Risiko- und Chancenmanagement in einer digitalen Finanzwelt Rede auf der Fachtagung Risikocontrolling und -management des DSGV

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Einleitung

Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Lange galt Schach als die letzte Bastion der menschlichen Überlegenheit über den Computer. Kaum verwunderlich, dass die Niederlage von Garri Kasparow – einer der besten Schachspieler aller Zeiten – gegen den Schachcomputer „Deep Blue“ im Jahre 1997 sowohl für Erstaunen als auch ein wenig Entsetzen sorgte. Doch der Fortschritt hat an dieser Stelle nicht haltgemacht. War damals noch ein Supercomputer für eine solche Leistung notwendig, geht dies heute mit einem Smartphone: Jeder hier im Raum würde den amtierenden Schachweltmeister mit Hilfe einer Schach-App besiegen. 

Trotz dieser Niederlage hat sich die Schach-Community aber nicht entmutigen und stattdessen inspirieren lassen: das systematische Training mit auf neuronalen Netzen basierenden Schachprogrammen gehört heute zur Normalität professioneller Schachspieler aber auch ambitionierter Amateure. Diese helfen ihnen ein fehlerfreieres und vor allem strategisch besseres Spiel zu entwickeln. Daneben haben Schachspieler die Chancen der Digitalisierung genutzt, um das Spiel noch populärer zu machen: so findet der überwiegende Teil der Partien mittlerweile online statt. 

Was wir hieran sehen können, sind zwei Dinge: Zum einen hat der digitale Wandel, der zunächst wie eine fundamentale Niederlage für das Schachspiel aussah, zu einem Anpassungsprozess geführt, der die Qualität des Spiels erhöht hat. Zum anderen wurden die Möglichkeiten der technologischen Innovation eingesetzt um die Popularität des Spiels zu steigern. Man könnte also sagen: „Chance genutzt!“

Der digitale Fortschritt betrifft natürlich nicht nur Schachspieler, sondern auch die Finanzwelt. Bewusst Risiken einzugehen wird stets Teil – aber auch Raison d'Être – des Bankgeschäfts sein, sodass Risikomanagement heute essentiell ist und auch zukünftig nicht an Bedeutung verlieren wird. Vor diesem Hintergrund ist das Risikomanagement – und damit wir alle – mit dem digitalen Fortschritt in der Finanzwelt konfrontiert und in Zugzwang geraten, sich entsprechend anzupassen. Also müssen wir uns irgendwann auch fragen: „Chance genutzt?“

Als Förderer des digitalen Wandels in der Bundesbank liegt es mir am Herzen, einen offenen Blick für Innovation zu haben, und die sich daraus ergebenden Chancen zu erkennen. Als Vorstand des Risikocontrollings der Bundesbank ist es mir gleichzeitig wichtig, mit analytischem Blick beide Seiten der Medaille zu betrachten und damit ebenso die Risiken des digitalen Wandels zu sehen. 

2 Risiken des digitalen Wandels

I. IT-Security Risiken

Lassen Sie mich mit einem der substanziellsten Risiken starten, das sich durch den digitalen Wandel ergibt: Das IT-Security Risiko. Von Big Data über Cloud-Computing bis hin zum Quantencomputer gilt: Der digitale Wandel benötigt Hardware und Software. Beides ist notwendig um die Möglichkeit zu haben, zukünftige Chancen zu ergreifen. Allerdings ergeben sich daraus auch Risiken.

So stellte jüngst das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) in seinem jährlichen Lagebericht fest, dass die Gefährdungslage im Cyber-Raum so hoch ist wie noch nie. So werden täglich durchschnittlich 70 neue Schwachstellen in Softwareprodukten entdeckt, die potentiell durch verschiedene Schadprogramme ausgenutzt werden können. Auch hält das BSI fest, dass der Faktor „Mensch“ immer bedeutsamer für Cyberangriffe wird. Bei Social Engineering wird darauf abgezielt, Menschen in E-Mails und SMS zu täuschen, um an vertrauliche Informationen zu gelangen. Durch Künstliche Intelligenz (KI) besteht das Potential, dass diese Angriffe noch ausgefeilter werden könnten, da der Algorithmus sich an jedes Opfer individuell anpassen kann. 

Die Hauptbedrohung stellen aber noch immer Ransomware-Attacken dar. Hier verschaffen sich die Angreifer über veraltete Software oder falsche Bedienung Zugriff auf die Systeme, um diese lahmzulegen, zu verschlüsseln und nur gegen Lösegeld freizugeben. Wie vor zwei Wochen bei der größten Bank der Volksrepublik China, der ICBC, ersichtlich, können auch einzelne Kreditinstitute von diesen Angriffen betroffen sein. Durch die Vernetzung unseres Finanzsystems entstehen allerdings auch Wechselwirkungen, die uns alle betreffen können.

Daher gilt: Wenngleich wir alle natürlich ein ausgeprägtes Interesse daran haben, in unseren eigenen Instituten Datenlecks zu vermeiden – für eine hinreichende Resilienz des Einzelnen ist eine Zusammenarbeit des gesamten Finanzmarktes nötig. Nur so können wir eine zukunftssichere digitale Finanzwelt aufbauen, die das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger genießt. 

Ein Pfeiler ist hierbei der Digital Operational Resilience Act (DORA), mit welchem eine harmonisierte Grundlage für die Stärkung des europäischen Finanzmarkts gegenüber Cyberrisiken geschaffen wird. Dabei wird der Fokus auf die Aufrechterhaltung der Betriebsstabilität gelegt, die im Falle von Störungen und Angriffen gefährdet ist. Auch wenn DORA erst Anfang 2025 Anwendung findet, ist es sehr sinnvoll, schon jetzt die nötigen Investitionen zu tätigen, um die IT-Infrastruktur zu stärken. 

II. KI als Risikofaktor

Denn en passant könnte ein Wettbewerbsvorteil erzielt und somit eine Chance ergriffen werden: Eine performante und flexible, aber dennoch sichere IT-Infrastruktur wird auch die Grundlage für die zukünftigen Methoden und Modelle im Risikomanagement darstellen. Spätestens seit der breiten Anwendung von großen Sprachmodellen – wie ChatGPT – ist KI nun in aller Munde. Selbstverständlich sehen auch wir einen großen Mehrwert in der Nutzung der zugrundeliegenden Modelle – wie ich später noch ausführen werde.

Allerdings fehlt mir in dieser Diskussion häufig der Blick auf die dadurch entstehenden Risiken. Damit meine ich nicht die Ausführungen über die Möglichkeit eines angeblichen Endes der Menschheit durch die KI – das sogenannte X‑Risiko. Sondern eher die tatsächlich praktischen Risiken: Wir dürfen nicht vergessen, dass das, was wir als KI bezeichnen, stets modellbasiert ist. Und wenn wir dem großen britischen Statistiker George Box Glauben schenken wollen, dann gilt: Im Prinzip sind alle Modelle falsch, aber manche sind nützlich

Was möchte ich Ihnen damit sagen? Modelle sind stets nur eine Abstraktion der Realität und benötigen Annahmen, um sinnvolle Ergebnisse zu liefern. Das gängige Beispiel ist der Stadtplan als Modell einer Stadt. Je nach Grad der Detaillierung wird er Ihnen sicherlich nützlich sein, um von A nach B zu kommen und um abzuschätzen, wie lang die Strecke ist. Allerdings wird er nicht beantworten können, ob in der Charlottenstraße (in der die Veranstaltung stattfindet) ein Schlagloch ist. 

Es wird also das richtige Modell für die konkrete Fragestellung benötigt. Nun kann man beim Stadtplan recht gut nachvollziehen, wie er erstellt wird und somit auch nachvollziehen, welche Fragen er beantworten kann. Bei Modellen des maschinellen Lernens sieht die Realität häufig anders aus. So ist in die berühmte „Black Box“ noch immer recht wenig Licht eingedrungen. Die Methoden der „Explainable AI“ bieten dafür eine Chance, müssen aber noch ausgereifter werden. Blindes Vertrauen in die Methoden der KI bei gleichzeitig wenig Verständnis für die Modelle ist daher eine schlechte Grundlage, um passende Modelle zu konstruieren. 

Die zweite wichtige Erkenntnis aus dem Zitat von George Box ist: Modelle sind immer falsch, da die verfügbaren Daten niemals die Realität in Gänze abbilden können. Finanzmärkte sind keine deterministischen Systeme und vergangene Daten nicht unbedingt eine verlässliche Grundlage für Prognosen. Black‑Swan Events werden auch durch die KI nicht vorauszusehen sein. Der Mensch wird mit diesen „Unknown Unknowns“ im Risikomanagement weiterhin umgehen müssen. Und hier haben wir auch einen großen Vorteil: Die wichtigste Fähigkeit, die der Mensch im Zuge der Evolution erlernt hat: seine Anpassungsfähigkeit. 

Menschen haben gegenüber dem Computer den großen Vorteil, dass sie wenige Informationen benötigen, um sich in einer neuen Situation zurechtzufinden. Dabei sind wir auch extrem datensparsam. So kommt ein 18‑Jähriger in seinem ganzen bisherigen Leben mit 5-8 Gigabyte Daten in Kontakt. Damit erlernt er Sprachen und macht Erfahrungen, die ihn prägen und zu einem wertvollen Mitglied der Gesellschaft heranwachsen lassen. Zum Vergleich: ChatGPT hat für das Training über 500 Gigabyte benötigt!

III. Anpassungsdruck und Kulturwandel als Risikofaktor

Training ist auch das Stichwort, wenn es darum geht, wie wir den Kulturwandel im Risikomanagement verankern wollen. Denn dass dieser nötig ist, wird uns jeden Tag vor Augen geführt.

Es ist nicht damit getan, Geld für neue Server auszugeben oder neue Software zu kaufen. Wir können nicht einfach KI aus dem Internet herunterladen oder einfach per Mausklick installieren und dann zum „Business as usual“ übergehen.

Dies bedeutet, dass Fachbereiche nicht mit dieser Erwartung an ihre IT herangehen können. Nach dem Motto: „Liebe IT, digitaler Wandel wird fällig. Könnt ihr mir bitte vor dem Mittagessen mal eben KI installieren?“ Die IT kann den Wandel nicht sinnvoll unterstützen, wenn 1-Klick Installationen die einzige Form von Software-Service darstellen. Beispielsweise sind KI-Lösungen oft für spezielle Anwendungsfälle individualisierte Programme. Ihr Handling und Management unterscheidet sich darüber hinaus deutlich von üblicher Standard-Software und erfordert Herangehensweisen, die vorher nicht notwendig waren. Hier ist oft ein geteiltes Management erforderlich, wo der infrastrukturelle Teil bei der IT liegt, aber das fachlich/methodische Management in der Fachabteilung liegen muss. Dies bedeutet, dass IT-Abteilungen umdenken müssen, aber auch Fachabteilungen. Letztere sind nun gegebenenfalls mit Tätigkeiten konfrontiert, die sie vorher nicht abbilden mussten. Auf Seite der Fachabteilungen ist also die Offenheit notwendig, technischer zu werden, und diese Art der Verantwortung mitzutragen. Das mag für technikaffine Abteilungen ein kleinerer Schritt sein, aber für wenig technikaffine eine durchaus ernstzunehmende Hürde.

Der digitale Wandel erfordert eine Verflechtung der Technologien in bestehende Prozesse. Soll zukünftig ein Teil einer Prozesskette automatisiert werden, dann bedeutet dies auch oft eine Anpassung der Prozesskette insgesamt. Soll eine Maschine Arbeiten vom Menschen übernehmen, dann schwebt immer die Frage im Raum, ob die Maschine gut genug ist oder ob sie einen Mehrwert schafft. Aber um diese Frage zu beantworten müssen wir erst verstehen wie gut der Prozess aktuell vom Menschen erledigt wird. Dies bedeutet Fehlerquoten zu bestimmen und im Allgemeinen die Qualität – insbesondere des menschlichen Prozesses – messbar zu machen. Dabei kann die eine oder andere Überraschung zu Tage treten. Vor allem hält diese Betrachtung den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den Spiegel vor, die dann leicht zu Ablehnung führen kann. Dann können schnell Sätze fallen wie z. B. „Wir machen keine Fehler. Wir machen unsere Arbeit schließlich gut.“ Oder z. B. „Wir machen diese Arbeit schon seit 20 Jahren. Wir wissen was wir tun.“

Wir sollten diese Sätze und die damit verbundenen Sorgen und Ängste nicht abtun. Um den Bogen zu den Schachspielern zu schlagen: Was erst wie eine Niederlage aussieht – die Sorge danach steckt vermutlich hinter solchen Sätzen – kann zu einem Gewinn werden: Der Prozess bestehend aus Mensch und Maschine kann effizienter und insgesamt qualitativ besser werden. Aber wenn Teams im Skeptizismus stecken bleiben schlägt die notwendige Anpassung fehl, die eine zunehmend digitale Finanzwelt einfordert. Damit wir aber überhaupt in der Lage sind diese Perspektive der Chance zu sehen, benötigen wir eine angemessene Kultur, in der Fehlerquoten nicht tabu sind, sondern als Gelegenheit zu Wachsen wahrgenommen werden. 

Essentiell ist dabei, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf diesen Wandel vorzubereiten. Das Potential der Technologien kann nur dann ausschöpft werden, wenn sie erst durch Erlernen neuer Skillsets dazu befähigt werden: „Readyness“ – vorbereitet sein - ist das Stichwort an dieser Stelle. Diese Art der Transformation gab es schon in der Vergangenheit. Ich selbst kann mich noch an die Zeiten erinnern, als Kenntnisse von Word oder Powerpoint eher selten waren. Ist rückwirkend betrachtet die „Sprunghöhe“ dieser damals neuen Skillsets eher niedrig, so ist sie bei der heute erforderlichen Anpassung oft deutlich höher. So können nun zum Beispiel für bestimmte Tätigkeiten plötzlich Programmierkenntnisse erforderlich sein. Tätigkeiten und Rollen sind also einem stetigen Wandel ausgesetzt. 

Dies erfordert besonderen Einsatz von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und eine Kultur besonderer Lernbereitschaft. Von Führungskräften erfordert dies eine besonders aktive und transparente Kommunikation sowie eine Richtungsvorgabe. Hier besteht außerdem die Herausforderung, dass nicht jeder alles lernen kann oder will, der Wandel eine Anpassung aber unumgänglich macht. Es ist eine Herausforderung, diese Art der Lernbereitschaft von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einzufordern, dabei dennoch stets alle im Blick zu halten und keine zwei-Klassen Gesellschaft zu etablieren, damit es nicht die einen gibt, die mitkommen und die anderen, die abgehängt werden.

3 Chancen des digitalen Wandels

I. Anpassungsdruck und Kulturwandel als Chance

Nun lassen Sie uns aber über die Chancen in der digitalen Finanzwelt sprechen. Haben wir bisher aus dem Anpassungsdruck einen kulturellen Wandel abgeleitet, der Risiken birgt, so kann dieser kulturelle Wandel aber auch eine Chance sein. Denken wir noch einmal an die Schachspieler, welche die neuen Technologien genutzt, sich angepasst und verbessert haben. Sie bieten die Möglichkeit eines Umbauprozesses, in welchem Impulse für die Modernisierung einer Institution gesetzt werden können. 

In der Bundesbank haben wir beispielsweise eine neue Einheit gegründet, die sich dezidiert mit den strategischen Fragen rund um diesen Umbau beschäftigt und diesen gestaltet. Aus dieser Einheit ist nun der Zentralbereich Strategie und Innovation hervorgegangen. In den letzten Jahren ist es uns damit gelungen, wertvolle Veränderungsprozesse zu starten und zu gestalten, die sowohl aus strategischen Entscheidungen und Ansätzen bestehen, welche die Bank als Ganzes betreffen (z. B. Digitalstrategie, der Weg in die Cloud), als auch gezielten Maßnahmen zur Förderung des Wandels aus den Fachbereichen heraus. 

Zu diesen Maßnahmen zählt zum Beispiel die Gründung von Querschnittseinheiten, welche Services für die Fachbereiche rund um den digitalen Wandel anbieten. Ich möchte zwei Beispiele an dieser Stelle nennen: Zum einen ist ein Service rund um die Technologie RPA (Robotics-Process Automation) entstanden, welche – unter Anwendung dieser Technologie – den Fachbereichen bei Automatisierungsfragen helfen soll. Zum anderen haben wir eine Gruppe gegründet, welche den Fachbereichen bei der Nutzung von KI-Lösungen helfen soll. Beide Gruppen sollen insbesondere eine Hilfe für technisch weniger versierte Fachbereiche sein. Für solche Fachbereiche ist – wie wir bereits erörtert haben – der digitale Wandel in besonderem Maße eine Herausforderung. Auf diese Weise möchten wir dabei helfen, die Chancen des Wandels in greifbare Entfernung zu holen und die Risiken des Wandels abzumildern.

II. KI als Chance

Obwohl das Thema künstliche Intelligenz nun schon ein gewisses Alter erreicht hat, ist es immer noch in aller Munde. Hat man gerade den Eindruck, dass die Aufmerksamkeit in KI abebbt, gibt es die nächste Innovation. Das Feld KI ist heute nicht das Gleiche wie damals, als „Deep Blue“ gegen Kasparow gewann. Beispiele gibt es viele: Computer Vision hat das Fahren verändert, trägt zu teils dramatischen Effizienzgewinnen bei Algorithmen bei, hat Quantensprünge im Feld Robotics ermöglicht. NLPNatural Language Processing – hat sich dank Machine Learning, aber vor allem Deep Learning Methoden dramatisch verändert. Heute sind Anwendungen möglich, die vor 20 Jahren undenkbar gewesen wären. Reinforcement Learning hat große Sprünge gemacht und ermöglicht Maschinen eine dynamische, intelligente Interaktion mit ihrer Umwelt.

Sie mögen nun Fragen: „Was hat das mit uns zu tun?“ Nun, viele dieser Technologien diffundieren unaufhaltsam in die digitale Finanzwelt. Sprachmodelle sind ein gutes Beispiel, welche dank ChatGPT keine Einleitung mehr benötigen. Neuere Innovationen in diesem Umfeld entstanden aus einer Fusion von Deep Learning Techniken der NLP mit Reinforcement Learning und erlauben eine deutlich effizientere Erstellung von z. B. Emails oder Dokumenten. Aber auch Programmierer können hiervon profitieren, in dem sie den mechanistischeren Teil von Programmierarbeit von der KI erledigen lassen können. Diese Beispiele folgen der Beobachtung, dass es oft deutlich weniger Zeit kostet, einen nicht fehlerfreien aber sinnvoll erstellten Aufschlag zu korrigieren und zu ergänzen, als das Ganze von Anfang bis Ende selbst zu machen.

Lassen Sie uns unseren Blick nun etwas konkreter auf den Bereich Risikomanagement richten. Die Verwendung von Modellen an der Schnittstelle zwischen Statistik und Machine Learning zur Quantifizierung von Kredit- und/oder Marktrisiken ist hier schon lange etabliert. Vor mehr als einer Dekade kamen dann Kontrahentenrisiken mit in die Betrachtung. Letztere eröffnen ein weites Feld an Anwendungsmöglichkeiten für digitale Technologien. Beispiele hierfür finden sich auch im Risikocontrolling der Bundesbank. Dort werden für die Überwachung von Kontrahenten bereits KI-Modelle zur Vorhersage von finanziellem Stress verwendet. Um auf möglichst breiter Basis aktuelle Informationen mit in die eigene Bewertung einfließen lassen zu können, findet darüber hinaus eine maschinell gestützte Beobachtung von Nachrichten statt. Hier wird KI eingesetzt sowohl für die Bewertung als auch das Filtern von Nachrichten. 

Aber nicht nur KI wird eingesetzt, sondern auch Webscraping. Diese Technologie dient hier in erster Linie der Datenbeschaffung von Nachrichten über Klimadaten bis hin zu Meta-Daten für das sogenannte Record-Linkage. In diesen Beispielen wird die Maschine stets als Unterstützung für den Menschen eingesetzt. Die Maschine ersetzt den Menschen hier nicht, sondern dient insbesondere der Effizienzsteigerung, so dass auch ein kleines Team mit limitierten Ressourcen zu einer Überwachung aller interessanten Kontrahenten in der Lage ist. Die Nachrichtenanalyse ist darüber hinaus ein Beispiel, bei dem sich Mensch und Maschine passend ergänzen. Haben sowohl Mensch als auch Maschine ihre Schwächen, konnte man sie hier so kombinieren, dass die Maschine die Schwächen des Menschen und die Menschen die Schwächen der Maschine ausgleichen.

III. Daten als Chance

Meine Damen und Herren, 

der Economist hat 2017 festgestellt: Die wertvollste Ressource der Welt ist nicht mehr Öl, sondern Daten. Auch diese können wir als Chance sehen. Denn anders als das Öl bieten uns Daten die Möglichkeit, nachhaltiger zu wirtschaften. Die Grundlagen der Volkswirtschaftslehre zeigen auf, dass man für die Beseitigung von negativen Externalitäten Informationen benötigt. Externalitäten, wie die negativen Auswirkungen von Treibhausgasemissionen auf die Umwelt und die Gesellschaft, sind oft schwer zu quantifizieren und zu internalisieren. Dies führt dazu, dass diejenigen, die die Umweltbelastung verursachen, nicht die vollen Kosten tragen, die sie für die Gesellschaft verursachen.

Konkret bedeutet das, dass für die effektive Bepreisung von CO2-Emissionen Daten über den tatsächlichen Verbrauch in allen Lieferketten verfügbar sein müssen. Die Daten ermöglichen es uns, Umweltauswirkungen zu quantifizieren, Verantwortlichkeit zu schaffen und mögliche Finanzierungen zu bewerten. 

Allerdings stehen wir hier noch vor Herausforderungen, wie ich Ihnen an einem konkreten Beispiel deutlich machen möchte. Wir selbst merken in unserer Nachhaltigkeitsberichterstattung, dass bestimmte Daten schlichtweg noch nicht hinreichend genau und flächendeckend vorhanden sind. Für unser nicht-geldpolitisches Portfolio, das aus Covered-Bonds besteht, können beispielsweise bisher nur die Treibhausgas-Emissionen der Banken berücksichtigt werden – nicht aber diejenigen der Investitionen. Zur Transparenz und Offenheit gehört daher dazu: Bei einer verbesserten Datenlage, die auch die finanzierten Treibhausgasemissionen angemessen berücksichtigt, werden die Klimakennzahlen für unser nicht-geldpolitisches Portfolio erheblich steigen. Dies unterstreicht die Relevanz einer umfassenden Datenbasis für ein effektives Risikomanagement.

4 Fazit

Meine Damen und Herren,

Sie sehen, aus einer sich weiter digitalisierenden Finanzwelt entstehen mindestens so viele Chancen wie Risiken. Wichtig ist dabei beides im Blick zu haben. Der digitale Wandel bietet dabei eine weitere Möglichkeit, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und diesen frei nach Kant „als Mittel und nicht als Zweck“ zu betrachten. 

Denn es gibt Dinge, die nicht durch den digitalen Wandel ersetzt werden können. So haben wir – beschleunigt durch die Corona-Pandemie – die Mittel, auch sehr gut digital miteinander zu kommunizieren. Trotzdem werden Sie mir zustimmen, dass die zwischenmenschliche Interaktion, dass der persönliche Austausch und dass vielleicht auch eine Rede im Rahmen dieser Tagung nicht wirklich durch ein digitales Format ersetzt werden können.

Meine Damen und Herren, ich möchte mich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken und die Rede mit einem Zitat aus dem Buch „Deep Thinking“ des anfangs angesprochenen Schachweltmeisters – und vehementen Kritikers Putins und des russischen Regimes – Garri Kasparow beenden:

Technologie kann uns menschlicher machen, indem sie uns die Freiheit gibt, kreativer zu sein. Doch Menschsein umfasst mehr als nur Kreativität. Wir haben noch andere Eigenschaften, die den Maschinen abgehen. Sie haben ihre Instruktionen, doch wir haben einen Daseinszweck. Maschinen können nicht träumen. Wir Menschen können das, und wir werden unsere intelligenten Maschinen benötigen, um unsere großartigsten Träume in Realität umzusetzen. Wenn wir aufhören, große Träume zu träumen, wenn wir aufhören, eine höhere Bestimmung zu suchen, dann wären wir selber Maschinen.