Großer Hype oder fundamentaler Wandel? Bezahlen im digitalen Zeitalter Reihe: InnovationsDialoge der Zeitschrift "Berliner Republik" Eine Zukunft ohne Bargeld und Banken? Digitale Währungen, Kryptotechnologie und mobiles Bezahlen: Chancen und Risiken für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Einleitung

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich freue mich, hier in Berlin zu sein. Berlin macht als Gründerzentrum immer mehr von sich Reden und ist dabei in Deutschland führend, vermutlich sogar europaweit. In jedem Fall strömt mittlerweile mehr Risikokapital hierher als nach London. Während Investoren im vergangenen Jahr 1,8 Mrd. EUR in Londoner Start-ups investierten, flossen 2,2 Mrd. EUR[1] nach Berlin. Davon ging auch ein großer Teil an FinTechs. Das sind Unternehmen, die auf der Grundlage von digitalen Technologien Dienstleistungen im Finanzbereich anbieten.

Viele der FinTechs beschäftigen sich mit neuen Angeboten im Zahlungsverkehr. Einige knüpfen dabei auch an digitale Währungen und die zugrundeliegende Blockchain-Technologie an.

Aber immer der Reihe nach. Zunächst möchte ich kurz über das Bargeld sprechen. Über das Bezahlen mit dem Mobiltelefon komme ich anschließend zu den virtuellen Währungen und damit zu dem, was Sie in Ihrem Programm als Kryptotechnologie bezeichnen.

2 Bargeld weiter sehr gefragt

Zunächst möchte ich feststellen, dass der Anteil der Bargeldzahlungen in Deutschland nach wie vor hoch ist. In unserer Studie zum Zahlungsverhalten zeigte sich, dass im Jahr 2014 noch immer fast vier von fünf Einkäufen in bar gezahlt wurden, und gemessen am Umsatz immerhin über die Hälfte.[2]

Dies ist ein starkes Votum, auch wenn man sicherlich zugegeben muss, dass die Wahl des Zahlungsmittels nicht nur die persönliche Präferenz des Zahlers ausdrückt, sondern auch ein Produkt der Traditionen, Gewohnheiten und Strukturen in den jeweiligen Ländern ist. In Schweden etwa ist es selbstverständlich, selbst Kleinbeträge mit der Karte zu begleichen.

Die Debatte rund um die Abschaffung der 500-Euro-Banknote hat gezeigt, dass die Mehrheit der Menschen in Deutschland nicht auf Bargeld verzichten möchte. Die Bundesbank sieht sich hier als neutraler Anbieter. Denn es ist Sache des Kunden und des Händlers, zu entscheiden, mit welchem Zahlungsinstrument an der Kasse gezahlt wird.

3 Zahlungsverkehr wird digital

Doch man braucht kein Prophet zu sein, um zu erkennen, dass die Nutzung von Bargeld tendenziell abnimmt. Die Faustformel für den deutschen Markt lautet dabei: Jedes Jahr geht sie um einen Prozentpunkt (bezogen auf den Umsatz im Einzelhandel) zurück. Falls sich nicht neue Entwicklungen ergeben, die diesen Trend signifikant verändern, ist zu erwarten, dass neben der Zahlungskarte das Bezahlen mit dem Smartphone zunehmend wichtiger wird. Das Smartphone ist inzwischen für fast Alle unabdingbar, um die meisten Angelegenheiten des Alltags zu erledigen. In Sekundenschnelle, immer und von überall. Das Bezahlen von Waren oder Dienstleistungen ist dann nur noch einen Klick entfernt. Es wird schwellenlos in die digitalen Systeme integriert.

Im Idealfall würde eine einzige App genügen, um beim Bäcker um die Ecke Brötchen zu kaufen, im Onlinehandel Schuhe zu bestellen und den Kindern das Taschengeld zu zahlen. Im Moment sind wir noch nicht soweit, aber die Entwicklung geht in die Richtung.

Die meisten der bisherigen Zahlungsdienste nutzen die vorhandene Infrastruktur. Das heißt, in der App sind jene Zahlungsdaten hinterlegt, die es erlauben, eine Kartenzahlung, Überweisung oder Lastschrift zu initiieren.

Mit zunehmender Digitalisierung wird es aber weniger verständlich, warum Zahlungen immer noch einen Arbeitstag benötigen, um von A nach B zu gelangen. Daher diskutieren die Europäische Zentralbank, die Bundesbank und die anderen Zentralbanken im Eurosystem mit dem Markt über die Einführungen von Systemen, die Zahlungen in Echtzeit ermöglichen. Damit sollen Zahlungen für den Endkunden rund um die Uhr und sieben Tage die Woche in Sekundenschnelle ermöglicht werden. "Instant Payments" heißt das Projekt europaweit.

4 Explosion neuer Angebote im Zahlungsverkehr

Die Digitalisierung sorgt für hohe Dynamik im Zahlungsverkehr. Die meisten FinTechs haben sich darauf spezialisiert, leicht verständliche, komfortabel nutzbare Plattformen oder Apps zur Verfügung zu stellen, die eine Echtzeit-Kommunikation zwischen den Nutzern ermöglichen, wie sie es aus den sozialen Medien kennen. Ihre Angebote umfassen den Zugang zum Zahlungsverkehr, zu Krediten, Unternehmens- und Projektfinanzierungen sowie zu Geldanlagediensten. Sie bieten zudem Plattformen, die helfen, Leistungen verschiedener Anbieter zu vergleichen und zusammenzuführen.

Viele der FinTechs werben damit, das Bezahlen einfacher, schneller und kostengünstiger zu gestalten, sei es im stationären oder im Onlinehandel, über Grenzen hinweg oder im Freundes- und Bekanntenkreis, als sogenannte P2P-Zahlung. Alles komplett digital und natürlich bargeldlos. Dass die zugrundeliegenden Produkte und die Infrastruktur weiterhin zumeist von Banken und Sparkassen zur Verfügung gestellt werden, sollte die Kreditinstitute aber nicht beruhigen. Denn das nehmen Kunden nicht mehr unbedingt wahr.

Es besteht die Gefahr, dass die Banken und Sparkassen den direkten Kontakt zu ihren Kunden verlieren könnten. Deshalb müssen sie überdenken, wie sie aus Sicht von Verbrauchern und Unternehmen weiterhin attraktiv bleiben. Gleichzeitig sieht sich die Kreditwirtschaft einem schwierigen Umfeld gegenüber – nicht nur wegen der niedrigen Zinsen, sondern auch aufgrund verschiedener regulatorischer Eingriffe wie zum Beispiel der Deckelung der Interbankenentgelte im Kartengeschäft.

Noch sind die Marktanteile von FinTechs sehr gering. Sie sind im Augenblick fast alle weit entfernt von der kritischen Masse. Beispiele der jüngsten Vergangenheit zeigen, dass einige Anbieter aufgeben, wie "Yapital" und "click-and-buy"; andere fusionieren wie "payleven" und "sumup". Zudem wollen Verbraucher trotz aller Leichtigkeit und Schnelligkeit keine Abstriche bei der Sicherheit machen.

Um diesen Herausforderungen zu begegnen, ist die Zusammenarbeit zwischen FinTechs und Kreditinstituten ein möglicher Weg, die Vorteile beider Welten und Kulturen zu kombinieren. FinTechs bieten agile Innovationsprozesse, Gespür für Kundenbedürfnisse und Flexibilität. Banken und Sparkassen haben eine breite Kundenbasis, einen Vertrauensvorsprung, langjährige Erfahrung mit dem Betrieb und Schutz von Infrastrukturen im Zahlungsverkehr sowie die nötige regulatorische Expertise. Insofern scheinen Kooperationen für beide Seiten von Vorteil zu sein. In letzter Zeit lassen sich diese auch vermehrt beobachten.

Nach der Sturm- und Drangphase, in der FinTechs zum "Bankenschreck" hochgejubelt wurden, scheinen wir uns nun in einer Konsolidierungsphase zu befinden, in der Chancen und Risiken auf beiden Seiten ausgelotet werden, untaugliche Modelle verworfen und vielversprechende Ideen weiterverfolgt werden.

Bei Großbanken sehen wir komplette Neugestaltungen ihres Angebotes im Zahlungsverkehr, und auch im Sparkassensektor arbeitet man an digitalen Angeboten jenseits der bekannten Strukturen.

5 Jenseits der eingespielten Infrastruktur

Während die meisten dieser neuen Anbieter auf die etablierten Systeme der Banken und zentraler Zahlungsverkehrsinfrastrukturen zurückgreifen, versuchen andere, sich gleich ganz davon unabhängig zu machen.

Werden wir demnächst nicht nur mit dem Smartphone bezahlen, sondern auch in einer virtuellen Währung wie etwa Bitcoin? Wenn wir selber als Netzwerk die Infrastruktur bilden und Bitcoins am eigenen PC selbst schürfen, brauchen wir dann Banken noch?

Zwar scheint der große Hype um Bitcoin erst einmal vorüber, aber die Idee einer virtuellen Währung verschwindet damit nicht. Virtuelle Währungen – wie Bitcoin – unterliegen starken Kursschwankungen. Ihnen fehlt ein Regulativ, eine Art Zentralbank, die die Währungsausgabe kontrolliert und Vertrauen in deren Stabilität schafft. Daher eignen sich virtuelle Währungen, jedenfalls in ihrer derzeitigen Ausgestaltung, kaum als allgemeines Zahlungsmittel. Sie können weder als Wertmaßstab noch Wertaufbewahrungsmittel fungieren.

Doch neben der Idee einer virtuellen Währung hat Bitcoin durchaus nachhaltige Auswirkungen. Denn die Finanzwelt zeigt sich inzwischen von der dem Bitcoin zugrundeliegende Blockchain-Technologie wie elektrisiert.

Bei der Blockchain-Technologie werden Transaktionen – zum Beispiel die Übertragung eines Wertpapiers – durch ein Computer-Netzwerk verifiziert. Diese Computer erzielen durch Verwendung kryptographischer Algorithmen Einigkeit über die Gültigkeit einer Transaktion.

Dabei ist jede Transaktion mit ihrer eigenen Historie verknüpft und in mehrfacher Ausfertigung über das gesamte Netzwerk verteilt hinterlegt. Deshalb stellt eine Blockchain eine Art "verteiltes Kassenbuch" dar, das die vollständige Transaktionshistorie, etwa eines bestimmten Wertpapiers, beinhaltet. Damit würden zumindest in der Theorie zentrale Instanzen, die unter anderem Transaktionen verifizieren oder Geldflüsse ausgleichen, in der Tat unnütz.

Offenkundig bringt die Blockchain-Idee "frischen" Wind in die Branche. Viele Marktakteure erforschen gerade mögliche Einsatzgebiete. Im Vordergrund steht die Entwicklung hin zu einer Basistechnologie, die unternehmensübergreifende Allokationsprozesse erleichtern könnte. Die Technik verspricht Kostenersparnis, Effizienzgewinne und die Verringerung von Risiken. So könnten durch die gemeinschaftliche Datenhaltung Kosten gespart werden, da Abstimmungsprozesse automatisiert ablaufen und manuelle Datenabgleiche entfallen. Ferner würden Schnittstellen eliminiert und arbeitsteilige Prozesse automatisiert. Nicht zuletzt ließen sich Risiken eindämmen, indem Verträge, als sogenannte "smart contracts", entsprechend eines Programmablaufs erfüllt bzw. automatisch ausgeführt würden. So könnte die Blockchain-Technologie die Organisation von Prozessen jeglicher Art revolutionieren.

Es gibt Pilotprojekte und laufende Anwendungen, aber es scheint zu früh, um zu beurteilen, inwieweit die Erwartungen erfüllt werden können. Insgesamt sind meines Erachtens Blockchain-basierte Lösungen noch weit von einer Reife für den Massenmarkt entfernt.

Mögliche Anwendungen befinden sich noch immer im Experimentierstadium. Derzeit werden vor allem solche ergründet, die auf sogenannten "geschlossenen" Blockchains mit einem beschränkten Teilnehmerkreis basieren. Es wird sogar überlegt, inwieweit sich die Technologie für den Einsatz in der staatlichen Verwaltung, zum Beispiel in Katasterämtern, eignet.

Die Bundesbank beschäftigt sich eingehend mit der Technologie und analysiert gründlich die Leistungsfähigkeit und die Risiken. Aus meiner Sicht dürfte die Blockchain-Technologie in den nächsten Jahren zunächst im "Maschinenraum" der Finanzwirtschaft ihren Platz finden. Es wird aber noch eine ganze Weile dauern, bis auch die breitere Öffentlichkeit damit konfrontiert werden wird. Nutzer werden vor allem Sicherheit, Schnelligkeit, Bequemlichkeit und geringe Kosten als Maßstab ansetzen, ob Blockchain zu einer echten Alternative zu den bisherigen Technologien werden kann.

6 Auswirkungen für Staat und Gesellschaft

Welche Herausforderungen ergeben sich aus diesen Entwicklungen für die Politik, die solche neuen Entwicklungen im Interesse aller regeln muss? Auf der einen Seite ist Innovation willkommen, und sollte nicht behindert werden. Auf der anderen Seite gilt es, potenzielle Risiken für Bürgerinnen und Bürger und das Finanzsystem zu vermeiden. Innovationen um jeden Preis kann deshalb nicht die Maxime sein.

Dessen ungeachtet kann eine aktive Regulierung am Anfang der Ent­wicklung eher kontraproduktiv wirken. Gegebenenfalls können Innovationen gar nicht erst im Markt Fuß fassen, man würde "mit Kanonen auf Spatzen schießen" oder eventuell sogar gänzlich in die falsche Richtung zielen.

Angemessene Regulierung aber kann durchaus Innovation befördern und gleichzeitig dafür sorgen, Risiken zu begrenzen. Sie muss ein Level-Playing-Feld mit ausreichend hohen Standards schaffen und so für transparente Rahmenbedingungen, Vertrauen und Wettbewerbsgleichheit sorgen.

Ein gutes Beispiel für diese Vorgehensweise zeigt sich in der Zweiten Zahlungsdienstrichtlinie, der PSD2. Hier erfolgte die Regulierung von Drittanbietern im Zahlungsverkehrsmarkt wie Kontoinformations- und Zahlungsauslösedienste. Diese neuen Anbieter konnten sich seit einiger Zeit – zunächst unreguliert – am Markt ausprobieren. Doch wie bei mancher Neuerung gab es Kritik an der Sicherheit und rechtlicher Zulässigkeit dieser Leistungen.

Nun ist ab Januar 2018 geregelt, wer welche Rechte und Pflichten im Zusammenspiel zwischen Drittanbietern und kontoführenden Zahlungsdienstleistern hat. Damit entsteht nun ein verlässlicher Rahmen für die neuen Arten von Zahlungsdiensten.

7 Fazit

Geht es um die Digitalisierung im Zahlungsverkehr und darüber hinaus, fällt vielfach der englische Ausdruck "Disruption", der bedeuten soll, dass die bisherige Technik und Anwendung schlagartig durch eine neue ersetzt wird.

Als Zentralbanker neige ich nicht dazu, vorschnell solche Wertungen abzugeben. Doch die vergangenen Jahre zeigen, dass die technische Entwicklung mindestens für den Zahlungsverkehr eine Dimension erreicht hat, die eine neue Ära kennzeichnen. Es ist zu erwarten, dass sich auf diese Weise in Zukunft wirtschaftliche Prozesse effizienter gestalten, sei es in der Produktion (Stichwort Industrie 4.0) oder in der Verwaltung (Stichwort
e-Government).

Und ob wir mit der Blockchain-Technologie von einem neuen Zeitalter für die gesamte Finanzwirtschaft und möglicherweise auch darüber hinaus sprechen können, wird sich vermutlich im Laufe der kommenden Jahre besser abschätzen lassen.

Fußnote:

  1. EY, Start-up-Barometer 2016, Jan. 2016
  2. Deutsche Bundesbank, Zahlungsverhalten in Deutschland 2014, Febr. 2015