Editierte Abschrift der Frage- und Antwortrunde anlässlich der Pressekonferenz zum Jahresabschluss 2013 der Deutschen Bundesbank am 13. März 2014

Frage: Der Euro bewegt sich mit großen Schritten in Richtung 1,40 US-Dollar. Wie sehen Sie das? Beunruhigt Sie das oder bleiben Sie eher gelassen? Und welche Folgen und Probleme könnte die Entwicklung aufwerfen, einerseits für die deutsche Wirtschaft, andererseits für die Geldpolitik, die Sie im EZB-Rat mitgestalten? Zweite Frage: In der Ukraine und auf der Krim spitzt sich die Lage immer weiter zu, welche Folgen hat das aus Ihrer Sicht für die deutsche Volkswirtschaft? Vor allem im Hinblick auf mögliche Sanktionen oder auf eine Art Wirtschaftskrieg zwischen Russland und dem Westen? Die dritte Frage bezieht sich auf die vergangene Woche, auf die EZB-Ratssitzung. In den vergangenen Tagen sind mehrere Mitglieder des EZB-Rats und des EZB-Direktoriums in die Öffentlichkeit gegangen und haben gesagt, Mario Draghi sei von der Öffentlichkeit beziehungsweise den Märkten mit seinen Aussagen falsch verstanden worden. Sie waren dabei. Wie ist Ihre Interpretation vor allem im Hinblick auf die Forward Guidance, die Herr Draghi gegeben hat?

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank: Wie Sie wissen, haben wir in der Geldpolitik kein Wechselkursziel. Der Wechselkurs ist eine von vielen Variablen, die in den Datenkranz eingehen und unsere Prognose beeinflussen. Eine Aufwertung des Euro kann dazu führen, dass sich die Inflationsperspektiven verändern. Das müssten wir dann in unseren Inflationseinschätzungen und in unseren geldpolitischen Reaktionen berücksichtigen.

Ähnliches gilt für Ihre zweite Frage, die Auswirkungen der Krise in der Ukraine. Da haben wir eine sehr enge, begrenzte makroökonomische Sichtweise, die zunächst alle politischen Aspekte ausblendet. Wenn man diese sehr enge Sichtweise einnimmt, dann stellt man zunächst einmal fest, dass die Ukraine in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung und gemessen am weltwirtschaftlichen Maßstab vermutlich das konjunkturelle Geschehen nicht sehr ausschlaggebend beeinflussen kann. Die Wirtschaftskraft der Ukraine beläuft sich auf rund ¼ Prozent des globalen BIP. Wenn man es am Anteil der deutschen Warenexporte bemessen würde, die in die Ukraine gehen, dann beläuft sich dieser Anteil auf 0,5 Prozent. Also auch als Absatzmarkt spielt die Ukraine keine große Rolle für Deutschland. Das Gleiche gilt für die finanziellen Verflechtungen, die relativ gering sind, wenn man sie beispielsweise an den Forderungen deutscher Banken gegenüber ukrainischen Schuldnern misst.

Wir haben aber auch gesehen, dass der russisch-ukrainische Konflikt zu starken Finanzmarktturbulenzen in Russland geführt hat, und obwohl die Bedeutung Russlands beispielsweise als Absatzmarkt für Deutschland ebenfalls begrenzt ist, ist die Bedeutung doch größer als die der Ukraine. Drei Prozent der deutschen Gesamtexporte fließen nach Russland und auch die Forderungen deutscher Banken gegenüber russischen Schuldnern sind deutlich höher und belaufen sich derzeit auf 24 Milliarden US-Dollar. Russland ist nach Polen das zweitwichtigste Zielland für Kredite deutscher Banken nach Osteuropa. Das illustriert bereits, dass die Folgen dieses Konflikts davon abhängen, wie dieser Konflikt sich weiter entwickelt und das ist wirklich keine ökonomische Prognose, sondern eine politische. Die Folgen einer Eskalation mit ihren geopolitischen Konsequenzen sind sehr schwer abschätzbar. Sie hängen von vielen Faktoren ab, von den Sanktionen, die jetzt erlassen werden, von der Reaktion darauf. Mario Draghi hat in seiner letzten Pressekonferenz aufgeführt, dass das ein Risiko in unserer Konjunktureinschätzung sein wird, das wir aufmerksam beobachten.

Zu Ihrer letzten Frage: Im Grunde hat Draghi doch relativ ausführlich das Konjunkturbild gezeichnet, das auch ich Ihnen in meinen einleitenden Bemerkungen skizziert habe und daraus abgeleitet, dass wir graduell steigende Inflationsraten sehen werden, die aber weiterhin unterhalb unserer Definition von Preisstabilität liegen werden. Zudem hat er die Einschätzung, die ich teile, wiedergegeben, dass weder die Deflationsrisiken noch die Inflationsrisiken im derzeitigen Kontext sehr stark ausgeprägt sind. Das hat zusammen mit den Finanzstabilitätsrisiken, die der Einsatz mancher unkonventioneller Instrumente mit sich bringen kann, und dem Niedrigzinsumfeld dazu geführt, dass der EZB-Rat sich dazu entschieden hat, die Leitzinsen nicht zu verändern und auch sonst keine Maßnahmen zu ergreifen.

Frage: Trotzdem wurde in den vergangenen Tagen von mehreren Ihrer Kollegen im Rat gesagt, die Forward Guidance, also das Zinsversprechen, sei verstärkt worden. Herr Draghi ist in seinen Aussagen sehr stark rumgeritten auf dem "slack in the economy" (Unterauslastung der Kapazitäten, die Red.), der noch da sei. Die Wirtschaft laufe nicht so rund, hat er fast wörtlich gesagt, die Leitzinsen würden auch dann noch so niedrig bleiben, wenn die Konjunktur weiter anzieht. Und das soll, wenn ich die Ausführungen der EZB-Direktoriumsmitglieder Praet und Coeuré richtig verstanden habe, den Willen untermauern und den Zeitraum verlängern, für den die EZB so extrem niedrige Leitzinsen sieht. Teilen Sie diese Einschätzung?

Weidmann: Der Vorteil der Forward Guidance, wie wir sie vornehmen, ist doch gerade, dass wir sie nicht an einzelnen Schwellenvariablen festmachen und damit auch nicht die Probleme bekommen, mit denen die Federal Reserve oder die Bank of England derzeit zu kämpfen haben. Wir schauen auf ein breites Indikatorenfeld. In diesem Zusammenhang hat Mario Draghi in der Pressekonferenz erwähnt, dass wir noch eine sehr ausgeprägte konjunkturelle Unterauslastung in der Eurozone sehen. Diese wird dazu führen, dass der Preisdruck begrenzt bleibt, selbst wenn die Wachstumsraten wieder zunehmen. Diese Aussage hat er getroffen; sie war im Vergleich zu den vorangegangenen Pressekonferenzen sicherlich eine Ergänzung. Das ist aber letztlich ersichtlich aus der ökonomischen Analyse, die wir vornehmen.

Frage: Ich habe zwei Fragen zur niedrigen Inflationsrate. Nicht nur im Euro-Raum, sondern in allen Industrieländern sehen wir trotz relativ guter Konjunkturaussichten eine niedrige Inflation. Sie haben erwähnt, dass dabei die Lebensmittelpreise und auch die Energiepreise eine Rolle spielen. Könnten Sie andere Gründe finden, auch mittel- und langfristig, warum alle Industrieländer so niedrige Inflationsraten aufweisen? Zweitens liegt die Inflationsrate in Deutschland über ein Prozent und im Euro-Raum bei knapp einem Prozent. Das ist deutlich unter zwei Prozent, aber aus japanischer  Sicht ein doch relativ gutes Level – eine gute Konjunkturerholung, aber trotzdem eine niedrige Inflationsrate. Finden Sie das kritisch oder ist das angemessen?

Weidmann: Was die niedrigen Inflationsraten angeht, muss man meines Erachtens in den Blick nehmen, dass wir aus der schwersten wirtschaftlichen Krise seit dem Zweiten Weltkrieg kommen und dieser konjunkturelle Einbruch die Preisentwicklung ganz maßgeblich geprägt hat. Dazu kommen exogene Faktoren wie beispielsweise die Entwicklung der Energiepreise. Das ist der eine Punkt.

Die zweite Frage finde ich insofern falsch gestellt, als sich unser Ziel der Geldwertstabilität natürlich mittelfristig ausrichtet und nicht an den aktuellen oder vergangenen Inflationsraten. Bei aller Macht, die uns zum Teil zugeschrieben wird, sind wir nicht in der Lage, die Vergangenheit zu beeinflussen. Wir können nur auf die Zukunft Einfluss nehmen. Deswegen haben wir unsere Definition von Preisstabilität von knapp unter, aber nahe 2 Prozent als mittelfristiges Ziel definiert. Die maßgebliche Variable für geldpolitisches Handeln ist also nicht die vergangene Inflation, sondern unsere Erwartung in Bezug auf die zukünftige Inflation und ganz maßgeblich die EZB-Stabsprojektionen, die wir bei der letzten Sitzung diskutiert haben. Diese beinhalten, dass sich im Einklang mit der sehr graduellen konjunkturellen Erholung auch die Inflationsraten wieder nach oben entwickeln werden, mit einem Durchschnittswert im Jahr 2016 von 1,5 Prozent und dabei im letzten Quartal 2016 von 1,7 Prozent.

Das muss der Maßstab bei der Bewertung sein, ob wir von unserer Definition der Preisstabilität abweichen. Dabei ist allerdings im Blick zu behalten, dass unsere Prognosen auf einen solchen Horizont gesehen mit einer sehr großen Unsicherheit versehen sind. Nach meiner Bewertung muss die Abweichung, die wir dann am Ende dieses Prognosehorizonts haben, angesichts unserer Definition und der angenommenen Unsicherheiten der Prognose, als nicht signifikant eingestuft werden.

Frage: Herr Weidmann, ich habe Ihren Worten viel Zuversicht entnommen zur Zukunft der Eurozone. Deshalb die Frage: Würden Sie so weit gehen, dass ein möglicher Kollaps der Währungsunion künftig auszuschließen ist?

Weidmann: Ich hatte versucht, mein Bild mit Licht und Schatten und auch in einigen Grautönen zu zeichnen. Die Zuversicht bezog sich vor allem auf zwei Faktoren. Zum einen auf die fortschreitenden Anpassungsprozesse, die wir im Monatsbericht Januar sehr ausführlich beschrieben haben. Bezogen auf die Reaktion der Finanzmärkte hatte ich versucht, etwas Wasser in den Wein zu schenken mit dem Hinweis darauf, dass die Reaktion der Finanzmärkte in einer gewissen Weise die Anpassungserfolge schon vorweg nimmt. Nach unserer Einschätzung sind wir bei diesen Anpassungsprozessen noch nicht am Ende angekommen, sondern stehen, wenn man das beispielsweise an der Verschuldung oder an der Wettbewerbsfähigkeit misst, irgendwo in der Mitte. Es ist weiterhin politische Entschlossenheit notwendig, diesen Weg voran zu gehen und in den Anstrengungen nicht nachzulassen. 

Der andere wichtige Faktor zur Beantwortung Ihrer Frage, ob die Währungsunion stabiler geworden ist, sind die institutionellen Rahmenbedingungen. Das ist für die Bundesbank einer der ganz zentralen Punkte. Funktioniert die Währungsunion jetzt besser? Da gibt es einige Elemente, die ich positiv hervorheben würde. Die Bankenunion ist sicherlich ein solches Element, das den Rahmen der Währungsunion stabiler macht. Sie hat das Potenzial, den Nexus zwischen Staaten und Banken, der in der Krise so verheerend war, zu durchtrennen. Meines Erachtens haben wir aber erst dann diesen Nexus wirklich durchtrennt, wenn die Bankenunion begleitet wird durch regulatorische Änderungen bei der Eigenkapitalunterlegung oder Großkreditgrenzen für Staatsanleihen.

Auf der anderen Seite wird die Bewertung des institutionellen Rahmens ganz zentral geprägt von der Frage, inwieweit Haftung und Kontrolle im Einklang stehen. Für das Funktionieren der Währungsunion ist es wichtig, dass diejenigen, die Entscheidungen treffen, am Ende für ihre Entscheidungen auch haften. Hier gibt es zwei grundsätzliche Wege, die ich schon öfter diskutiert habe. Und da gibt es in der Krise die Tendenz, mit den Krisenmaßnahmen Haftungsrisiken zu vergemeinschaften, ohne dass in der gleichen Weise Kontrollrechte ausgedehnt werden. Auf welch wackligem Fundament manche dieser Kontrollrechte stehen, sehen wir bei den gestärkten Defizitverfahren im Interpretationsspielraum der Europäischen Kommission und in der Auslegung dieses Interpretationsspielraums durch die Kommission. Da sehe ich durchaus Handlungsbedarf. Wir müssen dem Prinzip der Eigenverantwortung und damit dem Haftungsprinzip in der Währungsunion wieder mehr Geltung verschaffen, wenn wir nicht den Weg in eine politische Union gehen. Im Moment halte ich diesen Weg aufgrund der mangelnden politischen Zustimmung und aufgrund der mangelnden öffentlichen Unterstützung für keine realistische Alternative.

Frage: Herr Weidmann, Sie haben gesagt, man müsste es vermeiden, einen Ausstieg aus der aktuellen Geldpolitik zu verzögern. Sehen Sie da momentan ein gestiegenes Risiko, eventuell durch die Forward Guidance oder aus anderen Gründen? Und dann nochmal zurück zur dritten Frage des ersten Fragestellers: Das Missverständnis scheint man darin zu liegen, dass man sich zu sehr auf die hawkishen Äußerungen von Herrn Draghi fokussiert hat und nicht auf seine dovishen Äußerungen. Da scheinen einige Ihrer Kollegen der Meinung zu sein, dass Herr Draghi völlig falsch verstanden wurde. Vielleicht können Sie dazu nochmal etwas sagen.

Weidmann: Ich finde es immer schwierig, wenn ich Interpretationen von Äußerungen anderer bewerten soll. Ich habe Ihnen bereits gesagt, wie ich die Entscheidung bewerte und damit können Sie sich Ihr eigenes Urteil bilden. Ich interpretiere nicht wie Sie oder andere Herrn Draghi fehl. Ich überlasse es Ihnen, sich selbst zu korrigieren, wenn Sie das wollen. Ich sehe im Übrigen auch keinen Widerspruch zu dem, was ich in Bezug auf die Finanzstabilitätswirkungen und die Forward Guidance gesagt habe.

Wir müssen als Notenbank darauf achten, dass wir nicht in eine Situation geraten, die wir Ökonomen als „Financial Dominance“ bezeichnen. Damit ist eine finanzielle oder fiskalische Dominanz gemeint, bei dem das Ziel der Geldwertsicherung anderen Zielen, also beispielsweise der Solvenzsicherung des Staates und der Solvenzsicherung von Finanzinstituten untergeordnet wird. Das wäre eine Situation, die sehr gefährlich ist und die es aus meiner Perspektive zu vermeiden gilt. Die Niedrigzinspolitik oder auch die insgesamt sehr expansiv ausgerichtete Politik stellen natürlich ein gewisses Risiko dar. Viel Liquidität kann bestimmte ökonomische Strukturen in einem besseren Licht erscheinen lassen als sie es vielleicht im Normalzustand wären. Dann unterbleiben beispielsweise notwendige Anpassungen im Banken- oder Unternehmensbereich. Das darf aber nicht dazu führen, dass eine Normalisierung der Geldpolitik unterbleibt, weil ein Anstieg der Leitzinsen diese nachteiligen Strukturen aufdeckt und zu einer gewissen Instabilität führen kann.

Frage: Der Vorstand hat die Rückstellungen nicht weiter erhöht. Wann wird er sie wieder senken und unter welchen Bedingungen wird er dies tun? Und Sie hatten von einer drohenden Immobilienblase gewarnt und erste Anzeichen dafür gesehen. Die Preise sind nun weiter gestiegen. Ist die Blase nun da?

Weidmann: Rückstellungen bewerten wir immer für den jeweiligen Jahresabschluss und über zukünftigen Rückstellungen gebe ich keine Prognose ab. Insofern werden wir dann beim nächsten Jahresabschluss bewerten, inwieweit sich welche Risiken in unserer Bilanz verändert haben. Nun zur Immobilienblase: Die Entwicklung der Immobilienpreise beobachten wir sehr aufmerksam. Sie sehen an unseren Grafiken regional sehr differenzierte Preissteigerungen, die in den Großstädten deutlich ausgeprägter sind als in den anderen Gebieten. Für die Bewertung, die wir vornehmen müssen, sind aber nicht nur die Preissteigerungen oder das Niveau der Immobilienpreise relevant und inwieweit wir dieses Niveau noch durch Fundamentalfaktoren erklären können. Für uns ist auch ausschlaggebend, inwieweit von diesen Immobilienpreissteigerungen ein systemisches Risiko ausgeht. Und das hängt beispielsweise auch davon ab, ob diese Entwicklung kreditgetrieben ist. Das sehen wir im Wesentlichen im Moment noch nicht.

Frage: Wenn ich richtig liege, hat die Bundesbank kürzlich das Aussetzen der Sterilisierung des SMP-Programms befürwortet, um frische Liquidität in den Markt zu geben. Sollte das umgesetzt werden, würde das nicht auch das Sterilisieren der OMT und die Glaubwürdigkeit der Ankündigung der EZB insgesamt infrage stellen?

Weidmann: Wir hatten in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass wir schon seit einigen Monaten eine Normalisierung der Refinanzierungs- und Liquiditätsbedingungen am Geldmarkt beobachten, nämlich dass Banken freiwillig Liquidität, die sie vorher bei uns aufgenommen haben, zurückgeben und die Überschussliquidität in der Folge merklich zurückgegangen ist. Diese Entwicklung ist zu begrüßen. Die Geldmarktbedingungen waren aber vor allem um die Jahreswende von deutlich stärkeren Schwankungen geprägt, wozu auch die liquiditätsabsorbierenden SMP-Sterilisierungsgeschäfte beigetragen haben. Insofern haben wir die Anpassung dieser Operationen ins Spiel gebracht, um die Geldmarktbedingungen zu stabilisieren und sie wieder in Einklang zu bringen mit der geldpolitischen Ausrichtung, die der EZB-Rat im Auge hat. Ich würde das zunächst mal trennen von der Debatte um das OMT-Programm, die im Moment eine hypothetische Debatte ist. Wir haben dort ein Geschäft mit einer gewissen problematischen Dimension, die man relativ einfach adressieren kann. Insofern haben wir im Rahmen einer pragmatischen Antwort auf die Verhältnisse am Geldmarkt einen Vorschlag gemacht, der eine geringere Angriffstiefe hat als andere mögliche Vorschläge in diesem Zusammenhang.

Frage: Noch mal eine Frage zu den Wagnisrückstellungen. Sie haben schon gesagt, nicht über künftige Entwicklungen spekulieren zu wollen. Dennoch: Wirft die Politik nicht ein ganz begehrliches Auge auf dieses große Polster der Wagnisrückstellungen, und wie begegnen Sie dem?

Weidmann: Wir setzen unsere Gewinne und Gewinnausschüttungen unabhängig von den Begehrlichkeiten der Politik fest. Der direkte Budgeteinfluss der Gewinnüberweisung der Bundesbank ist ohnehin insofern begrenzt, als dass der Finanzminister nur zweieinhalb Milliarden Euro direkt vereinnahmen kann. Der Rest fließt in die Tilgung des Investitions- und Tilgungsfonds. Das begrenzt das politische Interesse an Gewinnen, die zweieinhalb Milliarden Euro übersteigen, doch deutlich. Im Übrigen glaube ich, dass die Politik sehr genau weiß, dass wir unseren Bundesbankgewinn nach den Kriterien festlegen, die für unsere Bilanzaufstellung entscheidend sind und nicht nach politischen Kriterien. Insofern gibt es dort auch keine Versuche einer Einflussnahme.

Frage: Eine Frage zum Asset Quality Review (AQR) und den Banken: Zurzeit ist die Kreditvergabe in der Eurozone sehr schwach und man redet viel in der EZB darüber, dass es nach dem AQR und glaubwürdigen Stresstests besser gehen könnte. Gibt es über diese Maßnahmen hinaus noch etwas, dass die EZB noch tun könnte, um das Problem zu bekämpfen?

Weidmann: Unsere Aufgabe ist es nicht, Bankbilanzen zu bereinigen. Das ist eine finanzpolitische Aufgabe. Aus unserer Perspektive spielt das Comprehensive Assessment mit seinen drei Teilen eine ganz entscheidende Rolle und ist auch eine wichtige Voraussetzung dafür, die Kreditvergabe gerade in den Peripherieländern wieder in Gang zu setzen.

Denn nicht ein Mangel an Liquidität ist in Bezug auf die schwache Kreditvergabe der entscheidende Faktor. Es sind andere Faktoren, die im Zusammenhang stehen mit den Bankbilanzen, mit den Unternehmensbilanzen oder genereller mit der Kreditnachfrage. Ich bin relativ zuversichtlich, dass das Comprehensive Assessment diesen Beitrag leisten kann und insofern in seiner Wirkung deutlich über den Stresstest der EBA aus dem Jahre 2011 hinausgehen wird. Die Übung, die wir jetzt vornehmen, ist deutlich umfassender. Sie besteht aus drei Teilen, dem allgemeinen Risk Assessment, dem Balance Sheet Assessment und dem Stresstest. Die geprüften Bankbilanzen sind diesmal Grundlage für den Stresstest. Auch das ist ein Unterschied zu der Übung der EBA. Zweitens werden sehr viel mehr Banken als seinerzeit in den Blick genommen. Drittens basiert die Übung auf einer viel besseren Harmonisierung der Grundlagen und Vorgaben. Viertens ist die regulatorische Eigenkapitalquote, die wir benutzen, gemäß der aktuell gültigen Definition nach CER definiert, was einen wesentlichen Unterschied bedeutet. Und fünftens gibt es mehr Beteiligte.

Die Beteiligten aus dem letzten Stresstest werden gelernt haben und auch die EZB ist sich bewusst, dass ihre eigene Reputation an dieser Übung hängt. Insofern bin ich also mit Blick auf die Qualität dieser Übung zuversichtlich. Und sie ist für mich eine ganz entscheidende Voraussetzung dafür, dass in den einzelnen Ländern wieder Vertrauen entstehen kann in die Qualität der Bankbilanzen. Das ist Voraussetzung für Finanzierungen, für Investitionen und letztlich für das In-Gang-bringen der Kreditvergabe.

Frage: Wann fängt Frau Buch an und wie sieht Ihr Vorstand demnächst aus? Wer macht was? Wird da umgebaut? Zweite Frage: Nächste Woche entscheidet das Bundesverfassungsgericht nochmal in der Sache ESM, da geht es noch um den Fiskalpakt und die ESM-Gründung. Die OMT-Entscheidung ist ja verlagert worden, das wissen wir. Müssen wir aus Ihrer Sicht mit Überraschungen rechnen? Ordnen Sie das doch noch mal für uns ein.

Weidmann: Claudia Buch wird den Vorstand demnächst als Vizepräsidentin vervollständigen. Das Eintrittsdatum, zu dem sie ihr Amt aufnimmt, ist im Moment noch Gegenstand von Gesprächen. Frau Buch möchte das IWH in Halle nicht verlassen, ohne bestimmte Aufgaben abzuschließen. Wir hier sind interessiert, dass sie möglichst schnell ihre Arbeit im Bundesbankvorstand aufnimmt. Über die Ressortverteilung werden wir im Vorstand sprechen und darüber gemäß der Geschäftsordnung entscheiden. Das werde ich hier nicht in der Pressekonferenz vorweg nehmen. Die einzelnen Prädispositionen und Präferenzen der Vorstandsmitglieder sind bekannt und ich gehe davon aus, dass die Ressortverteilung am Ende keine Überraschungen mit sich bringen wird.

Was das Verfassungsgericht betrifft, da kann ich wirklich keine Auskunft geben. Ich habe keine speziellen Einblicke in die Entscheidungsfindung im Verfassungsgericht und es ist auch gute Tradition, dass man laufende Verfahren nicht kommentiert und nicht mit Spekulationen belastet.

Frage: Herr Weidmann, machen Sie sich im Moment Sorgen über die sehr niedrige Inflationsrate? Falls diese noch weiter fallen würde, welche geldpolitischen Maßnahmen wären dann möglich? Kämen auch unkonventionelle Maßnahmen in Frage?

Weidmann: Zur ersten Frage kann ich nur wiederholen, was ich bereits ausgeführt hatte. Wir arbeiten auf Basis von Prognosen, die wir für wahrscheinlich halten. Unsere Prognose beinhaltet einen graduellen Anstieg der Inflationsraten über den Prognosehorizont und insofern auch abnehmende Deflationsrisiken. Das ist unser Basisszenario. Ich halte sowohl Deflations- wie auch Inflationsszenarien für wenig wahrscheinlich. Das schließt nicht aus, dass exogene, unvorhergesehene Entwicklungen zu einer Anpassung der Prognose führen. Dies schließt auch nicht aus, dass wir eine Risikoverteilung haben, die in Bezug auf die Realwirtschaft eher auch nach unten gerichtete Risiken enthält.

Warum sind wir überzeugt, dass die Deflationsrisiken vor allem auch im Vergleich zu Japan nicht so ausgeprägt sind, wie dies manche Diskussion nahelegt? Zum einen ist für eine Deflation erforderlich, dass sich die Inflationserwartungen verändern. Die Inflationserwartungen sind allerdings in der längeren Frist noch solide bei 2 Prozent verankert. Zum anderen setzt eine Deflation voraus, dass die Nominallöhne über einen längeren Zeitraum sinken oder zumindest deutlich langsamer wachsen als die Produktivität. Das war etwa in Japan der Fall, wo die Nominallöhne über einen längeren Zeitraum fielen. Im Euro-Raum ist das aber insgesamt nicht zu beobachten. Lediglich in zwei Ländern, nämlich Irland und Griechenland, haben wir Nominallohnsenkungen verzeichnet. In anderen Ländern, zum Beispiel Deutschland, in denen die Konjunkturentwicklung sehr positiv ist, gehen wir von Nominallohnsteigerungen von 3 Prozent aus. Für die Eurozone zählt der Wert insgesamt, insofern ist die Nominallohnentwicklung in Deutschland in einem gewissen Maße auch ein Schutz gegen deflationäre Entwicklungen in der Eurozone insgesamt.

Dritter Punkt ist, dass die gegenwärtig niedrigen Inflationsraten auch Folge von Anpassungsprozessen sind. Sie dienen dazu, Ungleichgewichte im Euro-Raum zu adressieren und sind insofern auch notwendig und unumgänglich. Globale Einflussfaktoren haben, im Gegensatz zu Japan damals, einen deutlich höheren Einfluss. Seit 2012 prägen sie die Inflationsentwicklung zu einem sehr entscheidenden Teil, nämlich zu zwei Dritteln.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist, dass die Bilanzen der Unternehmen und Banken im Euro-Raum heute besser aufgestellt sind als in Japan Ende der 1990er, Anfang der 2000er Jahre. Das unterstreicht eine der ganz wichtigen Lehren aus Japan, die rasche Bereinigung der Bankbilanzen. Im Übrigen hat die Geldpolitik auch schon auf die sehr moderaten Inflationsperspektiven reagiert. Wir fahren im Moment einen sehr expansiven Kurs. Über die Forward Guidance haben wir angekündigt, diesen beizubehalten. Außerdem stehen uns, falls wir auf Entwicklungen, die wir im Moment so nicht sehen, reagieren müssten, weitere Instrumente zur Verfügung. Man erreicht dann allerdings sehr schnell das Ende des Spektrums der konventionellen Maßnahmen und diskutiert unkonventionelle Maßnahmen, mit denen wir zum Teil Neuland betreten, deren Effektivität wir noch diskutieren müssen und die auch aus meiner Perspektive sehr wichtige rechtliche Fragen aufwerfen, die im Einzelnen noch nicht alle beantwortet sind.