Stellungnahme der Deutschen Bundesbank anlässlich der öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags am 25. November 2019 Schriftliche Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags am 25. November 2019 zu den Anträgen der Fraktionen der AfD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Thema „Sustainable Finance“ (BT-Drucksacken 19/14684, 19/14785 und 19/14219)

1 Der Markt für nachhaltige Finanzanlagen

1.1 Marktentwicklung

Nachhaltigkeit hat sich zu einem zentralen Thema und wichtigen Anlagekriterium an den Finanzmärkten entwickelt. Aufsichtliche Meldedaten des Europäischen Systems der Zentralbanken zeigen das Marktwachstum in Europa gerade auch im Bereich der nachhaltigen Anleihen auf. Die Daten ermöglichen eine vertiefte Analyse der Halterstruktur nachhaltiger Anleihen. Diese deutet darauf hin, dass insbesondere langfristige Investoren wie Pensionskassen eine Präferenz für nachhaltige Anleihen gegenüber konventionellen Anleihen haben.

Im Jahr 2007 legte die Europäische Investitionsbank (EIB) mit der Emission ihrer ersten Klimaschutzanleihe (Climate Awareness Bond) den Grundstein für das Green-Bond-Marktsegment. Seitdem haben Green Bonds insbesondere für nachhaltigkeitsorientierte Investoren an Attraktivität und Akzeptanz hinzugewonnen. Trotz bemerkenswerter Wachstumsraten beträgt der Anteil ausstehender Green Bonds am gesamten internationalen Anleihemarkt jedoch nur knapp 2 %.

Das kumulierte Volumen ausstehender grüner Anleihen in Europa ist laut Climate Bonds Initiative seit 2015 von 16,3 Mrd auf 198 Mrd angestiegen. Zudem zeigt die positive Marktentwicklung in Europa, dass grüne Anleihen eine zunehmend genutzte Refinanzierungsquelle sind. Während der gesamteuropäische Markt im Beobachtungszeitraum von Jahr zu Jahr gewachsen ist, unterlag das ausstehende Volumen in Deutschland teilweise deutlichen Schwankungen. Im Jahr 2017 verdoppelte sich das ausstehende Volumen erstmals von 4,4 Mrd auf 8,8 Mrd im Vergleich zum Vorjahr. Nach einem Rückgang im Jahr 2018 erreichte das ausstehende Green-Bond-Volumen im ersten Halbjahr 2019 bereits annähernd das Niveau des Gesamtjahres 2018.

Betrachtet man die Emissionstätigkeit nach Sektoren, so fällt auf, dass grüne Anleihen in Europa von nichtfinanziellen Unternehmen, Kreditinstituten, staatlichen Förderbanken und Zentralstaaten begeben werden. Zunächst dominierten Entwicklungsbanken und staatliche Förderbanken, wie die EIB oder die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in Deutschland, das Emissionsgeschehen. Dabei werden Förderprojekte nicht nur auf Basis ihres wirtschaftlichen Nutzens, sondern auch unter ökologischen und sozialen Gesichtspunkten bewertet und ausgewählt. In den Folgejahren haben auch Industrie und Finanzsektor das Marktpotenzial erkannt und ergreifen zunehmend eine aktivere Rolle durch die Auflage eigener Emissionsprogramme für grüne Anleihen. In Deutschland ist die KfW derzeit nach wie vor der größte Emittent von Green Bonds. Im ersten Halbjahr 2019 begab die KfW Green Bonds im Wert von 3,8 Mrd und erreichte somit einen Marktanteil von nahezu 60 %.

Im Verlauf der letzten Jahre haben sowohl private Finanzinstitute als auch Unternehmen der Realwirtschaft zur Weiterentwicklung des Marktes in Deutschland beigetragen. Insbesondere Hypothekenbanken haben sich inzwischen als regelmäßig wiederkehrende Emittenten etabliert. Darüber hinaus trägt auch der öffentliche Sektor dazu bei, das Angebot an Green Bonds für Investoren zu erhöhen. So hat beispielsweise die NRW Bank, eine staatliche Förderbank, bereits sieben grüne Anleihen begeben. Darüber hinaus hat das Land Nordrhein-Westfalen selbst fünf Sustainability Bonds emittiert. Bei letzteren handelt es sich um eine weitere Kategorie nachhaltiger Anleihen, die gleichzeitig zur Finanzierung von Umwelt- und Sozialprojekten genutzt wird. Und schließlich hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz jüngst die Ausgabe von „Umweltanleihen als Bundesanleihen für ökologische Zwecke“ angekündigt.

1.2 Kennzahlen für Nachhaltigkeit

Der grundsätzliche Unterschied zwischen einem Green Bond und einer herkömmlichen Anleihe besteht in der zweckgebundenen Erlösverwendung. Es ist jedoch analytisch schwierig, grüne Projekte eindeutig zu definieren und zu klassifizieren. Dies führt dazu, dass derzeit noch ein überschaubares Angebot an Green Bonds am Markt verfügbar ist. Im Verlauf der letzten Dekade haben sich die Rahmenbedingungen für Emittenten und Investoren hinsichtlich Transparenz und Informationsbereitstellung weiter verbessert. Wegbereiter dafür war und ist auch heute der internationale Dialog unter Beteiligung verschiedener Interessensgruppen aus Politik und Wirtschaft. Dadurch entwickelte sich ein breites Spektrum freiwilliger Leitlinien, Standards und Rahmenwerke. Zudem initiierten Länder wie beispielsweise China, Frankreich und Indien auch nationale regulatorische Maßnahmen, um die Etablierung eines Green-Bond-Segments im eigenen Land zu fördern.

Einheitliche und verlässliche Kennzahlen erleichtern es, langfristige, mit Klimawandel und Nachhaltigkeit verbundene Risiken bei Investitionsentscheidungen einzubeziehen. Verbesserte Rahmenbedingungen geben Orientierung und helfen dabei, dass eine ursprünglich teils marketinggetriebene Nischenentwicklung zu einem etablierten Bestandteil des Angebots auf den Kapitalmärkten reifen dürfte. Dabei geht es im Kern um die Schaffung von Transparenz, die Voraussetzung für eine risikogerechte Preisbildung ist.

Aktuell gibt es weder auf globaler oder europäischer noch auf nationaler Ebene ein Rahmenwerk, welches es erlauben würde, nachhaltig angelegtes Kapital einheitlich und eindeutig zu kategorisieren und dementsprechend zu beziffern. Verlässliche Kennzahlen sind jedoch unabdingbar, um Finanzmarktakteure zu befähigen, Chancen und Risiken verschiedener Investments angemessen zu evaluieren und der Kapitalallokationsfunktion des Finanzmarktes in effizienter Weise nachzukommen. Insbesondere in Verbindung mit entsprechenden Berichtspflichten sind einheitliche Indikatoren außerdem geeignet, die Gefahr, dass Anleger über den Grad der Nachhaltigkeit ihres Investments getäuscht werden, zu reduzieren.[1]

1.3 Der EU-Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums

Es fällt in die Zuständigkeit der politischen Akteure, Weichenstellungen für eine sachgerechte und effiziente Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien am Finanzmarkt vorzunehmen.

Die Europäische Kommission ist bestrebt, im Rahmen ihrer Maßnahmen zur Vollendung der Kapitalmarktunion sicherzustellen, dass das europäische Finanzsystem und seine Akteure langfristiges und CO2-armes Wirtschaftswachstum fördern und in entsprechende Technologien investieren.[2] Dazu legte die Europäische Kommission im März 2018 einen Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums vor, der, wenn er so umgesetzt wird, den Markt für nachhaltige Finanzanlagen zukünftig wesentlich prägen dürfte.[3]

Der Aktionsplan baut dabei auf den Arbeiten einer hochrangigen Expertengruppe (High-Level Expert Group: HLEG) auf, die im Januar 2018 im Auftrag der Europäischen Kommission strategische Empfehlungen und zahlreiche branchenspezifische Vorschläge präsentiert hatte.[4] Er umfasst drei übergeordnete Ziele und skizziert zehn zu deren Erreichung notwendige Maßnahmen. Dabei bildet laut Europäischer Kommission eine einheitliche Taxonomie, das heißt eine konsistente Klassifizierung nachhaltiger wirtschaftlicher Aktivitäten, das Kernstück des Aktionsplanes und das Fundament, auf dem weitere Maßnahmen fußen sollen. Zu ebenjener Taxonomie, zu Nachhaltigkeits-Referenzwerten (Benchmarks) sowie zur Offenlegung der Methoden, mit denen ESG-Aspekte berücksichtigt und bewertet werden, hat die Europäische Kommission bereits Gesetzentwürfe vorgelegt.[5] Mit der konkreten Ausgestaltung der drei Gesetzesvorhaben beauftragte die Europäische Kommission eine auf Expertenebene angesiedelte Arbeitsgruppe (Technical Expert Group: TEG).

Mit Blick auf das Pariser Klimaschutzabkommen wird mit der Taxonomie das Ziel verbunden, einen Referenzrahmen zur Erreichung der vereinbarten Klimaziele bis 2050 zu schaffen.

Nach den Vorstellungen der Europäischen Kommission gilt die Taxonomie dabei als Basis der EU-Nachhaltigkeitsstrategie für das Finanzsystem. Sie werde eine Art Nachhaltigkeitsprüfung definieren, welche darüber entscheidet, ob eine wirtschaftliche Aktivität als nachhaltig anzusehen ist oder nicht.[6] Der binäre Charakter der Taxonomie ruft teilweise Befürchtungen hervor, dass Abstufungen in den Finanzierungskonditionen verhindert würden, da die Taxonomie selbst keine Abstufungen im Nachhaltigkeitsgrad der wirtschaftlichen Aktivitäten erlaube. Ebenfalls wird bemängelt, dass die Europäische Kommission ihren Fokus fast ausschließlich auf die ökologische Dimension der Nachhaltigkeit lege.[7] Das europäische Primärrecht sehe keine solche Hierarchie der verschiedenen Dimensionen von Nachhaltigkeit vor, sondern erwähne diese gleichrangig.[8] Die Europäische Kommission argumentiert jedoch, der geplante Rechtsrahmen biete die Möglichkeit, ihn in Zukunft um Aspekte jenseits des Klimawandels zu erweitern und auch weitere Nachhaltigkeitsziele einzubeziehen. Anwendung finden könne die Taxonomie insbesondere bei der geplanten Einführung von Nachhaltigkeitslabels für Finanzprodukte und bei der EU-Norm für grüne Anleihen.

In ihrem Abschlussbericht zur EU-Norm formuliert die TEG Empfehlungen – sowohl an die Europäische Kommission als auch an Marktteilnehmer – und stellt vier Anforderungen besonders heraus, die erfüllt sein sollten, um eine Anleihe gemäß der Norm als EU Green Bond zertifizieren zu können: Erstens soll die EU-Taxonomie zur Prüfung des zu finanzierenden Projekts angewendet werden. Zweitens soll ein sogenanntes Green Bond Framework erstellt werden, welches Informationen zum Umfang der Investition, damit verbundenen ökologischen Zielen und der Berichterstattung während der Projektdauer umfasst. Drittens fordern die Expertinnen und Experten Berichtspflichten zur Verwendung des eingesammelten Kapitals und der Umweltwirkung des finanzierten Projekts. Viertens sieht der Vorschlag eine zwingende Verifizierung des Projekts durch eine externe Evaluierungsinstitution vor. Die EU-Norm wäre dabei von Emittenten freiwillig anzuwenden und nicht auf Europa beschränkt. Vielmehr, so die Erwartung, könnte sie sich weltweit als Qualitätsmerkmal für grüne Anleihen etablieren und so existierende Zweifel potenzieller Investoren an der positiven Umweltwirkung entsprechender Anleihen reduzieren.

Um das Vertrauen in als nachhaltig bezeichnete Vermögenswerte nicht nur bei Anleihen, sondern auch in anderen Anlageklassen zu stärken, beabsichtigt die Europäische Kommission außerdem die Einführung von Referenzwerten, auch Benchmarks genannt, mit denen sie Grünfärberei verhindern will.[9] Diese Referenzwerte sollen Anlegern Orientierung geben, die ein klimabewusstes Portfolio anstreben, ohne umfassenden Analyseaufwand betreiben zu können. Um die Glaubwürdigkeit und Vergleichbarkeit der Nachhaltigkeits-Benchmarks zu erhöhen, schlägt die Expertengruppe Transparenzpflichten für Indexanbieter vor, sodass die Kriterien, anhand derer Wertpapiere oder Emittenten in eine Benchmark aufgenommen werden, offengelegt werden müssten. Im Kontext ihrer Bemühungen um mehr Transparenz am Markt ist wohl auch zu sehen, dass die Europäische Kommission im Juni 2019 die freiwillige Leitlinie zur Unternehmensberichterstattung nichtfinanzieller Informationen aktualisiert hat, insbesondere im Hinblick auf die Offenlegung klimabezogener Aspekte.

2 Klima-Risiken für das Finanzsystem

Mit Taxonomie und Offenlegung würden auch mögliche Risiken, die der Klimawandel und der Übergang in eine emissionsarme Wirtschaft für das Finanzsystem birgt, besser einschätzbar und damit transparenter. Denn die erwarteten Auswirkungen des Klimawandels sowie die einzel- und gesamtwirtschaftlichen Anpassungsprozesse, die im Zuge klimapolitischer Weichenstellungen ablaufen, werden sich unmittelbar im Finanzsystem zeigen. Insbesondere müssen die Marktteilnehmer die mit dem Klimawandel verbundenen Auswirkungen und Risiken (physische Risiken) ausreichend bei ihren Entscheidungen und Bewertungen berücksichtigen. Dies gilt ebenso für den absehbar klimapolitisch angelegten wirtschaftlichen Wandel hin zu einer emissionsarmen Wirtschaft nebst den damit verbundenen und kaum zu vermeidenden Unsicherheiten über die konkrete Ausgestaltung des Übergangs (transitorische Risiken).

Das Finanzsystem ist von physischen Risiken über mehrere direkte und indirekte Wirkungskanäle betroffen, beispielsweise über den Einfluss auf Vermögenspreise, Kreditrisiken und Kreditsicherheiten sowie über den Versicherungssektor. Kurz- und mittelfristig dürfte ein zentraler Wirkungskanal die Veränderung der relativen Preise für Vermögenswerte sein. Die Preise für Vermögenswerte, die von physischen und transitorischen Klimarisiken betroffen sind, dürften sinken.

Physische Risiken können zudem Kreditrisiken beeinflussen. Entstehen durch den Klimawandel vermehrt große Schäden an realen Vermögenswerten oder Produktionsmitteln, könnte dies dazu führen, dass Kreditnehmer in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten und deshalb ihre Verbindlichkeiten nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr bedienen können.[10] Kapitalgeber müssen zudem berücksichtigen, dass von den erwarteten klimatischen Veränderungen nicht nur einzelne Kreditnehmer, sondern ganze Regionen oder Wirtschaftszweige betroffen sein können.[11] Es wird daher weiterhin zu untersuchen sein, ob Kreditgeber die Möglichkeit klimabedingter, deutlich höherer und eventuell regional konzentrierter Kreditausfälle bereits heute ausreichend berücksichtigen: Es stellt sich beispielsweise die Frage, ob diese Faktoren beachtet werden, wenn Kredite vergeben werden oder über die Zusammensetzung von Kreditportfolios entschieden wird. Zu diesen Überlegungen gehört auch die Frage, ob die gestellten Kreditsicherheiten (wie beispielsweise Produktionsanlagen oder Immobilien) zeitgleich mit einem Kreditausfall durch das Eintreten physischer Risiken an Wert verlieren können.

Die potenzielle Unterschätzung möglicher Schäden durch künftige Klimaereignisse beträfe auch Versicherer, wenn versicherte Schäden häufiger auftreten. Sollten Versicherer aufgrund dessen in finanzielle Schwierigkeiten geraten, hätte dies wirtschaftliche Folgen für die Versicherungsnehmer, wenn deren Schäden nicht mehr oder nur eingeschränkt reguliert werden könnten.[12] Das steigende Risiko hoher physischer Schäden dürfte die Bereitschaft der Erst- und Rückversicherer schmälern, in besonders gegenüber Klimarisiken exponierten Regionen oder Sektoren Versicherungen anzubieten.

Der Übergang in eine CO2-arme Wirtschaft ist politisch unter anderem mit dem Pariser Klimaschutzabkommen angelegt, wobei der genaue Pfad und dessen konkrete Ausgestaltung derzeit nicht vollständig festgelegt sind.[13] Von dem damit einhergehenden wirtschaftlichen Wandel gehen transitorische Risiken aus. Dazu zählen technologische Veränderungen und Unsicherheiten, veränderte Präferenzen der Konsumenten sowie rechtliche und regulatorische Anpassungen, die das Ziel haben, die CO2-Emissionen zu verringern, bis hin zur CO2-Neutralität.[14]

Der Ausstieg aus fossilen Energiequellen dürfte direkt den volkswirtschaftlichen Kapitalstock und die Wirtschaftsstruktur betreffen: Die Nutzungskosten existierender Produktionsanlagen, die fossile Energieträger intensiv nutzen, dürften erheblich steigen, wenn sich die Preise für fossile Brennstoffe erhöhen. Schließlich verändern sich die relativen Preise, da Güter von Unternehmen aus Sektoren, die die Nutzung fossiler Energieträger voraussetzen, wie etwa die Luftfahrt, ohne technologische Fortschritte relativ teurer werden. Die Klimapolitik beeinflusst somit über die relativen Preise unmittelbar die Vermögenspreise.[15] Vermögenswerte, die durch den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen an Wert verlieren, werden in der Literatur unter dem Begriff Stranded Assets diskutiert.[16] Hiervon dürften Unternehmen und Staaten besonders betroffen sein, die fossile Energieträger fördern oder vermarkten.[17] Um die Risiken für die Realwirtschaft und das Finanzsystem zu untersuchen, wird oftmals von einem Extremszenario ausgegangen, in dem die Stranded Assets stark oder sogar vollständig an Wert verlieren.

Ein unerwartet schneller Ausstieg aus fossilen Energiequellen könnte zu einer plötzlichen Neubewertung von Vermögenswerten führen. Geschäfts-, Markt- und Kreditrisiken ergeben sich vor allem daraus, dass der technologische Fortschritt nicht gleichmäßig oder planbar verläuft. Kennzeichnend sind vielmehr Phasen überdurchschnittlicher Steigerungsraten und auch technologische Durchbrüche, die gegebenenfalls politische Maßnahmen erfordern.[18] Technischer Wandel kann bestehende Technologien rasch obsolet machen. Ebenso kann der Erhaltungsaufwand technischer Anlagen deutlich höher und die Produktion deutlich geringer als ursprünglich erwartet ausfallen. Aus diesen genannten Geschäfts-, Markt- und Kreditrisiken können daher weitere, gegebenenfalls abrupte Preiskorrekturen bei Vermögenswerten resultieren.

Grundsätzlich ist es im Interesse eines jeden Marktteilnehmers, sich ausreichend gegenüber diesen Risiken abzusichern, indem etwa das Risikomanagement entsprechend ausgestaltet und die Risikotragfähigkeit sichergestellt wird. Klimarisiken stellen nicht notwendigerweise eine eigenständige Risikokategorie dar, sondern beeinflussen die klassischen Risikokategorien wie etwa das Kredit- oder Marktrisiko.[19] Vonseiten der mikroprudenziellen Aufsicht wird weiterhin zu prüfen sein, ob die einzelnen Finanzmarktteilnehmer wie Banken und Versicherer die für sie wesentlichen Risiken in ihre Risikoeinschätzung einfließen lassen, adäquate Risikomodelle verwenden und ob sie über die dafür notwendigen Informationen verfügen. Aus Sicht der makroprudenziellen Aufsicht ist es hingegen entscheidend, dass das Finanzsystem als Ganzes hinreichend widerstandsfähig gegenüber Unsicherheiten und Risiken des Klimawandels und der Klimapolitik ist und sich keine systemischen Risiken aufbauen, etwa durch die kollektive Unterschätzung klimatisch und politisch bedingter Einflussfaktoren. Die Bewertung oder Empfehlung konkreter klimapolitischer Entscheidungen ist hingegen nicht Gegenstand der Finanzstabilitätsanalyse.

Die makroprudenzielle Aufsicht steht bei der Analyse von Klimarisiken und ihren möglichen Implikationen, insbesondere im Hinblick auf transitorische Risiken, vor denselben Herausforderungen wie die übrigen Marktteilnehmer. Auf bestehende Modelle und etablierte Methoden kann kaum zurückgegriffen werden, da es sich um ein neues Risiko handelt und Entwicklungen schwer zu prognostizieren sind. Darüber hinaus erhöht der interdisziplinäre Charakter klimabezogener Fragestellungen die analytische Komplexität der Finanzstabilitätsanalyse erheblich. Viele der Einflussfaktoren und Wirkungskanäle sind derzeit nur unzureichend erfasst, so dass es einer Weiterentwicklung des bestehenden Instrumentariums bedarf, nicht zuletzt auf Basis der Erkenntnisse und Analysen naturwissenschaftlicher Disziplinen. Hinzu kommen erhebliche Informationsdefizite. So gibt es zurzeit für viele Vermögenswerte noch keine einheitliche Klassifizierung, inwiefern diese physischen und transitorischen Risiken ausgesetzt sind. Da wirtschaftliche Risiken aus dem Klimawandel in der Vergangenheit nur begrenzt eingetreten sind, fehlt es in der Risikoanalyse an einer ausreichend breiten empirischen Datenbasis, um beispielsweise Sensitivitäten gegenüber der Erderwärmung abzuleiten und die sich daraus ergebenden möglichen Risiken quantifizieren zu können. Weltweit haben sich daher mehr als 50 Zentralbanken und Aufseher im Network for Greening the Financial System (NGFS) zusammengeschlossen, um ihre analytischen und methodischen Kapazitäten zu bündeln sowie die Informationsbasis zu erweitern.

Literaturverzeichnis:

  • Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (2019), Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken.
  • Bundesregierung (2019), Klimaschutzprogramm 2030.
  • Caldecott, B., J. Tilbury und C. Carey (2014), Stranded Assets and Scenarios.
  • Carbon Tracker Initiative (2013), Unburnable Carbon 2013: Wasted capital and stranded assets.
  • Carney, M. (2015), Breaking the Tragedy of the Horizon: Climate Change and Financial Stability.
  • Dombrovskis, V. (2019), The European Commission‘s action plan on sustainable finance: promoting a sustainable future in the European Union and beyond, in Banque de France: Financial Stability Review – Greening the Financial System: The new Frontier, Juni 2019, S. 77– 83.
  • Europäische Kommission (2018a), Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums, COM(2018) 97 final, 8. März 2018.
  • Europäische Kommission (2018b), Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen, COM(2018) 353 final, 24. Mai 2018.
  • Europäische Kommission (2018c), Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Offenlegung von Informationen über nachhaltige Investitionen und Nachhaltigkeitsrisiken sowie zur Änderung der Richtlinie (EU) 2016/ 2341, COM(2018) 354 final, 24. Mai 2018.
  • Europäische Kommission (2018d), Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) 2016/ 1011 in Bezug auf Referenzwerte für CO2-arme Investitionen und Referenzwerte für Investitionen mit günstiger CO2-Bilanz, COM(2018) 355 final, 24. Mai 2018.
  • Europäische Union (2016), Vertrag über die Europäische Union, Amtsblatt der Europäischen Union (C 202/ 17), 7. Juni 2016.
  • EU High-Level Expert Group on Sustainable Finance (2018), Final Report: Financing a Sustainable European Economy, Januar 2018.
  • EU Technical Expert Group on Sustainable Finance (2019a), Report on Benchmarks – TEG Interim Report on Climate Benchmarks and Benchmarks‘ ESG Disclosures, Juni 2019.
  • EU Technical Expert Group on Sustainable Finance (2019b), Taxonomy Technical Report, Juni 2019.
  • Faiella, I. und F. Natoli (2018), Natural Catastrophes and Bank Lending: The Case of Flood Risk in Italy, Banca d'Italia Occasional Papers No 457.
  • Gros, D., P. Lane, S. Langfield, S. Matikainen, M. Pagano, D. Schoenmaker und J. Suarez (2016), Too Late, too Sudden: Transition to a Low-Carbon Economy and Systemic Risk, Reports of the ESRB Advisory Scientific Committee No 6.
  • Intergovernmental Panel on Climate Change (2019), Global warming of 1.5°C: An IPCC Special Report on the Impacts of Global Warming of 1.5°C above Pre-Industrial Levels and Related Global Greenhouse Gas Emission Pathways.
  • International Renewable Energy Agency (2017), Stranded Assets and Renewables: How the Energy Transition Affects the Value of Energy Reserves, Buildings and Capital Stock.
  • Koetter, M., F. Noth und O. Rehbein (2019), Borrowers under Water! Rare Disasters, Regional Banks and Recovery Lending, Journal of Financial Intermediation, in Kürze erscheinend.
  • Kurzweil, R. (2004), The Law of Accelerating Returns, In: Alan Turing: Life and Legacy of a Great Thinker, Springer-Verlag Berlin Heidelberg, S. 381–416.
  • Möslein, F. und A.-C. Mittwoch (2019), Der Europäische Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums, Wertpapier-Mitteilungen, 73 (2019), 11, S. 481– 489.
  • Prudential Regulation Authority (2015), The Impact of Climate Change on the UK Insurance Sector: A Climate Change Adaptation Report.
  • Stumpp, M. (2019), Die EU-Taxonomie für nachhaltige Finanzprodukte – Eine belastbare Grundlage für Sustainable Finance in Europa?, Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft, 31 (2019), 1, S. 71– 80.
  • United Nations (2015), Paris Agreement.
  • Weyzig, F., B. Kuepper, J. Willem van Gelder und R. van Tilburg (2014), The Price of Doing Too Little Too Late: The Impact of the Carbon Bubble on the EU Financial System.

Fußnoten:

  1. Dieses Phänomen wird auch als Grünfärberei (oder Greenwashing) bezeichnet und beschreibt das Risiko, in ein Wertpapier zu investieren, das zwar als nachhaltig verkauft wird, das bei näherer Betrachtung aber üblichen Nachhaltigkeitskriterien und insbesondere den Anforderungen des Investors nicht standhält.
  2. Vgl.: Dombrovskis (2019); sowie Europäische Kommission (2018a).
  3. Vgl.: Europäische Kommission (2018a).
  4. Vgl.: EU High-Level Expert Group on Sustainable Finance (2018).
  5. Vgl.: Europäische Kommission (2018b, 2018c und 2018d).
  6. Vgl.: EU Technical Expert Group on Sustainable Finance (2019b).
  7. Vgl.: Möslein und Mittwoch (2019); sowie Stumpp (2019).
  8. Vgl.: Europäische Union (2016), Art. 3 (3); sowie Möslein und Mittwoch (2019).
  9. Vgl.: EU Technical Expert Group on Sustainable Finance (2019a).
  10. Vgl.: Faiella und Natoli (2018).
  11. Vgl.: Koetter, Noth und Rehbein (2019).
  12. Vgl.: Prudential Regulation Authority (2015)
  13. Vgl.: United Nations (2015); Intergovernmental Panel on Climate Change (2019); Bundesregierung (2019).
  14. Vgl.: Gros, Lane, Langfield, Matikainen, Pagano, Schoenmaker und Suarez (2016).
  15. Vgl.International Renewable Energy Agency (2017).
  16. Der Begriff „Stranded Assets“ wurde vor allem von der Carbon Tracker Initiative und durch das Stranded Asset Pro-gramme der Oxford University geprägt und von Mark Carney in einer Rede aufgegriffen, vgl.: Carbon Tracker Initia-tive (2013); Caldecott, Tilbury und Carey (2014); Carney (2015).
  17. Vgl.: Weyzig, Kuepper, Willem van Gelder und van Tilburg (2014).
  18. Vgl.: Kurzweil (2004).
  19. Vgl.: Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (2019).