„Der digitale Euro – Gestaltung der Zukunft“ Rede bei der Veranstaltung „Jahresschlussbörse 2023“ der Börse in Hannover

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Einleitung

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

vielen Dank für Ihre Einladung und die freundliche Begrüßung. Es ist mir eine besondere Freude, zum Abschluss dieses bewegenden Jahres 2023, heute hier zu sein. Nach Niedersachsen komme ich immer gern, denn hier ist ja meine Heimat. 

Es heißt: An der Börse wird die Zukunft vorweggenommen 

Deshalb freue ich mich besonders, Ihnen hier mit dem digitalen Euro ein Thema nahe bringen zu dürfen, mit dem wir die Zukunft aktiv gestalten wollen. Denn beobachten und kommentieren allein reicht oft nicht aus. Gerade dann, wenn es um die Digitalisierung und ihre Auswirkungen geht, sind auch die Zentralbanken gefordert, die Entwicklungen genau zu verfolgen und bei Bedarf aktiv mitzugestalten. Bevor ich den Blick aber nach vorne richte, möchte ich – ganz im Zeichen des Jahreswechsels – noch einmal zurückschauen. 

Geostrategische Verwerfungen, Klimawandel sowie Digitalisierung prägten das Börsenjahr 2023. Alte Gewissheiten stehen zunehmend auf dem Prüfstand. Der schreckliche Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hält weiter an und besorgt uns alle. Auch die Eskalation des Konflikts im Nahen Osten bewegt Menschen auf der ganzen Welt und schürt Verunsicherung. 

COP28, die Mitte Dezember zu Ende gegangene Klimakonferenz der Vereinten Nationen, offenbarte wieder einmal, wie schwierig es ist, sich auf globaler Ebene auf konkrete Maßnahmen gegen den Klimawandel zu einigen. Dabei zeigen sich die Auswirkungen des Klimawandels immer deutlicher, etwa in der Zunahme extremer Wetterereignisse. Nachhaltigkeit wird deshalb auch für die Zentralbanken zu einem immer wichtigeren Thema.

Und nicht zuletzt entwickelte sich die Künstliche Intelligenz im zurückliegenden Jahr 2023 rasant weiter. Mit ChatGPT oder Bard weiß inzwischen wohl jeder von uns etwas anzufangen. Die breite Verfügbarkeit solcher Lösungen bringt völlig neue Chancen mit sich, aber auch Risiken. 

Uns beschäftigte natürlich auch die Krise und anschließende Übernahme der Schweizer Großbank Credit Suisse. Überraschend waren dabei aus meiner Sicht nicht die grundsätzlichen Zweifel am Geschäftsmodell der Bank. Sondern die Geschwindigkeit, mit der sich der Vertrauensverlust – sicherlich auch bedingt durch die allerdings vollkommen anders gelagerten Ereignisse bei den US-Regionalbanken – manifestiert hat.

Ein Blick auf die deutsche Wirtschaft verdeutlicht ebenfalls die Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen. Wir rechnen damit, dass das reale Bruttoinlandsprodukt in Deutschland in diesem Jahr um 0,1 % zurückgeht, also in meinen Worten: Praktisch stagniert. Dämpfend wirken derzeit eine schwächere Auslandsnachfrage, eher verhaltene Konsumausgaben und straffere Finanzierungskonditionen. Doch lassen Sie mich betonen, dass wir trotz dieser Widrigkeiten für das kommende Jahr eine Rückkehr auf den Expansionspfad erwarten.[1]

Ein bestimmendes Thema an den Finanzmärkten war natürlich auch die Inflation. Im November 2022 lag die Inflationsrate im Euroraum bei über 10 %.[2] Der EZB-Rat hat auf diese Entwicklung entschieden reagiert. Bereits im Juli 2022 hatte er die Leitzinsen angehoben – übrigens erstmals seit über einem Jahrzehnt. Neun weitere Zinsschritte folgten, der derzeit maßgebliche Satz der Einlagefazilität liegt inzwischen bei 4,0 %.[3] Das Finanzsystem hat den Zinsanstieg bislang gut verarbeitet. Und auch wenn die Effekte noch nicht vollständig eingetreten sind: Die Zinserhöhungen zeigen Wirkung. Die Inflation geht zurück, wir sind auf dem Weg zur Zielmarke. Aber noch haben wir sie nicht erreicht, und es wäre ein großer Fehler, zu früh den Sieg zu erklären. Die Geldpolitik muss weiter Kurs halten.

Aus meiner Sicht verdeutlichen all diese Entwicklungen vor allem eines: Die Welt ist im Wandel. 

2 Digitalisierung des Geldes

Genauso verhält es sich mit Blick auf die Zukunft unseres Geldes. Auch dort spüren wir zunehmend die Auswirkungen der Digitalisierung. Fahrkarten und Flugtickets kauft man am bequemsten per App, Hotelzimmer bucht man heute in der Regel digital und das Weihnachtsshopping haben viele von uns gerne vom Wohnzimmersessel aus im Onlinehandel gemacht. 

Entsprechend ist es wenig verwunderlich, dass Euro-Banknoten und Euro-Münzen zwar weiter eine wichtige, aber tendenziell abnehmende Rolle im Zahlungsverkehr spielen. Elektronische, bargeldlose Zahlungen gewinnen an Bedeutung. Und zu einer digitalen Welt gehört auch digitales Geld. Es ist in meinen Augen deshalb nur folgerichtig, dass wir, wie 93 Prozent der Zentralbanken weltweit[4]über digitales Geld nachdenken – für unseren Alltag und als Ergänzung zu Bargeld. 

In meinen Augen wäre der digitale Euro ein wichtiger Schritt, um unsere Währung zukunftsfest zu machen. Die Menschen bekämen die Möglichkeit, auch elektronisch mit Zentralbankgeld zu bezahlen Der digitale Euro wäre wie das Euro-Bargeld ein europäisches Zahlungsmittel, das im gesamten Euroraum akzeptiert wird. 

Zwar gibt es heute schon digitale Bezahllösungen für viele Einsatzbereiche. Aber diese sind häufig nicht universell einsetzbar – zum Beispiel nur im Onlinehandel, aber nicht in Geschäften vor Ort. Oder es werden nicht alle privaten Bezahlverfahren von jedem Händler unterstützt. Und es stehen oftmals nichteuropäische Anbieter dahinter. Die Idee ist, eine Art „digitales Bargeld“ zu schaffen: Die Menschen sollen jederzeit, überall und in allen Bezahlsituationen mit einem Verfahren – dem digitalen Euro – zahlen können.

3 Projekt Digitaler Euro

3.1 Ausgestaltung des digitalen Euro

Die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger verdient dabei große Beachtung. Bei Zahlungen mit dem digitalen Euro bliebe die Identität der Nutzerinnen und Nutzer den Zentralbanken grundsätzlich verborgen, ein wichtiger Schutzmechanismus, der unseren Wertvorstellungen entspricht.

Des Weiteren sollte der digitale Euro nicht nur bereits heute geltende Standards im Zahlungsverkehr erfüllen, sondern auch eine Plattform für Neues werden. Dieser Anspruch könnte einerseits höhere Maßstäbe beim Schutz der Privatsphäre setzen und eröffnet andererseits neue Horizonte für Innovationen.

Deshalb beschäftigen wir uns derzeit intensiv mit der technischen Infrastruktur. Es gilt auszuloten, ob es heute schon möglich ist, eine tokenbasierte Infrastruktur im Frontend anzubieten und dabei keine zu hohen technologischen Risiken einzugehen. Mittel- bis langfristig eröffnet eine Konzeption als Token sicher neue Anwendungsmöglichkeiten, insbesondere im Internet der Dinge. Und für Intermediäre könnte eine Plattform und ein Standard entstehen, der es ihnen erlaubt, neue Anwendungen für ihre Kunden kostengünstig zu entwickeln. Hier ist Sorgfalt vor Schnelligkeit geboten, um optimale Lösungen zu entwickeln. 

Wie Ihnen bekannt sein sollte, sind überstürzte Handlungen nicht Sache eines Zentralbankers. Das gilt auch für unsere Planungen, wenn es um die tatsächliche Einführung eines digitalen Euro geht. So ist ein stufenweises Vorgehen vorgesehen. Eine erste Version würde Person-to-Person- (P2P) sowie Online-Zahlungen unterstützen. Danach kommt die Ausbaustufe, die an der Ladenkasse und im Zahlungsverkehr mit öffentlichen Kassen funktionieren soll.

3.2 Die nächsten Schritte

Welche Aufgaben liegen in den kommenden Wochen und Monaten konkret vor uns? 

In der Untersuchungsphase hat das Eurosystem über 24 Monate intensiv an einem Konzept für den digitalen Euro gearbeitet. Im Herbst hat der EZB-Rat diesem Gesamtdesign und der Fortsetzung des Projekts, in einer nun stärker technisch ausgerichteten neuen Phase, zugestimmt. Seit dem 1. November 2023 befinden wir uns in der Vorbereitungsphase, in der unter anderem das Digital Euro Scheme Rulebook ausgearbeitet wird. Dies stellt den Abschluss der gemeinschaftlichen Bemühungen mit dem Markt dar, ein Regelwerk für den digitalen Euro zu entwerfen. 

Des Weiteren fokussieren wir uns auf die Identifizierung potenzieller Dienstleister, um die vielfältigen Services und Komponenten zu entwickeln, die für den Aufbau der digitalen Euro-Infrastruktur vonnöten sind. Das Herzstück der Infrastruktur – die Settlement Engine – soll allerdings mit internen Ressourcen im Eurosystem entwickelt werden.

Darüber hinaus gilt es auch ökonomische Analysen anzustellen, die sich mit den möglichen Auswirkungen eines digitalen Euro auf die Stabilität der Finanzmärkte und die Liquiditätsposition der Kreditwirtschaft beschäftigen. 

4 Verordnungsvorschlag der Kommission

Doch die technische Grundlage allein reicht nicht. Es braucht auch die Flankierung des Gesetzgebers. Denn ohne rechtlichen Rahmen wird es keinen digitalen Euro geben können. 

Dazu hat die Europäische Kommission im vergangenen Juni einen Verordnungsvorschlag veröffentlicht, der derzeit mit dem Rat der Europäischen Union und dem Europäischen Parlament verhandelt wird. Der Entwurf sieht vor, den digitalen Euro als gesetzliches Zahlungsmittel einzuführen. Banken und andere Zahlungsdienstleister sollen dabei im Finanzsystem weiterhin die Schlüsselrolle spielen. Sie würden den digitalen Euro in Verkehr bringen und dadurch angemessene Einnahmen generieren können. Das Eurosystem würde die Infrastruktur im Hintergrund für die Abwicklung der Zahlungen mit dem digitalen Euro kostenlos für die Intermediäre bereitstellen. Kostenfreiheit bei der Grundnutzung ist auch für Privatpersonen vorgesehen. Hingegen wird der Handel weiterhin Gebühren an Banken und andere Zahlungsdienstleister zahlen müssen, wobei der Gesetzgeber Vorkehrungen treffen wird, dass diese nicht aus dem Ruder laufen.

Neu hinzukommen soll die Möglichkeit, Offline-Zahlungen zu tätigen. Dies hätte zwei Vorteile: digitales Bezahlen ohne Netzverbindung, bis zu einer bestimmten Betragshöhe und ohne Beteiligung von Intermediären sowie datensparsame Transaktionen. 

Ich gehe davon aus, dass Kreditinstitute und Zahlungsdienstleister das Potenzial des digitalen Euro nutzen, um weitere Innovationen zu entwickeln. So gäbe es die Möglichkeit für bedingte Zahlungen, etwa im Internet der Dinge auf Basis von Smart Contracts. Hierzu melden insbesondere Vertreter deutscher Unternehmen immer wieder Bedarf. 

Parallel zum Vorschlag über den digitalen Euro hat die Europäische Kommission einen Verordnungsvorschlag veröffentlicht, um den Zugang zu Bargeld und die Möglichkeit von Barzahlungen gesetzlich zu garantieren. Dies unterstreicht, dass der digitale Euro das Euro-Bargeld ergänzen, nicht aber ersetzen soll. Das ist für das gesamte Eurosystem, die Bundesbank und mich persönlich von besonderer Bedeutung - denn ich bin in der Bundesbank auch für das Bargeld verantwortlich.

5 Ausblick und Fazit

Meine Damen und Herren, 

in einem schwierigen Umfeld mit aktuell vielen geopolitischen Spannungsfeldern sollten wir uns nicht lähmen lassen. Wir müssen uns für die Zukunft wappnen. Der Beginn der Vorbereitungsphase ist ein weiterer Schritt zur möglichen Einführung eines digitalen Euro und unterstreicht die Ambition, mit der wir dieses Vorhaben angehen. Die endgültige Entscheidung über die Ausgabe des digitalen Euro kann aber erst nach der Festlegung eines stabilen Rechtsrahmens erfolgen und erfordert deshalb eine enge Abstimmung mit dem europäischen Gesetzgeber. Zudem müssen die potenziellen Auswirkungen auf das Finanzsystem gründlich analysiert werden.

Gleichzeitig sollten wir – und damit wäre ich bei meinen persönlichen Wünschen für das kommende Jahr – weiter ambitioniert bleiben. Denn die Zukunft des Geldes zu gestalten, erfordert durchaus etwas Mut. Das gilt sowohl für die technische Seite als auch für rechtliche Fragestellungen. Wir haben mit dem digitalen Euro die Möglichkeit, nicht nur Zeugen, sondern Mitgestalter dieser Zukunft zu sein. Diese Chance sollten wir nutzen! Wie sich diese Ambition des Eurosystems und des Gesetzgebers jedoch an der Börse auswirken wird, überlasse ich der Einschätzung der Marktexperten.

Ich wünsche Ihnen allen einen guten Rutsch und ein erfolgreiches, gesundes Jahr 2024 – privat und geschäftlich. Und natürlich gute Börsengeschäfte! 

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
 

Fußnoten:

  1. Deutsche Bundesbank (2023): Monatsbericht Dezember 2023, S. 1.
  2. Deutsche Bundesbank (2023): Monatsbericht Dezember 2022, S. 8.
  3. Deutsche Bundesbank (2023): Monatsbericht Dezember 2023, Anhang S. 43.
  4. Kosse, A., I. Mattei (2023), Making headway – Results of the 2022 BIS survey on central bank digital currencies and crypto, BIS Papers No 136, July 2023.