Die Europäische Zentralbank in Frankfurt am Main ©Robert Metsch / ECB

Monatsbericht: Geldpolitik des Eurosystems beeinflusst Risikoappetit auf den Finanzmärkten des Euroraums

Die Tendenz der Geldpolitik, den Risikoappetit der Anleger zu beeinflussen, hat einen erheblichen Einfluss auf die Wirksamkeit der Geldpolitik des Eurosystems auf die Makroökonomie und die Finanzmärkte, heißt es im aktuellen Monatsbericht. Der Aufsatz analysiert, wie geldpolitische Maßnahmen des Eurosystems die Risikobereitschaft auf den Finanzmärkten des Euroraums, sprich die Bereitschaft der Anlegerinnen und Anleger, Risiken einzugehen, beeinflussen. Grundlage der Betrachtung ist ein neuer, breit gefasster Indikator für den Risikoappetit im Euroraum. 

Der Aufsatz liefert empirische Belege für die Zusammenhänge von Geldpolitik und Risikoappetit auf den Finanzmärkten aus Sicht des Eurosystems. Bisherige Untersuchungen fokussierten sich vorrangig auf die USA. 

Risikoappetit im Euroraum entwickelt sich in gleiche Richtung wie Konjunktur 

Den Autorinnen und Autoren zufolge fällt der Risikoappetit der Anlegerinnen und Anleger, wenn sich die makroökonomische Lage verschlechtert und die Unsicherheit zunimmt. Als Beispiel nennen sie hier etwa den Beginn der Pandemie. Geht der Risikoappetit zurück, so würden Anlegerinnen und Anleger höhere Risikoaufschläge dafür verlangen, dass sie die gleiche Risikomenge von riskanten Vermögenswerten halten. In Krisenzeiten empfänden private Haushalte es demnach als ungeeignet, auf riskante Vermögenswerte zu setzen, um ihr gewünschtes Ausgabenniveau abzusichern. Auch Finanzintermediäre würden sich weniger risikofreundlich zeigen. Denn in Krisenzeiten treten häufiger Bewertungsverluste auf, die wiederum die Spielräume der Finanzintermediären einengen, um Kredite aufzunehmen oder zu vergeben. 

Risikoappetit im Euroraum folgt meist globalen Finanzmarktentwicklungen

Die Analyse zeigt, dass der Risikoappetitindex für den Euroraum mit den entsprechenden Indizes für den US-amerikanischen oder globalen Risikoappetit zumeist gleichläuft. Dies deute laut den Fachleuten darauf hin, dass global agierende Anlegerinnen und Anleger die Risikobereitschaft in den einzelnen Finanzmarktsegmenten des Euroraums zu einem großen Anteil bestimmen. 

Allerdings wirkten sich auch euroraumspezifische Entwicklungen wie die europäische Staatsschuldenkrise von 2010 bis 2012 auf den Risikoappetit des Euroraums aus: Damals sorgten sich die Anleger um die Tragfähigkeit der Staatschulden einiger Mitgliedsländer der Währungsunion und die Konjunkturaussichten für den Euroraum, heißt es im Bericht. Im Ergebnis sei die Risikobereitschaft im Euroraum deutlich gefallen und hätte dazu beigetragen, dass Aktien und Unternehmensanleihen in Europa stärker unter Druck gerieten als in den USA oder auf globaler Ebene.

Einfluss der Geldpolitik auf den Risikoappetit verstärkt die monetäre Transmission 

Im Hinblick auf die Wirksamkeit der Geldpolitik des Eurosystems stellen die Autorinnen und Autoren fest, dass der Risikoneigungskanal der Geldpolitik des Eurosystems die geldpolitische Transmission im Euroraum verstärkt. Der Risikoneigungskanal beschreibt den Mechanismus, durch den geldpolitische Maßnahmen den Risikoappetit der Anleger beeinflussen. Die Analyse zeigt: Eine unerwartete geldpolitische Straffung des Eurosystems dämpft den Risikoappetit der Anleger im Euroraum, erhöht damit die Risikoprämien und verstärkt somit den Preisrückgang riskanter Vermögenswerte. 

Gleichzeitig führt die straffere Geldpolitik zu einer effektiven Aufwertung des Euro gegenüber 18 Handelspartnern. Hierin spiegelt sich wider, dass ausländische Anleger infolge einer ausgeweiteten Zinsdifferenz vermehrt risikofreie in Euro denominierte Anlagen nachfragen, schreiben die Fachleute. Allerdings heißt es weiter im Bericht, dass ohne wirksamen Risikoneigungskanal die Aufwertung des Euro stärker ausfallen würde. Demnach würden global agierende Anlegerinnen und Anleger bei gefallener Risikobereitschaft vermehrt in Zufluchtswährungen umschichten und Positionen in Finanzierungswährungen für spekulative Carry-Trade-Geschäfte auflösen, was die Aufwertung des Euro hemmt.

Rolle des Risikoneigungskanals bei transatlantischer Übertragung der Geldpolitik

Laut den Fachleuten wirken sich nicht nur geldpolitische Impulse aus den USA auf den Euroraum aus. Auch eine geldpolitische Straffung des Eurosystems bewirke, wenn auch in abgeschwächter Form, sogenannte „Risk-Off“-Bewegungen an den internationalen Finanzmärkten. Dabei handelt es sich um Verlagerungen von Investitionen in risikoreichere Anlagen hin zu sichereren AnlagenZudem senke eine geldpolitische Straffung des Eurosystems den Risikoappetit beiderseits des Atlantiks. 

Risikoappetit während Leitzinserhöhungen zwischen Juli 2022 und September 2023 

Der zinspolitische Straffungszyklus zwischen Juli 2022 und September 2023 dürfte den Autorinnen und Autoren zufolge den Risikoappetit für sich genommen zwar gedämpft haben. Allerdings zeigt sich auch, dass ein sich zügig erholendes konjunkturelles Umfeld die Risikobereitschaft der Anlegerinnen und Anleger stützte. Im Ergebnis stiegen die Risikoprämien weniger stark als in früheren Phasen an, was darauf hindeutet, dass sich die restriktiven geldpolitischen Impulse über steigende Risikoprämien in den einzelnen Finanzmarktsegmenten nicht verstärkten.