Grenzüberschreitende Dimension der Einführung eines digitalen Euro RBI@90 High-Level Conference „Zentralbankwesen am Scheideweg“

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Einleitung

Sehr geehrter Herr Gouverneur Das,

werte Kolleginnen und Kollegen,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich freue mich sehr, heute zu Ihnen sprechen zu dürfen – an diesem wundervollen Ort in diesem wunderbaren Land, das eine Wiege der Weltzivilisation und der Weltkultur ist.

Die Reserve Bank of India feiert gerade ihr 90-jähriges Bestehen. Meinen herzlichen Glückwunsch an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu diesem Jubiläum! Im vergangenen Jahr wurden über Echtzeitzahlungssysteme in Indien rund 129 Milliarden digitale Transaktionen abgewickelt.[1] Dies bedeutet, dass dort 84 % aller elektronischen Zahlungen in Echtzeit erfolgt sind. Weltweit waren es in diesem Zeitraum nur etwa 19 %. In meinen Augen ist dies ein beeindruckender Beweis für die hervorragende Arbeit der RBI in den letzten Jahren.

Zahlungssysteme und deren grenzüberschreitende Interaktion sind auch ein wichtiges Thema dieser Konferenz. Denn Zahlungen über Landesgrenzen hinweg sind ein integraler Bestandteil unserer globalisierten Welt. Historisch gesehen bilden Korrespondenzbanken bereits seit der Renaissance bis hin zur heutigen Zeit das Fundament für grenzüberschreitende Transaktionen.[2] Doch selbst heute noch sind Geldtransfers über Korrespondenzbanken häufig langsam und erfordern viele Schritte, sodass mitunter hohe und intransparente Gebühren anfallen.

Außerdem ist das Korrespondenzbankgeschäft seit 20 Jahren rückläufig. Dies ist hauptsächlich auf immer strengere Compliance-Anforderungen zurückzuführen. Im Zeitraum von 2011 bis 2022 sank die Anzahl der aktiven Korrespondenzbanken um rund ein Drittel, während sich der Wert der grenzüberschreitenden Zahlungen um fast 40 % erhöhte.[3] Mit Blick auf den Marktwettbewerb ist dies ohne Frage eine alarmierende Entwicklung.

Bis zu einem gewissen Grad kann die angespanntere Lage am Korrespondenzbankenmarkt vielleicht durch den technologischen Fortschritt kompensiert werden. So haben verschiedene FinTech-Unternehmen in den vergangenen zehn Jahren innovative Technologien wie Blockchain und digitale Geldbörsen entwickelt, um grenzüberschreitende Zahlungen zu vereinfachen. Die FinTech-Revolution betraf das private Geld. Nun hat es allerdings den Anschein, als ob eine weitere Revolution am Horizont auftauchen könnte – diesmal geht es um Zahlungen in Zentralbankgeld, konkret um die Einführung von digitalem Zentralbankgeld (DZBG).

Ich möchte in meiner Rede die Entwicklungen auf dem Gebiet des digitalen Zentralbankgelds darlegen und dabei insbesondere auf grenzüberschreitende Transaktionen eingehen. Zunächst werde ich einige allgemeine Anmerkungen zu den Auswirkungen und Vorteilen machen, die sich aus der Einführung einer digitalen Zentralbankwährung für die Abwicklung von Zahlungen über Ländergrenzen ergeben könnten. Anschließend möchte ich dieses Thema im Zusammenhang mit der Arbeit des Eurosystems an einem digitalen Euro beleuchten – dem geplanten digitalen Zentralbankgeld für die breite Öffentlichkeit in Europa, auch „Retail-DZBG“.

2 Digitales Zentralbankgeld und grenzüberschreitender Zahlungsverkehr

Auch Korrespondenzbanken und FinTechs arbeiten an digitalen Innovationen. Daher stellt sich die Frage, welche zusätzlichen Vorteile digitales Zentralbankgeld im Zeitalter der digitalen Bezahllösungen bieten würde. Die Einführung von DZBG würde die Errichtung neuer Infrastrukturen für digitale Zahlungen mit sich bringen. Einerseits sind hierfür zunächst umfangreiche Investitionen notwendig. Andererseits könnte DZBG, wenn es erst mit der entsprechenden neuen Infrastruktur eingeführt wurde, weitreichende Verbesserungen der Zahlungssysteme – also auch im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr – in Gang setzen. Dies könnte beispielsweise über neue Nachrichtenstandards und kürzere Prozessketten geschehen.[4]

So ein Projekt von Grund auf neu aufzusetzen, könnte einer der großen Vorteile von digitalem Zentralbankgeld sein. Die Erfahrung zeigt, dass es besonders schwierig sein kann, gemeinsame Standards festzulegen. Nehmen wir zum Beispiel die ISO-Norm 20022.[5] Die Internationale Organisation für Normung hat diesen gemeinsamen Standard für Finanznachrichten im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr im Jahr 2004 vorgeschlagen. Ab dem nächsten Jahr, also 21 Jahre nachdem der Vorschlag ursprünglich vorgelegt wurde, wird der Standard nun voraussichtlich in größerem Umfang in Zahlungssystemen weltweit eingesetzt. Diese Zeitspanne erscheint sogar noch länger, wenn man sich die Neuerungen vor Augen führt, die in der Zwischenzeit aufgekommen sind: Das erste iPhone wurde 2007 auf den Markt gebracht, das Konzept der dezentralen Blockchain 2008.

Um jedoch die Vorteile für grenzüberschreitende Zahlungen ausschöpfen zu können, muss die Interoperabilität von Zentralbankwährungen schon frühzeitig gewährleistet werden. Daher sollten die Zentralbanken bereits in der Planungsphase darüber nachdenken, wie das Zusammenspiel verschiedener DZBGs am besten funktionieren kann. Meiner Ansicht nach haben wir die historische Gelegenheit, grenzüberschreitende Zahlungen immens zu verbessern, indem wir die Interoperabilität mit anderen digitalen Zentralbankwährungen von Anfang sicherstellen.

So wird im Rahmen verschiedener Projekte bereits untersucht, wie sich die Interoperabilität von DZBG am besten herstellen lässt. Der Innovation Hub der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Singapur und mehrere nationale Zentralbanken im Indo-Pazifik-Raum haben zum Beispiel das Projekt Dunbar ins Leben gerufen. Dabei soll analysiert werden, wie eine gemeinsame Plattform für DZBG grenzüberschreitende Zahlungen kostengünstiger, schneller und sicherer machen könnte.[6]

Ich trete entschieden für einen multilateralen Ansatz auf diesem Gebiet ein, weil er dem Interesse aller Beteiligten am meisten dient. Wenn Zentralbanken stattdessen einen weitgehend unilateralen Ansatz verfolgen, birgt dies nicht nur die Gefahr von Ineffizienzen, sondern auch von unerwünschten Störungen. Stellen wir uns ein Szenario vor, in dem Personen im Ausland digitales Zentralbankgeld auf unilateraler Basis zur Verfügung gestellt wird. In diesem Fall kann es zu einer Währungssubstitution oder einem Aufwertungsdruck auf die Inlandswährung kommen. Auch könnte sich die Bilanz der das digitale Zentralbankgeld ausgebenden Notenbank erheblich ausweiten. In der Folge könnte sich die Wirkung der nationalen Geldpolitik in Ländern, die von einer erhöhten Währungssubstitution betroffen sind, abschwächen. Ein multilateraler Ansatz mit angemessenen Haltelimits könnte diesen Risiken indes entgegenwirken.

Die RBI hat einen wertvollen Beitrag zum digitalen Zentralbankgeld für die breite Öffentlichkeit geleistet. Die auf der Blockchain-Technologie basierende digitale Rupie wurde am 1. Dezember 2022 eingeführt. Sie wird von der Zentralbank ausgegeben und von Geschäftsbanken verteilt. Soweit ich informiert bin, plant die RBI, das Potenzial von DZBG auch für grenzüberschreitende Zahlungen zu erschließen.

3 Digitaler Euro und seine grenzüberschreitende Dimension

Im Eurosystem herrscht allgemein die Erwartung, dass ein digitaler Euro bereits in einigen Jahren eingeführt werden wird. Dabei soll der digitale Euro in erster Linie den binnenwirtschaftlichen Bedarf im Euroraum abdecken. Bis zu einem gewissen Grad beinhaltet dies aber bereits eine erhebliche grenzüberschreitende Dimension. Lassen Sie mich dies kurz erklären: Auch 25 Jahre nach der Einführung des Euro gibt es noch keine gemeinsame Lösung für digitale Zahlungen, die in ganz Europa für den stationären Handel und für Online-Einkäufe genutzt werden kann. Somit besteht die Gefahr, dass die von privaten europäischen Zahlungsdienstleistern angebotenen klassischen unbaren Zahlungslösungen nicht den Bedürfnissen der Kunden gerecht werden.

Fairerweise muss man sagen, dass in einigen Euro-Ländern bereits erfolgreich innovative digitale Zahlungslösungen eingeführt wurden. Ich denke da etwa an das Online-Zahlungssystem iDEAL in den Niederlanden oder an Bizum Wallet in Spanien. Aber solche Zahlungslösungen funktionieren in der Regel nur in dem jeweiligen Land. In den vergangenen Jahren wurden vielversprechende Initiativen ergriffen, um den Anwendungsbereich dieser Zahlungslösungen zu erweitern. So wurde iDEAL beispielweise erfolgreich von der European Payments Initiative übernommen – einem Unternehmen, das von mehreren europäischen Banken und Finanzdienstleistern gegründet wurde. Ziel der Initiative ist es, auf kurze bis mittlere Sicht eine echte europaweite Zahlungslösung zu schaffen.

Dies zeigt, dass im europäischen Zahlungsverkehr bedeutende Fortschritte erzielt worden sind. Mit Blick auf die Zukunft bestehen aber weiterhin Herausforderungen. Internationale Zahlungsdienstleister, vor allem Kreditkartenanbieter, bestimmen nach wie vor den Markt für Zahlungsdienste in Europa. Bei Auslandszahlungen ist ihr Anteil sogar noch größer.

Ein digitaler Euro wäre hier ein großer Fortschritt. Mit ihm stünde ein standardisiertes digitales Zahlungsmittel zur Verfügung, das für alltägliche Zahlungen im Euroraum eingesetzt werden könnte. Auch wenn eine stärkere Integration der Zahlungsverkehrslandschaft nötig ist, lautet unser Vorsatz, dass sich das Eurosystem nicht zu stark im europäischen Finanzsystem engagiert. Deshalb planen wir, zwar einen digitalen Euro auszugeben, aber nicht zu verteilen. Das heißt, Banken und andere Zahlungsdienstleister sollten die Rolle der DZBG-Schnittstelle zwischen dem Eurosystem und den Kunden übernehmen.

Der Euroraum umfasst derzeit 20 Mitgliedstaaten, die alle über ein eigenes Bankensystem mit spezifischen Merkmalen verfügen. Sie können sich somit sicherlich vorstellen, wie komplex unsere Aufgabe ist. Daher liegt unser Fokus aktuell darauf sicherzustellen, dass alle Menschen im Eurogebiet den digitalen Euro nutzen können. Dieser Aufgabe widmen wir uns mit vollem Einsatz. Dabei erläutern und begründen wir jeden unserer Schritte, zumal einige Menschen digitalem Zentralbankgeld skeptisch gegenüberstehen.

Nach seiner flächendeckenden Einführung innerhalb des Euroraums sollte meiner Meinung nach in Erwägung gezogen werden, den digitalen Euro auch Nutzerinnen und Nutzern außerhalb des Euroraums zur Verfügung zu stellen. Der geografische Zugang zum digitalen Euro wird rechtlich geregelt. Falls vom EU-Recht zugelassen, kann auch Verbraucherinnen und Verbrauchern sowie Unternehmen in Nicht-Euro-Ländern des Europäischen Wirtschaftsraums Zugang zum digitalen Euro gewährt werden. Auch bestimmte Länder außerhalb der EU können dafür infrage kommen.[7]

Ideal wäre, wenn von Anfang an eine Interoperabilität mit anderen DZBGs bestünde – etwa für Zahlungen zwischen Privatpersonen oder für kommerzielle Zahlungen von oder an Unternehmen außerhalb des Euroraums. Dies ist einstweilen jedoch noch Zukunftsmusik. Wie bereits gesagt müssen wir zunächst noch zahlreiche Herausforderungen meistern, um eine Retail-Variante des digitalen Euro innerhalb des Eurogebiets zu etablieren.

4 Schluss

Ich möchte nun zum Schluss kommen. Bislang ist digitales Zentralbankgeld noch Neuland in der Zahlungsverkehrslandschaft. Welche Rolle es letztlich bei Zahlungsvorgängen spielen wird, können wir nur schätzen. Dies gilt umso mehr für grenzüberschreitende Transaktionen.

Die Skepsis, die DZBG von vielen Seiten entgegenschlägt, ist mit Blick auf zahlreiche technologische Innovationen nichts Neues. So war in den frühen 1980er-Jahren die sogenannte Computerphobie weit verbreitet.[8] Diese nahm vielfältige Formen an. So hatten einige sogar Angst davor, einen Computer nur anzufassen. Oder sie fühlten sich bedroht von Menschen, die mit Computern zu tun hatten. Dies mag heutzutage sehr befremdlich anmuten, sind Computer doch mittlerweile ein wesentlicher Bestandteil unseres Alltags.

Daher werden wir uns weiterhin dafür einsetzen, digitales Zentralbankgeld einzuführen. Ich bin zuversichtlich, dass unsere Zahlungsverkehrssysteme damit besser, schneller und effizienter werden.

 

Fußnoten:

  1. Vgl. ACI Worldwide Inc., It’s prime time for real-time: Real-time payments adoption and growth around the globe, Payment report 2024.
  2. Vgl. Lothian, J. R. (2002), The internationalization of money and finance and the globalization of financial markets, Journal of International Money and Finance, Bd. 21, Ausgabe 6, S. 699-724.
  3. Vgl. Garratt, R., P. K. Wilkens und H. S. Shin, Next generation correspondent banking, BIS Bulletin Nr. 78, 2024.
  4. Vgl. Deutsche Bundesbank, Grenzüberschreitende Interoperabilität von digitalem Zentralbankgeld, Monatsbericht, Juli 2022, S. 63-81.
  5. ISO 20022 | ISO20022
  6. Project Dunbar – International settlements using multi-CBDCs (mas.gov.sg)
  7. Vgl. International aspects of CBDCs: update on digital euro (europa.eu).
  8. Vgl. LaFrance, A., When People Feared Computers, The Atlantic, 30. März 2015.