Stellungnahme anlässlich des öffentlichen Fachgesprächs des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages Stellungnahme von Herrn Dr. Andreas Dombret, Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank, anlässlich des öffentlichen Fachgesprächs des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages zum Thema „Libor-Manipulationen und andere Fehlentwicklungen in der Finanzbranche“ am 28. November 2012

1. Bedeutung von Geldmarktreferenzzinsätzen für die Finanzstabilität und die Geldpolitik

LIBOR-Zinssätze wurden Mitte der 1980er Jahre als standardisierte Referenzzinssätze für den (unbesicherten) Interbankengeldmarkt entwickelt und haben seitdem eine zentrale Bedeutung im Finanzsystem erlangt. Sie dienen insbesondere als Referenz für eine große Zahl von derivativen Finanzinstrumenten. Zudem orientieren sich sowohl zahlreiche Kredite mit variablen Zinssätzen als auch Geldanlagen an den LIBOR-Werten.[1]

Hinzu kommt, dass unter anderem aus Sicht der Bundesbank der Ausgangswert für die Obergrenze des Defizitabbaupfads in der Übergangszeit deutlich zu hoch angesetzt wird, indem auf dem Schätzstand für das strukturelle Defizit 2010 vom Juni 2010 aufgesetzt und nicht der weitaus niedrigere aktualisierte Wert verwendet wird.

Im Zusammenhang mit den ab 2007 zu beobachtenden Anspannungen am unbesicherten Interbankengeldmarkt kam eine Diskussion über die Aussagekraft von LIBOR und anderen Referenzzinssätzen für den unbesicherten Geldmarkt auf, die mit einer Konkretisierung von Manipulationsvorwürfen zuletzt zusätzliche Dynamik erlangt hat und bankaufsichtliche Überprüfungen zur Folge hatte.

Ich weise nachfolgend auf Aspekte hin, die der Deutschen Bundesbank aus finanzstabilitäts- und geldpolitischer Sicht in der Diskussion über eine Reform des LIBOR und anderer Geldmarktreferenzzinssätze wichtig erscheinen.

Die Integrität von Geldmarktreferenzzinssätzen ist sowohl für die korrekte Preisfeststellung zahlreicher Finanzinstrumente wie Zins-Swaps und Forward Rate Agreements als auch für eine große Zahl von Kreditverträgen, die auf diese Zinssätze referenzieren, von fundamentaler Bedeutung. Manipulationen dieser Zinssätze können einen beträchtlichen wirtschaftlichen Schaden in der Real- und Finanzwirtschaft verursachen. Zudem sind solche Manipulationen geeignet, das Vertrauen in die am Benchmarkprozess Beteiligten und in das Finanzsystem insgesamt zu beeinträchtigen. Für die Finanzstabilität ist es daher entscheidend, dass der Festsetzung von Referenzzinssätzen robuste Verfahren zugrunde liegen.

Auch aus geldpolitischer Perspektive sind aussagekräftige Geldmarktsätze von Interesse, beispielsweise für das Verständnis des geldpolitischen Transmissionsprozesses und für die Einschätzung des Zustands des Geldmarktes als Grundlagen für geldpolitische Entscheidungen. Die Analyse der Wirkung geldpolitischer Impulse stützt sich traditionell auch auf unbesicherte Geldmarktzinssätze wie EURIBOR, dem Pendant zu LIBOR im Euro-Währungsgebiet.

Aussagekräftige und robuste Referenzzinssätze liegen also sowohl aus Gründen der Finanzstabilität als auch der Geldpolitik im Interesse der Deutschen Bundesbank.

2. Aufsichtliche Maßnahmen zur Verringerung der Manipulationsanfälligkeit

Insbesondere von den zuständigen Aufsichtsbehörden (z. B. IOSCO, ESMA, EBA, BaFin) werden gegenwärtig zahlreiche Maßnahmen zur Reduzierung der Gefahr von Manipulationen bei Referenzzinssätzen erwogen. So wird z. B. diskutiert, ob eine stärkere Berücksichtigung von tatsächlichen Transaktionen bei der Ermittlung von Referenzzinssätzen diesem Ziel dienen könnte. Einerseits wären Transaktionsdaten weniger manipulationsanfällig und könnten von Aufsichtsbehörden als Ausgangspunkt für eine Überprüfung der gemeldeten Zinssätze genutzt werden. Andererseits können nicht auf Transaktionen basierende Referenzzinssätze insofern von Vorteil sein, als diese auch bereitgestellt werden können, wenn im zugrundeliegenden Marktsegment geringe oder keine Transaktionen stattfinden, wie dies in Krisensituationen der Fall sein kann.

Da auch ein reformiertes, z. B. transaktionsbasiertes Verfahren Anreize für Manipulationen wohl nicht vollständig ausschließen kann, besteht vor allem die Notwendigkeit der Schaffung adäquater Governance- und Aufsichtsstrukturen sowohl auf Ebene der Banken (angemessene Risikoeinstufung des Prozesses, sinnvolle Funktionstrennung etc.) als auch auf Ebene der Institution, die die jeweilige Kennziffer ermittelt. Zudem ist sicherzustellen, dass die Institution, die die Meldungen von Panel-Banken aggregiert, ihrer Aufgabe tatsächlich unabhängig nachkommen kann. Grundsätzlich könnte auch eine Ausweitung der Größe des Panels von Banken, die an der Festsetzung der Referenzzinssätze beteiligt sind, zu einer Verringerung des Manipulationsrisikos beitragen, da eine breitere Referenzgruppe Zinsmanipulationen erschwert. Außerdem sollte die Unterbindung von potenziellen Interessenkonflikten im Rahmen einer Reform des Referenzzinssatzsystems im Vordergrund stehen.

So ist beispielsweise davon auszugehen, dass Institute einem deutlich geringeren Anreiz unterliegen, Falschangaben zu machen, wenn sie bei Meldung „ungünstiger“ Zinssätze nicht unmittelbar vom Markt sanktioniert werden können. Eine Verbesserung gegenüber dem bestehenden Regime wäre diesbezüglich z. B. eine zeitverzögerte Veröffentlichung der von den einzelnen Panel-Banken gemeldeten Zinssätze. Ergänzend zu den übrigen Überlegungen erscheint auch das von der EU-Kommission im Rahmen der künftigen Marktmissbrauchsverordnung und -richtlinie vorgesehene explizite (hoheitliche) Verbot der Manipulation von Referenzzinssätzen, verbunden mit einer wirksamen Strafandrohung sinnvoll.

3. Weitere Reformoptionen aus Notenbanksicht

Parallel zu den genannten aufsichtlichen Initiativen werden auch in Notenbankkreisen Reformoptionen diskutiert. Die Deutsche Bundesbank beteiligt sich an dieser Diskussion. So haben die zum Eurosystem gehörenden Zentralbanken im Rahmen der Konsultation der Europäischen Kommission zu einem möglichen regulatorischen Rahmen für die Erstellung und Nutzung von Indizes Vorschläge für eine Reform des EURIBOR unterbreitet, die im Wesentlichen eine Stärkung der Governance empfiehlt und eine Berücksichtigung von Transaktionen erwägt.[2] Daneben hat der europäische Systemrisikorat, ebenfalls mit unserer Beteiligung, im Rahmen dieser Konsultation eine Stellungnahme zu makroprudenziellen Aspekten einer Reform von Referenzzinssätzen abgegeben.[3] Darüber hinaus beschäftigt sich derzeit eine von den bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich im Economic Consultative Committee vertretenen Notenbankgouverneuren eingesetzte Arbeitsgruppe, in der ich die Deutsche Bundesbank vertrete, mit längerfristigen Handlungsoptionen für Geldmarktreferenzzinssätze.

Mittel- bzw. langfristig könnte über die Verwendung alternativer Zinssätze als Referenzzinssätze nachgedacht werden. Abhängig vom konkreten Verwendungszweck eines Referenzzinssatzes könnten beispielsweise Repozinssätze als Benchmark herangezogen werden. Diese reduzieren die in LIBOR und EURIBOR enthaltenen Gegenpartei-Risiken weitgehend durch hinterlegte Sicherheiten und bilden – zumindest momentan – die Finanzierungsstrukturen am Interbankengeldmarkt besser ab. Allerdings basieren vorhandene Repo-Benchmarks zum Teil auf ähnlichen Festsetzungsverfahren wie LIBOR und EURIBOR oder sind nicht für alle relevanten Laufzeiten verfügbar; zudem beeinflusst die unterschiedliche Qualität der Sicherheiten die Höhe der Zinssätze. Ferner gilt es zu bedenken, dass eine allgemeine Umstellung auf strukturell andere Zinssätze wegen der Heterogenität und Vielzahl bestehender, auf den bisherigen Referenzzinssätzen basierenden Verträge problematisch sein und z. B. das Hedging der Verpflichtungen aus diesen Kontrakten erschweren könnte.

Vor- und Nachteile derartiger Vorschläge sind daher sorgfältig abzuwägen. Im Übrigen ist die Wahl von geeigneten Referenzzinssätzen eine privatwirtschaftliche Entscheidung. Jeder Wechsel zu anderen Referenzzinssätzen sollte in der freien Entscheidung der Märkte verbleiben und nicht durch den Gesetzgeber erzwungen werden. Ein Zwang zum Wechsel stellt einen Eingriff in die Vertragsfreiheit der Akteure dar, der unseres Erachtens hier nicht gerechtfertigt ist.

Fußnoten:

  1. Ein im September 2012 veröffentlichter Bericht von Martin Wheatley zum LIBOR schätzt das Volumen der auf den LIBOR referenzierenden Finanzkontrakte auf ca. 300 Billionen USD; siehe: The Wheatley Review of LIBOR: final report, Seite 76.
  2. Siehe: http://www.ecb.int/pub/pdf/other/ecconsultation-regulationofindices-eurosystemreplyen.pdf
  3. Siehe: http://www.esrb.europa.eu/pub/pdf/other/121114_ESRB_response.pdf?8b69bb5705caa2fa44014c994e3b6721