Schriftliche Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestags am 2. März 2020 zu Anträgen zur Schuldenbremse sowie zu öffentlichen Investitionen

Solide Staatsfinanzen sind wichtig für die nachhaltige Entwicklung eines Landes. Sie sind auch elementar für eine stabile Währungsunion: Die Mitgliedstaaten sind damit finanzpolitisch handlungsfähig, und Druck auf das Eurosystem, fiskalische Probleme zu lösen, ist weniger wahrscheinlich.

Glaubwürdige und bindende Fiskalregeln auf der europäischen wie der nationalen Ebene sollen dazu beitragen, tragfähige Staatsfinanzen abzusichern. Zu den europäischen Regeln gehören der Referenzwert für die gesamtstaatlichen Schulden von 60 % des (nominalen) Bruttoinlandsprodukts (BIP) und das mittelfristige Haushaltsziel für den Gesamtstaat (das MTO). Mit dem MTO soll das strukturelle gesamtstaatliche Defizit begrenzt werden. Für Deutschland gilt derzeit ein Wert von maximal 0,5 % des BIP. Wird das mittelfristige Haushaltsziel eingehalten, sinken höhere Schuldenquoten in der Regel selbst bei vergleichsweise niedrigen Wachstumsraten des nominalen BIP relativ zügig. Die deutschen Fiskalregeln berücksichtigen die europäischen Vorgaben. Indem Deutschland soliden Staatsfinanzen einen hohen Stellenwert einräumt, wirkt es als Stabilitätsanker in der Währungsunion.

Die Schuldenbremse wurde im Jahr 2009 verabschiedet. Seit 2016 begrenzt sie die strukturelle Nettokreditaufnahme des Bundes im Normalfall auf 0,35 % des BIP. Die Länder dürfen sich seit 2020 nicht mehr strukturell neu verschulden.[1] Für die Kommunen gilt unverändert eine auf Tragfähigkeit ausgerichtete „goldene Regel“: Der laufende Haushalt (einschl. der Tilgungen fälliger Investitionskredite) ist ohne Kreditaufnahme auszugleichen; kreditfinanzierte Investitionen sind zulässig, soweit die finanzielle Leistungsfähigkeit gewährleistet ist. Defizite der Sozialversicherungen können nur vorübergehend auftreten, weil sie sich im Prinzip nicht verschulden dürfen. Auf mittlere Sicht sind die EU-Vorgaben so über das nationale Recht abgesichert. Drohen sie in einzelnen Jahren trotzdem verfehlt zu werden (etwa wenn Rücklagen in größerem Umfang aufgelöst werden, um eine Kreditaufnahme zu vermeiden), sollen Bund und Länder über den Stabilitätsrat Korrekturmaßnahmen abstimmen.[2] 

Deutschland wies im Gefolge der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 ein hohes strukturelles Defizit und eine hohe Schuldenquote auf. Beide wurden zügig zurückgeführt. Dies gelang deutlich schneller als zunächst erwartet. Die Schuldenquote sank nach ihrem Höchststand von 82½ % im Jahr 2010 schrittweise und liegt mittlerweile bei rund 60 % – verglichen mit deutlich über 80 % im Euroraum insgesamt. Ein fortgesetzter Abbau ist angelegt. Entscheidend erleichtert wurde die Konsolidierung durch sehr niedrige Zinsen, Entlastungen bei den arbeitslosigkeitsbedingten Aufwendungen und eine einnahmenergiebige Wirtschaftsdynamik; die Abgabenquote lag im letzten Jahr mit knapp 42 % wieder nahe den Höchstständen um die Jahrtausendwende.

Dass die guten Zeiten zur Konsolidierung genutzt wurden, dürfte auch der Schuldenbremse zu verdanken sein. Sie hat sich bisher als bindende Fiskalregel bewährt. Insbesondere aufgrund unerwartet positiver Entwicklungen wurde sie regelmäßig sogar mit deutlichem Abstand eingehalten.

Der Haushaltsausschuss behandelt unter anderem Anträge zu einer Reform der Schuldenbremse. Derzeit fällt der längerfristige Ausblick auf die Zinsen gedämpfter aus, und die Schuldenquote ist zügiger zurückgegangen als beim Beschluss der Schuldenbremse erwartet. Aus heutiger Sicht wird die Schuldenquote im weiteren Verlauf zunehmend unter 60 % sinken. Bei Schuldenquoten erheblich unter 60 % erlaubt der Fiskalpakt, den Defizitspielraum unter Umständen begrenzt zu vergrößern. Das MTO kann dann auf bis zu 1 % (statt bis zu ½ %) angehoben werden. Grundsätzlich gilt weiterhin, dass die Staatsfinanzen speziell in Deutschland demografiebedingt unter erheblichen Druck geraten werden, was mit einer moderaten Schuldenquote besser zu bewältigen ist. Es sollte nicht davon ausgegangen werden, dass die Zinsen so extrem niedrig bleiben wie derzeit und die Schulden künftig keine Belastung mehr darstellen werden. Die Schuldenquote ist auch gerade erst im Begriff, den Referenzwert zu unterschreiten. Die nationalen Regeln müssen in jedem Fall auch künftig verlässlich gewährleisten, dass die europäischen Vorgaben eingehalten werden.

Gegen die Schuldenbremse wird unter anderem eingewandt, sie lasse nicht ausreichend Raum, um Konjunkturzyklen über die staatlichen Budgets abzufedern. Eine entsprechende Flexibilität ist aber durchaus vorhanden. Die Schuldenbremse sieht explizit vor, dass die Haushalte von Bund und Ländern im Konjunkturzyklus atmen können. Dabei ist zu konzedieren, dass die Verfahren zur Konjunkturbereinigung mitunter die Schwankungen des Steueraufkommens nur unvollkommen einfangen und ihre Ergebnisse häufiger revidiert werden. Um hiermit umzugehen, kann beispielsweise ein Sicherheitsabstand zur Budgetgrenze eingeplant werden, der bei negativen Überraschungen vorübergehend abgeschmolzen wird. Alternativ erlaubt die Schuldenbremse, negative Ausschläge durch Einsatz von Rücklagenmitteln zu überbrücken. Empfehlenswert wäre diesbezüglich, entsprechende Rücklagen explizit für negative Überraschungen zu reservieren.[3] 

Zudem wird vorgeschlagen, die Schuldenbremse um eine goldene Regel zu ergänzen, das heißt, zusätzliche Neuverschuldung zuzulassen, mit der staatliche Investitionen finanziert werden. Unstrittig ist eine gute öffentliche Infrastruktur eine wichtige Grundlage für die Entwicklung einer Volkswirtschaft. Dabei führt ein niedrigeres Zinsniveau für sich genommen dazu, dass schuldenfinanzierte Investitionen zur Erweiterung des öffentlichen Kapitalstocks besser tragbar sind und mehr Investitionsprojekte gesamtwirtschaftlich rentabel sind. Für die Kreditfinanzierung staatlicher Nettoinvestitionen lässt sich auch anführen, dass der zusätzlichen Verschuldung ein höheres staatliches Sachvermögen gegenübersteht, das auch künftigen Generationen nutzen und die Wachstumsperspektiven verbessern kann. Des Weiteren ist die Gefahr, dass Investitionsausgaben in Konsolidierungsphasen als erste und übermäßig gekürzt werden, nicht von der Hand zu weisen. Allerdings sind goldene Regeln auch mit erheblichen Problemen verbunden. So handelt es sich bei den staatlichen Investitionsausgaben entwickelter Volkswirtschaften wohl zum überwiegenden Teil um Ersatzinvestitionen, die den Kapitalstock erhalten und nicht erhöhen. Hinsichtlich konkreter Erweiterungsinvestitionen ist häufig unsicher, inwieweit sie tatsächlich künftigen Generationen oder dem Wachstum zugutekommen. Dies hängt unter anderem von der bereits vorhandenen Infrastruktur ab. Hinzu kommt die Gefahr der Überinvestition und politischer Investitionszyklen, wenn eine politische Abwägung im Umgang mit knappen Steuermitteln nicht mehr erforderlich scheint. Darüber hinaus wird oft vernachlässigt, dass künftige Generationen an anderer Stelle belastet werden, insbesondere durch die demografische Entwicklung. Dies blenden goldene Regeln aus. Schließlich sind diese komplexer und eröffnen potenziell schwer einzudämmende Gestaltungs- und Umgehungsmöglichkeiten.[4] 

Die negative Erfahrung mit den vorherigen goldenen Regeln von Bund und Ländern mahnt jedenfalls zur Vorsicht. So gelang es nicht, die staatliche Nettosachvermögensquote zu stabilisieren, während die Staatsschuldenquote erheblich anstieg. Die Bedenken gegenüber goldenen Regeln haben letztlich dazu geführt, dass mit der Schuldenbremse und den europäischen Regeln ein anderer Weg gewählt wurde. Goldene Regeln sind in der Ausgestaltung anspruchsvoll, wenn ihren bekannten Schwächen möglichst weitgehend begegnet werden soll.[5] Hierzu gehört ein klar abgegrenzter Investitionsbegriff. Die um Abschreibungen korrigierten staatlichen Sachinvestitionen wären diesbezüglich relativ stringent. Um Abschreibungen muss korrigiert werden, damit Ersatzinvestitionen, die lediglich den Kapitalstock erhalten, nicht durch neue Schulden, sondern aus laufenden Einnahmen finanziert werden. Dies bedeutet, dass negative Nettoinvestitionen (die Abschreibungen übersteigen die Investitionsausgaben) dann entsprechende Tilgungen erforderlich machen. Es wäre außerdem wichtig, den potenziellen Umfang der zusätzlichen Neuverschuldung für Investitionen zu begrenzen: Eine diesbezügliche Obergrenze sollte unter anderem gewährleisten, dass die Schuldenquote moderat bleibt und den EU-Regeln weiterhin Rechnung getragen wird.

Im Kontext der grundsätzlichen Diskussion über eine goldene Regel wird mitunter der Eindruck erweckt, die deutsche Infrastruktur sei in sehr schlechtem Zustand und dem werde nicht entgegengesteuert. Trotz des Verbesserungsbedarfs an wichtigen Stellen und neuer Herausforderungen ist dies überzogen. Insbesondere ist die häufig im Fokus stehende Höhe der staatlichen Investitionsausgaben als Maßstab unzureichend. Auch diesbezügliche internationale Vergleiche der Ausgaben sind mit Vorsicht zu betrachten: Beispielsweise unterscheidet sich wegen unterschiedlicher institutioneller Ausgestaltungen zwischen den Ländern, ob Einrichtungen dem Staats- oder Unternehmenssektor zugeordnet werden. So fallen die staatlichen Investitionsausgaben in Deutschland auch deshalb niedrig aus, weil etwa die Krankenhäuser, das Schienennetz und staatlich geförderte Wohnungen nicht zum Staatssektor gezählt werden. Internationale Erhebungen des Weltwirtschaftsforums oder der Weltbank weisen ferner darauf hin, dass die staatliche Infrastruktur weiterhin als Vorteil des Standorts Deutschland gilt: So erreichte Deutschlands Infrastruktur in der jüngsten Rangliste des Weltwirtschaftsforums unter 141 Staaten Rang acht[6] und beim Logistics Performance Index der Weltbank sogar den Spitzenplatz[7]. Dabei ist zu konzedieren, dass sich die Bewertungen in den letzten Jahren teilweise verschlechtern, etwa bei der Straßenqualität (zuletzt nur noch Rang 22 beim Weltwirtschaftsforum).[8] In manchen Bereichen der Infrastruktur besteht sicher gezielter Handlungsbedarf. Herausforderungen gibt es beispielsweise im Zusammenhang mit dem Klimawandel (etwa beim Schienennetz), bei der Bildung und Kinderbetreuung sowie hinsichtlich der Digitalisierung (etwa bei der Verfügbarkeit von Mobilfunknetzen und schnellem Internet). Aufgabe des Staates in den genannten Bereichen sind vielfach aber nicht eigene Investitionen, sondern das Setzen geeigneter Rahmenbedingungen für zusätzliche Investitionen der Privatwirtschaft, möglicherweise ergänzt um punktuelle Investitionszuschüsse.

Die Schuldenbremse für zu geringe Investitionen in Deutschland verantwortlich zu machen, scheint nicht gerechtfertigt. Es standen insgesamt gesehen im relevanten Zeitraum vielmehr umfangreiche Finanzmittel zur Verfügung: Bund, Länder und Gemeinden verzeichnen seit einigen Jahren Überschüsse, die teilweise sogar sehr hoch sind. Zudem stiegen die staatlichen Investitionen in Relation zum BIP seit mehreren Jahren, und die Quote lag zuletzt mit 2,5 % um einen halben Prozentpunkt über dem Tiefstand von 2005.[9] Die Nettoinvestitionen sind mittlerweile wieder positiv (2019: + 6 Mrd ), und eine weitere Ausweitung ist angelegt. Angesichts der Finanzspielräume wurden andere staatliche Ausgaben ebenfalls deutlich ausgeweitet (etwa im Bereich der Sozialleistungen). Hier erkannte der Gesetzgeber offenbar nicht-investiven Ausgaben eine noch höhere Priorität zu. Abgesehen davon entfällt ein Großteil der staatlichen Investitionen auf die kommunale Ebene, die der Schuldenbremse nicht unterliegt. Ihre Investitionstätigkeit ist bereits seit den 1970er Jahren zurückgegangen. Dies hing unter anderem damit zusammen, dass die Kommunen Aufgaben im Bereich der Daseinsvorsorge aus ihren Haushalten auslagerten. Angespannte Haushalte dürften zwar ebenfalls eine gewisse Rolle gespielt haben. Es wurden und werden aber einige Anstrengungen unternommen, die Investitionskraft finanzschwacher Kommunen zu verbessern. Schließlich ist zu beobachten, dass die für Investitionen gesamtstaatlich bereitgestellten Haushaltsmittel vielerorts nur unvollständig abfließen oder – wie etwa beim Kommunalinvestitionsförderungsfonds – erst mit jahrelanger Verzögerung. Alles in allem entsteht das Bild, dass trotz verfügbarer Finanzmittel identifizierte Investitionsbedarfe teilweise nur langsam angegangen werden. In der aktuellen Lage spielt dabei sicherlich eine Rolle, dass die Baukapazitäten stark ausgelastet sind und die Baupreise kräftig steigen. Darüber hinaus werden als Gründe vielfach komplexe und langwierige Verwaltungsverfahren mit anschließenden gerichtlichen Überprüfungen von der Planung bis zur Baureife genannt. Insgesamt ist daher in diesem aktuellen Zusammenhang nicht eine Reform der Schuldenbremse dringlich. Es ist vielmehr entscheidend, Investitionsbedarfe vorausschauend und systematisch zu ermitteln, um diese dann mit ausreichenden Verwaltungskapazitäten und effizienten Verfahren möglichst effektiv angehen zu können. Hier geht es auch um eine gute Koordination zwischen den staatlichen Ebenen. Dabei kommt nicht zuletzt den Ländern im Hinblick auf die regionale und kommunale Investitionstätigkeit eine wesentliche Rolle zu.

Fußnoten:

  1. Vgl. zur Schuldenbremse und zu Unterschieden zwischen dem strukturellen Defizit der europäischen Regeln und der strukturellen Nettokreditaufnahme: Deutsche Bundesbank, Die Schuldenbremse in Deutschland – Wesentliche Inhalte und deren Umsetzung, Monatsbericht, Oktober 2011, S. 15-40; sowie Deutsche Bundesbank, Wichtige Haushaltskennzahlen des Bundes im Zusammenhang mit der Schuldenbremse, Monatsbericht, Februar 2016, S. 68 f.
  2. Vgl. ausführlicher: Deutsche Bundesbank, Exkurs: Zur Nutzung von Rücklagen und Extrahaushalten bei Bund und Ländern, Monatsbericht, August 2018, S. 70 – 74, insb. S. 74.
  3. Vgl. genauer: Deutsche Bundesbank (2018), a. a. O., sowie mit Blick auf die EU-Regeln: Deutsche Bundesbank, Europäischer Stabilitäts- und Wachstumspakt: zu einzelnen Reformoptionen, Monatsbericht, April 2019, S. 79 – 93, insb. S. 84 f. Bei den EU-Regeln besteht eine gewisse Flexibilität im Umgang mit unerwartet ungünstigen Entwicklungen. So ist ein Überschreiten des Mittelfristziels im Allgemeinen nur schrittweise zu korrigieren.
  4. Vgl. zu Vorteilen und Nachteilen ausführlicher: Deutsche Bundesbank (2019), a. a. O., S. 85 f.
  5. Vgl. zu Anforderungen und Ausgestaltungselementen: Deutsche Bundesbank (2019), a. a. O., S. 87-89.
  6. Vgl.: World Economic Forum (2019), The Global Competitiveness Report 2019, S. 239.
  7. Vgl. J.-F. Arvis et al. (2018), Connecting to Compete 2018, S. 48.
  8. Das KfW-Kommunalpanel scheint weniger geeignet, den kommunalen Investitionsbedarf abzubilden. Vgl. hierzu auch: Christofzik, D.I., L.P. Feld und M. Yeter (2019), Öffentliche Investitionen: Wie viel ist zu wenig?, Schweizer Monat – Die Autorenzeitschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur 1064 (März).
  9. Die Schuldenbremse wurde 2009 beschlossen. Für den Bund bindet die Grenze seit 2011 bei einer Übergangsphase bis 2016, für die Länder seit Beginn dieses Jahres.