Bundesbank-Projektionen: Deutsche Wirtschaft erholt sich nach tiefer Rezession wieder

Nach einer tiefen Rezession in der ersten Jahreshälfte dürfte sich die deutsche Wirtschaft wieder erholen. Den aktuellen Bundesbank-Projektionen zufolge schrumpft die Wirtschaftsleistung 2020 zwar um 7 Prozent, 2021 und 2022 könnte das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) aber wieder um 3 Prozent bzw. 4 Prozent zulegen. „Die Staatsfinanzen leisten einen erheblichen Stabilisierungsbeitrag“, sagte Bundesbankpräsident Jens Weidmann im Hinblick auf die fiskalischen Hilfspakete und automatischen Stabilisatoren. Das jüngste Konjunkturprogramm der Bundesregierung wurde nach dem Prognoseabschluss vereinbart und ist daher in den Schätzungen noch nicht enthalten. Weidmann bewertete das Programm positiv: „Ein weiterer Stimulus ist in der aktuellen Lage angemessen.“ Dadurch falle der konjunkturelle Ausblick nun spürbar günstiger aus.

Infolge der Pandemie und der ergriffenen Gegenmaßnahmen ging die deutsche Wirtschaftsleistung bereits im ersten Quartal 2020 außerordentlich stark zurück. Für das zweite Quartal sei ein weiterer, noch massiverer Rückgang zu erwarten, heißt es im Bericht. Laut den Fachleuten der Bundesbank wurde der Tiefpunkt aber bereits im April durchschritten und die Wirtschaft beginne nun wieder zu wachsen. „Über die weitere Entwicklung besteht allerdings eine sehr hohe Unsicherheit“, betonte Weidmann. Dies gelte vor allem mit Blick auf den Verlauf der Pandemie, die möglicherweise erforderlichen Maßnahmen zur Eindämmung und den daraus resultierenden ökonomischen Folgen, heißt es in der Veröffentlichung der Bundesbank. Da die Beeinträchtigungen durch die Pandemie und ihre Bekämpfung nur nach und nach zurückgehen dürften, zieht sich die Erholung zunächst hin. In den Berechnungen wird unterstellt, dass Mitte 2021 eine wirksame medizinische Lösung für die Pandemie verfügbar sein wird. Davon werde ein zusätzlicher Schub für die deutsche Wirtschaft ausgehen, heißt es. Die Wirtschaftsaktivität würde ihr Vorkrisenniveau dann Ende 2022 wieder erreichen.

Die Krise zeigt sich auch auf dem Arbeitsmarkt. Trotz eines massiven Ausbaus der Kurzarbeit sei mit einem vorübergehenden Anstieg der Arbeitslosigkeit zu rechnen. Aufgrund der umfangreichen wirtschaftspolitischen Stützungsmaßnahmen können laut den Fachleuten größere nachhaltige Schäden an Güter- und Arbeitsmärkten vermieden werden. Den Schätzungen zufolge könnte mit der ab Mitte 2021 stärkeren wirtschaftlichen Erholung die Erwerbslosigkeit zurückgehen.

Spuren der Stabilisierung im Staatshaushalt

Angesichts des umfangreichen fiskalischen Stabilisierungsbeitrags steigen staatliches Defizit und Schulden deutlich. Für dieses Jahr ergeben sich der Bundesbank-Projektion zufolge ein Defizit im Staatshaushalt von 6 Prozent des BIP sowie einer Schuldenquote von rund 75 Prozent. Im Zuge der wirtschaftlichen Erholung und der auslaufenden Hilfsmaßnahmen gehen die Prognostiker und Prognostikerinnen für die kommenden zwei Jahren von einer Verbesserung der Staatsfinanzen aus. Die Defizitquote werde im Jahr 2022 wieder deutlich niedriger ausfallen, heißt es. Auch die Schuldenquote werde etwas zurückgehen, aber noch erheblich über dem Vorkrisenniveau von rund 60 Prozent liegen.

Der Anstieg der Verbraucherpreise dürfte nach den Schätzungen in diesem Jahr erheblich nachlassen und lediglich 0,8 Prozent betragen. 2021 und 2022 legt die Inflation laut Projektion aber wieder zu – auf 1,1 Prozent bzw. 1,6 Prozent. Maßgeblich für die Entwicklung seien die Energiepreise, die wegen des jüngsten Einbruchs der Ölpreise im laufenden Jahr gegenüber 2019 zurückgingen, um danach wieder kräftig anzuziehen, schreiben die Fachleute. Die Kernrate ohne Energie und Lebensmittel bleibt dagegen vergleichsweise stabil, da preistreibende Auswirkungen der Pandemie dem von der wegbrechenden Nachfrage ausgehenden Abwärtsdruck zum Teil entgegenwirken.

Alternative Szenarien

Um der gegenwärtig sehr hohen Unsicherheit Rechnung zu tragen, wurden zwei Alternativszenarien erstellt: Neben dem Basisszenario, auf welches sich die genannten Prognosewerte beziehen und das die Bundesbank bei Prognoseabschluss für am wahrscheinlichsten erachtete, werden auch ein hinsichtlich der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie günstigeres und ein ungünstigeres Szenario betrachtet.

In einem günstigeren Szenario unterstellt die Bundesbank, dass sich die Lockerungen der Eindämmungsmaßnahmen schon kurzfristig stärker positiv auswirken und es im weiteren Fortgang den privaten Haushalten und Unternehmen wesentlich besser gelingt, ihr Verhalten an die Einschränkungen durch die Pandemie anzupassen. Dies könnte dadurch erleichtert werden, dass sich die Rahmenbedingungen zeitnah markant verbessern, etwa durch Fortschritte in der medizinischen Forschung. Die negativen wirtschaftlichen Folgen der Pandemie würden damit zügiger nachlassen und der Aufschwung könnte stärker ausfallen. In diesem Fall geht das reale BIP 2020 um etwa 3 Prozent zurück und legt 2021 und 2022 um 6 Prozent bzw. 2 Prozent zu.

Falls die im Basisszenario erwarteten Anpassungsprozesse der Wirtschaftsakteure deutlich weniger erfolgreich verlaufen, könnten in einem ungünstigeren Szenario die wirtschaftlichen Einbußen noch erheblich stärker ausfallen und größere Schäden am langfristigen Produktionspotenzial entstehen. Dann ergeben die Bundesbankschätzungen sogar eine Schrumpfung der Wirtschaftsleistung um 10 Prozent in diesem und 1 Prozent im kommenden Jahr. 2022 würde das reale BIP um 4 Prozent steigen.

Konjunkturprogramm positiv gewertet

Das erst nach Prognoseabschluss vereinbarte Konjunkturpaket der Bundesregierung ist teils noch nicht konkretisiert. Auf Grundlage einer ersten groben Abschätzung der Bundesbank-Fachleute könnte das Staatsdefizit 2020 um 1½ Prozent des BIP und 2021 um ½ Prozent des BIP höher ausfallen als in den beschriebenen Projektionen. Die temporäre Umsatzsteuersenkung und die weiteren Entlastungen der privaten Haushalte und Unternehmen könnten nach Einschätzung der Bundesbank die Konsum- und Investitionsstimmung positiv beeinflussen. Nach ersten Schätzungen könnte das reale BIP im laufenden Jahr um mehr als 1 Prozent und im kommenden Jahr um etwa ein 1/2 Prozent höher liegen. Die in den Projektionen angegebenen Wachstumsraten wären dann 2020 entsprechend größer und 2021 kleiner. Vor allem die Umsatzsteuersenkung werde die Preisentwicklung stark beeinflussen, heißt es weiter. Dies wird anhand einer vollen und unmittelbaren Überwälzung illustriert: Dann würde sich die Rate im laufenden Jahr um eine Größenordnung von einem Prozentpunkt vermindern und im kommenden Jahr spiegelbildlich um einen Prozentpunkt erhöhen. Allerdings seien spürbar geringere Effekte wahrscheinlich, da von einer nur teilweisen Überwälzung auszugehen sei.

Entwicklungen im Euroraum

In dieser Woche legte zudem das Eurosystem seine aktuellen Projektionen für Wachstum und Inflationsentwicklung für den Euroraum insgesamt vor. Demnach erwarten die Fachleute der Europäischen Zentralbank (EZB) und der nationalen Zentralbanken für 2020 einen Einbruch der Wirtschaftsleistung um 8,7 Prozent. Für die beiden folgenden Jahre rechnen sie mit einem Anstieg um 5,2 Prozent bzw. 3,3 Prozent. Mit Blick auf die Teuerungsrate gehen die Eurosystem-Expertinnen und -Experten davon aus, dass die Inflation im Euroraum 2020 bei 0,3 Prozent liegen dürfte. 2021 dürfte sie auf 0,8 Prozent und 2022 auf 1,3 Prozent steigen.

Projektion Juni 2020

Veränderung ggü. Vorjahr in %

2019

2020

2021

2022

Reales BIP, kalenderbereinigt

0,6

-7,1

3,2

3,8

Reales BIP, unbereinigt

0,6

-6,8

3,2

3,7

Harmonisierter Verbraucherpreisindex

1,4

0,8

1,1

1,6

Harmonisierter Verbraucherpreisindex
ohne Energie und Nahrungsmittel

1,4

1,2

1,1

1,2

Quelle: Statistisches Bundesamt. 2020 bis 2022 eigene Projektion.