Skyline Frankfurt am Main ©Walter Vorjohann

Europäische Bankenunion - ein Großprojekt

In der Finanz- und Wirtschaftskrise mussten zahlreiche europäische Länder Teile ihrer heimischen Banken mit erheblichen Summen stützen. Diese Erfahrungen haben ein großes Projekt ins Rollen gebracht: die europäische Bankenunion. Richtig gestaltet kann sie den Gefahren für die Finanzstabilität, die von Schieflagen in nationalen Finanzsystemen ausgehen, entgegenwirken.

Das Projekt Bankenunion umfasst mehrere Komponenten: Erstens einen einheitlichen Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism, SSM) für Banken der 18 Euro-Länder unter dem Dach der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main. EU-Länder, die den Euro noch nicht eingeführt haben, können ebenfalls am SSM teilnehmen. Diese zentrale Bankenaufsicht soll eine Voraussetzung dafür sein, dass angeschlagene Banken direkte Finanzhilfen aus dem Euro-Rettungsfonds (ESM) bekommen können. Bislang ist es den Staaten vorbehalten, Hilfen vom ESM zu beantragen und damit ihren nationalen Bankensektor zu stützen. Zweitens einen europäischen Restrukturierungs- und Abwicklungsmechanismus (Single Resolution Mechanism, SRM), der die Sanierung und Abwicklung systemrelevanter Banken ermöglichen soll. Auch eine dritte Komponente, ein gemeinsames Sicherungssystem für Bankeinlagen, wird als Teil der Bankenunion betrachtet. Bei diesem letzten Schritt ist jedoch noch Vieles in der Diskussion.

Der einheitliche Aufsichtsmechanismus (SSM)

Die Bankenaufsicht hat die Aufgabe, die Geschäftstätigkeit von Kreditinstituten zu überwachen, Missständen im Bankenwesen entgegenzuwirken und das Vertrauen der Anleger zu stärken. Die Erfüllung dieser Aufgaben ist grundlegende Voraussetzung für ein stabiles Finanzsystem. Zurzeit ist die Bankenaufsicht in Europa die Aufgabe nationaler Institutionen. In Deutschland sind die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und die Deutschen Bundesbank zuständig. In den meisten anderen Ländern liegt die Aufsicht allein bei den jeweiligen nationalen Notenbanken.

In der Finanzkrise haben sich große Probleme aus der engen Verflechtung von Staaten und Banken ergeben: In Schwierigkeiten geratene Banken wurden mit öffentlichen Mitteln gestützt und belasteten damit die Staatshaushalte. Diese Belastungen wirkten wiederum über verschiedene Kanäle auf die Kreditinstitute, z. B. weil Banken in großem Umfang vor allem Staatspapiere ihrer Heimatländer hielten und teils immer noch halten. Probleme im Bankensektor ziehen Probleme im Staatshaushalt nach sich – und umgekehrt. Mit Hilfe einer gemeinsamen zentralen Bankenaufsicht soll zukünftig die enge Verflechtung zwischen den nationalen Staaten und ihren Banken durchbrochen werden. Zudem kann eine europäische Bankenaufsicht auf eine umfassendere Informationsgrundlage zurückgreifen als die nationalen Aufsichtsbehörden. Es besteht daher die Hoffnung, dass durch die neue länderübergreifende Transparenz Risiken, die das Bankensystem bedrohen, oder von ihm ausgehen, frühzeitiger und besser erkannt werden können. Schließlich sorgt eine gemeinsame Aufsicht dafür, dass überall die gleichen hohen Aufsichtsstandards angewandt werden. Die Finanzkrise wurde nicht zuletzt auch dadurch begünstigt, dass einzelne Länder ihre Banken unterschiedlich streng beaufsichtigt haben.

Bankenaufsicht unter Führung der EZB

Bei einem Gipfeltreffen Ende 2012 haben die Regierungschefs der Euro-Mitgliedstaaten entschieden, umfassend bankaufsichtliche Befugnisse auf die EZB zu übertragen. Damit wird der EZB-Rat als Letztentscheidungsgremium und das "Supervisory Board" als vorbereitendes Organ zum einen die allgemeine Ausrichtung der Aufsichtspraxis gegenüber allen Kreditinstituten gestalten. Zum anderen werden die beiden Gremien Einzelfallentscheidungen gegenüber den 124 größten, am stärksten vernetzten Bankengruppen (128 Banken) im Euro-Raum verantworten.

In Deutschland werden 24 Banken unter diese neue Aufsicht fallen, die voraussichtlich im November 2014 ihre Arbeit endgültig starten wird. Bis dahin arbeiten EZB und nationale Aufseher gemeinsam an der Aufsicht, wobei die EZB die grundsätzliche Art und Weise der Aufsicht vorgibt. Für die Aufsicht der großen 124 Bankengruppen wird sie auf die Mitarbeit der nationalen Behörden zurückgreifen. Bundesbank-Vizepräsidentin Sabine Lautenschläger sieht große Chancen in dieser Zusammenarbeit: "Die EZB hat die Möglichkeit, das Beste aller Aufsichtsansätze zu übernehmen, und damit auch die Chance, die europäische Aufsichtspraxis stärker zu harmonisieren. Zudem wird die international geprägte Aufsichtskultur eine möglicherweise bestehende Bevorzugung der einheimischen Kreditinstitute nicht zulassen." Die nicht systemisch relevanten Institute werden in der täglichen Bankenaufsicht weiter wie bisher von den nationalen Behörden überwacht. Die EZB kann jedoch im Einzelfall auch bei jeder dieser Banken eingreifen, sollte es notwendig sein.

EZB startet Bankenprüfungen

Seine Arbeit wird der SSM unter dem Dach der EZB voraussichtlich im November 2014 aufnehmen. Bis zu seinem Start werden sich alle betroffenen Banken einer umfassenden Prüfung (Comprehensive Assessment) unterziehen müssen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass vor der Übernahme der Aufsicht durch die EZB Klarheit über die Risiken und Lasten der entsprechenden Banken herrscht. "Nur so kann das Vertrauen der Marktteilnehmer in die Banken wieder gestärkt werden. Hiervon profitieren auch die Institute: Denn, dem derzeit bestehenden Generalverdacht maroder Bankbilanzen wird durch eine strenge, dreistufige Aufsichtsübung die Grundlage entzogen", so Lautenschläger.

Die voraussichtlich zwölf Monate andauernde Prüfung besteht aus drei Elementen: Einer Risikoprüfung, die sich auf alle wesentlichen Bankrisiken erstreckt, vergleichbar mit dem bankaufsichtlichen Überprüfungsprozess in Deutschland. Einer Bilanzprüfung, bei der es vor allem um die Qualität und Bewertung der Aktiva, aber auch um die Bewertung von Kreditsicherheiten und die Angemessenheit der Risikovorsorge geht. Als drittes Element folgt ein zukunftsgerichteter Stresstest, der die Widerstandsfähigkeit der Banken unter verschärften Marktbedingungen und schwierigem Marktumfeld untersucht. Diesen letzten Schritt wird die EZB eng zusammen mit der in London ansässigen europäischen Bankenaufsichtsbehörde EBA abstimmen.

Deutsche Banken bereiten sich vor

Die deutschen Banken bereiten sich inzwischen intensiv auf die bevorstehenden Prüfungen vor. "Für die deutschen Institute bedeutet der dreistufige Test einen erheblichen Arbeitsaufwand. Die Institute müssen sich auf umfassende Datenabfragen nach mitunter neuen Kriterien einstellen", erklärt Lautenschläger. Die Banken täten gut daran, ihre Bilanzen bereits zum Jahresabschluss 2013 intensiv auf mögliche Schwachstellen zu prüfen. Sie sei aber überzeugt, dass sich der Kraftakt lohne. Der SSM eröffne die Chance, aus allen Aufsichtskulturen der Eurozone das Beste rauszuholen.    

Bis zum Start der europäischen Aufsicht Ende kommenden Jahres sind noch viele offene Fragen zu klären. Allen voran muss die Zusammenarbeit zwischen nationalen Aufsehern und der EZB eindeutig geregelt werden. Die Entwicklung eines gemeinsamen Aufsichtsansatzes, der Aufbau eines entsprechenden Meldewesens und die Rekrutierung von Mitarbeitern werden die Aufseher in den nächsten Jahren stark beschäftigen. Zudem ist noch offen, wie sich der neue Aufsichtsmechanismus zu der bereits bestehenden europäischen Bankenaufsichtsbehörde EBA mit ihrer Zuständigkeit für die 27 EU-Mitgliedsländer verhalten soll. Die EBA hat bislang vor allem regulatorische Aufgaben, sie entwickelt einheitliche technische Aufsichtsstandards für Gesamteuropa und überwacht deren Umsetzung. Sie nimmt aber teilweise auch Aufgaben der operativen Aufsicht wahr, etwa durch Vermittlung bei Meinungsverschiedenheiten unter den einzelnen Aufsichtsbehörden. 

Der Abwicklungs- und Restrukturierungsmechanismus (SRM)

Ein einheitlicher Abwicklungs- und Restrukturierungsmechanismus soll die Restrukturierung und Abwicklung von großen Banken ermöglichen, ohne dass dies zu einer Beeinträchtigung der Finanzstabilität führt. Dabei sollen anfallende Verluste verantwortungsgerecht auf Eigentümer und Gläubiger der betroffenen Bank verteilt werden. Nur im Ausnahmefall dürfen sie den Steuerzahlern im jeweiligen Land oder gar in anderen Mitgliedsländern angelastet werden. Eine gemeinsame, gut durchdachte Haftungsregelung schafft nicht nur Rechtssicherheit und Vertrauen am Markt, sondern hilft den Fremdkapitalgebern, die Risiken adäquat einzuschätzen. Damit ein solches einheitliches europäisches Restrukturierungs- und Abwicklungsregime auf einer festen rechtlichen Grundlage steht, bedarf es allerdings einer Änderung der EU-Verträge. "Mit der europäischen Abwicklungsbehörde sind weitgehende Eingriffsbefugnisse verbunden; deshalb muss die Ermächtigungsgrundlage wasserdicht sein. Denn wo abgewickelt wird, da wird geklagt, so viel ist sicher", erklärte Vizepräsidentin Lautenschläger.

Die Mitglieder der zukünftigen Bankenunion

Im einheitlichen Aufsichtsmechanismus sind zunächst alle 18 Länder des Eurosystems vertreten. Die elf Länder, die nicht in der Währungsunion, aber Teil der Europäischen Union und des gemeinsamen Binnenmarktes sind, können nach eigenem Ermessen beitreten. Großbritannien beispielsweise hat als eines dieser Länder bereits angekündigt, dass es sich nicht unter die bei der EZB angesiedelten Bankenaufsicht stellen wird. Gemäß den Beschlüssen vom 14. und 15. Dezember 2012 haben im einheitlichen Aufsichtsmechanismus der Bankenunion die Stimmen der Vertreter aller 18 Länder das gleiche Gewicht.