Stellungnahme anlässlich der öffentlichen Anhörung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages am 6. Oktober 2014 Stellungnahme von Prof. Dr. Claudia M. Buch, Vizepräsidentin der Deutschen Bundesbank, anlässlich der öffentlichen Anhörung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages am 6. Oktober 2014 zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des ESM-Finanzierungsgesetzes (BT-Drucksache 18/2577) und zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Finanzhilfeinstrumente nach Artikel 19 des Vertrags vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (BT-Drucksache 18/2580)

I Hintergrund

1. Die Mitgliedstaaten der Eurozone haben einen politischen Kompromiss über die Ausgestaltung des künftigen ESM-Instruments zur direkten Bankenrekapitalisierung (DRI) geschlossen. Dieser politische Kompromiss hat zwei zentrale Elemente:

Zum einen wird eine Haftungskaskade festgelegt. Fiskalische Mittel kommen nur dann zum Einsatz, wenn zuvor Eigentümer, Anleihengläubiger und nicht-versicherte Einlagen  sowie Abwicklungsfonds in ausreichendem Maße Verluste getragen haben. Ein Bail-in und damit eine Beteiligung privater Investoren an realisierten Verlusten ist damit Voraussetzung für den Einsatz staatlicher Mittel.

Zum anderen haben nationale Mittel und das ESM-Instrument der indirekten Bankenrekapitalisierung Vorrang, bevor das neue Instrument der direkten Bankenrekapitalisierung in Anspruch genommen werden kann. Die beiden Rekapitalisierungsinstrumente des ESM unterscheiden sich dahingehend, dass im Fall der indirekten Rekapitalisierung der betreffende Staat für die ausgereichten Mittel haftet, während im Fall der direkten Rekapitalisierung die Bank selbst haftet.

Das DRI ist auf 60 Mrd. € begrenzt und soll mit der Übernahme der Bankenaufsicht durch die EZB ab November 2014 zur Verfügung stehen.

2. Eine Bewertung des ESM und des Instruments zur direkten Rekapitalisierung von Banken muss deren Funktion im Rahmen einer neuen langfristigen institutionellen Ordnung für den Euroraum berücksichtigen. Diese neue institutionelle Ordnung ruht auf drei Säulen. Eine erste Säule regelt die Verantwortung für solide Staatsfinanzen. Haftung und Kontrolle über staatliche Verschuldung liegen auf nationaler Ebene. Ein gestärkter Überwachungsmechanismus auf europäischer Ebene soll dafür Sorge tragen, dass die vereinbarten fiskalischen Regeln eingehalten werden. Eine zweite Säule regelt den Umgang mit Krisen, die durch Verletzung von Regeln und/oder durch negative externe Schocks ausgelöst werden können. Teil dieser zweiten Säule ist der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), der finanzielle Hilfen für Staaten bereitstellen kann, die in Liquiditätsprobleme gekommen sind. Da diese Hilfen ein Element der gemeinsamen Haftung darstellen, kann die Einheit von Haftung und Kontrolle nur unter strengen Auflagen an das jeweilige Land gewahrt bleiben. Eine dritte Säule beinhaltet die Bankenunion, bestehend aus der gemeinsamen europäischen Bankenaufsicht, dem europäischen Abwicklungsmechanismus, einschließlich eines von den Banken zu finanzierenden europäischen Abwicklungsfonds, und der harmonisierten Einlagensicherung. Mit der Bankenunion werden explizit Kompetenzen auf die europäische Ebene übertragen. Durch sie soll das Risiko von Bankenschieflagen gemindert werden. Treten dennoch Krisen auf, sollen Banken möglichst ohne Einsatz von Steuergeldern abgewickelt werden können, so dass der ESM als fiskalische Stützungsinstitution gar nicht erst zum Einsatz kommen würde.

3. Die Einführung des Instruments der direkten Bankenrekapitalisierung ist zeitlich eng mit der Übernahme der Aufsicht durch die EZB verknüpft. Es wird dann auch darüber zu entscheiden sein, wie durch das Comprehensive Assessment aufgedeckte Kapitallücken geschlossen werden können. Diese Kapitallücken reflektieren Altlasten, die vor dem Eintritt in die Bankenunion unter nationaler Aufsicht entstanden sind. Eine wichtige Voraussetzung für einen sachgerechten Einsatz des Instruments der direkten Bankenrekapitalisierung durch den ESM ist aber, dass es nicht zur Bereinigung von Altlasten in den Bankbilanzen genutzt wird. Dies wäre aus ordnungspolitischer Sicht problematisch und würde die Glaubwürdigkeit in die neu geschaffenen Institutionen unterminieren. 

II Bewertung 

4. Mit den vorgelegten Gesetzentwürfen wird dieser politische Kompromiss nunmehr auf nationaler Ebene implementiert, bevor der ESM-Gouverneursrat einstimmig den erforderlichen formellen Beschluss gemäß Art. 19 ESM-Vertrag zur Ergänzung des ESM-Instrumentariums treffen kann. Die Entwürfe fügen sich in das bisherige System der Beteiligung des Deutschen Bundestages in ESM-Fragen nach dem ESM-Finanzierungsgesetz ein.

Der von den Mitgliedsstaaten der Eurozone gefundene Kompromiss zur Einführung eines ESM-Instruments zur direkten Bankenrekapitalisierung ist vor dem Hintergrund der Einigungsnotwendigkeit auf europäischer Ebene politisch und in der Sache vertretbar. Jede Form der gemeinsamen Haftung birgt jedoch das Risiko von Fehlanreizen, was in der Ausgestaltung der Leitlinien für das ESM-Instrument der direkten Rekapitalisierung berücksichtigt werden sollte.

5. Bei der Einschätzung des neuen Instruments der direkten Bankenrekapitalisierung muss grundsätzlich unterschieden werden, zu welchem Zeitpunkt es zur Anwendung kommt. So ist die Nutzung dieses Instruments im Rahmen der Bankenunion und unter der Annahme, dass Altlasten in den Bankbilanzen nach einiger Zeit bereinigt sind, weniger kritisch zu sehen als in der Übergangsphase zur Bankenunion. Die Altlastenproblematik berücksichtigt der von den Mitgliedstaaten der Eurozone gefundene Kompromiss insoweit, als dass das neue ESM-Instrument der direkten Bankenrekapitalisierung nur am Ende einer Haftungskaskade als ultima ratio zum Einsatz kommen darf. Daher sollte sich die vereinbarte Haftungskaskade unverändert in der ESM-Leitlinie für die Finanzhilfe zur direkten Rekapitalisierung von Instituten wieder finden. Diese ist Grundlage für die Entscheidung des ESM über die Gewährung finanzieller Mittel im Einzelfall.

In diesem Zusammenhang sind folgende Punkte von besonderer Relevanz:

  • a) Der Kompromiss der Mitgliedstaaten der Eurozone beinhaltet, dass vor einer direkten Bankenrekapitalisierung eine Beteiligung der Eigentümer und Gläubiger an Verlusten der betroffenen Bank erfolgt. Die Übergangsregelungen der BRRD sehen jedoch eine verpflichtende Umsetzung des Bail-in Instruments in den Mitgliedstaaten erst zum Januar 2016 vor. Für die Zwischenzeit wird eine Beteiligung der Eigentümer und Gläubiger von den unterschiedlichen nationalen Gegebenheiten abhängen, was insbesondere bei grenzüberschreitend agierenden Banken mit finanziellen Problemen Schwierigkeiten bereiten könnte. Vor diesem Hintergrund sollte die ESM-Leitlinie den Einsatz des Bail-in Instruments zur Bedingung für die Nutzung des DRI Instruments machen. Mitgliedstaaten, die das Bail-in Instrument der BRRD erst zum 1. Januar 2016 einführen, könnten somit nur dann auf das DRI Instrument zurückgreifen, wenn sie für den Übergangszeitraum über vergleichbare nationale Regelungen verfügen.

  • b) Um eine Beteiligung der Eigentümer und Gläubiger der betroffenen Bank sicher zu stellen, sollte das neue Instrument der direkten Bankenrekapitalisierung nicht zur vorbeugenden Rekapitalisierung von Finanzinstituten verwendet werden. Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass öffentliche Mittel herangezogen werden, ohne dass zuvor das vorgesehene Bail-in von Anteilseignern und Gläubigern des betroffenen Instituts vorgenommen wurde.

  • c) Um die Vergemeinschaftung von Altlasten, die im Rahmen des Comprehensive Assessment offengelegt werden, weitestgehend zu verhindern, müssen sich die Mitgliedstaaten an die vom ECOFIN am 15. November 2013 getroffene Vereinbarung halten. Diese regelt, dass für den Notfall adäquat finanzierte öffentliche fiskalische Backstops zur Verfügung stehen.

  • d)  Ein weiteres Problem der Übergangsphase besteht darin, dass nationale Abwicklungsfonds anfänglich nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügen könnten. Diese Fonds sollen gemäß der BRRD zum 1. Januar 2015 errichtet, aus Bankenabgaben finanziert und gemäß der Haftungskaskade nach den Eigentümern und Gläubigern vorrangig herangezogen werden. Insoweit kann es erforderlich werden, außerordentliche Beiträge der Banken einzufordern.

  • e) Darüber hinaus wird darauf zu achten sein, dass die Vorgaben des Kompromisses der Mitgliedstaaten der Eurozone angemessen umgesetzt werden. Hiernach besteht ein Vorrang des Instruments der indirekten Bankenrekapitalisierung des ESM gegenüber der direkten Rekapitalisierung, und die Gewährung finanzieller Unterstützung muss zur Wahrung der Stabilität des Eurogebietes insgesamt oder seiner Mitgliedstaaten erforderlich sein.

  • f) Eine Möglichkeit, bereits bestehende ESM-Kredite und -Programme nachträglich ganz oder teilweise in direkte Bankenrekapitalisierungsinstrumente umzuwandeln, wäre kritisch zu sehen. Über diesen Kanal könnte versucht werden, Altlasten ohne Erhöhung der staatlichen Schuldenquote und der Notwendigkeit von umfassenden Anpassungsprogrammen zu bereinigen.

6. Der vereinbarte Vorrang des indirekten Rekapitalisierungsinstruments bedeutet, dass dieses Instrument bis an die Grenzen der fiskalischen Tragfähigkeit eines Mitgliedstaats herangezogen würde. Nur für die darüber hinaus noch erforderlichen Mittel würde dann auf das Instrument der direkten Bankenrekapitalisierung zurückgegriffen. So ließe sich gewährleisten, dass das direkte Rekapitalisierungsinstrument tatsächlich nur das letzte Mittel darstellt und nicht an Banken in noch solventen Mitgliedstaaten gewährt würde. Allerdings wäre dann eine Kofinanzierung durch den Mitgliedstaat nicht mehr möglich, weil dessen Solvenz bereits ausgereizt wäre. Daher müsste die Gewährung einer direkten Bankenrekapitalisierung mit gesamtwirtschaftlichen und finanzpolitischen Auflagen im Rahmen eines umfassenden Anpassungsprogramms für das Mitgliedsland verbunden werden. Weil ein Mitgliedstaat sich bereits an der Grenze der fiskalischen Tragfähigkeit befindet, kann nur so seine Solvenz für die Zukunft abgesichert werden.

7. Der Bundestag muss in jedem einzelnen Fall der direkten Bankenkapitalisierung zustimmen und kann insofern eine problematische Verwendung des Instruments, etwa für eine als ungerechtfertigt erachtete Übernahme von Altlasten, verhindern. Es wäre zu wünschen, dass der ESM selbst aus Reputationsgründen darauf achtet, die direkte Bankenrekapitalisierung nur als ultima ratio einzusetzen. Andernfalls würde er nicht als Kriseninstrument, sondern zur Finanzierung struktureller Maßnahmen im Bankensektor genutzt werden. Dies ist nicht seine Aufgabe.

8. In diesem Zusammenhang ist darauf zu achten, dass das maximale Volumen des Instruments der direkten Bankenrekapitalisierung die von den Mitgliedstaaten der Eurozone vereinbarten 60 Mrd € nicht überschreitet. Kritisch wäre es beispielsweise, wenn die finanzielle Hilfe in Ausnahmefällen über Garantien statt in Form eines Erwerbs von Aktien des in Schieflage geratenen Finanzinstituts geleistet werden könnte. Garantien haben gegenüber Kapitalmaßnahmen den entscheidenden Nachteil, dass sie in der Regel nicht mit der Übernahme von entsprechenden Kontrollfunktionen verbunden sind. Daher wären Garantien  auf das maximale Volumen des Instruments von 60 Mrd € anzurechnen.

9. In der langen Frist wiegen die Argumente gegen eine Anwendung des Instruments der direkten Rekapitalisierung von Banken weniger schwer. Denn in der Bankenunion und nach der Bereinigung von Altlasten in den Bankbilanzen wäre über die gemeinsame Aufsicht die Balance von Haftung und Kontrolle besser gewahrt. Entscheidend dafür ist aber, dass das Instrument der direkten Bankenrekapitalisierung mit Vorgaben für den Finanzsektor des betroffenen Mitgliedstaats verbunden wird und letzterer einen Eigenbeitrag leistet. Auch in der Bankenunion werden die Mitgliedstaaten über ihre nationale Wirtschafts- und Fiskalpolitik weiterhin einen Einfluss auf die Entwicklungen und die Stabilität in ihren Finanzsektoren haben. Daher sind nationale Eigenbeiträge und Auflagen wichtige Elemente, um Fehlanreize und die Verlagerung fiskalischer Risiken zu verhindern. 

III Begleitende regulatorische Maßnahmen 

10. Die Umsetzung der Bankenunion und die Einführung des Instruments der direkten Rekapitalisierung von Banken werden vielfach als zentrale Bausteine gesehen, Risiken von Banken und Staaten zukünftig besser zu trennen. Um wechselseitige Ansteckungseffekte zu mindern sind allerdings weitergehende Maßnahmen erforderlich. Insbesondere sollten die Anreize von Banken reduziert werden, Risiken gegenüber Staaten überhaupt erst aufzubauen. Ein wichtiger Beitrag hierzu wäre es, die regulatorische Bevorzugung von Forderungen gegen Staaten zu beenden, zumindest aber konsequent und substanziell zurückzudrängen. Mittel- bis langfristig wären daher Bevorzugungen von Staatsanleihen u.a. hinsichtlich ihrer Eigenkapitalunterlegung, ihrer Einbeziehung in das aufsichtliche Großkreditregime und hinsichtlich der Liquiditätsregulierung zurückzuführen.