankgeschäft und Einlagenströme

Hätten private Haushalte die Möglichkeit, Einlagen in unbegrenzter Höhe in digitales Zentralbankgeld umzuwandeln, dann wären die Geschäftsbanken der großen Gefahr eines Bankenansturms ausgesetzt. Zinssätze von null oder darunter würden die Menschen in Krisenzeiten jedenfalls nicht davon abhalten, solche Umschichtungen vorzunehmen. Allerdings kann es auch ohne digitales Zentralbankgeld zu einem digitalen Bankenansturm kommen.

So hat die Insolvenz der Silicon Valley Bank und anderer Regionalbanken im März 2023 gezeigt, wie schnell Einleger heutzutage ihre Gelder abziehen können. Allein bei der Silicon Valley Bank wurden binnen eines Tages 42 Milliarden US-Dollar abgezogen. Dies entspricht rund einem Viertel aller Einlagen. Einen Tag später wären weitere 100 Milliarden US-Dollar hinzugekommen.[7] Offensichtlich wurde der Bankenansturm dadurch ausgelöst, dass Bankkunden ihre ungesicherten Einlagen in Sicherheit bringen wollten.

In der dritten Session werden das Bankgeschäft und die Einlagenströme behandelt. Dominic Cucic wird in seinem Beitrag zeigen, dass Bankkunden ihre Einlagen tatsächlich umverteilen, wenn sich die Höhe der Einlagensicherung ändert.[8] Eine glaubwürdige und zuverlässige Einlagensicherung trägt dazu bei, einen Bankenansturm zu verhindern und die Finanzstabilität zu wahren.

Im Euroraum ist die Einlagensicherung derzeit auf nationaler Ebene geregelt. Durch eine zusätzliche europäische Ebene in Form eines Hybridmodells könnte man Situationen besser vorbeugen, in denen große Schocks nationale Einlagensicherungssysteme überlasten und grenzüberschreitende Ansteckungseffekte auslösen.

Da eine solche europäische Ebene risikobasiert sein sollte, stellen hohe Risikopositionen von Banken gegenüber einzelnen Staaten ein Problem dar. Derzeit halten viele Banken einen überproportional hohen Anteil der Staatsanleihen des eigenen Landes. Würde sich dies fortsetzen, könnte eine gemeinsame Einlagensicherung zu einer Umverteilung staatlicher Solvenzrisiken führen.

Die neue Legislaturperiode in der EU bietet meines Erachtens eine gute Gelegenheit, um in beiden Bereichen Fortschritte zu erzielen – bei der Reduzierung von Risikopositionen der Banken gegenüber einzelnen Staaten und bei der Entwicklung eines gemeinsamen europäischen Einlagensicherungssystems.

5 Zentralbankinterventionen und Marktverhalten

Die vierte Session befasst sich mit den Auswirkungen von Zentralbankinterventionen auf das Marktverhalten. In den beiden Beiträgen zu diesem Thema wird betont, dass solche Maßnahmen der Zentralbanken sehr sorgfältig ausgestaltet sein müssen.[9]

Die Notenbanken haben eine breite Palette an geldpolitischen Sondermaßnahmen ergriffen, um sicherzustellen, dass die geldpolitischen Impulse an der effektiven Zinsuntergrenze ausreichend wirksam sind. Mittel- bis langfristig können solche Maßnahmen aber zu Ineffizienzen führen. Diese könnten entweder direkt an den Finanzmärkten entstehen oder aufgrund der erhöhten Kreditvergabe bei der Ressourcenallokation.

Deshalb ist eine Bewertung der eingesetzten Instrumente und der damit einhergehenden Erfahrungen umso wichtiger. Es passt daher sehr gut, dass wir derzeit eine Strategieüberprüfung im Eurosystem durchführen. Sie ermöglicht uns unter anderem eine kritische Auseinandersetzung mit den Maßnahmen der quantitativen Lockerung, die in der Vergangenheit ergriffen wurden.

In der Phase der niedrigen Inflation trugen die umfangreichen Anleihekäufe zur Preisstabilität bei. Sie waren aber auch mit zahlreichen Nebenwirkungen an den Finanzmärkten verbunden. Ohne dem Ergebnis der Überprüfung vorgreifen zu wollen, denke ich, dass solche Maßnahmen nur in außergewöhnlichen Situationen eingesetzt werden sollten.

6 Schluss

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Konferenz wird mit einer Podiumsdiskussion zum neuen geldpolitischen Handlungsrahmen der EZB enden. Hierzu habe ich mich bereits bei anderer Gelegenheit geäußert.[10]

Deshalb möchte ich abschließend den Organisatorinnen und Organisatoren der Bundesbank und der Humboldt-Universität meinen Dank für die Organisation der Konferenz aussprechen. Vielen Dank auch den Referenten sowie den Diskussions- und Panelteilnehmerinnen und -teilnehmern für die gewährten Einblicke. Allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern danke ich für ihre Beiträge. Mein ganz besonderer Dank gilt Annette Vissing-Jørgensen vom Federal Reserve Board. Sie wird eine Keynote-Rede zum Thema Bilanzpolitik bei Zinsen oberhalb der effektiven Zinsuntergrenze halten.[11]

Nun wünsche ich Ihnen allen eine spannende Konferenz mit vielen wertvollen Erkenntnissen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Fußnoten:

 

  1. Vgl. Rzeźnik, A. und R. Weber (2022), Money in the Right Hands, Mimeo.
  2. Vgl. Dunne, P. et al. (2024), Financial fragility in open-ended mutual funds: the role of liquidity management tools, Diskussionspapier der Deutschen Bundesbank, Nr. 36/2024.
  3. Vgl. Paul, P., M. Ulate und J. C. Wu (2024), A Macroeconomic Model of Central Bank Digital Currency, Mimeo.
  4. Vgl. EZB (2023), A stocktake on the digital euro. Summary report on the investigation phase and outlook on the next phase, 18. Oktober 2023.
  5. Vgl. Balz, B. (2024), Nur 500 Euro Guthaben erlaubt? Was der digitale Euro bringen soll – und was nicht, Interview mit Focus online, 5. Juni 2024.
  6. Vgl. Bidder, R., T. Jackson und M. Rottner (2024), CBDC and banks: Disintermediating fast and slow, Diskussionspapier der Deutschen Bundesbank, Nr. 15/2024.
  7. Vgl. Protokoll der Anhörung vor dem Kongress, Recent Bank Failures and the Federal Regulatory Response, Committee on Banking, Housing, and Urban Affairs, 28. März 2023.
  8. Vgl. Cucic, D. et al. (2024), Distortive Effects of Deposit Insurance: Administrative Evidence from Deposit and Loan Accounts, Mimeo.
  9. Vgl. Eufinger, C. und Z. Ye (2024), Breaking Bagehot’s Rules: Loan Contracting with Advantageous Central Bank Funding, Mimeo; Meisenzahl, R. R. und K. M. Pence, De-Limiting Arbitrage: Evidence from the Term Asset-Backed Securities Loan Facility, Mimeo.
  10. Vgl. Nagel, J. (2024), Überlegungen zum neuen geldpolitischen Handlungsrahmen des Eurosystems, Rede beim Konstanzer Seminar über Geldtheorie und Geldpolitik, 16. Mai 2024.
  11. Vgl. Vissing-Jørgensen, A. (2023), Balance Sheet Policy Above the ELB, ECB Forum on Central Banking, Sintra.