Helmut Schlesinger ©picture alliance/Arne Dedert/dpa

Hüter der Stabilitätskultur – Eine Würdigung zum 100. Geburtstag von Helmut Schlesinger Gastbeitrag von Joachim Nagel, Präsident der Deutschen Bundesbank, in der Börsen-Zeitung

Helmut Schlesinger feiert am 4. September seinen 100. Geburtstag. Damit gewinnt der Ehrentitel „Alt-Bundesbankpräsident“ eine neue numerische Dimension. Würdigungen zu runden Geburtstagen kennt Helmut Schlesinger genügend – nicht zuletzt von der Börsen-Zeitung, die zu seinem 80. schrieb: Sein Name ist ein Synonym für das Streben nach Geldwertstabilität. Das verweist auf die besondere Stabilitätskultur der Bundesbank, in der Schlesingers Denken und Haltungen bis heute wirken.

Schlesingers Präsidentschaft krönte eine über 41-jährige Tätigkeit in der Bundesbank und für eine stabile Währung. Zurecht gilt Schlesinger als einer der einflussreichsten Bundesbanker überhaupt. Die Börsen-Zeitung hatte ihn einmal als Eigengewächs der Bundesbank tituliert, eine Bezeichnung, die mir sehr gut gefällt. Helmut Schlesinger verkörpere „ein exzeptionelles, mit dem Übergang zum Euro quasi abgeschlossenes Stück Währungsgeschichte, das per saldo von der Kontinuität des Erfolges bestimmt wurde.“

In den 1950er und 1960er Jahren, der Frühzeit der D-Mark, durchlief Schlesinger eine ungewöhnlich steile Laufbahn als Fachbeamter. Sie führte ihn bis an die Spitze der volkswirtschaftlichen Abteilung. Damals erlebte Westdeutschland das Wirtschaftswunder. Unter dem Regime fester Wechselkurse führte die Bundesbank den Geld- und Kreditsektor aus Bewirtschaftung und Währungsreform bis 1958 zu Öffnung und Liberalisierung. Es gelang der Bundesbank über die gesamte Epoche, die D-Mark stabil zu halten.

1972 wurde Schlesinger in das Direktorium der Bundesbank berufen und blieb auch hier für Volkswirtschaft zuständig. Die Zeitumstände erforderten eine komplette Neuaufstellung der Geldpolitik: Das Währungssystem von Bretton Woods kriselte und brach 1973 auseinander. Westeuropas Wechselkurse pendelten sich neu ein – zunächst im Europäischen Wechselkursverbund, dann im Europäischen Währungssystem (EWS). Wirtschaftlich waren die 1970er Jahre von Ölkrisen und steigender Arbeitslosigkeit geprägt. Aus dem Zusammentreffen von hoher Inflation und stagnierender Wirtschaft entstand mit „Stagflation“ ein neues Wort. Die Bundesbank führte damals als erste Zentralbank die Geldmengensteuerung ein. Schlesinger hatte wesentlichen Anteil daran, die monetaristische Theorie in eine geldpolitische Strategie zu übersetzen.

Ihm war immer wichtig, Geldpolitik zu erklären: in persönlichen Beiträgen und im Monatsbericht der Bundesbank, den er akribisch und stilsicher redigierte. Viele in der Bundesbank erinnern sich an seine Bleistiftnotizen – er bevorzugte Härtegrad HB „mittel“. Als Geldpolitiker hingegen galt er manchen als harter Hund, geradlinig argumentierend, aber stets differenziert. Immer wieder hat er die Wechselwirkungen von volkswirtschaftlicher Analyse, geldtheoretischen Konzepten, politischer Entscheidung und historischem Wandel aufgezeigt.

Die D-Mark erwies sich in den 1970er und 1980er Jahren als eine der stabilsten Währungen der Welt. Schlesinger, seit 1980 Vizepräsident, galt als „Stabilitätsgewissen“. Er wittere Inflation unter jedem Kiesel, soll US-Finanzminister Baker einmal über Schlesinger gesagt haben. Die D-Mark entwickelte sich in dieser Zeit zur Ankerwährung im EWS. 1991 rückte Schlesinger vom Vize- ins Präsidentenamt auf – für 26 Monate, die es in sich hatten. Die Bundesbank stemmte sich mit höheren Zinsen gegen den Preisauftrieb infolge der deutschen Wiedervereinigung. Ihre beharrliche Hochzinspolitik stieß dabei nicht nur im Inland auf Kritik. Auch viele Partnerländer im EWS machten sie für die Währungskrisen und Abwertungsrunden der Jahre 1992/93 verantwortlich. Als das Vereinigte Königreich 1992 aus dem EWS austreten musste, richteten britische Politiker und Medien schwere Vorwürfe an Schlesinger. Doch ein „engstirniger Geld-Nationalist“ ist er nie gewesen, er folgte einem klaren Kompass. Als der passionierte Bergsteiger Schlesinger auf einer Himalaya-Tour nach der Bedeutung des ältesten buddhistischen Mantras om mani padme hum gefragt wurde, soll er geantwortet haben: Halte die Geldmenge knapp.“

Heute nimmt die von ihm eingeführte und damals erfolgreiche Geldmengensteuerung eine andere Rolle ein. Die Wirtschaftsstruktur hat sich fundamental gewandelt. Schlesinger selbst hatte stets betont, dass die geldpolitische Strategie dem strukturellen Wandel angepasst werden müsse, um Geldwertstabilität erhalten zu können. Eine weitere Einsicht Schlesingers gilt nach wie vor: Stabiles Geld braucht nicht nur eine stabilitätsorientierte Politik von Regierung und Notenbank. Sie braucht auch ein entsprechendes Verhalten der Wirtschaft, der Tarifpartner und der Konsumenten – gewissermaßen eine Stabilitätskultur. Diese Stabilitätskultur hat er nicht nur in der Bundesbank geprägt, sondern auch in der westdeutschen und dann der gesamtdeutschen Gesellschaft. Sie ist auch allen seinen Nachfolgern im Amt des Bundesbankpräsidenten Verpflichtung. Als fünfter in dieser Reihe freue ich mich, gratulieren zu können: Die herzlichsten Glückwünsche zum 100. Geburtstag!